Mitten im Leben sind wir im Tod

Hier folgt eine Betrachtung über Leben und Tod

Ich möchte Sie heute einladen, mit mir die Endlichkeit des Daseins, als ein Sterben in der Zeit, und ein auf Zukunft offenes Leben zu bedenken. Es geht in unserem Thema, um Leben und Tod, aber um ein christliches Leben und Sterben in Hoffnung.

Wie so oft, bekam ich zur rechten Zeit ein Buch in die Hände. Von Andreas Kruse erschien in 2. Auflage, eine Arbeit mit dem Titel, „Die Grenzgänge des Johann Sebastian Bach“. Der Autor zeigt am Leben und Sterben Bachs, dass er trotz Beschwerden und Gebrechen, seine schöpferische Kraft bis ins hohe Alter bewahrte. Von Bedeutung für uns heute, ob jung oder alt, sind die zwei Ordnungen des Lebens und Sterbens, die Bach anerkannte und auf die wir nun näher eingehen:

Schon viele Generationen vor uns, hatten davon Kenntnis, und prägten den inhaltsschweren Satz: „Media in vita in morte sumus“; zu Deutsch: Mitten im Leben sind wir im Tod. Könnte unsere Betroffenheit beim Sterben und Tod, bis hin zum Verstummen, ausdrücken, dass es sich hierbei um ein Geschehen handelt, dass wir nicht im Griff haben, sondern das uns umgreift?

Der Psalmist sagt dazu, alles habe seine Zeit: Ohne gefragt zu sein, beginnt unser Dasein, und es endet, wenn wir es nicht stören, ebenso. Dazwischen liegen Tage und Nächte, und einige Jahre der Erfahrung von Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Uns obliegt es, wie Johann Sebastian Bach, beim Älterwerden die Ordnungen des Lebens und Sterbens zu bejahen, und uns in den Dienst des Lebens zu stellen. Wir wissen ja, auch wenn wir nicht darüber reden, dass jede Stunde, Minute oder Sekunde, die uns geschenkt wird, ein Vergehen verfügbarer Zeit ist. Ebenso so sicher ist: Alle Handlungsmöglichkeiten werden uns einmal genommen, ohne dass wir den Tag, die Stunde, oder Art und Weise unseres Todes kennen. Hoffen dürfen wir aber, dass andere Menschen, die dasselbe Schicksal mit uns teilen, noch nach uns da sind. Ihnen und den gemeinsamen Daseinsbedingungen gilt daher, Generationen übergreifend, unser Sorgen und Handeln. Es scheint demnach nicht nur, sondern es ist wirklich so, dass wir mitten im Leben von Geburt an, auf unseren endgültigen Tod hin, im Vergehen der Zeit sterben. Gilt aber auch der andere Satz: „Media in morte in vita sumus“; zu Deutsch: Mitten im Sterben leben wir?

Kein Mensch, der natürlichen Todes stirbt, kennt, wie wir sahen, den Tag oder die Stunde. So besehen, ist die uns geschenkte Zeit, immer auf Zukunft offen. Diese Offenheit, den Vorlauf an Zeit, über den wir verfügen, gilt es zu sehen und zu nutzen. Es scheint mir aber schwieriger, Ihnen, liebe Leser, zu erhellen, warum ich darauf bestehe, dass wir mitten im Sterben auch leben.

In einem Referat über das Älterwerden und den Ruhestand, verwies ich auf Anpassungsprozesse, Entfaltung der Ressourcen, stützende Beziehungen, und auf umgreifende Sinnbezüge (Philosophie, Kunst Religion) zur Bejahung der Endlichkeit. Von Johann Sebastian Bach wissen wir, dass er zur Ehre Gottes, trotz eines an Entbehrungen, Gebrechen und Konflikten reichen Lebens, seine musikalischen und kompositorischen Ressourcen, bis in die letzten Stunden vor seinem Tod, kreativ entfaltete. Auch in den von mir in den letzten Jahren vorgelegten Büchern, bestätigt sich die Erfahrung dass uns beim Älterwerden nicht nur die verfügbare Zeit schwindet, sondern dass unser Leben zugleich gestaltbar, auf Zukunft offen und kostbar ist.

Die Altersforschung zeigt uns nicht nur am Beispiel des Lebens von Johann Sebastian Bach, dass auch uns, trotz Gebrechen und Konflikten, ein inneres Wachstum und kreatives Wirken möglich ist. Der Apostel Paulus belehrt uns in analogem Kontext, wenn auch der äußere Mensch zerbreche, der innere Mensch wachse. Für uns Christen behält daher im Vergleich der beiden Ordnungen, das auf Zukunft offene, von Vertrauen, Hoffnung und Freude getragene Leben, ein Übergewicht:

Jedoch nicht nur im höheren, von beruflichen Pflichten befreiten Lebensalter, besteht die Möglichkeit, sich Zeit und Muße zu gönnen, um über das Wunder der Existenz, das geheimnisvolle Geschehen in uns, der Natur, Kultur und Geschichte der Menschen nachzudenken. Auch darüber zu staunen, dass Christen, wie Johann Sebastian Bach, und viele andere Menschen vor uns, trotz Gebrechen, Belastungen und Endlichkeit, nicht erstarrten. Für uns ist dies eine Ermunterung, im Sterben unserer verfügbaren Zeit, Tag für Tag, jede Stunde und Minute dankbar, die sich bietenden Gelegenheiten schöpferisch zu nutzen, um dem Leben zu dienen. Das Älterwerden über den Ruhestand hinaus, bietet uns Christen, die wir inmitten des zeitlichen Vergehens einem endgültigen Ziel entgegen streben, reichliche Chancen, auch eigene Ressourcen zu entdecken, zu entfalten, und als unseren Teil, in ein geordnetes Ganzes einzubringen.

