In sagenumwobener Zeit herrschten einmal ein König und eine Königin im Fantasiereich Eurasien. Den Bürgern dieses Landes war es gestattet, in Freiheit zu leben. Von Kindheit an wurden sie in ihren Familien, in kostenfreien Schulen und Universitäten angeleitet, ihre Kritik- und Urteilsfähigkeit auszubilden, um Recht und Unrecht unterscheiden zu können. Da die Bürger gelernt hatten, Verantwortung für ihr Königreich Eurasien zu übernehmen und die gegebene Ordnung zu beachten, bedurfte es keiner strengen Kontrolle. Sie konnten sich im Königreich frei bewegen, ihre Meinung äußern und entscheiden, auf welche Weise sie ihre Fähigkeiten, Fantasien und Ideen zum Wohl des Landes und der Menschen nutzen wollten.
Eurasien wurde ähnlich verwaltet, wie andere Reiche in jener Zeit: Der König und die Königin von Gottes Gnaden setzten Minister, Beamte und Lehrer ein, denen es oblag, den Bürgern den Sinn und die Bedeutung aller Vorschriften und Regeln zu erklären. Die Bürger des Königreiches wurden daher mit der allgemeinen Ordnung so vertraut, dass sie in der Lage waren verantwortlich zu handeln. Sich in Gedanken frei und blitzschnell von Ort zu Ort bewegend, konnten sie Eurasien auch unkontrolliert verlassen, um andere Menschen kennen zu lernen. Über viele Generationen hatte das Fantasiereich Eurasien schon Bestand. Königliche Verwalter überwachten im Reich die gerechte Verteilung des Vermögens und der Güter. Es herrschten deshalb schon lange Frieden, Recht, Ordnung und Wohlstand. Da bisher im Fantasiereich noch nie ein Haus abgebrannt oder ein Mensch zu Schaden gekommen war, brauchte es weder Polizei, noch Feuerwehr, Gesundheits- oder Rettungsdienste. Es gab damals im Land auch kein Fernsehen oder andere Medien. Alle Nachrichten wurden daher durch Gedanken übertragen, die blitzschnell und zielgenau ihre Empfänger erreichten. Seit Generationen gab es im Reich weder Konflikte noch Kriege mit anderen Völkern, sodass Soldaten und Waffen entbehrlich waren. Um aber sicher zu stellen, dass die königlichen Beamten die ihnen übertragenen Aufgaben auch erfüllen konnten, traf sich der König bei wichtigen Entscheidungen mit dem Kronrat in seinem Schloss zur Beratung. Als jüngst bekannt wurde, dass in Eurasien böse Geister als „Spukgestalten“ ihr Unwesen trieben, die es darauf absahen, die Entscheidungen der Bürger zu erschweren, bestand wieder einmal Anlass, den Kronrat einzuberufen: Auf den heutigen Tag hatte der König die Mitglieder des Kronrates in sein Schloss eingeladen, um zu beraten, wie man den Bürgern Eurasiens bei der „Unterscheidung der Geister“ helfen konnte. Da es sich, um eine für den Bestand des Königreichs wichtige Frage handelte, hatte der König auch die Spukgestalten und guten Geister eingeladen, um sie als Zeugen vernehmen zu können. Jetzt ertönte ein lautes Fanfarensignal, und alle Anwesenden erhoben sich von ihren Plätzen. Vom Hofstaat begleitet, betraten der König und die Königin in festliche Roben gekleidet, den hell erleuchteten Festsaal. Sie begaben sich gemessenen Schrittes zu ihren erhöhten Plätzen und setzten sich neben einander auf ihre Throne. Der Zeremonienmeister klopfte mit seinem Stab dreimal kräftig auf den Boden, erklärte mit lauter Stimme die Versammlung für eröffnet, und kündigte die Rede des Königs an. Ein Beamter überreichte dem König eine Bulle. Nach einem kurzen Räuspern begann der Regent mit sonorer Stimme seine Rede: „Wir, Euer König und die Königin von Gottes Gnaden, haben aus gegebenem Anlass den Kronrat, Euch Minister, Beamte, Philosophen, Richter, Lehrer, und als Zeugen gute Geister und Spukgestalten, zur heutigen Beratung einbestellt. Sie wissen alle, dass unser geliebtes Reich Eurasien unter Gottes Schutz seit langer Zeit Bestand hat. Auf den Tag genau vor dreißig Jahren, übernahmen wir als König und Königin für die Dauer unseres Lebens die Regentschaft. Wir empfingen die Insignien, Krone, Zepter, Reichsapfel und Schwert, und verpflichteten uns feierlich, in unserem Reich stets für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand zu sorgen. Das versuchten wir nach Kräften mit Eurer Hilfe. Wir und alle unsere Bürger Eurasiens befolgten während unserer Regentschaft, alle zum Frieden und Wohlstand erlassenen Gesetze. Heute haben wir die Aufgabe darüber zu beraten, wie wir und der Kronrat den Bürgern unseres Landes bei der „Unterscheidung der Geister“ so beistehen können, dass sie den Eingebungen der guten Geister folgend, die Bedrohungen durch „Spukgestalten“ abwehren können. Wir wünschen unserer heutigen Beratung einen guten Verlauf und beauftragen den Zeremonienmeister, die Sitzung des Kronrates zu leiten. Gegeben im dreißigsten Jahr ihrer Königsweihe, Euer König und Eure Königin von Gottes Gnaden.“
Die Versammlung bekräftigte die Rede des Königs mit lautem Beifall. Dann klopfte der Zeremonienmeister wieder dreimal mit seinem Stab auf den Boden, gebot Ruhe und sagte: „Ich erteile zunächst dem Hofprediger das Wort. Dieser ging zu einem Lesepult, bekreuzigte sich mit den Worten im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, und sagte dann: „Ich erinnere uns heute daran, dass wir alle unsere Macht, Frieden und Wohlstand im Land zu erhalten, Gott verdanken. Unserem Herrn sei Ehre, Dank und Herrlichkeit in Ewigkeit.“ Es ertönte ein kräftiges, bestätigendes Amen.Der Zeremonienmeister schüttelte nun eine Glocke, begab sich zum Lesepult und sagte: „Wie wir alle wissen, hat unser Königspaar keine Mühen und Kosten gescheut, allen Bewohnern unseres Reiches eine gediegene Bildung zu schenken, um uns auf ein Leben in Freiheit, Frieden, und Gerechtigkeit vorzubereiten. Wir wussten dies zu schätzen und leisteten alle unseren Beitrag hierzu. Unseren königlichen Verwaltern entging aber nicht, dass einige Bürger Eurasiens sich gelegentlich schwer entscheiden konnten. Manche Bürger wünschten sich sogar lieber Kontrollen, um sich nicht entscheiden zu müssen. Andere klagten darüber, dass sie bei ihren Entscheidungen durch „Spukgestalten“ behindert wurden. Es gab sogar Bürger, die weder an Gott, noch an gute Geister oder Spukgestalten glaubten. Unsere Aufgabe ist es nun heute, über die „Unterscheidung der Geister“ zu beraten, und hierzu die geladenen guten Geister und Spukgestalten als Zeugen zu vernehmen. Mit einem kräftigen Glockenzeichen beendete der Zeremonienmeister das Raunen im Saal, und erteilte zunächst einem Philosophen das Wort:
Ein in die Jahre gekommener Mann mit weißem Vollbart trat hocherhobenen Hauptes an das Rednerpult und sagte: „Die uns gewährte Freiheit des Denkens bewährte sich seit langer Zeit als eine Hilfe, um die Bürger Eurasiens zu verantwortlichem Handeln zu führen. Sie schloss aber auch die Möglichkeit ein, alles bis zur Sinnlosigkeit zu bezweifeln. Dank der bei uns in Eurasien kostenfrei gewährten Bildung, vertrauten aber unsere Bürger bis heute in freier Entscheidung der allgemeinen Ordnung und setzten sich zum Wohle aller ein. Mit lebhaften Gesten meldete sich nun ein Lehrer zu Wort, begab sich ans Lesepult und sagte: „Wir Pädagogen erlebten bisher im Kontakt mit unseren Schülern und Studenten, spiegelbildlich Hinweise auf die in Eurasien von den Bürgern vertretenen Ansichten. Es wurden aber in den vergangenen Jahren so viele pädagogische Konzepte diskutiert, dass es uns immer schwerer fiel, die besten Lerninhalte für uns auszuwählen. Der Zeremonienmeister erteilte nun einem Minister das Wort. Dieser begann engagiert mit seiner Rede: „Wir waren, wie Sie alle wissen, als königliche Beamte dazu beauftragt, in unserem Reich für Recht und Ordnung zu sorgen, und alle Menschen angemessen am Wohlstand zu beteiligen. Als königliche Verwalter beobachteten wir aber, dass es Bürger gab, die ihre Freiheit immer mehr im eigenen Interesse nutzten, und das allgemeine Wohl weniger beachteten.“ Ein Richter trat nun ans Lesepult und sagte: „Bisher konnten wir in unserem Königreich weitgehend auf Kontrollen und Strafen verzichten, denn unsere Bürger und Beamten hatten die Ordnung und Regeln unseres Zusammenlebens so verinnerlicht, dass Ordnung, Recht und Gerechtigkeit unter uns gewahrt wurden. Die auch in unserem Königreich erforderlichen Veränderungen und der Dialog mit anderen Völkern und Kulturen, machten aber unübersichtlich viele zusätzliche neue Gesetze und Vorschriften erforderlich.