Der Kirchgang

Ich erinnere mich gelegentlich lebhaft an meinen Schwiegervater:  Zeitlebens an Pünktlichkeit gewöhnt, sehe ich ihn mit zerknautschter Miene abreisefertig an der Tür stehend, auf seine Armbanduhr pochend, und eine seine Töchter erwartend. Längst hat mich dieses Schicksal auch ereilt: Selten komme ich mit meiner Frau pünktlich, manchmal auf den letzten Drücker, sehr oft aber, »cum tempore«, einige Minuten zu spät zu den Veranstaltungen. Ich werde es nie verstehen, welche Aufgaben sie unbedingt noch erledigen muss, bevor wir unser Haus verlassen. Diese Neigung scheint aber irgendwie genetisch determiniert zu sein, denn unsere drei Töchter folgen exakt  dem gleichen Muster.

An diesem schönen Sonntag nahm das Geschehen eine seltsame Wende: Ich saß am Vorabend vor dem Bildschirm und wartete, bis mit reichlicher Verspätung ein Boxkampf im Schwergewicht um den Titel zu sehen war. Diesen  für mich selbst unerklärlichen Luxus, habe ich bislang mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln, in unserer Familie standhaft verteidigt. Das war nicht leicht. Denn meine Frau und die drei Töchter hielten mir unentwegt, mit Bemerkungen wie: »Boxsport passe nicht zu meinem christlichen Weltbild«, den Spiegel guter Sitten vor Augen. Und nun sitze ich heute, wie sonst bei ähnlichen, nächtlichen »Verpflichtungen«, reichlich verspätet und sehr  unausgeschlafen am Frühstückstisch. Meine Frau erinnerte mich mit der Frage: »Hättest du Lust mit mir in die Stiftskirche zu gehen, an ein Vorhaben, das mich die letzten Tage auch schon bewegte. Dort, fuhr sie fort, könnten wir im Rahmen  eines festlichen Gottesdienstes, Bach-Kantaten mit Orchester, Chor und Solisten hören. Ich überlege kurz, schaue auf die Uhr und bemerke: Relativ spät! Wenn ich mich aber mit der Toilette beeile, können wir noch rechtzeitig in der Kirche sein. Nach wenigen Minuten sitzen wir im Auto:

Wir nähern uns Backnang. Der fortgeschrittenen Zeit wegen, hatte ich mir bereits eine Route links herum ausgedacht. Ich muss aber allzeit mit Überraschungen rechnen, so auch jetzt: Meine Frau fährt eben aus unerfindlichen Gründen anders und trotz aufwendigerer Fahrzeit rechts herum durch die Stadt zur Kirche. Ich unterdrücke einen Kommentar und schaue auf die Uhr: Es ist tatsächlich schon drei Minuten nach zehn Uhr. Trotz der Eile erlaube ich mir noch die überflüssige Frage, wo  parken wir nun? Rasch entschieden schlägt sie vor: »Du kannst jetzt hier vor der Kirche aussteigen, während ich eine Parkmöglichkeit suche«. Der Leser sollte wissen, dass es nicht das erste Mal in meinem an ähnlichen Erfahrungen reichen Eheleben ist, dass wir, obwohl ich immer bemüht bin, pünktlich zu sein, bei Veranstaltungen regelmäßig zu spät kommen. Der mir in der gegebenen Situation zustehende Ärger, konnte sich heute leider nicht mehr voll entfalten, denn ich hörte schon Musik und Gesang. Jeder andere vernünftige Mensch würde sicher, ebenso wie ich, den nächsten offenen Eingang zur Kirche suchen, um nicht zu viel von dem festlichen Geschehen zu verpassen. Also auf geht´s! Nichts wie rein, durch die erstbeste offene Türe. Meine Überraschung war perfekt, als ich mich danach, nicht wie erwartet, im Kirchenschiff, sondern unabsichtlich Im Chor der Stiftskirche befand. Dieser schmucke Raum mit seinen nach oben strebenden gotischen Säulen, war mit einigen Reihen blau bezogener, bequemer Stühle ausgestattet. Nur ein älterer Herr saß da. Er schaute mich etwas verdutzt an und wies mir dann einen Platz neben sich zu. Es hielt ihn aber nicht lange auf seinem Stuhl. Nach und nach entpuppte er sich als Kirchendiener, denn er eilte beständig zwischen der Sakristei und einem hinter einer Säule versteckten Programmblatt hin und her. Der freundliche Herr ließ sich trotz meines überraschenden Eindringens in seine »Residenz«, und meiner leichten Irritation, nicht aus der Ruhe bringen. Neben den anderen Aufgaben hatte er es jetzt noch mit mir zu tun. Er besorgte mir ein Gesangbuch. Dies nützte mir leider wenig, denn ich konnte von meiner Position aus weder die Liedtafel sehen noch die Lautsprecheransagen deutlich verstehen. Der freundliche Kirchendiener bemerkte meine Verlegenheit und handelte: Ein nachgefragtes Programm war zwar nicht mehr verfügbar, anstelle dessen brachte er mir aber ein Blatt, das alle für den Gesang der Gemeinde vorgesehen Lieder enthielt. Das Schlimmste war somit vorerst überstanden. Ich entschied mich daher hartnäckig, auf dem mir schicksalhaft zu gewiesenem Platze in der Stiftskirche zu verharren, und den Chor nicht zu verlassen, möge geschehen, was da wolle:

