Das Herrengebet

Vater        DU Anfang und Ende, DU Ruhe in bewegter Zeit, DIR und DEINEM göttlichen Wort vertrauen wir, der DU uns in unermesslicher Liebe birgst, auf den Wegen zur ewigen Heimat geleitest, und unsere Sehnsucht und Hoffnung erfüllst.

der DU      von Ewigkeit zu Ewigkeit und in jeder Zeit in DEINER geheimnisvollen Gegenwart  bist im Himmel  und auf Erden unter uns Menschen, und all Deinen Werken Bestand verleihst.

Geheiligt, gelobt, geehrt und gepriesen, werde von jeglicher  Kreatur und allem, was Odem hat,  DEIN Name über allen Namen.

zu uns komme in der Gnaden Fülle, DEIN Reich der Liebe, des Friedens, und der Gerechtigkeit, als Deine Wohnung auf Erden.

DEIN Wille geschehe jetzt und allezeit im Himmel der Eintracht  und der Versöhnung unter uns Menschen auf Erden.

Unser tägliches Brot des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe und des Vertrauens gib uns heute.

und vergib uns unsere Schuld, gegenüber DIR, unserem Herrn und Schöpfer, all unseren Brüdern und Schwester und DEINEN Werken.

Wie auch wir mit DEINER Hilfe, o Vater, von Herzen vergeben  unseren Schuldigeren, die Barmherzigkeit erwarten.

und führ uns nicht in Versuchung, DICH vor den Menschen zu verleugnen, DEINE Weisungen zu missachten und von den rechten Wegen abzuweichen.

sondern erlöse uns von dem Bösen, das uns von Dir und unter einander trennt und unserer Umwelt Schaden zufügt.

Denn Dein ist das Reich, das Himmel und Erde verbindet und die  Kraft, die allem Geschaffenen Bestand verleiht und die Herrlichkeit, an der nach Deinem Willen alle Deine Geschöpfe in Ewigkeit teilnehmen dürfen.

 

AMEN   –   AMEN  –  AMEN

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Das Kreuzzeichen

Ein kleines Gefäß mit Weihwasser gefüllt, gehört zu meinen frühesten kindlichen Erfahrungen. Unsere Großmutter ließ es sich nicht nehmen, jeden Abend an mein Bett zu treten, ihre Finger ins geweihte Wasser, zu tauchen, und mich im Namen des Vaters, des Sohnes und Heiligen Geistes zu segnen. Es war mir dabei immer ein wenig feierlich zu Mute. Im Schutze dieser liebevollen Geste konnte ich dann ruhig einschlafen. Ich konnte es kaum erwarten, bis ich mich später wie die Erwachsenen, beim Betreten und Verlassen der Kirche, selbst mit Weihwasser besprengen und bekreuzigen durfte.

Tief beeindruckt haben mich auch die gelegentlichen Krankenbesuche unseres Pfarrers. Ein Beistelltisch wurde weiß eingedeckt, und darauf ein kleines Standkreuz und zwei silberne Kerzenständer mit brennenden weißen Kerzen gestellt. Wenn der Priester sich in Ehrfurcht  bekreuzigte und vor dem Allerheiligsten nieder kniete, erfüllte mich ein feierlicher Schauer. Zur vertrauten Umgebung gehörte auch das von unserem Großvater selbst geschnitzte und naturbelassene Kreuz aus Lindenholz in Gestalt eines Weinstocks an der Wand. Ein Leben lang begleiten uns Christen das Weihwasser und das Kreuz  als Zeichen der Erlösung, des Segens und der Hoffnung bis über den Tod hinaus. Ist das nicht Grund genug wieder einmal zu bedenken, was geschieht, wenn wir zum Kreuz aufschauen, uns selbst oder andere bekreuzigend den Segen empfangen oder einander spenden?

