Gebet am Dornbusch

Ich verneige mich mit allen Gläubigen der Katholischen Kirche, christlichen Kirchen, und Glaubensgemeinschaften, tief vor Dir, DREIFALTIGER GOTT, Du VATER, SOHN, und HEILIGER GEIST, vereint mit allen Menschen, die sich im Glauben an den einen Gott und unserem Stammvater Abraham zugehörig wissen. Wir beten für uns und die Zweifler, Suchenden, Armen, Kranken, Sterbenden, Kinder, Alten, für alle, die Dich -o GOTT- nicht kennen, ablehnen, oder hassen, und rufen zu Dir um Dein Erbarmen. Herr sende Deine Engel aus, uns zu stärken und der Not zu wehren!

Guter Gott, Herr der Schöpfung, Du mögest gepriesen sein für all Deine Werke. Groß sind sie, und wunderbar in ihrer lebendigen Vielfalt. Dank sei Dir für unser Dasein aus Deine Hand, und Deine ständige Sorge: Für die Sonne als Licht am Tage, den Mond und die Sterne als Wächter in der Nacht, den Wechsel und der Gaben Fülle im Kreislauf des Werdens und Sterbens in der Natur. Hochgelobt und gepriesen seist Du, o Gott, für unsere Geschwister in der einen Menschheitsfamilie, Frauen, Männer und Kinder, deren Wirken und Gestalten von Anbeginn und das uns zur Pflege überlassene technische, geistige, geistliche und kulturelle Erbe.

Hochgelobt und gepriesen seist Du, HERR, von Ewigkeit zu Ewigkeit!

Amen, Amen, Amen!

Geborgen in der Kirche
Geborgen im Glauben Hoffen und Lieben.

Besuch aus Amerika – ein Gespräch

Wir erwarteten Besuch aus Amerika. Heute trafen Maria, eine Kusine meiner Frau, und Anabel, deren Freundin, bei uns ein. Sie hatten, von Hamburg kommend, nach einem Aufenthalt bei uns, eine ausgedehnte Reise geplant. Nürnberg, Salzburg, und vor dem Rückflug Karlsruhe mit einem Besuch bei Verwandten, standen auf ihrer Wunschliste. Nach einer ersten ganztägigen Ausfahrt zum geschichtsträchtigen Tübingen, beschlossen unsere Gäste jedoch, wie die berühmten „Ameisen“, die auf eine Weiterreise nach Australien verzichteten, weil ihnen schon auf Basels Chaussee die Beine weh taten, Nürnberg und Salzburg nicht zu besuchen.

Das gegenseitige Vertrauen stellte sich sofort wieder ein, als Maria unser Wohnzimmer betrat, und uns herzlich lachend in die Arme schloss. Sie war eine lebenserfahrene, kluge und resolute Frau, die in jeder Situation hellwach verstand, das jeweils Nötige anzupacken und in die Tat umzusetzen. Seit ihrem letzten Besuch vor Jahren, hatte sie sich kaum verändert. Im Alter von acht Jahren musste sie einst ihr geliebtes Deutschland verlassen, als ihre Familie nach Kanada auswanderte. Seither lebte sie, mit ihrem Mann und der Familie in Amerika und Mexiko. Ihre Freundin und Reisebegleiterin Anabel, eine etwas jüngere, sportlich-attraktive und gebildete Frau, sprach leider nur englisch. Durch ihre lebhafte Mimik, Gestik, sympathische Art und Marias Deutschkenntnisse, konnte auch ich der Unterhaltung leicht folgen. Seit ihrem Studium in Mexiko schätzte Anabel die deutsche Kultur und unser Land sehr und hoffte, den Spuren der ihr bekannten Dichter und Philosophen zu begegnen. Unser Angebot, einige Tage bei uns zu bleiben, um näher gelegene Orte zu erkunden, nahmen Maria und Anabel gern an.