“ Der Zeremonienmeister erteilte nun ausnahmsweise einem Poeten das Wort. Dieser trat an das Lesepult und sagte: „Verehrte Mitglieder des Kronrates, obwohl mein Beitrag nicht vorgesehen war, bedanke ich mich für die Möglichkeit, hier zu reden. Bisher traten wir Künstler in allen unseren Werken für die Freiheit des Denkens ein und verwiesen durch unser zweckfreies Gestalten im kreativen und fantasiereichen Spiel mit unseren Ideen auf das Schöne in der Welt. Da manchen Bürgern Eurasiens aber der Blick hierfür verloren ging, empfahlen wir ihnen, im Interesse der Freiheit und der Künste, ihre verfügbare Zeit und ihre Fähigkeiten auch zu kreativem künstlerischem, literarischem und musikalischem Schaffen zu nutzen.“ Hierauf antwortete der Zeremonienmeister: „Wir haben bisher gehört, dass es manchen Bewohnern des Reiches nicht immer leichtfiel, im Alltag die jeweils richtigen Entscheidungen zu treffen. Deshalb wurden wir von unserem König und der Königin beauftragt im Kronrat zu klären, was uns bei der „Unterscheidung der Geister“ half oder hinderte? Ich rufe daher die als Zeugen geladenen Spukgestalten und guten Geister auf, sich zu Wort zu melden, damit wir sie und ihre Wirkungen besser einschätzen können.“
Ein Raunen ging durch den Festsaal, als die „Angst“, zerlumpt wie eine Vogelscheuche, zum Lesepult humpelte und sofort mit blecherner Stimme sagte: „Ihr werdet es mir nicht zutrauen, aber ich bin dafür zuständig und in der Lage, allen Menschen, auch Königen und Philosophen, Angst und Furcht vor Misserfolg zu bereiten, ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu schwächen, oder sie durch panische Furcht von ihren erforderlichen Entscheidungen abzulenken. Da schließe ich mich gleich an, meldete sich die „Hemmung“ zu Wort. Sie trug als Zeichen ihrer Macht einen Bremsklotz bei sich und sagte: „Ich war jederzeit in der Lage, Euch alle mit Bedenken und Zweifeln zu verwirren, von der Sinnlosigkeit Eurer Entscheidungen zu überzeugen, Euch den Antrieb und die Lust an Unternehmungen zu nehmen, und Euch körperliches Unbehagen zu bereiten“. So ähnlich verhielt ich mich, begann der listig um sich blickende „Verwirrer“, als ihm das Wort erteilt wurde: „Meine Aufgabe war es immer schon, Menschen durcheinander zu bringen, dafür zu sorgen, dass sie sich in endlosen Debatten gründlich missverstanden, ihre eigenen Gedanken in einem Knäuel von Fragen zu ersticken, und sie bei ihren Entscheidungen zu Grübeleien und übermäßigen Sorgen zu verleiten.“ Darauf meldete sich der „Lügner“ vehement zu Wort: „Ich war schon lange damit beschäftigt, Menschen falsche Hoffnungen über ihre Fähigkeiten zu machen und sie in der Erwartung zu täuschen, andere Bürger ohne selbst Schaden zu nehmen, zum eigenen Vorteil belügen zu können.“„Auch ich habe seit langer Zeit starken Einfluss auf die Menschen.“ Mit diesen Worten drängte sich die „Aggression“ energisch durch die Versammlung nach vorn zum Rednerpult. Stolz deutete diese maskierte Spukgestalt auf ihre Waffen, Pistolen und Säbel und sagte: „Die Geschichte offenbart meine Macht. Unter vielen Menschen konnte ich Feindschaft, Misstrauen, Krieg, Verwüstung und Schaden bewirken, wenn ich sie davon überzeugte, durch Anwendung von Gewalt Vorteile zu erzielen.“ Der Zeremonienmeister meldete sich nun wieder zu Wort und sagte: „Ich erkläre die Vorstellung der Spukgestalten aus Zeitgründen für beendet, und bitte nun die guten Geister in den Zeugenstand um zu erfahren, was sie bisher bewirken konnten.“
Als erster guter Geist folgte die „Liebe“ der Aufforderung. Sie begab sich ans Rednerpult, schaute freundlich in die Runde und sagte: „In unserem Königreich Eurasien brauchten wir bisher wenig Kontrolle, weil ich als guter Geist in die Herzen der Menschen eingegossen bin und sie durch Eingebungen des „Gewissens“ stets davor warnte, von den rechten Wegen abzuweichen, oder anderen Menschen zu schaden. Ich war auch immer als Geist der „Ermutigung“ zur Stelle, wenn sie sich in einer Notlage oder schwierigen Entscheidung befanden. Hier in ihren Herzen, dem Zentrum ihres Wesens, entschieden unsere Bürger welchen Eingebungen sie folgen wollten. Weil die Bewohner Eurasiens bisher die Ordnung der Liebe beachteten, waren weder strenge Kontrollen, noch Polizei oder Waffen erforderlich.“ In Eurasien herrschten allezeit „Gedanken- und Entscheidungsfreiheit“. Deshalb fühlten sich alle Bürger wie der König, die Königin und die königlichen Verwalter ermächtigt, ihre Fähigkeiten zum allgemeinen Wohl zu nutzen. Ebenso bedeutsam war es für die Bürger, dem guten „Geist des Rates und der Stärke“ folgend, den von den Spukgestalten ausgehenden, hemmenden, verwirrenden und aggressiven Impulsen kraftvoll zu widerstehen, oder ihre hilfreichen Warnungen bei Entscheidungen zu beachten. In schwierigen Lebenslagen und in Notsituationen habe ich stets als Geist der „Vernunft und Ideen“ allen königlichen Beamten und Bürgern Eurasiens beigestanden, Blockaden und Hemmungen zu überwinden, neue Wege zu erkunden und sie ermahnt, auf die eigenen Fähigkeiten und die Hilfsbereitschaft anderer Menschen zu vertrauen. Der Zeremonienmeister unterbrach nun die Zeugenaussagen der guten Geister mit den Worten: „Majestäten, Mitglieder des Kronrates, verehrte Anwesende, Wir haben in den heutigen Beiträgen des Kronrates und der Zeugen erkannt, wie schwer wir uns alle manchmal im Alltag entscheiden. Zum Abschluss unserer heutigen Beratung stellt sich nun die Frage, auf was wir künftig bei der „Unterscheidung der Geister“ achten sollten?“
Der Hofprediger meldete sich zu Wort und sagte: „Alle königlichen Verwalter und Bürger sollten sich bewusst bleiben, dass nicht nur unser König und die Königin ihre Macht zur Regentschaft von Gotte Gnaden empfingen, sondern dass wir alle ebenso ermächtigt sind, mit unseren Fähigkeiten zur Sicherung von Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand in Eurasien beizutragen. Ein königlicher Verwalter bemerkte: „In kostenfreier Bildung wurden unsere Bürger angeleitet, ihre eigene „Kritik- und Urteilsfähigkeit“ auszubilden. Es lag bisher auch an ihnen selbst, ihr Wissen zu erweitern und es obliegt ihnen auch künftig sich weiter zu bilden, um bei ihren Handlungen Recht von Unrecht unterscheiden zu können. Ein Philosoph meldete sich zu Wort und sagte: „Lüge und Wahrheit, die richtige und falsche Erkenntnis zu unterscheiden, Fortschritt und Tradition zu versöhnen und die Ordnung im Ganzen zu verstehen, war und bleibt die lebenslange, sich stets verändernde Aufgabe. „Der Freiheit des Denkens diente das zweckfreie Gestalten und fantasievolle Spiel mit dem Schönen in der Welt. Die Entfaltung des künstlerischen, literarischen und musikalischen Schaffens sind daher auch künftig für uns alle von Bedeutung“, fügte ein Poet hinzu. Einen Pädagogen drängte es zur Aussage: „Gedankenschnell und weltverbunden mit anderen Menschen unsere Ideen und Anregungen austauschen zu können und in Freiheit kreative Probehandlungen ohne Schaden zu nehmen durchführen zu können, das waren und bleiben wichtige Erkenntnisse.“ Der Zeremonienmeister fügte hinzu: „Wir haben in unserer Beratung Spukgestalten und gute Geister unterschieden: Zu den „Spukgestalten“ zählten die Angst, Hemmung, der Verwirrer, Lügner und die Aggression. Bei deren Wirkung war zu beachten, ob sie uns bei Entscheidungen hindern, schaden, oder als Warnung dienen können. Wir lernten davon unterschieden auch die Eingebungen guter Geister kennen: Die in den Herzen aller Menschen als Gewissen ermutigende „Liebe“, die daran erinnert, auf den rechten Wegen zu bleiben und sich oder anderen Personen keinen Schaden zuzufügen. Wenn es galt, den Impulsen der Spukgestalten zu widerstehen und deren hemmende, verwirrende, ängstigende und aggressive Impulse kraftvoll abzuwehren, als Warnung zu erkennen, oder in Notlagen Blockaden zu überwinden, kreative Lösungen zu erkunden, auf die eigenen Fähigkeiten und Hilfe anderer Menschen zu vertrauen, konnten wir uns auf die Eingebungen des guten Geistes des „Rates und der Stärke“ verlassen.