Der wunderschöne Gesang mit instrumenteller Begleitung und den Solisten, entschädigte mich für die Aufregung und zog mich immer mehr in seinen Bann. Endlich konnte ich wieder einmal Bach, wie sich´s gehört, in einer Kirche und nicht nur im Konzertsaal hören. Die Musik und die einladenden Worte der Pastorin, alle Sorgen fahren zu lassen, sich dem Herrn anzuvertrauen, seiner Einladung zu folgen. und IHM zu Ehren ein fröhliches Fest zu feiern, entsprachen voll meiner Stimmung. Die Seele fing an sich zu regen, wohl zu fühlen, Gemüt und Gedanken zu bewegen. Obwohl sich keine weiteren Besucher zu mir und dem Kirchendiener gesellen wollten, fühlte ich mich zugehörig, betrachtete die vielen Gläubigen mir gegenüber im Kirchenschiff und war Auge und Ohr für das Geschehen um mich. Immer mehr  genoss ich das Geschick, die Stiftskirche unabsichtlich durch einen Eingang in den Chorraum betreten zu haben und dadurch einen „Gottesdienst verkehrt herum“ mitfeiern zu dürfen. Auch nicht schlecht, dachte ich, und erwartete neugierig die nächsten Ereignisse.  Und es geschah einiges: Ich sah das Altarkreuz von hinten. So konnte ich mich leichter mit dem Herrn am Kreuz identifizieren als sonst. Meistens schlage ich die Augen nieder, wenn ich den von uns allen geliebten Herrn auch um meinetwillen am Schandpfahl hängen sehe. Nun schaute er aber zu meiner Entlastung die Gemeinde an, der ich ja gegenüber saß. Ich habe mir hinter dem Rücken des Herrn gewünscht, dass er die Gemeinde, zu der ich ja auch etwas versteckt gehörte, bei diesem festlichen Geschehen recht freundlich anschauen möge. ER kam mir aber auch im Zeichen des leeren Kreuzes sehr nahe. Und wie immer, wenn der Herr die erschütterten Seelen tröstet, kommt der Heilige Geist zu Hilfe. Seiner Eingebung folgend, richtete ich meine Blicke hoffnungsvoll auf eine Statue des glorreich Auferstandenen an der Wand im Chor. Das österliche Siegeszeichen wirkte prompt. Wie durch ein Wunder, verscheuchte es alle skurrilen Gedanken und legte sich wie Balsam auf die bewegte Seele. Die Exegese der Pastorin über die Erzählung von der Einladung des Herrn, am Mahl der Liebe teilzunehmen und die darauffolgenden vielen Entschuldigungen, die ER sich anhören musste, trafen mich. Ebenso die Worte an den Mann von der Straße: Warum hast Du kein hochzeitliches Gewand -antwortender Liebe- an? Da saß ich nun auf meinem Stuhl und hörte, dass der, der die Liebe Gottes ausschlägt, auf ewig verworfen sei. Wer könnte da noch vor Gott bestehen, wenn Jesu Barmherzigkeit uns nicht wie ein Christopherus auf seine Schultern nähme und unsere Armseligkeit und Schuld mit dem Mantel barmherziger, erlösender Gnade zudeckte. Und dergleichen geschah -wie im Verborgenen- hinter dem Altar der Stiftskirche. Wenn es mir gelang, mit kräftiger Stimme zu beten und zu singen, war ich nicht nur mit der Gemeinde vor mir, sondern auch im Rücken der Pastorin, mit ihr in Verbindung. Und niemand, auch meine Frau konnte es ahnen, wie wohl mir zumute war, bei einem festlichen Gottesdienst verkehrt herum, als katholischer Christ in der evangelischen Stiftskirche so viel Gnade zu erfahren. Ohne Scheu oder falschem Stolz, schlug ich mein Kreuzzeichen, mit dem ich mich zu Vater Sohn und dem Heiligen Geist bekenne. Es ist das Schönste und Beste, was ich Menschen, hier in einer Gott lobenden, Gott preisenden evangelischen Gemeinde schenken kann. Immer wieder geschieht es ja im Gottesdienst beim Mahl mit dem Herrn, dass ER uns ermutigt, Leid und Freud mit einander zu teilen und uns von IHM trösten und die Tränen abwischen zu lassen.  Dieser sonntägliche Kirchgang mit dem unvorhergesehenen Aufenthalt im Chor der Stiftskirche bei einem feierlichen Gottesdienst, wurde zur reichen Nahrung für die stets nach Gott hungernde Seele. Dadurch gab es Anlass genug, sie vor Freude und Glück ein wenig hüpfen und tanzen zu lassen. Wahrlich ein Stück Himmel auf Erden.