Von unserem, am Tor zum Schwäbischen Wald an der Murr gelegenen Oppenweiler, mit seinem idyllischen Wasserschloss und der weit ins Land grüßenden Burg Reichenberg aus, besuchten wir mit unseren Gästen Sehenswürdigkeiten in der Umgebung: Maria wurde nicht müde, die für sie kostbaren Tage bei uns in sich aufzunehmen, und ihrer Freundin mit glänzenden Augen von Menschen, Brauchtum und der Geschichte ihrer Heimat zu erzählen. Nach einem ersten Spaziergang über den belebten Wochenmarkt in Backnang, schwärmten unsere Gäste von den schmucken Fachwerkhäusern der Innenstadt. Anderntags kehrten sie begeistert von Ludwigsburg zurück. Eine Führung durch das Schloss mit der Gartenanlage, und der geschäftige Markt, hatten sie sehr beeindruckt. Maria und Anabel ließen es sich nicht nehme, uns mit kleinen Geschenken aus Ludwigsburger Porzellan zu überraschen. Die letzte Reise führte unsere Gäste nach Schwäbisch-Hall. Die am Kocher gelegene mittelalterliche Stadt, mit der zur Kirche führenden Freitreppe, dem Museum, vielen Fachwerkhäusern, und die nahe gelegene, gut erhaltene Comburg, zeigten sich an diesem Tag von ihrer schönsten Seite. Bei unseren Gesprächen während und nach den Ausfahrten, gelang es immer mehr, gelegentliche Sprachbarrieren zu überbrücken, um auf die Interessen unserer Gäste eingehen zu können. Nach der zweiten Übernachtung, kam es beim üppigen Frühstück zu einem Gespräch, an dem ich Sie, liebe Leser, in der Hoffnung auf Ihr Interesse beteiligen möchte: Maria berichtete soeben freudestrahlend, dass Anabel schon einige Worte in deutscher Sprache beherrsche. Sie erinnerte sich, dass ihre Freundin in der vergangenen Nacht im Traum deutsch gesprochen habe. Als ich bei dieser Erzählung in die zufriedene Miene und strahlenden Augen Anabels blickte, spürte auch ich den Wunsch, Ihr in englischer Sprache zu antworten. Nachdem sie meine ersten, zaghaft verwendeten englischen Worte, mit einem zustimmenden Lächeln bestätigte, war der Bann gebrochen. Es fielen mir nun wie aus heiterem Himmel einige englische Worte und Sätze ein, sodass ich Lust verspürte, mich weiter auf ein Sprachspiel unbekannten Ausgangs, mit ihr einzulassen.