“ An dieser Stelle klopfte der Zeremonienmeister wieder drei Mal mit seinem Stab auf den Boden, gebot Ruhe und sagte: Wir erhielten von unseren Regenten den Auftrag, heute darüber zu beraten, einen Beitrag zur „Unterscheidung der Geister“ zu leisten. Wir haben die Wirkung von Spukgestalten und guten Geistern kennen gelernt und hoffen, den Bürgern Eurasiens dadurch geholfen zu haben, bei allen ihren Entscheidungen, schädliche Eingebungen durch Spukgestalten abwehren und der Ermutigung guter Geister folgen zu können.“ Ich gebe nun mein Amt zur Leitung der Beratung des Kronrates wieder an unseren König und die Königin zurück. Die Regenten erhoben sich von ihren Plätzen, verneigten sich vor dem Kronrat und sagten: „Wir haben uns bei unserem Auftrag, in Eurasien Frieden und Wohlstand für alle Bürger zu wahren, selten so gut verstanden gefühlt, wie in dieser Beratung. Zu wissen, dass nicht nur die Mitglieder des Kronrates, sondern alle Bürger Eurasiens mit uns die Macht und Sorge für unser Königreich teilen, hilft uns sehr, die Freiheit des Denkens und Handelns für uns alle in unserem Eurasien wie bisher aufrecht zu erhalten.“ Wir bitten nun unseren Hofprediger zum Abschluss dieser langen Beratung um den Abendsegen. Der Hofprediger begab sich würdevoll zum Lesepult, verneigte sich vor dem König, der Königin und dem Kronrat und betete feierlich: „Herr und Gott, wir danken Dir für alle guten Gaben und bitten um den Heiligen Geist, dass Er gnädig vollende, was wir heute bedachten. In dieser Hoffnung segne uns und alle Bürger Eurasiens der Vater, Sohn uns Heilige Geist.“
Wie Sie, liebe Leser, leicht erkennen konnten, waren im Fantasiereich Eurasien nicht nur die Gedanken frei, sondern es gab auch einige Unterschiede zu dem uns bekannten normalen Leben. Vielleicht könnte die eine oder andere fantastische Ausgestaltung des Märchens aber auch Ihnen bei Entscheidungen als Anregung zur „Unterscheidung der Geister“ dienen?
Vor Jahren habe ich mich nach einem erfüllten Berufsleben in den Ruhestand begeben. In der Ruhe und Stille meiner darauffolgenden Tagesabläufe stellten sich mir vor allem zwei wesentliche Aufgaben. Zum einen in der Begegnung mit einem Universum innerer Erfahrungen und Möglichkeiten, die mir jeweils wichtigen Interessen und Bedürfnisse auszuwählen. Gleichzeitig im Blick auf reale Grenzen von Zeit und Gesundheit, aus der Vielfalt äußerer Optionen die wünschenswerten Beziehungen zu Menschen, Natur, Politik, Wissenschaft und Religion neu zu definieren. Die Komplexität des frei gewordenen Handlungsspielraums faszinierten und weckten zugleich Ängste. In diesem Essay versuche ich, die Tendenz, in der Vielfalt innerer und äußerer Phänomene eine Einheit zu wahren, als einen unbedingten inneren Anspruch auszuweisen. Der Vernunft den ihr traditionell gebührenden weiten Erkenntnisraum zu bewahren, um in einen offenen Dialog mit allen Bedingungen des Daseins treten zu können. Den Blick auf die Lebensabläufe aber nicht nur rein naturwissenschaftlich zu verengen. Sich mit anderen Menschen über die komplexen existenziellen Bedingungen einer humanen Lebenspraxis zu verständigen:
Seit ich selbständig zu denken vermag, bewegt mich die Frage nach den Voraussetzungen und Zielen menschlichen Handelns, und den Kräften, die unser bisheriges, gegenwärtiges und künftiges Leben bewegen. Unablässig frage ich mich nach meinem Standort und den Aufgaben der nächsten Jahre in diesem Prozess innerer und äußerer Veränderungen. Wer bin ich eigentlich, welche Erfahrungen und Reaktionen bestimmen mein heutiges Verhalten, und welche Handlungsweisen erweisen sich als sinnvoll, um an der Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins mit zu arbeiten. Immer drängender stellte sich zum Beispiel die Frage, was der eigentliche Grund sein könnte, dass ich mit zurückliegenden und aktuellen Lebensereignissen in literarischer Form mit anderen Menschen in Kontakt trete. Ein inneres Bedürfnis, das in dieser Form im beruflichen Alltag nicht befriedigt werden konnte. Was veranlasste mich, das Schweigen zu brechen, bislang Unausgesprochenes sprachlich festzulegen, um mich mit anderen Menschen über Sachverhalte auszutauschen, so wie ich es eben jetzt in der Form eines Essays versuche? Obwohl ich davon ausgehe, dass andere Menschen, ob sie darüber reden oder nicht, ähnliche Erfahrungen machen, trete ich mit einer gewissen Befangenheit mit meinen Erkenntnissen ins Licht der Wahrheit und in die öffentliche Diskussion. Gleichzeitig frage ich mich, was Menschen in Wissenschaft, Forschung, und Politik im Grunde antreibt, ständig neue und bessere Konzepte und Instrumente zur Daseinsbewältigung zu konstruieren und gesellschaftliche, kulturelle und historische Zusammenhänge besser zu verstehen? Was drängt uns, nicht nur individuelle, sondern uns alle betreffende Zusammenhänge zu betrachten und in einem wissenschaftlichen Diskurs offen zu legen? Was hält den Prozess, die äußeren Daseinsbedingungen besser zu verstehen und Mittel zur Daseinsbewältigung zu erfinden in der Grundlagenforschung Wirtschaft, Politik, in allen Bereichen der Natur- und Geisteswissenschaften in Kunst und Religion in Gang? Welche Bedeutung hat dies alles für unser Leben und die damit verbundenen Aufgaben? Was treibt mich und uns an, dieses komplexe Geschehen im Mikro- und Makrokosmos, dass wir Menschen mit allen Lebewesen teilen, wenigstens partiell zu verstehen? Ich möchte nicht dem Trend erliegen, der weitgehend die „exakten Wissenschaften“ bestimmt, und die Frage nach Ursache und Ziel dieses Prozesses im Ganzen als überflüssig ausblenden. Die Vernunft vermag in der Sicherheit einer langen Traditionskette von der Antike über das Mittelalter bis in unsere Zeit angesichts der Frage, warum gibt es dies und nicht nichts, nicht zu schweigen. Sie muss, ohne Letztbegründung, nach Spuren im Dasein fahnden, die eine sinngebende, letztlich alles gewährende, tragende und erhaltende Kraft erhellen können, um die humanen Bedingungen menschlicher Existenz zu sichern. Solche Spuren möchte ich in diesem Essay verfolgen.
Kehren wir an dieser Stelle zur Grundfrage zurück: Es scheint, wenn ich das richtig sehe, eine Kraft in uns selbst zu geben, die uns drängt, uns mit dem Geschick aller Menschen und Ereignisse unbedingt zu verbünden. Sie scheint alle Bereiche des individuellen und gesellschaftlichen Lebens in der gesamten historischen Dimension, selbst die unserem Bewusstsein partiell verschlossenen Lebenserfahrungen zu umfassen. Daseinsbedingungen, in denen wir uns vorfinden, die wir mit anderen Menschen und Lebewesen teilen, die sich in einem steten Wandel befinden. Wir alle stehen auf den Schultern unserer Vorfahren und profitieren vom Wissen und den Erfahrungen von Menschen im Kontext der ganzen Geschichte. Selbst wenn wir die menschliche Geschichte der Komplexität wegen, oder um Abhängigkeiten zu leugnen, aus unserem Bewusstsein verdrängten, blieben wir von den Wirkungen dieses Prozesses nicht verschont. Lassen sich Spuren in unserer Erfahrung sichern, mit Hilfe derer der oben beschriebene Prozess präziser bestimmt werden kann? Besteht eine Möglichkeit, näher zu bedenken, was mein und anderer Menschen Denken, Fühlen und Handeln antreibt, die inneren und äußeren Lebensräume und das Dasein im Ganzen zu sichten? Welche Methoden und Ausdrucksmittel sind geeignet, um als Menschen, in dieser komplexen sich stets verändernden inneren und äußeren Welt, unser Dasein verantwortlich zu gestalten? Im Hinblick auf die Mannigfaltigkeit der Phänomene erfahren wir immer wieder schmerzlich unsere Grenzen beim Versuch, unser Dasein in den fortwährenden Veränderungen zu begreifen. Woher kommt aber der fast übermenschliche Mut, der uns in Solidarität mit anderen Menschen verpflichtet, den Herausforderungen der Wirklichkeit auch angesichts von Leid und Katastrophen zu begegnen. Was drängt Literaten und Künstler dazu, dem Lebenskontext auf der Spur zu bleiben, um die Phänomene in angemessener Form ins Wort zu fassen. Was lässt uns immer wieder unsere Angst und Mutlosigkeit überwinden, um dieser überfordernden Vielgestaltigkeit der Lebenskontexte „auf menschenwürdige Weise“ zu begegnen? Versuchen wir, uns in einer nächsten Überlegung dieser Antriebskraft, soweit es in den begrenzten Möglichkeiten der Vernunft und Sprache möglich ist, ein wenig zu nähern.