Hoch gelobt sei ohne End das hochheilige Sakrament

 

 

 

Der Gourmet

Herr schenke uns
einen sensiblen
Gaumen DICH und

DEINEN Willen
in allen Dingen
zu schmecken.

Ein Gespür das
uns warnt Früchte
zu naschen

Die sich für DEINEN
Gourmet nicht
ziemen

Locke uns auf
den Weg zu DIR
auf die Spur der
Liebe

DEINEN Ruf
verkostend
stets wach und
bereit zu sein

Das Kreuz der Erlösung und Hoffnung

De goldene Fisch

Es glukst in mir
lebendig´s Wasser
un niemed weiß
wie tief des isch

Im Dunk´le schwimmt
un wird nie blasser
e koschtbar glänzend
gold´ne Fisch

Me kann en seh
es goht em wohl
un mengisch
ahn i was dä soll

Us luter Freud un
Übermuet im  Schpiel
veschpritzt er Tränli
wenn  er  will

Das Geheimnis

 

Das Vermächtnis

Ich sehe sie vor mir, die lange Reihe der Fragenden und Suchenden, wie sie durch die Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte wandern. Erdenbürger, die ihren Nachkommen und einander in Gesten, Wort und Schrift erzählen, was ihnen im Laufe ihres Lebens wichtig war. Die auch von Dingen berichten, die sie, über die Sorge ums tägliche Brot hinaus, bewegen: Sollte ein Mensch nicht ins Staunen geraten, wenn er von Kunstwerken aus der Frühzeit der Höhlenbewohner, von Pyramiden und Sakralbauten erfährt, oder wenn er den vielen  Zeugnissen der Natur- und Geisteswissenschaft, Kunst- und Religionsgeschichte, aus den jeweiligen Epochen in verschiedenen Kontinenten begegnet? Können wir Heutigen dann die durch die Jahrhunderte ernst genommene Frage nach dem Sinn im Ganzen: »Warum gibt es dies und nicht nichts« einfach hochmütig beiseiteschieben? Auf was müssen wir daher in unserem eigenen Interesse achten? Wir reden in diesen Tagen viel über die missionarische Aufgabe, der Christen, dass sie mit einander und mit anders orientierten Menschen, über den Reichtum unseres Glaubens reden sollten. Der gegenseitige Trost wahrer Gottes- und Menschenliebe, die allem gilt, darf aber bei keiner religiösen Rede oder Handlung fehlen. Im steten Blick auf den Allmächtigen, und aus Seinen Quellen gespeist, könnte dann die Demut und Weisheit entspringen, die den Blick dafür schärft, dass unser Hunger und Durst nach Liebe und Glück letztlich nur Gott zu stillen vermag. Eine Kraftquelle, die schon den Glauben des Apostels Paulus festigte, und auch uns Vertrauen und Sicherheit zu schenken vermag, um allem Unglauben, Zweifel und Atheismus in und um uns, in Frieden wirksam begegnen zu können.

