Das Kreuzzeichen

Ein kleines Gefäß mit Weihwasser gefüllt, gehört zu meinen frühesten kindlichen Erfahrungen. Unsere Großmutter ließ es sich nicht nehmen, jeden Abend an mein Bett zu treten, ihre Finger ins geweihte Wasser, zu tauchen, und mich im Namen des Vaters, des Sohnes und Heiligen Geistes zu segnen. Es war mir dabei immer ein wenig feierlich zu Mute. Im Schutze dieser liebevollen Geste konnte ich dann ruhig einschlafen. Ich konnte es kaum erwarten, bis ich mich später wie die Erwachsenen, beim Betreten und Verlassen der Kirche, selbst mit Weihwasser besprengen und bekreuzigen durfte.

Tief beeindruckt haben mich auch die gelegentlichen Krankenbesuche unseres Pfarrers. Ein Beistelltisch wurde weiß eingedeckt, und darauf ein kleines Standkreuz und zwei silberne Kerzenständer mit brennenden weißen Kerzen gestellt. Wenn der Priester sich in Ehrfurcht  bekreuzigte und vor dem Allerheiligsten nieder kniete, erfüllte mich ein feierlicher Schauer. Zur vertrauten Umgebung gehörte auch das von unserem Großvater selbst geschnitzte und naturbelassene Kreuz aus Lindenholz in Gestalt eines Weinstocks an der Wand. Ein Leben lang begleiten uns Christen das Weihwasser und das Kreuz  als Zeichen der Erlösung, des Segens und der Hoffnung bis über den Tod hinaus. Ist das nicht Grund genug wieder einmal zu bedenken, was geschieht, wenn wir zum Kreuz aufschauen, uns selbst oder andere bekreuzigend den Segen empfangen oder einander spenden?

Ich gehöre noch zu der Generation katholischer Christen, die sich darüber freuen, wenn die Kirchenglocken uns zur Heiligen Messe und kirchlichen Festen einladen und wir uns  im Jahresreigen um den Altar versammeln. Unsere Priester waren sehr geachtet und wir Kinder begrüßten sie mit einem fröhlichen „Gelobt sei Jesus Christus“. Wir schätzten den Religionsunterricht und unsere Geistlichen, die uns die Bedeutung der Zeichen und Sakramente erklärten und mit uns die Geheimnisse unseres Glaubens feierten. Ein heiliger Schauer kann uns befallen, wenn wir vom Kreuz berührt, aus unseren Träumen wach gerüttelt bemerken, wie sehr uns Gott liebt und braucht, um an SEINER Stelle in anderen Menschen Hoffnung und Segen zu erwecken,  und dass wir in IHM und durch IHN, ein Zeichen SEINER Gegenwart in unserer Zeit sein sollen. Vielleicht meint es Gott in SEINER zarten Liebe  und unendlichen Geduld mit uns sogar gut, wenn ER SEINE alles überragende Majestät vor uns verbirgt und uns schwache Menschen benutzt, um in den Spielwiesen des Alltags, anderen unseren Glauben so zu  bezeugen, dass sie sich vor uns und dem Herrn nicht zu sehr erschrecken müssen. Denn auch wir dürfen fest darauf vertrauen, dass der Herr die Schwächen und Nöte Seiner Zeugen kennt und auch durch unsere kleinen Gesten das Wunder wahrer Gottesbegegnung bewirken kann.

Die Begegnung mit der überwältigenden Fülle der Liebe des dreifaltigen Herrn würde uns Kleingläubige doch sicher noch mehr erschrecken, als den mit fester Speise des Glaubens vertrauten Petrus, der beim Hahnenschrei seinen Verrat erkennend, bitterlich weinen musste. Das kraftvolle Kreuzzeichen der Liebe Gottes kann unsere Schuld und verborgenes Chaotisches in uns und ums uns aufdecken. Es kann uns aber auch zur Erkenntnis führen, wie unsagbar wir darauf angewiesen sind, die barmherzige Nähe Gottes im schlichten Kreuzzeichen immer wieder zu erfahren. Von Geburt bis in den Tod und die Auferstehung hinein, ist das Kreuzzeichen ein Ausdruck dafür, dass Gott nie aufhört Chaos in Kosmos zu wandeln. Wer, wenn nicht die Heiligste Dreifaltigkeit weiß besser, was für uns alle  wirklich umfassend gut ist.

Gottes Fürsorge für das, was er in SEINER unendliche Güte und Liebe geschaffen hat und allezeit am Leben erhält, ist wahrlich schon des Dankes wert. Unsere Heiligen sind auf ihre je eigene  Weise, wie der Heilige Franziskus, mein Namenspatron, Zeugen der erlösenden Liebe Gottes. Wie nahe durfte dieser Heilige dem dreifaltigen Herrn kommen. Ein Beichtspiegel ist er für uns alle: Sind wir so still, demütig, aufmerksam und offen, dass der die ganze Schöpfung durchwaltende Segen göttlicher Liebe auch uns erfüllen und durch unsere Armut hindurch zu einem wirksamen Zeichen der Liebe werden kann?

Hängen wir die Kreuze nie ab und bleiben wir im Segen des Vaters
Sohnes und Heiligen Geistes.

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Franz Schwald

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