Da sich dies als ein schwieriges Unternehmen darstellt, zumal ich nicht einfach übernehmen will, was andere dachten und sagten, halte ich Ausschau nach Weggefährten, die mich bei diesem Vorhaben ermutigen. Ich suche nicht nur den historischen Nachlass in den Werken der Forschung, Literatur, Kunst etc., sondern trete mit den Menschen neben mir oder vor mir in einen lebendigen Austausch, die sich ähnlich angetrieben wie wir heute, im geschichtlichen Prozess in den Dienst der guten Sache stellten. Was von mir bedacht und ins Wort gebracht wird, sollte in einem offenen Dialog eben in der Form dieses Essays vorgestellt und damit kritisch gesichtet und überprüft werden können. Es verbietet sich daher, nur mir selbst einen Spiegel vor zu halten, um Erkenntnisse über mein eigenes Denken, Fühlen und Handeln zu gewinnen. Die eigenen Erfahrungen sollten vielmehr im Austausch mit anderen Menschen dazu dienen, Spuren zu sichern, um die Frage aller Menschen nach der Antriebskraft unseres Verstehens und Erkenntnisprozesse wach zu halten. Wichtig scheint mir zu zeigen, auf welch vielfältige Weise ich mich mit anderen Menschen und Lebewesen in den sich wandelnden Daseinsbedingungen verbunden fühle. In einem nächsten Schritt gilt es nun, die Richtung dieser Antriebskräfte näher zu bestimmen:
In einer ersten phänomenologischen Analyse erweist sich das Drängen, Lebenskontexte zu verstehen, als eine Wirkmächtigkeit, die sich aus den Tiefen existenzieller Betroffenheit erhebt, und in uns selbst bemerkbar macht. In diesem ersten, ursprünglichen Sinne, ist sie einfach nicht weg zu denken. Sie wirkt offensichtlich in und durch uns, ob wir schlafen oder wachen. Gleichzeitig erscheint sie unserem inneren Blick wie aus unfassbaren Quellen gespeist. Das heißt, wir sind durch sie angetrieben, ihrer selbst aber nicht mächtig. Dieser Antrieb erscheint als eine unser Denken, Fühlen und Handeln im Ganzen bestimmende Größe. Er begründet einen ständigen existenziellen Prozess des Dialoges mit den Mitmenschen und Daseinsbedingungen, der alles, was es gibt, vorantreibt. Er drängt uns unablässig, die ganze Mannigfaltigkeit des Lebens so miteinander zu verbinden, dass nichts endgültig verloren gehen soll. Diese Kraft fordert nachdrücklich, dass wir uns nicht nur mit einigen Details, sondern mit dem ganzen menschlichen und persönlichen Erleben befassen, und die gesamte Erfahrung unserer selbst in einer liebenden Zuwendung gelten lassen. Ihr eignet insofern ein Drängen nach Wahrhaftigkeit. Wir sind es selbst. Alles was wir von uns und unserer Lebensgeschichte überblicken, auch das was sich unserem Bewusstsein verschließt, gehört unbedingt zu uns. Dieser Antrieb führt in einer ebenso beständigen Außenwendung dazu, uns denkend, handelnd, fühlend und entscheidend, aktiv in die realen Lebens- und Erlebenskontexte ein zu bringen. Auch hier zeigt sich wieder das Bemühen, die Vielgestaltigkeit gesellschaftlicher, wissenschaftlicher und politischer Phänomene, im historischen Zusammenhang zu erfassen. Und auch hier stellt sich wider die Frage, was dieses Drängen, die Kontexte zu verstehen in Gang hält, und was die Richtung dieses ganzen Prozesses bestimmt? Nicht zuletzt die Frage, was uns Menschen zum verantwortungsvollen Engagement in diesem Gewirke veranlasst? Was ist diese bestimmende Größe, die danach drängt, das gesamte äußere Daseinsgeschehen in einer Einheit zusammen zu halten. Verdanken wir doch dieser Antriebskraft schließlich die Gewissheit, dass wir selbst es sind, die von ihr angestoßen, als Zentrum unseres eigenen Lebens und Wirkens, einen Beitrag in diesem Spiel leisten. Insofern bleiben wir letztlich in allen Abhängigkeiten, die verantwortliche Mitte für unser Tun und Streben. Niemand kann uns die Verantwortung abnehmen und unseren Platz einnehmen. Es scheint insofern geboten, eine von uns nicht geschaffene Kraft, die darauf drängt, alles, was es gibt, die Innen- und Außenerfahrungen bewegt unbedingt zu respektieren. Selbst wenn wir versuchten, schmerzliche Erfahrungen der äußeren Lebensbedingungen aus unserem Bewusstsein auszuschließen, sind wir dennoch von allen Entwicklungen betroffen. Dies gilt im gesamten Dasein für alle biologischen, physiologischen und psychischen Begleiterscheinungen unserer Existenz. Die Antriebskraft drängt uns auch mit den gesamten entwicklungs- und altersbedingten Veränderungen im menschlichen Leben in Kontakt zu treten, auch den Tod zu bejahen und uns mit der Frage des Sinnes menschlicher Existenz über den Tod hinaus zu befassen.
Das Erste, was ich in einem Resümee des oben Gesagten ausdrücken möchte, ist ein elementarer, abgrundtiefer Dank an das Leben in all seiner Vielfalt. Er gilt in besonderer Weise meiner Familie, die im südlichen Schwarzwald, dem Hotzenwald und in Bayern wurzelt. Der Region um meine Heimatstadt Rheinfelden, in der ich leben lernte und der Muttersprache, dem badischen Dialekt, der mich in besonderer Weise begleitet. Dank auch den Jugendfreunden, Klassenkameraden, Frauen und Männern, die meine Kindheit und Jugendzeit wohlwollend begleiteten. Den ehemaligen Kollegen einer Baufirma mit denen ich den Arbeitsalltag eines mittelständischen Unternehmens teilte. Dank an die Heimatstadt, der ich als Stadtrat einige Jahre dienen durfte. Dankbarkeit gegenüber den Priestern und redlichen Gläubigen, die mich in einen katholisch weiten Erfahrungsraum hineinführten. Dank den Lehrern der Heimschule Lender, die mir halfen, das Abitur in der humanistisch – altsprachlichen Form nachzuholen, der Leitung des Spätberufenenseminars St. Pirmin und den Menschen der schönen mittelbadischen Region um Sasbach. Dankbare Erinnerung gilt den Erfahrungen im Collegium Borromaeum und den Professoren der Uni Freiburg, die mich in die Grundlage von Philosophie und Theologie einführten. Dank der Stadt Münster in Westfalen mit dem Prinzipalmarkt und Dom, die mir im weiteren Verlauf meiner Studien der klinischen Psychologie zur zweiten Heimat wurde. Innigen Dank den Menschen, die mir beim Studienwechsel zur Psychologie verständnisvoll und hilfreich zur Seite standen. Den Chefs und Mitarbeitern im Westfälischen Landeskrankenhaus Münster, die mir immer angemessene und herausfordernde Aufgaben stellten sei ebenfalls Dank gesagt. Dankbare Erinnerung gilt unseren Freunden in Münster. Dank auch den Menschen, die mir die psychologische Leitung einer Klinik für Alkohol- und Medikamentenabhängige über Jahre anvertrauten. Dank vor allem meiner geliebten Frau und meinen Kindern, die mich im steten Wandel der Entwicklung begleiteten. Dank an die vielen Kollegen und Therapeuten, denen ich eine fundierte Ausbildung zum Psychologischen-Psychotherapeuten verdanke. Dank an meine Patienten, mit denen ich fast zwanzig Jahre in eigener Praxis zusammenarbeiten durfte. Besonderer Dank aber gilt meinem geliebten Oppenweiler, den Bergen, Wäldern, und Feldern der Umgebung, Bauern und fleißigen Nachbarn, die mir zur Heimat wurden. Dank dafür, dass ich in einem lebendigen Austausch mit dieser Vielfalt leben darf und dass mir so viele Menschen christlich ausgedrückt zu wahren Brüdern und Schwestern wurden, die mich angehen in Freud und Leid, mit denen ich mich im gesellschaftlichen und politischen und kirchlichen Raum engagiere.