Meine Frau, wie so oft sensibel für die Situation, half mir mit der Bemerkung, „ich solle am Tisch bleiben, während sie jetzt für einige Minuten mit Margit in der Küche hantiere“, mein letztes Zögern zu überwinden, und ich dachte zugleich: „Wenn es Anabel gelang, im Traum in deutscher Sprache zu reden, warum sollte es mir dann nicht auch gelingen, ihr in Englisch zu antworten, zumal ich auch ihr Interesse an meiner Einstellung zum Leben bemerkte. Der Gedanke, dass es bei Lebensfragen zum Verständnis nur weniger Worte und einfacher Sätze bedurfte, ermutigt mich. Noch hielt ich mich aber ein wenig zurück und beobachtete, was sich zwischen mir und Anabel entwickelte. Während Maria und meine Frau den Tisch abräumten und die heutige Ausfahrt in der Küche vorbereiteten, lockt mich Anabel immer mehr in einen intensiven Dialog. Ihr Lächeln, das Mienenspiel und ihre Worte waren so einladend, dass ich mich darauf einließ, mit ihr über meine Einstellung zum Leben und zur Religion zu reden. Auf einmal fielen mir die zur Verständigung nötigen wenigen englischen Worte wie durch Zauberhand ein. In einem mich selbst überraschenden, neuen und zunehmend gelingenden Sprachspiel, konnte ich lernen, Grenzen zu überwinden, und mich mit Anabel in Englisch zu verständigen. Es blieb jedoch dahingestellt, ob meine Sprache in jeder Hinsicht korrekt war. Aber zu entdecken, dass in diesem intensiven Dialog Sprachbarrieren sich aufhoben, war für mich derart verblüffend, dass ich mich umgehend daran machte, diese Geschichte aufzuschreiben. Ein Wunder im Alltag war geschehen: Isabel hatte im Traum in deutscher Sprache geredet und mir fielen im Gespräch die englischen Worte ein, die zu unserer Verständigung nötig waren. Nach einer kleinen Pause, Maria und meine Frau beteiligten sich wieder am Gespräch, sagte Anabel: „Ich erinnere mich nicht nur an den Traum der vergangenen Nacht, sondern auch an gelegentliche Gefühle beim Erwachen, die sich auf den folgenden Tag angenehm oder unangenehm auswirkten.“ „Wer kennt es nicht von sich selbst, ab und zu wie mit einem falschen Bein aufzustehen“, dachte ich, nun geneigt, mich auf diese Frage einzulassen, und sagte: „Stimmungen, die uns begleiten, können als Signale über unser eigenes Befinden und die Beziehung zur Umwelt verstanden werden“. Es müsste aber geprüft werden, was sie in der jeweiligen Situation für uns bedeuteten. Dabei sei es wichtig, unsere eigenen Erwartungen und Fantasien mit der Realität abzustimmen. Besonders schwierig könnte es jedoch sein, wenn es sich um wiederholt auftretende innere oder äußere Barrieren handelte, die es erschwerten Grenzen zu akzeptieren oder zu überwinden. Im dem nun folgenden Gespräch mit Maria und Anabel, sprachen wir über unsere inneren und äußeren Barrieren im Prozess des Alterns, manchmal Erwartungen korrigieren, oder Hilfen im Alltag annehmen zu müssen. Ich verwies in diesem Zusammenhang auf Johann Sebastian Bach, dem es gelang Grenzen zu überwinden, sowie bis kurz vor dem Tod, seine schöpferische Kraft zu entfalten, und sagte: „Wir sind als Menschen oft gefordert und potenziell dazu in der Lage, in einer Grenzsituation wie Johann Sebastian Bach, bis ins hohe Alter, auf die Herausforderungen des Lebens schöpferisch-kreativ zu reagieren“. Unser Gespräch nahm damit einen unerwarteten Verlauf. Mit Begeisterung redeten wir noch miteinander darüber, dass die uns umgebende Natur eigenen Gesetzen folge, und die Tiere nur über ein begrenztes Erinnerungsvermögen verfügten. Wir Menschen hätten hingegen von Geburt an, im Austausch mit der Umwelt, ein Wissen um uns selbst, ein Geschichtsbewusstsein und Gewissen zur Beurteilung unseres Lebens und Handelns im Ganzen entwickelt. An dieser Stelle beendeten wir den reichen Gedankenaustausch mit unseren Gästen, denn es war höchste Zeit zur nächsten Ausfahrt. Ich war aber sehr neugierig darauf, wohin uns der englisch-deutsche Dialog mit Maria und Anabel während ihres Aufenthaltes in ihrer und unserer Heimat noch führen würde, und ob sie liebe Leser, auch schon gelegentlich innere oder äußere Barrieren zu überwinden hatten?

Der Weg vom im und ins
Geheimnis

 