Schon in meinem ersten Band „Geschichten und Gedanken“, habe ich in einem einleitenden Essay versucht, Gründe zu benennen, warum es mich drängt, zu schreiben. Die dort behandelte Frage nach „Einheit und Vielfalt“ bewegt mich immer noch. In den dazwischen liegenden Jahren, hat sich für mich aber die Frage, welche geistigen und geistlichen Wurzeln, dem Schreiben zugrunde liegen könnten, etwas deutlicher geklärt: Stand zu Beginn meiner schriftstellerischen Tätigkeit, die Erfüllung der drängenden Bitte unserer Töchter: »Papa, erzähl uns etwas aus Deinem Leben«, im Vordergrund, so habe ich inzwischen begriffen, dass ich nicht nur unseren Kindern, sondern der gesamten „jüngeren Generation“ eine persönliche Aussage zur Frage schulde, was mir im Rückblick auf mein ganzes Leben wichtig geworden ist. Durch mein höheres Lebensalter fühle ich mich daher in der Pflicht, unseren Nachkommen im Sinne eines „Vermächtnisses“ mitzuteilen, wie menschliches Leben gelingen kann. Diesem Anliegen diente und wird auch in Zukunft, alles was ich zu sagen habe, gelten. Manches mag vielleicht „eigensinnig“ wirken. Ich stehe aber dazu: Obwohl in meinem Leben mit wenigen schriftlichen Verträgen ausgekommen, bin ich für meine Praxis, Gott und den Menschen zu vertrauen, nicht ungebührlich bestraft worden. Ein Rechtsanwalt hat sich aber einmal darüber sehr verwundert. Meine Vernunft sagt mir eben, dass mir, mit oder ohne Testament, am Ende des Lebens jede selbst gefertigte Sicherheit, sicher genommen wird. Viel mehr Gewicht legte ich jedoch auf all das, was „Rost und Motten“ nicht zerstören können: Es brauchte aber seine Zeit, bis ich fähig und bereit war, „die Karten auf den Tisch zu legen“, zu versuchen, Rechenschaft von meiner Verwaltung zu geben, und so etwas wie mein „geistliches Testament“ zu schreiben. Ich vertraue darauf, dass der Herrgott, aus dem alle meine Quellen entspringen, mir die rechten Worte eingeben wird, um davon meinen Kindern, Enkeln und allen unseren Nachkommen, zu berichten, was mich im Wellengang meines Lebens über Wasser hielt: Was kommt mir in den Blick, wenn ich mich als älterer Mensch hierzu in unserer Welt und darüber hinaus umsehe und umhöre? Was und wer war für mich Maßstab des Handelns? Der von mir, über seinen Tod hinaus, hochgeschätzte, akademische Lehrer und Religionsphilosoph, Bernhard Welte, dessen geistiger und geistlicher Nachlass in vielen Bänden zum Studium und zur Erbauung zur Verfügung steht, zeugt von christlichen Wurzeln und einem freimütigen Blick auf die Fragen und Sorgen der Menschen in unserer Zeit. Er gibt darin Rechenschaft über das, was ihn zutiefst bewegte. Es sind geistige und geistliche Schätze, die er uns in seinem Vermächtnis ans Herz legt: Die auf einer Tagung der Welte-Gesellschaft behandelten Themen über beglückende Erfahrungen der Nähe Gottes und äußerst befremdliche Gottesferne, finde ich auch in meinem Leben als das vor, was mich unbedingt angeht.  Insofern spricht Welte auch für mich. Ich komme zurück auf das oben erwähnte pilgernde Volk Gottes, auf alle die Menschen, die von Generation zu Generation, ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihren Glauben, an ihre Nachfahren weitergaben. Besonders ältere, lebenserfahrene Menschen waren berufen, Wächter und Hüter ihrer Kultur und ihres Glaubens zu sein.