Hier taucht sie wieder auf, die oben gestellte Frage, woher dieser elementare Dank an das Leben komme? Was mich nötigt, diesen Dank nicht für mich zu behalten, sondern anderen Menschen mitzuteilen? Worin gründet diese umfassende Dankbarkeit? Zeigt sich hierin nicht auch der Wunsch, dass nichts von all dem Vielen verloren gehen sollte. Eine Tendenz zur Einheit in der Vielheit. Eine Tendenz, die alle Erfahrungen im Innern und Äußern einholt, die Unterschiede toleriert und den liebenden Daseinsbezug nicht preisgibt. Meine Dankbarkeit gilt auch all den Menschen, die sich in Wissenschaft und Forschung, im Arbeitsleben und politischen Umfeld exponieren und unser Verständnis der Daseinsbedingungen ständig erweitern. Sie gilt ebenso uneingeschränkt den Künstlern, Musikern Literaten, die sich nicht mit dem exakt Messbaren zufriedengeben und die Frage nach dem Sinn des Ganzen, den ins Leben verwobenen Geheimnissen, die Frage nach dem Ziel unseres Daseins und den Gründen aller Bewegung, wachhalten. Er gilt den Vertretern aller Religionen insbesondere der christlichen Tradition, die mit unserer abendländischen Geschichte aufs innigste verwoben ist. Ich habe oben die Frage nach den Methoden gestellt, und der angemessenen Ausdrucksweise der angesprochenen Erlebnisbereiche. So sehr meine Vernunft die Auseinandersetzung mit den naturwissenschaftlichen Befunden in ihrer Eigenständigkeit einfordert und unbedingt bejaht, so sehr wehrt sich dieselbe Vernunft gegen ein Monopol der Naturwissenschaft zu Lasten anderer zur Begründung einer humanen Lebensführung angebotener geisteswissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Erklärungsmodelle.
Alles was ich bislang zu sagen versuchte, ist im exakt messbaren Raum des Weltverständnisses entbehrlich. Darüber denken viele Menschen nicht mehr nach. Was ginge uns aber verloren, wenn wir in den Familien und im Staat und in den internationalen Verflechtungen die Postulate verantwortlicher Humanität zerstörten. Ist die in vielfältiger Form oben besprochene Tendenz zur Einheit in der Vielfalt, das aus unfassbaren Quellen gespeiste Nachdenken nichts mehr wert? Verdrängen wir dadurch nicht eine wesentliche menschliche Fähigkeit, an der Frage nach dem Sinn und Ziel allen Daseins von Geburt bis zum Tod und darüber hinaus zu reifen? Begründet die Frage nach den Ursachen und dem Ziel der ganzen Daseinsbewegung, die aus unfassbaren Quellen fließt, nicht endlich wahre Humanität, die jeglichem Hochmut eine Grenze setzt und zu lässt, dass wir nicht Herren des Daseins, sondern Diener der Liebe sind. Ich schließe mit einer theologischen Reflexion: In der auf das Ganze geöffneten katholischen Tradition findet sich ein Modell wahrer Einheit in der Vielfalt. Wir sprechen staunend von der Verschiedenheit von Vater Sohn und Heiligem Geist in der Einheit eines Wesens in liebend ewigen Austausch. Es gibt den Sohn, den wir Herrn nennen, nicht ohne den Vater und den Heiligen Geist und umgekehrt. Demnach eine liebende Einheit in der dreifaltigen Verschiedenheit. Muss es uns da wundern, wen wir als wahre Söhne und Töchter des dreifaltigen Gottes in uns ein Drängen nach Einheit verspüren, das die Verschiedenheit in allen Daseinsbereichen zusammenliebt. Könnte das in diesem Essay beschriebene Drängen nach Einheit in der Vielfalt etwa Ausdruck unserer in uns eingesenkten Gottebenbildlichkeit sein? Ist es daher sinnlos oder entbehrlich, wenn ich im Geiste einer langen Tradition, obwohl meine Aussagen nicht exakt messbar sind, darauf aufmerksam mache, dass es in uns, um uns und über uns geheimnisvolle Zeichen gibt, die uns mahnen, uns nicht zu Göttern der Machbarkeit zu erheben, sondern die wesentlichen Kräfte und Quellen, unseres Daseins einem Grund und Schöpfer zu verdanken, der alles Mühen der Vernunft um Einheit in der Vielfalt begründet. Vielleicht ist in meinem Versuch, zu sprechen auch zu spüren, dass ich die Hoheit des dreifaltigen Gottes nicht für ein anthropologisches
Denksystem vereinnahme, sondern die über alles Denken hinausreichende Andersartigkeit Gottes verteidige, dessen liebendes und erhaltendes Wirken uns aber oft erst im Nachhinein etwas deutlicher wird. Hier schließt sich der Kreis meiner Fragestellung, die jedem der hören will und kann, einen Bruder im Geiste zu Seite stellt und ein göttliches Prinzip in Gestalt eines dreifaltigen überaus verehrungswürdigen personalen Gegenübers in aller Bewegung des Denkens und Handelns anerkennt. Gott, der letztlich jegliche Einheit in der Vielfalt begründet, und uns selbst mit denen verbindet, die der Tod von unserer Seite gerissen hat. Eine Einheit wahrende Liebe in aller Vielgestaltigkeit menschlicher Erfahrung, die Erde und Himmel verbindet.
Herr und Gott, Du unser aller Vater, Sohn und Heiliger Geist, hilf uns beten und reden. Lebenslang, bei mir sind es über 94 Jahre, bist DU Tag ung Nacht, die Kraft aus der wir leben. DIR verdanken wir alles, was wir sind und haben. DU bist der Kosmos ewiger Gegenwart und Lebensschöpfung, der uns vor allem Bösen bewahrt. DU bist unser Glaube, die Hoffnung und Liebe, der Ort unseres Betens, Preisens Dankens, die Kirche in uns, um uns und über uns. Dir verdanken wir diesen heiligen Tempel, DEIN Reich der Gerechtigkeit und des Friedens. Wir sind DEINE Bausteine durch die DU DEINEM Reich auf Erden in unserer und aller Zeit sichtbare Gestalt verleihst. Wir dürfen dieser welt- und zeitumfassenden Kirche, DEINEM durch DICH geheiligten VOLK angehören. Mit allmächtiger, allgegenwärtiger, allerheiligster Stimme sprichst DU Herrlicher, in all DEINEN Werken, und im Wirken in unseren Herzen und Sinnen mit und unter uns.
Alles Gute, unser Leben, Leib, Seele und Geist verdanken wir DIR, denn ohne DICH gibt es NICHTS. Du gibst allem Bestand in der Zeit, DU bist die heilige Einheit, in aller Vielfalt DEINER Werke und DEINER Gestalten im Universum DEINER Liebe. Bewahre und vermehre unsere Liebe zu DIR, zu allen DEINEN Geschöpfen, und unseren Brüdern und Schwestern in dieser Welt. Lass uns o Gott in DEINEM Segen mit einander in Gerechtigkeit und Frieden leben. DU herrlicher Gott unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lässt, uns ahnen und erleben, dass DU jetzt schon in allem was es gibt das ewige Leben bist, das DU für uns, nach unserem Tod, nach DEINEM Willen zu der Allerheiligsten ewigen Heimat bereitet hast.
Du kannst alles bewirken, was zu unserem Heil auf Erden nötig und möglich ist, vom Tode auferwecken ins österliche Leben in DEINER alles umspannenden, lebendigen und heiligen Kirche. DU bist unser Altar, um den wir uns mit Maria, unserer Mutter, in Verbindung mit allen Lebewesen und Geschöpfen, unserer Heimat auf Erden, vor Dir Vater. Sohn und Heiliger Geist, zur Anbetung und Liebesgebet versammeln. Lass unser ganzes Leben zu einem Gottesdienst und Zeichen DEINES ewigen Bundes mit allen Geschöpfen im Himmel und auf Erden werden. Großer Gott wir loben DICH, Herr wir preisen DEINE Stärke. Vor DIR beugt die Erde sich und bewundert DEINE Werke. Wie DU warst vor aller Zeit, so bleibst DU in Ewigkeit. Alle Tage wollen wir DICH und DEINEM Namen preisen, und zu allen Zeiten DIR Ehre, Lob und Dank erweisen. Rette aus Sünden, rette aus Not. Sei uns gnädig Herre Gott.