Ich gehöre noch zu der Generation katholischer Christen, die sich darüber freuen, wenn die Kirchenglocken uns zur Heiligen Messe und kirchlichen Festen einladen und wir uns  im Jahresreigen um den Altar versammeln. Unsere Priester waren sehr geachtet und wir Kinder begrüßten sie mit einem fröhlichen „Gelobt sei Jesus Christus“. Wir schätzten den Religionsunterricht und unsere Geistlichen, die uns die Bedeutung der Zeichen und Sakramente erklärten und mit uns die Geheimnisse unseres Glaubens feierten. Ein heiliger Schauer kann uns befallen, wenn wir vom Kreuz berührt, aus unseren Träumen wach gerüttelt bemerken, wie sehr uns Gott liebt und braucht, um an SEINER Stelle in anderen Menschen Hoffnung und Segen zu erwecken,  und dass wir in IHM und durch IHN, ein Zeichen SEINER Gegenwart in unserer Zeit sein sollen. Vielleicht meint es Gott in SEINER zarten Liebe  und unendlichen Geduld mit uns sogar gut, wenn ER SEINE alles überragende Majestät vor uns verbirgt und uns schwache Menschen benutzt, um in den Spielwiesen des Alltags, anderen unseren Glauben so zu  bezeugen, dass sie sich vor uns und dem Herrn nicht zu sehr erschrecken müssen. Denn auch wir dürfen fest darauf vertrauen, dass der Herr die Schwächen und Nöte Seiner Zeugen kennt und auch durch unsere kleinen Gesten das Wunder wahrer Gottesbegegnung bewirken kann.

Die Begegnung mit der überwältigenden Fülle der Liebe des dreifaltigen Herrn würde uns Kleingläubige doch sicher noch mehr erschrecken, als den mit fester Speise des Glaubens vertrauten Petrus, der beim Hahnenschrei seinen Verrat erkennend, bitterlich weinen musste. Das kraftvolle Kreuzzeichen der Liebe Gottes kann unsere Schuld und verborgenes Chaotisches in uns und ums uns aufdecken. Es kann uns aber auch zur Erkenntnis führen, wie unsagbar wir darauf angewiesen sind, die barmherzige Nähe Gottes im schlichten Kreuzzeichen immer wieder zu erfahren. Von Geburt bis in den Tod und die Auferstehung hinein, ist das Kreuzzeichen ein Ausdruck dafür, dass Gott nie aufhört Chaos in Kosmos zu wandeln. Wer, wenn nicht die Heiligste Dreifaltigkeit weiß besser, was für uns alle  wirklich umfassend gut ist.

Gottes Fürsorge für das, was er in SEINER unendliche Güte und Liebe geschaffen hat und allezeit am Leben erhält, ist wahrlich schon des Dankes wert. Unsere Heiligen sind auf ihre je eigene  Weise, wie der Heilige Franziskus, mein Namenspatron, Zeugen der erlösenden Liebe Gottes. Wie nahe durfte dieser Heilige dem dreifaltigen Herrn kommen. Ein Beichtspiegel ist er für uns alle: Sind wir so still, demütig, aufmerksam und offen, dass der die ganze Schöpfung durchwaltende Segen göttlicher Liebe auch uns erfüllen und durch unsere Armut hindurch zu einem wirksamen Zeichen der Liebe werden kann?

Hängen wir die Kreuze nie ab und bleiben wir im Segen des Vaters
Sohnes und Heiligen Geistes.

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Das Geheimnis

Es klopft wieder einmal an die Türe. Ich öffne dem »Unerklärlichen«, gewähre ihm Eintritt. Das Unerklärliche nimmt Platz. Wir machen es uns bequem. Das U. hat sich wie so oft schon angemeldet. Ich habe es wohl bemerkt; war unruhig aber hoffnungsvoll. Manchmal blieb die Türe zu. angstvoll geschlossen. Wie soll ich heute mit dem U. umgehen? Ich bin mir nicht sicher. Aber die Türe ist ja schon offen. Selbst wenn ich dem Gast den Eintritt verweigerte. Er ist aufdringlich und käme ja doch wieder, gebeten oder ungebeten.

Jetzt ist er aber da, wirklich da und ließ sich nicht vertreiben. Ich spüre die Spannung und Erregung des Augenblicks. Was er mir heute zu sagen hat, weiß ich nicht. Das macht mir Sorge und Hoffnung zugleich. Man mag es mir kaum glauben, aber ich kenne das U. schon lange. Wir haben sozusagen jahrelange Erfahrungen im Umgang mit einander. Es ist, als könnten wir nicht von einander lassen. Es liegt ihm wohl sehr daran, mich immer wieder zu besuchen, mit mir zu sprechen.

Im Stillen -ohne dass es die Anderen merkten- redeten wir schon oft stundenlang miteinander. Wir kennen uns daher gut, und sind in vielen Jahren Freunde geworden. Jeder Besuch ist aufregend neu, obwohl das U. mir immer noch unerklärlich ist; vielleicht auch bleibt. Heut gebe ich ihm eine Chance, fragt mich nicht warum. In die Unsicherheit mischt sich erwartungsvolle Freude. Das U. ist da. Ich habe den Besucher ja herein gebeten.