Heimat

Die Menschen, Felder und Wälder um Oppenweiler herum, geben ihre Geheimnisse und ihren Segen nicht so leicht preis. Wer aber bereit ist, diese Region wie eine schöne Braut zu umwerben, dem wird sie mit der Zeit zur bergenden Heimat. Davon soll nun die Rede sein: Einige von Ihnen werden den Weg, von Oppenweiler das Tal hin, durch den Wald, hinauf zum Eschelhof, und über Zell zurück kennen. Oft bin ich diesen reizvollen Wanderweg selbst gegangen. Manchmal nahmen mich Wald und Flur liebevoll an der Hand und zerstreuten zeitweiligen Griesgram. In früheren Jahren benutzte ich den Weg, etwas despektierlich, als Rennstrecke, um festzustellen, wie schnell ich die Runde rennen konnte. Auch heute begegne ich bei meinen Wanderungen Menschen, die diesen Weg nur als Trainingsstrecke kennen. Es könnte zwar sein, dass sie ab und zu miteinander reden. Ich frage mich aber, was sie, bei forciertem Tempo, in der Natur sehen oder erleben können?  Manchmal begegne ich einer etwas erschöpften, aber offensichtlich glücklichen Mutter, die nicht nur ihr Kind spazieren fährt, sondern zugleich einen neugierigen, wuseligen Hund Gassi führt. Eine feine Abwechslung für einen Wanderer wie mich, dann in die weltoffenen Kinderaugen zu blicken, sich ein vorsichtiges Lächeln zu gestatten und zu hoffen, dass auch das Kind ein wenig lächelt. Wenn das gelingt, freuen wir uns beide. Ich bin froh, dass der befestigte Teil der Strecke, in einen den Füßen angenehmeren Waldweg übergeht. Die leichte Anhöhe zu gehen, macht mir, da der Rücken mich nicht mehr plagt, wenig Schwierigkeiten. Ich nutze eine mir vertraute Gehhilfe. Meine betagten Wanderstöcke, aus früheren Jahren in den Bergen, begleiten mich, und mahnen, mir heute auf meinem Weg, Zeit zu lassen.

Von fern höre ich die Geräusche einer Motorsäge. Als ich näher komme, erkenne ich ein älteres Ehepaar, das sich mit Hilfe eines jungen, kräftigen Mannes abmüht, ihr Waldstück zu pflegen und eine über den Weg gefällte Tanne zu zerlegen. Ich mache Halt. Diese ansässigen, alten Bauern, sind mir sehr sympathisch. Ich schätze ihre Treue zur Scholle, ihre Mühen,  und den Fleiß, die Felder und den Wald zu hegen und zu pflegen, obwohl es dem »Ende« zugeht. Bauern, die emsig wirken, und wie die Meisen heute auf unserer Kiefer vor dem Fenster, munter hin und her fliegen, obwohl sie nicht wissen, wann der kalte Winter kommt. Wir begrüßen uns freundlich, plaudern ein wenig. Auch die geschäftigen Alten nehmen sich dafür Zeit, einfach so. Ich erzähle von meinen Verwandten, die es ähnlich gemacht haben und bin mir nicht mehr ganz sicher, wem mein Herz mehr gewogen ist, diesem Ehepaar, das ich seit Jahren kenne, oder meinen Verwandten, die ich in Ehren halte. Sei´s drum, dann mag ich eben Beide. Doch da unterlief mir möglicherweise ein Fehler: Ich fragte, warum sie sich in ihrem hohen Alter, diese Last schwerer körperlicher Arbeit zumuten würden? Sie hätten es doch verdient, es bei ihrer angeschlagenen Gesundheit, ruhiger angehen zu lassen. Da schaute mich die Bäuerin, die auch ihren kranken Mann noch zu pflegen hatte, wie verständnislos an. Es könnte sein, dass sie Tränen in den Augen hatte, als sie antwortete: » Das machen wir einfach so! «  Ich hatte nicht bedacht, wie sehr diesen Menschen ihre Scholle und die Pflege ihres Waldes an´s Herz gewachsen war. Respektvoll und etwas verlegen, löste ich mich daher aus dem Gespräch. Vielleicht haben diese fleißigen  Bauern mehr vom wirklichen Leben verstanden, als so manche »großartigen Leute«. Ich bin aber glücklich, mit ihnen befreundet zu sein, und freue mich darauf, wenn uns die Bäuerin wieder einmal ein großes selbst gebackenes Brot schenkt.