Im Namen des Vaters
des Sohnes und des
Heiligen Geistes
O Gott von dem wir alles haben
an Leib und Seele wir danken DIR
mit allem was es gibt im Himmel und
auf Erden und mit dem was wir sind
und haben von ganzem Herzen und
mit allen unseren Kräften für alle
DEINE Gaben
DU hast uns DEINEN geliebten
eingeborenen Gottessohn geschenkt
mit dem DU vor aller Zeit und ewig
im Heiligen Geist der Allerheiligste
und eine Gott in drei Personen bist
um alles was DU in der Einheit DEINES
göttlichen Willens aus Erbarmen
Liebe und Gerechtigkeit für uns
erschaffen hast am Leben zu erhalten
und nach DEINER heiligen Ordnung
zum ewigen Ziel zu führen
O Gott unser liebster Vater DEIN
geliebter Sohn Jesus Christus unser
Herr und Lebensmeister hat durch
SEINE Geburt im Heiligen Geist aus
der erwählten Jungfrau Maria
als unser Sohn unsere Menschennatur
ganz angenommen und durch SEIN
Leben Leiden den Tod am Kreuz SEINE
Auferstehung und Himmelfahrt zu DIR
SEINEM und unserem Vater Gottes
Willen in Vollendung geoffenbart und
vollbracht
Und DICH o Gott unseren Vater als die
vollkommenste Liebe das Erbarmen
die Vergebung und Quelle aller
Gnaden und des Heiles vor aller
Augen sichtbar gemacht. Durch
IHN mit IHM und in IHM haben wir
Allmächtiger Vater nach DEINEM
heiligsten Willen die vollkommene
Erlösung von aller Sünde und
Schuld erfahren und im
Menschensohn zeigst DU DICH in der
Hingabe des Gottessohnes in DEINEM
tiefsten Erbarmen mit uns und IHM als
erhabenste Liebe die sich zu uns in alle
Niederungen unseres Lebens hinabneigt
um uns durch DEINEN Sohn als Sieger
über Sünde und Tod mit IHM durch
IHN und in IHM aus allem Toten und
den Fesseln des Bösen zu erlösen
Um uns zu einem Leben in der Gnade
geschenkter göttlich vollkommener Liebe
vom Tod ins wahre ewige Leben zu erwecken
und mit Jesus Christus als Auferstandene
Begnadete in Versöhnung mit Gott mit
einander und mit allen Geschöpfen in
Eintracht Frieden und Gerechtigkeit im
Reich Gottes SEINER weltweiten Kirche
im Himmel und auf Erden zu leben
Wir rufen alle Werke unseres Vaters des
Sohnes und des Heiligen Geistes und
alle Heiligen im Himmel und auf Erden
und Gott selbst den Allmächtigen die
Wahrheit selbst in uns und in allen
SEINER Geschöpfe den Schöpfer und
Erhalter SEINER Werke als Zeugen an
Damit Jesus Christus als der Weg und
die Wahrheit zu einem geheilten und
gesegneten Leben in der Gegenwart
und Wirklichkeit alles sichtbaren und
unsichtbaren Lebens göttlicher Liebe
Macht und Herrlichkeit auch in unseren
gekreuzigten und armen Worten offenbar
werde
Hoch gelobt und gebenedeit seist
DU über alles geliebter Vater Sohn
und Heiliger Geist unser allerheiligstes
gesegnetstes Brot vom Himmel das
Fleisch und Blut unseres Herrn den
Lebens- und Sterbensmeister Jesus
Christus allezeit und in Ewigkeit
Verschiedene Spezialeinheiten der Polizei fahnden in Münster nach Tätern, die in einer Gruppe zusammenarbeiten. Trotz verstärkter Fahndung in den letzten Monaten, gelang es nicht, die Täter zu finden. Im Polizeipräsidium am Friesenring wurde deshalb ein Krisenstab eingerichtet. Heute trifft sichder Einsatzleiter mit den an der Fahndung beteiligten Beamten zu einer ersten Lagebesprechung. An der Wand hängt ein Stadtplan von Münster. In der Vergrößerung ist rot umrandet die Umgebung des Westfälischen Krankenhauses für Psychiatrie, das nahe gelegene Erholungsgebiet, eine Kirche am Friesenring, die Zufahrt zur Autobahn, und das Kreuzviertel, deutlich zu erkennen. Wegen des vermuteten Drogen- und Menschenhandels der Täter, wurden seit einem halben Jahr Beamte des Einsatzkommandos der Polizei und der Drogenfahndung in die Ermittlungen eingeschaltet. Der Bereich um das Krankenhaus, der nahe gelegene Park, die Kirche am Friesenring, die angrenzenden Straßen und die Zufahrt zur Autobahn wurden in letzter Zeit verstärkt observiert.
Der Einsatzleiter bespricht mit seinen Mitarbeitern die aktuelle Lage: In dem auf dem Stadtplan umgrenzten Bereich, seien verschiedentlich Einbrüche in Wohnungen und Arztpraxen erfolgt, und Personen mit auffälligem Verhalten, als ob sie unter Drogen ständen, beobachtet worden. Die örtlichen Zeitungen berichteten aktuell über die Vorgänge, in einer die laufenden Ermittlungen beeinträchtigenden Form. Unter öffentlichen und politischen Druck geraten, verlangte die übergeordnete Behörde verstärkte Ermittlungen, um die Bürger der Stadt besser zu schützen. Daher bleibe der Einsatzleitung keine andere Wahl, als den Fahndungsdruck zu erhöhen, um Hinweise auf die Täter zu finden. Die bisherige Taktik, das polizeiliche Vorgehen geheim zu halten, um die Täter nicht zu warnen, müsse daher aufgegeben werden. Die Einsatzleitung habe beschlossen, ab sofort die Bürger, Medien und das Fernsehen, zur Mitarbeit bei der Fahndung aufzufordern und dem Polizeipräsidium sachdienliche Hinweise zu melden. Die ermittelnden Beamten seien gehalten, alle Meldungen bei der Überprüfung vertraulich zu behandeln. Die Leitung des Krankenhauses und die Kirchenbehörde seien über die verstärkte Fahndung bereits informiert, und die verstärkte Observation der Straßen zur Autobahn angeordnet. Die Einsatzleitung rechnete durch diese Maßnahmen und die ausgesetzte Belohnung in Höhe von € 5000, mit weiteren Hinweisen auf die Täter. und mit einer Versachlichung der öffentlichen Diskussion. Danach hielt der Leiter der Einsatzgruppe folgende Ansprache:
„Liebe Mitarbeiter,
wir stehen aktuell unter starkem öffentlichem und politischem Druck, bald einen Fahndungserfolg melden zu können. Ich verlasse mich auf Ihre Mitarbeit und Kreativität, denn in den letzten Jahren haben Sie sich durch eine vorzügliche Ermittlungsarbeit ausgezeichnet. Ich hoffe, dass wir aufgrund unserer Erkenntnisse, den eingeleiteten Maßnahmen, der Mithilfe der Bürger, der Medien und des Fernsehens, die richtigen Schritte zur Ermittlung der Täter eingeleitet haben. Da wir es mit international im Drogenbereich agierenden Tätern zu tun haben, erwarten wir durch die Erweiterung unseres Krisenstabes und die Hilfe der Medien, besonders des Fernsehens, die richtigen Schritte zur Unterstützung unseres Einsatzkommandos und der Spezialeinheit für Drogenkriminalität eingeleitet zu haben. Unser vergrößerter Krisenstab wird sich regelmäßig zur Lagebesprechung bei uns im Polizeipräsidium treffen.“ Die beiden Hauptkommissare Herbert und dessen Freund Josef rückten zusammen und tuschelten sich zu: „Was ist denn bloß in unseren Alten gefahren? Als seine lieben Mitarbeiter, hat uns der Chef bisher noch nie angesprochen. Er muss wohl mächtig Druck von Oben bekommen haben. Ein Lob und die Äußerung seines Vertrauens in unsere Arbeit, gab es doch selten. Es entstand ein lautes Stühlerücken und die Sitzung war beendet.
Agnes, eine hübsche junge Frau, studiert seit einigen Monaten Medizin in Münster. Sie stammte aus einer gut situierten, eher konservativen Familie einer Stadt in Hessen und hat zwei ältere Brüder. Den ersten Schock des Wohnortwechsels, und den Abschied aus vertrauter Umgebung, hatte sie in den rückliegenden Monaten überwunden. Sie bewohnte ein hübsches Zimmer in der Nähe des Krankenhauses am Friesenring in Münster. Die ersten Kontakte zu Kommilitonen einer Studentengemeinde waren geknüpft. Agnes kannte sich inzwischen an der Universität, im Stadtzentrum um den Dom und in den Lokalen des Kreuzviertels, sehr gut aus. Unter den Studenten wurde die Mutter Birken und ein anderes Lokal im Kreuzviertel bevorzugt, in dem es auch spät abends noch knusprige Brathähnchen und ein frisches Bier gab. Weniger überzeugend verlief bei Agnes der bisherige Studiengang: Die Umstellung auf eine, freie Tagesgestaltung und das zunächst recht trockene Studium, machten ihr zu schaffen. Besonders der Kontakt zu den Kommilitonen und deren recht freizügiges Benehmen, passten nicht zu ihrer bisherigen Weltanschauung. Wenn da nicht die Freundin Marie gewesen wäre, die sich auch ein wenig fremd vorkam in Münster, dann hätte ihre Stimmung noch mehr gelitten. Mit ihr traf sie sich öfters zu einem Bummel unter den Arkaden des Prinzipalmarktes zu einer Tasse Kaffee. Vertraut waren ihr schon die Wege um den Aasee und der Markt am Dom an den Samstagen. Natürlich hatte sie auch ihr Fahrrad von zu Hause kommen lassen, denn Münster war eine Stadt in der die Fahrradfahrer Vorfahrt hatten. Ein Glück, dass es auch ein Handy gab, mit Hilfe dessen der Kontakt zu den Eltern und ehemaligen Freundinnen jederzeit möglich war. Wer gab aber schon gern zu, dass ihm das Leben in Münster noch nicht so recht gelang, und die Stimmung ab und zu einen Tiefpunkt erreichte, besonders in den letzten Wochen der Vorbereitung auf ihre ersten Prüfungen.