Langeweile gibt es nicht in seiner Gegenwart. Wir haben einander viel zu erzählen. Im Geheimen, versteht sich. Auch oft mit einander gerungen, gestritten. Manchmal bis zur Erschöpfung gekämpft. Der ganze Leib war dann einbezogen. Ich habe gezittert, auch nachdem das Unerklärliche sich schon wieder entfernt hatte. Und geschwiegen, wie ein Grab. Denn wer erzählt schon gern von einem Geheimnis. Einem so aufdringlichen, unerklärlichen Gesellen. Wenn ich erzählt hätte, was zwischen uns wirklich geschah, hätte ich ihn und mich möglicherweise der Häme ausgesetzt. Wer kann schon das Unerklärliche verstehen? Ich ja auch nicht. Und dennoch: Es mag komisch klingen, aber irgendwie mögen und verstehen wir uns. Verstehen uns auch die Anderen? Wir brauchen Stille, die unser Geheimnis birgt.

Das Unerklärliche macht keine billigen Geschenke. Der Besucher  ist nur einfach da, wenn er da ist. Eine Fülle in der Stille. Er bringt neue Worte mit, die noch nicht aufgebrochen oder durch Gebrauch abgenutzt sind. Mir bleiben dann manchmal die Worte im Halse stecken. Man könnte sagen, dass wir oft wortlos miteinander reden und uns dennoch verstehen. Obwohl mein heutiger Besucher wirklich bei mir ist, wir sitzen einander ja gegenüber, dürfen wir uns nicht greifen oder festhalten. Das könnte unsere Würde verletzen. Ich bin aber gewiß, dass das U. manchmal so da ist, als ob ich es sehen und hören könnte. Es erscheint mir dann freundlich. Als Feind ist es für mich nicht existent. Ganz sicher bin ich mir aber nie -auch jetzt nicht- ob wir nicht wegen Nichtigkeiten wieder kräftig an einander geraten könnten. Ich bin aber des vielen Streitens mit dem Unerklärlichen  müde. Es meint es ja eigentlich nur gut mit mir. Der Besucher gibt aber keine Erklärungen ab, warum er mich mag.

Manchmal habe ich gedacht, dass das U. mich, wenn ich es einlasse,  von Wichtigerem ablenken könnte. Das bezweifle ich heute. Es lässt sich ja auch nicht so leicht abweisen, das aufdringliche Unerklärliche.  Es könnte ja seine Art sein, an mir wirklich Gefallen zu finden. Nun sitzen wir einander wieder einmal gegenüber. Meine Augen und Ohren haben sich mittlerweile an das U. gewöhnt.  Es scheint, als ob ich es jetzt sehen und hören könnte. Aber nicht so, wie man allgemein sieht und hört. Dennoch erscheint mir das „Unerklärliche“ über alle Maßen sprechend und sehend. Wie von Herz zu Herz, wie Einatmen und Ausatmen. Wie Freunde, wenn sie miteinander reden.

Aber es wahrt sein Geheimnis, denn wir begegnen einander oft im Schweigen. Das ist aufregend. Es fühlt sich wie Furcht oder Ehrfurcht an. Das U. geschieht und entzieht sich. Es ist das „Unerklärliche“. Vielleicht klärt es sich heute ein wenig auf. Hoffnung, Furcht, Spannung sind in mir, als würde  jeder Muskel, der ganze Körper in Gegenwart des Freundes benötigt. Ich, ein Geheimnis, unerklärlich. Es ein unerklärliches Geheimnis, aber kein Nichts, sondern ein erfülltes Nichts.

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Das Geheimnis

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Kirschblüten

Manche Märchen könnten so beginnen: Es war einmal oder auch nicht eine große Familie. Der Vater hatte wie alle Väter viel zu tun, um im Auf und Ab des Lebens das Nötige zu besorgen. Er wusste, wie fast alle Väter, was eigentlich wichtig war und nur zu oft übersehen wurde. Aber ihm war das Glück beschert, von Jugend an mit Mutter Natur in gutem Einvernehmen zu leben. Sie gebar ja immer wieder neues Leben und sorgte still und ohne Unterlass dafür, dass alle ihre Kinder wohl gedeihen konnten. Glaubt mir, es gab unter ihrem Schutz schon lange und bis heute unermesslich viele Pflanzen und Tiere aller Art und sogar auch vernunftbegabte Menschen auf Erden. Allen diesen Lebewesen gewährte sie für eine genau zugemessene Zeit in immer wieder neuen Formen ein auskömmliches Dasein. Und nicht nur das. Sie freute sich bis zum heutigen Tag von Herzen, wenn alle ihre Kinder sich voll entfalteten und mit ihren Artgenossen zusammen ein eigenes Leben führten. Über all dies hinaus, barg sie sorgsam die vielen Geheimnisse des Lebens und die Weisheit, dass auf jeden Herbst und Winter wieder ein neuer Frühling und Sommer folgte.