Mit der Begrenztheit unseres menschlichen Lebens, und aller Dinge, müssen auch wir, trotz unserer mannigfaltigen technischen Mittel zur Steuerung der Prozesse, auch heute und in Zukunft rechnen. All das zeigt uns: Wir können zwar viel, sind aber nicht Herr allen Daseins. Darum taucht die Frage immer wieder neu, und auf unterschiedliche Weise auf: »Warum gibt es das alles, Mensch, Natur, Mikro- und Makrokosmos, und nicht nichts?« Und damit unter redlichen Menschen auch die Frage nach Sinn und Bedeutung alles Seienden, nach Schuld, Tod, Leid und ewigem Leben? Die Einen verneigen sich dankbar für alles, und glauben hoffnungsvoll an ein ganz anderes, glückliches Leben nach dem Tod, die Anderen suchen unentwegt, und fortschrittsgläubig, nach neuen Wegen und Erklärungsmodellen, um auf Erden ihr Glück zu machen. Gott und Religion scheint es in ihrem Leben und Denken nicht zugeben. Die Frage nach Einheit und Vielfalt des Ganzen, stellt sich der menschlichen Vernunft jedoch immer wieder mit unterschiedlicher Dringlichkeit. Manche halten die Frage nach dem Sinn des Ganzen, verwirrt durch die Komplexität der Phänomene und Ereignisse für überflüssig, Andere, wie Welte und auch ich, für dringend geboten. Ich habe mich aus innerem Antrieb und Überzeugung, wie im Ersten Band meiner „Geschichten und Gedanken“ ausgeführt, dafür entschieden, den Naturwissenschaften Respekt zu erweisen, aber auch den Geisteswissenschaften und Religionen, den ihnen zustehenden Platz einzuräumen. Es erscheint mir wünschenswert, dass sich das in der Vergangenheit bewährte Zusammenspiel von Natur und Geisteswissenschaft, auch in Zukunft fortsetzen kann.  Auf die allseits bekannten Folgen einer Trennung von Glauben und Leben, möchte ich anhand des derzeit beklagten Glaubensverlustes und der damit verbundenen Unsicherheit im Blick auf eine tragfähige Sinn-, Werte- und Normbegründung nachfolgend hinweisen: Im Unterschied zu den Verhältnissen in meiner Jugend, als Klerus und Laien, Kirche und Gesellschaft sich vielfach ergänzten, erfahren kirchliche und lehramtliche Aussagen heute eine eher geringe Akzeptanz bei den Gläubigen und in der politischen Diskussion. Dies gilt insbesondere im Bereich der Gesetzgebung, der Ethik und Moral. Erkenntnisse der Natur-, Sozialwissenschaft und Philosophie, drängen stark in die öffentliche Meinungsbildung. Das Ausmaß dieser Einflüsse, auf die christliche Weltanschauung und deren Wertvorstellungen, wird im europäischen Raum vielfach beklagt. Wenn wir die anhaltende Migration vieler Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen, und die atheistischen und laizistischen Vorstellungen in Europa bedenken, dann sind wir Christen gefordert mitzuwirken, um unseren Glauben unverkürzt an die nächste Generation weiterzugeben. Gerade die ehrwürdige Geschichte der Katholischen Kirche, ihre Martyrer, Heiligen und Seligen, die Bischöfe Priester und frommen Gläubigen, vor allem aber Jesu Tod und Auferstehung, sind die Garanten für eine Zukunft über den Tod hinaus. Diesen Zeugen unseres Glaubens bin ich mit Gottes Hilfe ein Leben lang gefolgt. Die so oft gescholtene, und auch wirklich Fehler behaftete Kirche, ist mir dennoch im Bewusstsein ihres alles überragenden Segens, zu einer bestärkenden Heimat geworden. Ich bin auch nicht allein: Noch gibt es sie, die vielen treuen und rechtschaffenen Ordensleute, Bischöfe, Kardinäle, Priester, Diakone und Pastoralreferenten, die mit unterschiedlichen Aufgaben in Kirche und Gesellschaft betraut, Hand in Hand mit christlichen Männern, Frauen und Jugendlichen, um Gotteslohn wirken. Wie in einer guten Familie, gehören aber auch alle die mit dazu, die gefehlt haben. Dankbar für alle Gnade, den Zuspruch und die Wohltaten, die ich durch unsere Kirche und das freundliche Geleit evangelischer Christen erfahren durfte, bin auch ich bereit, alles was mir möglich ist, in Kirche und Gesellschaft einzusetzen, und den späteren Generationen und unseren Kindern zur Ermutigung, die Bedeutung dieses Glaubens für unser aller Leben, in diesem persönlichen Vermächtnis zu bezeugen. Wie geht solcher Glaube? Hierzu einige Erfahrungen: Glaube geht von Hand zu Hand, von Mund zu Mund, wie ein „gebrochenes Brot“, zur Stärkung von einem Menschen zum anderen. Alles, was unseren Glauben stärkt, der gnadenhaft dem Herzen Gottes entspringt, sucht eine Chance, um sich in unseren Seelen zu beheimaten. Dieser Glaube enthält und übersteigt soziales Engagement ins Unermessliche. Denn er untersagt uns, Mitmenschen nieder zu machen, und gebietet stets deren Würde und Gotteskindschaft zu achten. Jedem Menschen die Barmherzigkeit und den Segen Gottes, bis in den beseligenden Himmel hinein zu gönnen und zu wünschen, ist des Christen Pflicht und Freude. Das meine ich, wenn ich die Unendlichkeit einer personalen Beziehung nie fassend, manchmal sage: »Wenn ich könnte, würde ich Dich in Watte packen!« Welchen würdevollen Umgang mit Leid, Schuld, Freude und Vergebung, durfte ich in vielen Beichtgesprächen erfahren. Wie viel tröstliches Miteinander durch Christen in Familie, Gruppen, und der Arbeit, in gesellschaftlichen und politischen Aufgaben, durfte ich erfahren? Immer wieder traten sie mir vor Augen, die Vorbilder an Treue, Mut, Geduld, Demut, Hoffnung und Liebe. Wenn ich all das nur allein empfangen hätte, dann würde mir das Schönste, was es für mich gibt, anderen Menschen Freude zu bereiten, und sie glücklich zu wissen, fehlen. So hoffe ich, dass das eine oder andere Wort, das auch ich empfangen durfte, sich als persönliches Vermächtnis von dem, was mir im Leben das Wichtigste war, Gehör zu verschaffen vermag. Und ich wünsche, dass diese Worte aus dem prallen Leben, Mitmenschen so zu berühren und zu ermutigen vermögen, dass auch sie aus Freude am christlichen Leben, einen Weg finden, um Gott die Ehre zu erweisen und ihren Glauben in der ihnen möglichen Form mit den Hungernden und Dürstenden unserer Zeit zu teilen.