Mit zunehmendem Alter sind wir aber gefordert, wie Johann Sebastian Bach unsere Daseinsbedingungen zu bejahen, und in einem festen Grund- Natur- Selbst- und Gottvertrauen, auf ein Fortbestehen von Menschheit, Natur und Kosmos, zu vertrauen. Liegt es da nicht nahe, auch auf eine letzte Vollendung alles Geschaffenen zu hoffen, und uns der frohen Botschaft auf Erlösung und ewiges Leben zu öffnen? Möge uns die Gnade zuteilwerden, uns vor unserem Herrgott, zu verneigen, dem wir alle bewussten und unbewussten guten Gaben unseres Lebens verdanken. Wenn wir aber als Menschen schon unsere Würde nur durch Akzeptanz unserer zukunftsoffenen Existenz wahren können, um wie viel mehr, ist uns ein Vertrauen in die Zusage des Gottessohnes Jesus Christus zu wünschen, der uns im Heiligen Geist, in Glaube Hoffnung und Liebe, in eine sichere, glückliche Zukunft führen kann. Der Grenzgänger Johann Sebastian Bach gibt in seiner wunderbaren Kantate „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit – Actus tragicus“, dem Sterben und Jubel der erlösten Menschen, bleibenden Ausdruck.

Bleiben Sie im Segen

Ihr

Franz Schwald aus Oppenweiler

 

 

 

 

 

Der Birnbaum

Kein Laut ist zu vernehmen an diesem Morgen. Mensch und Natur gönnen sich eine Auszeit. Nichts stört das Schweigen. Die Stille erfasst auch mich. Durch die kahlen Bäume sind deutlich die verschlafenen Nachbarhäuser zu sehen. Es fehlt jede Spur eines Windhauches Tief am Horizont, hinter Wolkenbänken versteckt, lässt die neblig leuchtende Sonne die Konturen entlaubter Bäume kräftig hervortreten. Ihr schräges Licht fällt in unser Wohnzimmer, zaubert edlen Glanz auf die silberne Teekanne und belebt ab und zu im Spiel mit dem Schatten unsere Wohnung.

Wie im Rahmen eines Bildes, richtet sich vor mir, beim Blick durch das Fenster, majestätisch der hohe, ausladende Birnbaum auf. Er steht an der Grenze unseres Grundstückes zur Klinge hin, die uns immer frische Luft zufächert. Nur die Birke mit ihrem weiß-grauen, schartigen Stamm, ist annähernd gleich hoch. Die schlanken Fichten zu ihrer Seite lassen lediglich an den überreifen krummen Zapfen die Jahreszeit erkennen. Sie legen keinen großen Wert auf Veränderung und halten jahrein, jahraus, an ihren dunkel- und hellgrünen stacheligen Zweigen fest. Zu Füßen des Birnbaums reihen sich, der Grenze entlang, wie Kinder im Reigen unsere Büsche.

Im Gegenlicht, tritt die Schönheit unseres Birnbaums besonders deutlich hervor. Fest verwurzelt, Wind und Wetter trotzend, teilt sich der kräftige Stamm in formenreichem, bizarren Spiel, bis ins zarte äußerste Geäst. Wie eine Skulptur in ihrer nackten Schönheit, steht er entblättert vor meinen Augen. Staunend frage ich mich, welcher Künstler dieses vielgestaltige Astwerk auch nur annähernd darstellen könnte. Nun ist mehr als deutlich zu erkennen, dass er schon lange, wer weiß wie lange, seinen Platz behauptet, denn eine grüngraue Moosschicht bedeckt an der Wetterseite den kräftigen Stamm und die stabilen Äste bis hinauf in den Wipfel. Erhaben, stolz, steht er in seiner stillen Würde auf dem ihm eigenen Boden.

Nur ab und zu bekommt der Birnbaum Besuch von einer Elster und einem Sperling. Dann zittern die  Zweige aufgeregt bei der Landung, und winken den Freunden beim Abflug leise nach. Wenn ich unseren Nachbarn in einer gedachten Linie umgrenze, ist unschwer zu erkennen, dass er ein wahrer Birn- und kein Apfelbaum ist. Wer wollte ihm diesen Anspruch auch streitig machen?

Er war vor uns da. Seit einiger Zeit dürfen wir uns an seinem übers Jahr wechselnden Liebreiz erfreuen: Im Frühling hüllt er sich in ein weißes Blütenmeer, im Sommer spendet er Schatten, im Herbst einen unerschöpflichen Reichtum an Früchten. Danach zeigt er uns seine markante Statur.

Er wird den Herbstwinden trotzen, diesen Winter überstehen und uns in unterschiedlicher Gestalt auch im nächsten Jahr an die Beständigkeit in aller Veränderung erinnern. Vielleicht freut sich unser stummer Freund ein wenig darüber, wenn wir ihn nicht übersehen und davon erzählen, wie reich er uns beschenkt. Wir dürfen mit seiner Verschwiegenheit rechnen. Er wird alle Worte in seinem „Herzen“ bewahren und hoffentlich auch die Menschen erfreuen, die nach uns kommen.

 

 

 

 

 

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