Ältere Frauen und Männer gehen nicht nur  langsamer, sie bleiben ab und zu auch aus den verschiedensten Gründen einmal stehen. So ging es auch mir. Ich halte an und stehe unversehens vor einem Baum, einer stämmigen, hoch gewachsenen Buche. Offensichtlich hat sie schon lange schweigend an diesem Platz unter vielen anderen Bäumen gestanden, und darauf gewartet, gesehen und bemerkt zu werden. Sie hatte mit den Jahren bis weit ins Geäst hinauf, an der Wetterseite Moos angesetzt. Nun richtete sie sich in ihrer vollen Würde vor mir auf. Als ich staunend an ihr empor blickte, erschien sie mir wie ein prächtiger, gotischer Dom, dessen Vielfalt einfach nicht zu fassen ist. Nun neigte sich mir die Buche im Wind freundlich zu. Sie schien, wie ich, mit sich zufrieden. Wir waren ja gerade dabei, in stiller, schweigender Betrachtung, mit einander Freundschaft zu schließen. Ob sie verstehen kann, dass wir uns schweigend so nahe gekommen sind, dass ich sie nie mehr vergessen werde? Sie gehört von nun an mit zu all den vielen, wertvollen Geschenken meines Lebens. Ganz sicher erkenne ich sie bei meinen nächsten Wanderungen um Oppenweiler herum wieder. Dann wird Halt gemacht. Ich bin  neugierig, was sie mir dann erzählt. Wenn Ihr sie sehen wollt, es gibt sie wirklich, ich zeig sie Euch gern. Vielleicht würde sie sich auch über eine Begegnung mit Euch freuen.

Eine Wegstrecke weiter blicke ich mich überrascht um. Ein Wunder?  Ist es doch einem Strauch gelungen, meine ganze Aufmerksamkeit zu fesseln. Das muss ich Euch erzählen:  Es war ein Strauch in bunten Herbstfarben mit reichlich Blattwerk. Fragt mich aber bitte nicht, zu welcher Sorte Sträucher er zählt. Diese Frage könnte ich Euch nicht beantworten, weil sie mir gar nicht wichtig erscheint. Er war unter den vielen anderen Sträuchern an diesem Tag mein ganz besonderer. Seine Blätter waren nämlich geschmückt mit unzähligen Tautropfen, die wie Perlen im Sonnenlicht glänzten. Offensichtlich kein gewöhnlicher, sondern ein kostbarer Strauch. Nun bin ich auf Überraschungen eingestellt: Ich wandere ein Stück weiter des Weges, gerate ins Staunen und bleibe unwillkürlich stehen. Stellt Euch die untergehende, goldene Herbstsonne vor, mit ihrem milden, weichen, und doch kräftigen Licht. Ihr ging ich entgegen. Meine Großmutter nannte sie einfach »die Alte«. Hat sie doch wahrlich viele Jahre auf dem Buckel, geht morgens auf, zieht ihre Bahn, bringt uns den neuen Tag, wärmt, lockt Leben heraus, um sich abends schlafen zu legen. Meine Großmutter  hat immer sehr respektvoll von der lieben Sonne geredet. Nun just, in diesem Augenblick, schenkt sie mir etwas ganz Besonderes: Sie blinzelt mir verstohlen durch die Blätter einer Buche zu. Das verwirrte mich ein wenig, denn ich kann nicht mehr genau unterscheiden, ob die Sonne, schwabbert oder ob die Blätter der Buche, die sich leicht im Winde drehen, diesen Eindruck hervorrufen. Würdet Ihr mir raten, ein so kostbares Erlebnis zu vergessen? Selbst wenn ich wollte, es ginge nicht. Solche Erfahrungen lassen sich nicht einfach wegwischen. Aber warum sollte ich diesen glücklichen Augenblick vorzeitig zu Grabe tragen.

Es gab auf meiner Wanderung noch weitere schöne Geschenke: Wie ein Lausbub, genoss ich es, mit einem frohen Lied auf den Lippen durch das Herbstlaub zu kicken, und das Rascheln der trockenen Blätter bei jedem Schritt zu genießen. Mit offenen Augen und Sinnen blieb ich weiter im Austausch mit der mich umgebenden Natur. Wie so oft schon, betrachtete ich die Reichenberg, unsere Hausburg, die ich auf meinem Weg immer wieder umkreise. Auf wunderliche Weise schien sie mir heute plötzlich verwandelt. Sie hatte im diesigen Licht der Abendsonne besonderen Schmuck angelegt: Die ganze Burg  war eingehüllt in ein moosgrün-goldenes Gewand. Diese Erscheinung, faszinierte mich so, dass es für mich völlig unwichtig wurde, zu klären, welche Naturgesetze diesen Zauber hervorgerufen haben könnten.  Einige Schritte weiter, hatte die Reichenberg ihr Gewand gewechselt und schien nun wie in einen kostbaren goldroten Mantel gekleidet. Nie zuvor hatte ich die Burg in einem solchen Licht gesehen. Sie kann sich offensichtlich wie ein Chamäleon verwandeln. Als ich dann in die Ebene hinab stieg, und die Reichenberg wieder meine Aufmerksamkeit beanspruchte, war ich ein wenig enttäuscht. Sie hatte all ihre Farbenpracht abgelegt. und stand wie seit alten Zeiten. Oppenweiler als Wächter. und den Wanderern als Begleiter. zu Diensten. Aber nun weiß ich, wie schön sie bei anderem Licht besehen, wirklich sein kann. Auch nicht schlecht, dachte ich.