Geborgen in der Kirche
Geborgen im Glauben Hoffen und Lieben.

Vier Türme

Wir befinden uns auf einer Pilgerreise zum Kloster Münster Schwarzach. Einige Frauen und Männer folgen der Einladung unseres Pfarrers. Die vereinbarte Anreise mit eigenen Fahrzeugen, gestattet uns, den Komfort unseres neuen Golfs zu genießen. Wie üblich steuert meine Frau. Ich mache es mir daneben bequem, beobachte die Landschaft, und überlasse mich dem munteren Spiel meiner Gedanken und Gefühle: Wir fahren schon eine Weile südlich an Würzburg vorbei, Richtung Bamberg. Den momentan auftauchenden Erinnerungen an eine frühere Irrfahrt ohne Navigationsgerät auf den Straßen dieser Stadt, folgen aber bald wieder positivere Gedanken und Gefühle. Unser neues Auto federt die Unebenheiten der Straße deutlich besser ab, als sein Vorgänger. Durch innere und äußere Bilder hindurch, umkreisen meine Gedanken das Ziel unserer Reise, und die damit verbundenen Erwartungen: In Kürze werden wir die Frauen und Männer der anderen Fahrgemeinschaften treffen. Ich kenne das Kloster bereits seit einem früheren Besuch. Leider musste ich damals den Urlaub vorzeitig beenden. Mein empfindlicher Rücken, und die klösterlich harte Matratze des Bettes, passten nicht zusammen. Ich sende daher vorsorglich ein Stoßgebet zum Himmel, dass sich so etwas nicht wiederholen möge. Vor uns sind schon die vier markanten Türme der Klosteranlage zu sehen. Zeitgleich mit uns erreicht auch unser Pfarrer und die anderen Pilger das Kloster. Nach einer kurzen, herzlichen Begrüßung, begeben wir uns ins Gästehaus. Wir beziehen ein freundlich eingerichtetes Doppelzimmer in ruhiger Lage. Mein Stoßgebet um ein weiches Lager fand Gehör, sodass keine vorzeitige Abreise wie beim letzten Aufenthalt hier droht. Nach einer kurzen Erfrischung, begeben wir uns zu der nur wenige Schritte entfernten Klosterkirche, um mit den Mönchen zusammen den Vesper-Gottesdienst zu feiern. Eine weit ausladende Freitreppe führt zum Eingang des Gotteshauses. Wie schon oft bei anderen Gelegenheiten, stehe ich aufblickend, klein und sprachlos, vor der beeindruckenden Fassade dieser Kirche. Ich staune immer wieder über das, was Menschen vermögen, wenn sie, ihrem Glauben zu Gottes Ehre eine äußere Form geben. Rilkes Verse »Werkleute sind wir, Jünger, Knappen Meister…«, kommen mir in den Sinn. Das Staunen schlägt in Bewunderung um, als wir erfahren, dass die Mönche dieses Gotteshaus zusammen mit Hilfskräften selbst erstellten, und die zum Bau benötigten Steine selbst gebrochen, behauen, und von weit her auf Karren zur Baustelle gefahren haben. Wir treten ein in die Stille des Kirchenraumes, der in seiner sparsamen Ausgestaltung an romanische Kirchen erinnernd, zur Andacht einlädt. Die Seitenaltäre mit den Heiligenfiguren lassen diverse Baustile erkennen und stammen aus einer Zeit, in der noch jeder Priester-Mönch täglich die Heilige Messe feierte. Die Form des Kirchenschiffes lenkt den Blick zum Chor mit dem Hochaltar, um den sich die Mönche zum Gebet versammeln. Christus ist als gekreuzigter und auferstandener Herr, mit vergoldeten Wundmalen, von einem hellen Licht angestrahlt, der zentrale Punkt der Kirche. Im Tabernakel des linken Seitenaltars, der den brennenden Dornbusch darstellt, wird das Allerheiligste aufbewahrt. Dort knien oft Mönche, tief ins Gebet versunken. Schweigen verbreitend, lädt dieser Raum die Besucher ein, mit ihnen im Gebet Gott Ehre zu erweisen.