Unter dem Segen der Natur brachte einst ein Kirschbaum im Garten, als die Vögel und Menschen längst die leckeren Früchte eines Jahres verzehrt hatten, wieder neue Schösslinge hervor. Eine lange Zeit des Reifens und Wartens lag nun vor ihnen. Nachdem die Herbstwinde die fahl gewordenen Blätter abgeschüttelt hatten, konnte man endlich den Stamm und die vielen Zweige besser erkennen. Wirklich schön war er auch ohne Laub. An der den Winden zugekehrten Seite hatte der Kirschbaum Moos angesetzt. Das bedeutete, dass er an dieser Stelle schon viele Jahre lang seinen Platz behauptete.Wer es einmal versucht hatte, diesen einmaligen Stamm mit seinen vielfältigen Verzweigungen zu zeichnen, konnte erfahren, welch schönes Kunstwerk die Natur geschaffen hatte. Aber nur einem staunend schweigenden Betrachter, gab der Kirschbaum in beidseits beglückenden Augenblicken etwas von seiner Würde preis. Selbst ein Poet brauchte sensible Augen und Ohren, damit diese Zwiesprache gelingen konnte.

Sagte doch neulich ein Schössling zum andern: «Du Nachbar, findest Du es nicht schön, dass uns die Mutter Natur vor Einbruch der kalten Jahreszeit in ein so feines Mäntelchen gepackt hat, um uns vor Wind und Kälte zu schützen?» «Gewiss, sagte ihr Nachbar, und ich bin mir auch sicher, dass sie uns schützend während des langen Wartens bis zum nächsten Frühling begleiten wird». «Selbst die Tiere haben aber im Unterschied zu uns einen sehr großen Vorteil, entgegnete der Andere nachdenklich. Sie können wenigstens Laute von sich geben, wenn es ihnen gut oder schlecht geht. Und außerdem gibt es ja auch noch die vielen klugen Menschen, die denken und reden können.» Da geriet sein Nachbar ins Philosophieren und gab -neun Mal klug- zur Antwort: «Stimmt schon, aber hast Du nicht bemerkt, dass manche Menschen weder richtig sehen, hören, noch fühlen können und dass sie manchmal so seltsame Dinge tun?» Da wurde der Andere ein wenig traurig und antwortete: «Ich weiß, uns fehlt einiges von dem, was Menschen auszeichnet. Ich jedenfalls leide sehr darunter, wenn sie unsere Mühen für sie da sein zu wollen, gar nicht so recht bemerken». Das ging dem anderen Schössling zu Herzen. Er wollte seinen Nachbarn trösten und bemerkte: «Schau, gerade jetzt hat sich ein vom Wind zerzauster Sperling auf unseren Zweig gesetzt und singt der Kälte und dem Regen trotzend, für uns ein frohes Lied».

Nun erinnerten sich beide Schösslinge an derartige schöne Erlebnisse im vergangenen Frühling und Sommer bis tief in den Herbst hinein und daran, dass ihnen in dieser Zeit viele Vögel und Insekten Gesellschaft geleistet hatten. Nach dieser erfreulichen Erkenntnis, bargen sie sich wieder in ihre wärmenden Mäntelchen, um mit den andern Gefährten zusammen, dem nächsten Frühling entgegen zu träumen. Sie waren sich nun sicher, dass die Mutter Natur sie durch den strengen Winter bringen und danach wieder zu neuem Leben erwecken werde. So kam es dann auch.Es war heuer ein langer Winter und die Frühjahrssonne hielt sich mit ihrer Wärme sehr zurück. Die Schösslinge wunderten sich. Sie hatten Lange genug geschlafen und spürten ein Drängen, sich zu entfalten. Unsere beiden Schösslinge gehörten zu den ersten, die es wagten, die ersten Sonnenstunden zu nutzen, um sich aus ihren Mäntelchen zu schälen. Welch ein Wunder! Alle anderen Blüten folgten ihnen und über Nacht schlüpften auch sie aus ihren Winterkleidern. Die Zweige mochten sich recken und strecken und hatten dennoch keine Chance mehr, selbst gesehen zu werden. Denn ein weißes Blütenmeer hüllte den Kirschbaum wie in ein Festtagsgewand ein. Die vielen Blüten platzten vor Stolz und freuten sich über die emsigen Bienen, Insekten und die fröhlich zwitschernden Vögel, die ihnen Gesellschaft leisteten.