An diesem regnerischen Abend war Agnes unterwegs Richtung Kreuzviertel, um dort bei einem Glas Bier und einem Brathähnchen unter Leuten zu sein, um die Stimmung etwas aufzuhellen. Sie genoss die heitere Atmosphäre, das Gemurmel der sich unterhaltenden G#s, das Brathähnchen und ihr Bier und konnte so die sich einschleichenden traurigen Gedanken zur Seite schieben. Als sie bezahlt hatte, das Lokal verließ, und sich allein auf den Weg nach Hause machte, kam das mulmige Gefühl aber wieder in ihr hoch. Sie hatte schon gelegentlich gezweifelt, ob sie das rechte Studium gewählt habe und erwogen, wenn die Situation sich nicht bessere, es abzubrechen. Es fehlte ihr auch der von zu Hause gewohnte religiöse Rahmen. Als sie in die Nähe der seit längerer Zeit nicht mehr benutzten Kirche am Friesenring kam, erinnerte sie sich an ihren ehemaligen Beichtvater, dem es dort durch seinen Zuspruch manchmal gelungen war, ihr bei gelegentlichen Problemen beim Studium zu helfen. Für einen Augenblick schien es ihr, seine vertraute Stimme wieder zu hören. In der jetzigen Stimmung hätte sie mit ihrem ehemaligen Pfarrer gern geredet. Tief in Gedanken, mit gesenkten Kopf, überquerte sie im Licht einer Straßenlaterne den Friesenring. Plötzlich tauchte aus dem Schatten der Kirche ein junger Mann auf. Er trug schwarze Jeans und einen dunklen Parker, um sich vor dem Regen zu schützen. Seine ganze Erscheinung wirkte wenig vertrauenserweckend. Agnes hatte es auch hier in Münster vermieden, sich von Fremden ansprechen zu lassen, wenn sie in der Dunkelheit allein unterwegs war. In der jetzigen traurigen Stimmung, überwandte sie aber ihre Bedenken und ließ sich auf ein Gespräch ein. Der Fremde gab sich als ein Student zu erkennen, der gerade von einem Treffen mit seinen Freunden komme, ein wenig Luft schöpfe, um dann wieder zu ihnen zurückzukehren. Agnes glaubte ihm und nahm nun weniger Anstoß an seiner Kleidung, denn sie war an der Universität auch Studenten begegnet, die wenig Wert auf ihre äußere Erscheinung legten. Als sich sogar heraus stellte, dass der Fremde schon einige Semester Medizin studierte, war der Bann vollends gebrochen. Sie ließ sich auf ein Gespräch ein. Die restlichen Zweifel lösten sich nach und nach auf, als ihr der Fremde erzählte, dass er zu einem in den Kellerräumen der Kirche für Studenten eingerichteten Treffpunkt unterwegs sei. Er frug Agnes, ob sie nicht Lust hätte, auf ein Glas Bier seine Freunde kennen zu lernen? Da er hinzufügte, dass es bei ihnen oft sehr lustig sei, war Agnes bereit, sich ihm anzuschließen.Der Fremde ging voran. An der Rückseite der Kirche war ein dunkler Treppenabgang. Agnes zögerte, nahm aber dann die Hand des Fremden an. Es ging durch verschiedene nur sehr spärlich beleuchtete Gänge. Ohne fremde Hilfe hätte Agnes den Weg ins Freie nicht wieder gefunden. Da hörten sie Lärm hinter der Türe eines ehemaligen Luftschutzkellers. Der Fremde musste mehrmals mit drei kräftigen Schlägen, dem vereinbarten Zeichen, gegen die eiserne Türe klopfen. Beim Öffnen der Türe blieb Agnes vor Schrecken der Atem stehen, denn sie erkannte eine Gruppe schwarz gekleideter Männer mit Masken, die um eine Statue im fahlen Licht herum tanzten. Plötzlich war es um sie geschehen: Zwei der maskierten Gestalten traten hinter Agnes und überwältigten sie, trotz ihrer Gegenwehr. Sie konnte nur noch bemerken, dass sie in die Mitte des Raumes gezerrt und auf einen Tisch gelegt wurde, um den sich die dunklen Gestalten scharten, dann wurde ihr linker Arm entblößt, sie spürte den Einstich einer Injektion und die die Sinne schwanden ihr.
Als Marie bemerkte, dass ihre Freundin seit mehreren Tagen nicht zu den Vorlesungen kam, begann sie sich Sorgen zu machen. Sie konnte ihre Freundin auch nicht mehr per Handy erreichen. Sie war noch am vergangenen Samstag mit ihr über den Markt gegangen, und hatte eigentlich nur davon geredet, dass ihr vor den ersten Prüfungen etwas bange sei. Das ging aber anderen Studenten ähnlich. Marie beschloss, an diesem Abend in das bekannte Lokal im Kreuzviertel zu gehen, denn sie wusste, dass Agnes dort manchmal anzutreffen war. Sie schaute auch bei der Mutter Birken vorbei, ohne ihr zu begegnen. Am anderen Tag läutete sie an der Türe zu ihrer Wohnung, fand aber nur einen überfüllten Briefkasten. Das war für Agnes Anlass sich um ihre Freundin vermehrt Sorgen zu machen. Nachdem Marie in den Abendnachrichten des Fernsehens den Hinweis der Polizei hörte, dass Bürger der Stadt aufgefordert würden, verdächtige Fahndungshinweise der Polizei zu melden, ging sie zum Polizeipräsidium am Friesenring, um nach dem Verbleib von Agnes fahnden zu lassen. Sie erzählte alles, was ihr bekannt war, gab eine Personenbeschreibung der Freundin ab, nannte Straße und Hausnummer ihrer Wohnung und übergab der Polizei auch ein Foto, das sie mit Agnes zeigte.
Zur vereinbarten Stunde traf sich der Krisenstab wieder: Es gab keine weiteren Erkenntnisse der an der Fahndung beteiligten Beamten. Der Leiter des Stabes gab danach bekannt, dass eine Vermisstenanzeige eingegangen sei. Eine zwanzigjährige Medizinstudentin nehme seit Tagen nicht mehr an Vorlesungen teil. Es sei auch bekannt, wo sie wohne und wo sie sich gelegentlich aufgehalten habe. Es gebe ein Foto von ihr, auf dem sie mit ihrer Freundin zu sehen sei. Dieser Spur zu folgen könnte für die laufende Fahndung von Interesse sein. Die bisher bekannten Daten der vermissten Person lägen ja in der Nähe zum Planungsraum der laufenden Fahndung. Es wurde daher entschieden, das Foto mit Hinweisen über die Vermisste in den Medien zu veröffentlichen, und Beamte in Zivil sollten die Lokale im Kreuzviertel, den Bereich der Wohnung der Studentin, sowie die Universität gezielt observieren, um nach der Vermissten zu suchen.
Eine Gruppe international vernetzter Krimineller, hatte sich im ehemaligen Luftschutzkeller einer unbenutzten Kirche am Friesenring in Münster eingenistet. Sie hielten diesen Ort für günstig, denn wer konnte vermuten, dass sie sich in der Nähe des Polizeipräsidiums ausgerechnet in einer Kirche trafen. Es schien ihnen auch wichtig, sich in einer Universitätsstadt zu bewegen, um Studenten für sich zu gewinnen. Der Plan hatte auch seine Berechtigung, da sich in der Nähe eine psychiatrische Einrichtung befand. Den Tätern war es gelungen, sich eine wahnbildende Substanz zu verschaffen, die durch Kuriere aus dem Ausland nach Münster gebracht wurde. Einige der Täter sollten versuchen, Personen, die durch das Studium in Krisensituationen gelangten, mit dem Hinweis auf eine Studentenverbindung anzulocken, die geheime Zusammenkünfte in einer ehemaligen Kirche veranstalte. Es sollte da in jeder Hinsicht frei und lustig zugehen. Sobald es gelungen sei, ein Opfer zu gewinnen, würde es bei einer Veranstaltung im Keller der Kirche eine Injektion bekommen. Die verabreichte Droge hätte folgende Wirkung: Die Personen, denen die Droge injiziert wurde, seien völlig gefügig und bildeten den Wahn aus, dass es Sinn mache, sich sexuell und in ihrem Leistungsverhalten, den Tätern gefügig zu machen. Sie würde dann in den nationalen und internationalen Einrichtungen der Täter für deren Zwecke missbraucht. Selbst wenn es diesen Personen gelänge, aus diesem System auszubrechen, würden sie dauernd der wahnhaften Vorstellung erliegen, gegen diese Droge kämpfen zu müssen, die ihnen die Freiheit zu eigenen Entscheidungen nehme. Bisher sei es gelungen, den Bemühungen der Polizei zu entkommen. Man müsse aber besonders vorsichtig vorgehen, seit die Polizei auch mit Hilfe der Medien versuche, gegen sie vorzugehen. Bis zur Beruhigung der Lage sollten keine Opfer mehr gesucht oder ins Ausland abtransportiert werden. Es sei vor allem wichtig, die Studentin, die sich noch in ihrem Gewahrsam befinde, nachdem die Wirkung der Droge nachgewiesen sei, wieder frei zu lassen, um die Polizei nicht auf deren Spur zu bringen.