Es ist immer erhebend, wenn die Mönche gemessenen Schrittes hinter ihrem Abt in feierlicher Prozession in die Kirche einziehen. Vor dem Hochaltar mit dem Kreuz Christi verneigen sie sich tief, um dann ihre Plätze im Chorgestühl einzunehmen. Die betenden Benediktiner erinnern mich in ihrer auf Gott zentrierten Haltung an den Geist, der auch in unserer Heimschule in Sasbach herrschte. Dort glänzt bis heute in goldenen Lettern über dem Eingang der Leitspruch einer betenden Schule: „INITIUM SAPIENTIAE TIMOR DOMINI“ Der Gesang der Mönche steigt auf und füllt den Raum. Alles, was in uns singen und beten kann, klingt mit. Der Lobpreis der Mönche schließt ja alle Menschen, die Kirche und die ganze Schöpfung ein. Wir lassen uns behutsam auf ihren Lebensrhythmus des „ora et labora“ ein. Während ich jetzt über sie und ihren so wichtigen Dienst schreibe, begleitet mich ihr Chorgesang. Eine ganze Weile dauerte es aber, bis wir bei unserem Besuch im Kloster, aus dem andächtigen Staunen erwachten und es wagten, zunächst zaghaft, und dann nach und nach etwas kräftiger in den Chorgesang der Mönche einzustimmen. Es war erhebend und zum Greifen nahe, wie sehr die Mönche ihr Leben auf Jesus Christus, unseren Herrn und Meister, ausrichten. Zu erleben wie sie, vor unseren Augen, nach der Regel des Heiligen Benedikt, vor allem anderen Gott in feierlicher Form die Ehre erwiesen.

Wir genießen bei den Mahlzeiten, die uns reichlich vorgesetzten Speisen und die aufmerksame Bedienung der Mönche in ihren weißen Schürzen. Die traditionelle Gastfreundschaft der Benediktiner, ist hier zu spüren. Bei Tisch und in Gesprächen lernen wir die anderen Pilger, Frauen und Männer, jüngere und ältere Menschen, näher kennen. Zu meiner Freude bemerke ich, dass auch einige evangelische Christen mit uns zusammen im Kloster sind. Nach der Komplet sprechen wir, zum Ausklang des Tages, noch ein wenig über unsere heutigen Erfahrungen miteinander. Nach einer ruhigen Nacht, sind wir in einem Halbrund um den Altar in der Krypta versammelt. Der Blick wird immer wieder auf den voll ausgeleuchteten Reliquienschrein unter dem Altar gelenkt. Ein Priester betritt in violettem Messgewand der Fastenzeit die Krypta. Obwohl er mit seinen gewellten, langen, grau-weißen Haaren, ein wenig an einen Künstler erinnert, und durch seine feste Stimme und die überzeugenden Gesten, die Reife eines starken Charakters erahnen lässt, tritt er ganz hinter seine Aufgabe zurück und lässt uns spüren, für wen er im Glauben dasteht. Deo gratias! Die Demut und dienende Haltung des Priesters wird besonders deutlich beim Hochgebet und der Konsekration. Wenn er dabei die Hostie und den Kelch weit über sich hinaus empor hebt, ist er wie nicht mehr da, um dadurch um so mehr auf den gegenwärtigen Herrn zu verweisen. Tief berührt, bete ich leise die Einsetzungsworte mit. Und heute, frage ich mich betroffen, warum können in unseren Tagen so wenige Menschen den Glauben feiern und auf diese Weise, die überwältigende Barmherzigkeit und Liebe Christi erleben? Wenn ich das auch nicht ändern kann, dann aber bete und bitte ich um so leidenschaftlicher, dass uns Gott der Herr seiner Liebe wegen, fromme, treue Priester und gläubige Menschen schenken möge, und dass ER sich unserer vielen, nach Liebe und Barmherzigkeit hungernden Schwestern und Brüder annehme. Schweigend und tief bewegt, verlasse ich zusammen mit meiner Frau und den anderen Gläubigen, den Ort, an dem ich wieder einmal über jedes Gezänk erhaben, die Kraft und Schönheit unseres katholischen Glaubens und die offenen Arme der weltweiten, armen und zugleich reichen Katholischen Kirche, erfahren durften.