 

 

 

 

 

Über die Wahrheit

Vom Heiligen Thomas stammt der Wahrheitsbegriff: „ veritas est adaequatio intellectus ad rem“ – Wahrheit ist Anpassung der  Erkenntnis an die Sache. Manchmal braucht es seine Zeit, bis sich der Kern einer solchen theologischen Aussage wieder so aus dem verdunkelnden Meinungsstreit heraus schält, dass er sich dem wachen Bewusstsein der Gläubigen neu zu erschließen vermag. So ging es auch mir. Längere Zeit legte auch ich, dem modernen Verständnis folgend, die philosophisch und theologisch begründete Aussage des Heiligen Thomas, dass „Wahrheit  eine Anpassung des Erkennens an die Sache“ sei, als überflüssig zur Seite. Die alte Pilatusfrage aber, „was ist Wahrheit“ behauptete sich hartnäckig und ließ sich nicht so leicht entsorgen. Sie tauchte aus der Dunkelheit der Verdrängung immer wieder auf.

Seit meiner Pensionierung vor Jahren und dem dadurch gewonnenen Freiraum, bin ich Erfahrungen auf der Spur, die mir zunehmend gestatten, mein eigenes Fühlen, Denken und Urteilen zu gebrauchen, um der drängenden Suche nach Wahrheit, Weg und Leben folgend, auch philosophisch-theologische Aussagen auf ihre Tauglichkeit für uns heute zu prüfen. Dadurch kam es zu einer Veränderung meines Verhaltens und der Einstellungen zur Welt im Ganzen, die mich immer mehr ins Staunen versetzte. Ich erlebte mich in diesem Prozess  zunehmend wie ein Geführter, der sich einer notwendigen Aufgabe nicht mehr entziehen durfte. Die Realität von Gut und Böse, Krieg und Frieden, Schuld und Sühne, Leben und Tod, die Sorge um die ökologischen, kulturellen und religiösen Daseinbedingungen der Menschen, verlangten meine Antwort.  Der entscheidenden Frage, warum es mich und alles Seiende gibt und der Erkenntnis, dass es in mir eine empirisch nicht zu erklärende Liebe zur Einheit und Vielfalt aller Phänomene im Mikro- und Makrokosmos gibt, konnte ich nicht mehr ausweichen.

Diese Frage führte mich wieder in die Nähe der Erkenntnis des Heiligen Thomas, der die Meinung vertrat, dass Wahrheit sich in einem Prozess der Anpassung von Erkenntnis an die Sache, an das schon Da-Seinde ereignet. Es mag unseren Hochmut, selbst alles machen zu können zwar kränken, kann uns aber auch entlasten, wenn die widerständigen Dinge sich letztlich unserem erkennenden Zugriff in gewisser Weise entziehen. Wir erschaffen sie ja nicht auch wenn wir durchaus in der Lage sind, bereits Vorhandenes umzugestalten. Dem liebenden Blick gläubiger Erkenntnis erschließt sich aber darüber hinaus in allen Dingen eine ihnen eignende Überfülle, die auf einen  Schöpfer verweist. Nun wurde mir immer klarer, warum ich mein und aller Leben, die Einheit und Vielfalt, Gott und die Welt unbedingt liebe. Ich bemerkte in der Folge, wie sehr diese Erkenntnis mit meinen innersten Bedürfnissen übereinstimmte und mich zu einem lebendigeren Bezug zu Menschen und Dingen führte. Pascal verweist in ähnlichem Zusammenhang sinngemäß darauf, dass unser Herz, die personale Mitte unserer selbst, seine eigenen Gründe hat. Vernunft Glauben und Liebe müssen daher keine unversöhnlichen Gegensätze sein. Sie können als treibende und steuernde Kraft der in uns wirkenden und gestaltenden Gottebenbildlichkeit verstanden werden. Wohl den Menschen, die in Frieden mit sich, der Welt und allen Geschaffenen im Hause Gottes wohnen dürfen.