Die beiden Schösslinge bekamen feuchte Augen, als sie sich, von einem Windhauch bewegt, gegenseitig in ihrer vollen Schönheit bewunderten und zunickten. Sie wurden dabei fast ein wenig fromm und dankten gerührt der Mutter Natur für ihre Gaben. «Was hast DU denn», fragte der eine, zur Blüte gewordene Schössling, den anderen besorgt, «Du schaust ja trotz all Deiner Blütenpracht ein wenig traurig aus?». «Ach», sagte dieser: «Mir gefällt zwar mein Frühlingskleid, aber ich habe mich doch auch für alle Tiere und Menschen hübsch gemacht und wünschte mir, dass sie sich über unsere Pracht freuen könnten. Es dauert doch nur wenige Stunden, dann nimmt uns der Wind die feinen Röckchen wieder ab». Diese Worte gingen der anderen Blüte sehr nahe, sodass Sie nur mit Mühe ihre Tränen zurück halten konnte. Dann wollte sie Trost spenden und entgegnete: «Aber schau doch auf die vielen Bienen, Insekten und Vögel, die uns besuchen. Und siehe da, das kleine Mädchen an der Hand der Mutter. Höre wie es staunend jauchzt und mit seinem Fingerchen auf die Blütenpracht nach oben zeigt». «Ich habe den Jubel und den Finger wohl bemerkt, entgegnete die andere Blüte, aber ich kann ja nicht sprechen, um dem Kind meine Freude zu zeigen und meine Trauer, dass so manche andere Menschen uns das ganze Jahr über bei all ihren Geschäften gar nicht wahrnehmen».

«Stimmt und stimmt doch nicht ganz, entgegnete die andere Blüte. Ich kenne einen Poeten, von dem weiß ich, dass er uns und die Mutter Natur bemerkt. Ja ich glaube sogar, dass er uns liebt und Mitleid mit uns hat, weil wir nicht reden können. Noch mehr, ich traue ihm zu, dass er es versucht, an unserer Stelle mit seinen Artgenossen darüber zu reden». «Du glaubst wirklich, dass es einen Menschen gibt, der für uns Blüten und die ganze schweigende Natur ein gutes Wort einlegt?» «Das weiß ich nicht so genau, gab die die andere Blüte zu bedenken, aber ich bin sicher, dass er uns und den Kirschbaum liebt». «Woher willst Du das so genau wissen, entgegnete die andere Blüte.» «Ich kann das auch ohne Worte in seinen Augen und seinem Herzen erkennen, entgegnete die Andere. Wenn der Poet mich manchmal aus seinem Fenster so innig anschaut, dann bin ich mir dessen sicher, dass er unsere schweigende Blütensprache versteht und ich bin dann sehr glücklich darüber, dass er unsere Anmut und Pracht schön findet.» «Ja und wenn im Herbst unsere Blütenblätter abgefallen und vom Winde verweht sind und in der kalten Jahreszeit von unseren Frühlingskleidern nichts mehr zu sehen ist, fragte die andere Blüte?» «Ja, auch dann schaut er oft aus seinem Fenster und sein Blick sagt mir, dass er auch unseren kahlen Baum und die entblätterten Zweige liebt.» Die andere Blüte reckte und streckte sich danach ein wenig und sagte mit einigem Stolz: «Allmählich beginne ich zu hoffen, dass unser Dasein auch anderen Lebewesen Freude bereitet».

Genau in diesem Augenblick gelang es dieser Blüte mit einem verständnisvollen Lächeln, dem sanften Winde eines ihrer schönsten Blütenblätter anzuvertrauen. Dann fügte sie glücklich hinzu: «Ich habe nun gar keine Angst mehr, mich von der Mutter Natur, wie es uns gemäß ist, von einer Kirsche wieder in eine Knospe verwandeln zu lassen, die warten muss, bis sie im Frühling für einige Stunden wieder zu neuem Leben erweckt wird.» Und was macht Dein Poet, in dieser Zeit, fügte sie fragend hinzu?» «Er nimmt alles, was er mit uns erlebte, wahr und schreibt eine Geschichte, um die Menschen an uns zu erinnern und ihnen Augen und Ohren für die Schönheit der Natur zu öffnen.

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