In einem geistlichen Impuls bezeugte uns anschließend ein Pater seinen Weg zu den Benediktinern, erklärte uns den Aufbau und die Struktur der Klosteranlage, und den nach festen Regeln ablaufenden Rhythmus von Gebet und Arbeit der Mönche. Es wurde uns klar, dass, ohne eine an Jesus Christus orientierte Frömmigkeit und ohne echte Berufung durch den Herrn, ein so streng geregeltes, den Gehorsam einforderndes Leben, nicht gelingen kann. Bei einer nachfolgenden Führung durch die Klosteranlage erhalten wir Informationen über den Bau und die künstlerische Ausgestaltung der Kirche, die Aufgaben der Mönche und Brüder in der Schule, dem Rekollektiohaus, der Missionsarbeit und in den Wirtschaftsbereichen: Die Bemühungen des Klosters im Bereich erneuerbarer Energien sind weithin bekannt, und gelten als fortschrittlich. Über eine Biogas- und Holzverbrennungsanlage etc. versorgen sich die Benediktiner selbst und können darüber hinaus noch Energie ins öffentliche Netz abgeben. Die Zeichen der Zeit gehen aber auch an den Benediktinern nicht spurlos vorüber. Denn allein auf sich gestellt, ohne die vielen Hilfskräfte, wären sie weder heute noch in Zukunft in der Lage, alle anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Eine schmerzliche Feststellung, die wir mit den Benediktinern von Münster Schwarzach teilen, in der Hoffnung, dass der Herr auch unser Gebet erhöre und uns diese ihm geweihte Stätte des »ora et labora«  gnädig erhalten möge.

Gleichsam als Höhepunkt des Aufenthaltes in Münster- Schwarzach nehmen wir am sonntäglichen Konventsamt teil. Ein wenig Unruhe schaffte es, bis alle Gäste, die Wert darauflegten, bei den Mönchen im Chorgestühl mit zu beten und zu singen, dort ihren Platz gefunden hatten. Ich legte es nicht darauf an. In meiner Vorstellung gehört denen das Chorgestühl, die dort dem Herrn täglich dienen. Aber es scheint, dass sich die Zeiten und Ansichten hierzu ändern. Das hinderte mich, meine Frau und einige andere Beter aber nicht, mit den Benediktinern zusammen in den uns vertrauten Kirchenbänken die Eucharistie andächtig mit zu feiern und Gott frohen Herzens zu loben und zu preisen. Die Geschichte vom segensreichen Aufenthalt bei den Benediktinern in Münster Schwarzach läuft eigentlich auf die Frage hinaus, was in uns nachklingt und was wir davon weitergeben können: Viele Kreuzungen und Abzweigungen erschweren gelegentlich im Alltag die Orientierung. Dann ist guter Rat teuer. Wir brauchen dann dringend eine Wegweisung, einen liebevollen Navigator, der uns hilft, damit wir unsere von Gott geschaffenen schönen Wohnungen in der Katholischen Kirche nicht aus den Augen verlieren und einfach links liegen lassen. Die Mönche in Münster Schwarzach zeigen uns mit ihrem „ora et labora“ die Richtung an und ermutigen uns durch ihr Vorbild. Sie haben ja nicht nur Steine herangeschleppt, um ihre Kirche zu bauen, sondern sich selbst als lebendige Bausteine unter der Navigation des dreifaltigen Gottes so führen lassen, dass der Herr SEIN wahres, geistiges Gotteshaus aus Menschen mit brennenden Herzen auf erbauen kann. Eine glaubende Gemeinschaft liebender Zeugen. Ein lebendiges Haus Gottes, in dem der Herr selbst wohnen und wirken will. Danach verlangt Herz und Sinn.

 

 

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