Mein Staunen über all diese Dinge führte mich erneut zu den erhellenden Worten des Heiligen Thomas „veritas est adaequatio intellectus ad rem“. Ich erkannte aber nun die zeitlos wahre Botschaft die sie enthalten. Ebenso klar wurde mir, dass wir die Dinge in ihrer Eigenart und Überfülle nur erkennen und lieben können, weil Gott der die Liebe ist, mit uns und durch uns  liebt. Welch ein großes Wunder. Wer es fassen kann, der fasse es! Wie ein Paukenschlag zur Eröffnung der Symphonie des Himmels berührt uns die Nähe Gottes, Seine Gegenwart, „die Fleischwerdung des Wortes“ in all Seinen Werken. Die ewige Wahrheit, die wir suchen, ist eben auch in den einfachsten Dingen der Welt verborgen. Glücklich der Mensch, dem diese Handschrift Gottes aufgeht.

Gleichzeitig trat aber auch eine andere Erfahrung aus der Dunkelheit menschlicher Not, Angst und Zweifelns ins tröstliche Licht. Etwas noch viel Erhabeneres, nämlich die erschütternde Begegnung mit Gottselbst, dem DREIFALTIGEN, dem BARMHERZIGEN dem DEUS SEMPER MAIOR, dem immer GRÖSSEREN, der durch nichts zu beseitigen ist, dem VATER, der uns in Seinen offenen Armen bergen will. Alles in uns drängt nach IHM, das ist auch Teil der Wahrheit unseres Lebens. Es gibt demnach auch eine Annäherung menschlichen Erkennens an den Gott in uns, um uns und über uns, eine „adaequatio hominis ad deum“. Im Menschensohn, im wehrlosen Kind in der Krippe, wirbt ER, der Herr, um unsere Liebe. Die in uns allezeit begleitende Sehnsucht nach Glück und Frieden soll sich immer wieder neu erfüllen. Der Aussage des Heiligen Thomas füge ich daher beglückt hinzu: “veritas est adaequatio intellectus et sensus ad deum“. Die Wahrheit ist Anpassung des Erkennens und Fühlens an Gottes Gegenwart.

Herr, von dem alles Gute kommt, verwandle das was wir sind und haben in eine Gabe. Lasse DU, dem wir immer schon gehören, nicht zu, dass wir Dich je verfehlen. Deine Worte mögen so in uns Fleisch werden, dass wir Menschen nicht all zu sehr erschrecken, wenn wir miteinander darüber reden.

Geborgen in der Kirche

 

Chronos

Geweiteten Raumes Geheimnis
im wogenden Klang der Gezeiten
Worte wirbeln im Kreise
Schatten brechen im Licht

Gemessenen Schrittes bewegen
sich Winter und Frühling im Tanz
zerrinnender Stunden Geleite
in säumender Dämmerung verglüht

Wärmender Sonnen Geschmeide
in strahlendem Glanz der Natur
Löwe und Kitz sich vereinen
wie spielende Kinder im Sand

Nährendem Schoß sich entwindet
Geschlechter zeitliche Spur
Ähren treiben zur Ernte
im wiegenden Schnitt des Korns

Trauer und Glück in der Schale
verklingen im Glockengeläut
ein Herz webt sein friedvolles Amen
in Chronos ehernes Kleid

Das Königreich Gottes

 

 

WP to LinkedIn Auto Publish Powered By : XYZScripts.com
Social media & sharing icons powered by UltimatelySocial