Agnes kam wieder zurück in ihre Wohnung, als habe sie sich nur einige Tage in Ferien befunden, erledigt ihre Post und ging wieder zu den Vorlesungen. Marie, ihre Freundin, war glücklich sie wieder zu sehen und meldet der Polizei, dass ihre Freundin sich wieder eingefunden habe. Die Suche nach der Vermissten wurde eingestellt.
Nach einigen Tagen fand die nächste Sitzung des Krisenstabes statt. Die vermutete heiße Spur zu den Tätern erwies sich als Irrtum. Die Studentin ginge wieder ihrem Studium nach. Es erschien daher wenig sinnvoll nachzuforschen, wo sie sich in den letzten Tagen befunden hatte und das Schwergewicht der Fahndung wieder auf den bisherigen Fahndungsbereich zu verlegen. In dieser Sitzung wurden keine weiteren Täterhinweise berichtet. Die beiden befreundeten Hauptkommissare blieben jedoch skeptisch und beschlossen, den Kontakt zur Freundin der gesuchten Studentin weiter aufrecht zu halten, obwohl die Fahndung in den Medien eingestellt wurde. Marie freute sich, als ihre Freundin wieder auftauchte. Sie wollte aber nicht indiskret sein, und vermied es sie zu fragen, wo sie sich die Tage über aufgehalten habe. War sie aber bisher Männern gegenüber eher zurückhaltend, so kleidete sie sich von nun an gewagt und zeigte auffälliges Interesse an Männern. Agnes erschrak über den unerwartet hohen Eifer der Freundin beim Studium. Jegliche Angst vor den Prüfungen schien von ihr abgefallen zu sein. Sie saß nun unentwegt vor ihren Büchern, verfehlte keine Vorlesung oder Übung und meldete sich oft zu Wort. Heute Abend wollte Marie wieder einmal allein ausgehen. In der Mutter Birken würde sie sicher bei einem Bier von ihren Sorgen Abstand gewinnen, und auf andere Gedanken kommen. Als sie in die Mutter Birken kam, sah sie die beiden Hauptkommissare, die ihre Meldung über ihre vermisste Freundin aufgenommen hatten. Die Polizisten in Zivil grüßten freundlich und boten ihr einen Platz an ihrem Tisch an. Nach einigen belanglosen Worten über die außergewöhnliche Hitze in Münster, die nach einem kühlen Bier schreie, tauchte die Frage auf: „Wie geht es denn ihrer zurückgekehrten Freundin?“ Marie hielt sich zunächst etwas zurück, dann aber erzählte sie detailliert, wie sehr sich ihre Freundin verändert habe. Man fand aber auch zu Dritt keine Erklärung hierfür. Die beiden Polizisten baten Marie, ihnen doch zu berichten, wenn sie irgendeine Beobachtung machte. Die beiden Beamten berichteten im Krisenstab über ihre Unterhaltung mit Marie. Danach wurde entschieden, den Leitenden Psychiater des Landeskrankenhauses bezüglich der Verhaltensänderung bei der zurückgekehrten Studentin zu Rate zu ziehen. Dieser war zu einem Gespräch bereit, sah aber zunächst keinen Hinweis dafür, dass es bei der Verhaltensänderung Hinweise für eine psychische Abnormität gebe. Da hielt er plötzlich inne und sagte: „Warten sie bitte einen Moment“. Als er zurückkam, hatte er eine Fachzeitschrift in Händen und begann das Gespräch erneut mit der Bemerkung: „Ich wusste doch, dass ich etwas gelesen habe.“ In diesem Journal wird von einer Untersuchung in Amerika berichtet, dass es neuerdings eine Droge gebe, die dazu führe, dass durch deren Injektion ein Wahn induziert werden könne, die diese Menschen antreibe sich dem Willen anderer gefügig zu machen. Eine international agierende Tätergruppe, setze diese Droge für ihre Zwecke ein. Selbst wenn sie dem direkten Einfluss der Täter entkommen würden, kämpften die Betroffen gegen die wahnhafte Vorstellung, in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt zu sein. Es handle sich um die sogenannte Treiberdroge, deren Wirkung nur durch ein ärztlich injiziertes Gegenmittel aufgehoben werden könne. Die Beamten bedankten sich für die Bereitschaft des Arztes der Studentin gegebenenfalls das Gegenmittel zu injizieren.
Nach dem Bericht hierüber im Krisenstab, erhielten die beiden Beamten erneut den Auftrag zur diskreten Observation der Studentin im Kreuzviertel, beim Verlassen der Wohnung und in der Universität. Zunächst liefen ihre Bemühungen ins Leere. Dann aber eines Abends nach dem Besuch der Mutter Birken, schien ihnen die Studentin auffällig. Sie ging rasch, mit gesenktem Kopf, blieb immer wieder einmal stehen, als ob sie sich überzeugen wollte, ob ihr jemand folge. Es gelang den Polizisten, die Studentin in Deckung der Bäume unbemerkt zu beobachten. Hinter einer Hauswand blieben sie stehen, als sie im Licht einer Straßenlaterne den Friesenring überquerte und dann, im dunklen hinteren Bereich der Kirche verschwand. Die Beamten warteten mehrere Stunden, bis die Studentin wieder erschien. Sie folgten ihr, holten sie kurz vor ihrer Wohnung ein, wiesen sich als Polizisten aus, und fragten sie, was sie in der Kirche gemacht habe. Die Studentin zögerte gab aber dann zur Antwort, dass sie dort Freunde getroffen habe, bei denen es sehr frei und lustig zugehe. Sie könne auch mit ihnen in der Mutter Birken noch ein Bier trinken, wenn sie Lust dazu hätten. Dabei warf sie sich aufreizend in Positur. Die Beamten lehnten das Angebot ab, schlugen aber vor, mit ihr zu einem Freund zu gehen, der sie manchmal in schwierigen Situationen beraten habe. Die Studentin nahm den Vorschlag mit der Bemerkung „auf Ihre Verantwortung“ zögernd an. Den Beamten gelang eine telefonische Vereinbarung mit dem Direktor des Krankenhauses, der auch zu dieser späten Stunde noch zu einem Gespräch mit der Studentin bereit war. Nach einer kurzen Konsultation, bei der die Studentin keinen Widerstand zeigte, injizierte der Arzt das Gegenmittel. Zweieinhalb Stunden später, schien die Studentin wie aus einem bösen Traum zu erwachen und stellte die Frage: „Wo bin ich?“ Nun war sie in der Lage und bereit über all das, was ihr erinnerlich war, zu berichten: „Sie sei vor Tagen abends etwas traurig in der Nähe der Kirche von einem Medizinstudenten angesprochen worden. Der habe sie überredet, seine Freunde zu besuchen, bei denen es im Studentenkeller der Kirche sehr lustig und frei zuginge. Sie sei ihm ängstlich durch Gänge bis zu einer eisernen Tür gefolgt. Dort habe er dreimal heftig geklopft, dann habe man sie überwältigt, und ihr eine Injektion in den Arm gegeben. Was dann mit ihr geschehen sei, wisse sie nicht mehr genau, bis auf die Begegnung mit ihrer Freundin, die sich wunderte, dass sie an Männern interessiert, nun sehr viel arbeite. Es handle sich um eine Gruppe von Männern, die sich im Keller der Kirche eingenistet hätten.
Endlich war der Weg frei um im Krisenstab über das weitere Vorgehen zu beraten. Es wurde ein Einsatzkommando und eine Spezialeinheit der Kriminalpolizei in ausreichender Zahl eingesetzt, die die unbenutzte Kirche umstellte. Die Spezialeinheit drang in die Kellerräume vor, sprengte die eiserne Türe auf und verhaftete alle dort anwesenden Männer und Frauen. Alles wurde durchsucht und eine Fülle von Beweismaterial sichergestellt. In der Westfälischen Zeitung konnte man anderntags lesen, dass es den vereinten Kräften der Polizei gelungen sei eine international agierende Tätergruppe festzunehmen und eine Menge Beweismaterial zu sichern.
Danke
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