Reisefieber

Zum Wochenende planten wir eine Reise nach Münster in Westfalen. Nur noch vier Tage und fünf Mal Schlafen, dann würden wir unser Auto packen und Oppenweiler für eine Woche hinter uns lassen.  Erwartungsfroh flogen die Gedanken hin, zu der Stadt und den Menschen, die uns über zehn ereignisreiche Jahre Arbeit und ein zu Hause boten.

Es war noch früh am Tage, als mich das Reisefieber aus den Federn lockte. Die Leuchten an meinem Arbeitsplatz spendeten ein warmes Licht und meine Finger flogen über die Tasten des Rechners. Sie waren kaum zu bremsen. In Gedanken stand mir der lange Weg unserer Reise vor Augen. Über die Autobahn fuhren wir Richtung Heilbronn, an Frankfurt vorbei, in lang gezogenen Kurven durch das Sauerland. Diese Route war uns von vielen Fahrten vertraut. Bei den ersten Reisen mit meiner Frau, benutzten wir unseren alten VW-Käfer, in dem unsere älteste Tochter im hinteren Teil des Wagens selig geborgen, alle Ereignisse verschlief. Später waren wir im Audi-Avant unterwegs, denn wir passten mit drei Kindern, und dem entsprechenden Gepäck, nicht mehr in einen VW-Käfer.

Es dauerte auf dieser Fantasiereise nicht lange, und wir bekamen nach Dortmund, die vertraute Ebene des Münsterlandes, mit den vom Wind bewegten Bäumen und Büschen, den behäbigen Bauernhöfen und Gasthäusern in den Blick. Das Wasser lief mir im Munde zusammen beim Gedanken, an den dünn- geschnittenen westfälischen Schinken und ein frisches Bier. Oft wurden uns diese Köstlichkeiten in gemütlichen Wirtsstuben der Umgebung Münsters an Plätzen vor dem offenen Kamin serviert.

Obwohl wir in Gedanken, als Rentner ohne unsere Töchter unterwegs waren, war unser Audi-Avant mit Utensilien prall gefüllt. Nach kurzer Fantasiereise in die Vergangenheit, tauchte Münster im Dunst eines Spätsommertages, mit den Türmen des Doms, der Lamberti- und Überwasserkirche, vor den inneren Augen auf. Wir freuten uns auf die Begegnungen, in der uns zur zweiten Heimat gewordenen Stadt, und auf den Besuch bei unseren Verwandten, mit einer ausgedehnten Plauderstunde bei Tisch. Sicher versäumten wir es nicht, am Landeskrankenhaus vorbei zu unserer ehemaligen Wohnung mit dem Garten und dem nahe gelegenen Wäldchen zu spazieren, in dem unsere Älteste einst mit den Nachbarkindern herumtollte. Wir würden bei Karl und Brigitte, unseren Freunden, neue Erlebnisse und Erinnerungen austausche, und freuten uns darauf, deren Enkel wieder einmal zu sehen; Wie mochten sie sich seit unserem letzten Besuch entwickelt haben?

Die Vorfreude bei den Gedanken, wieder einmal durchs Kreuzviertel zu schlendern, war deutlich zu spüren. Dort hatte ich in der Schulstraße einst meine künftige Frau besucht, als wir in Münster studierten. In der Nähe befand sich die vertraute Hedwigstraße mit dem Haus, in dem wir nach unserer Hochzeit, unsere erste gemeinsame Wohnung einrichteten. Die Mutter Birken, ein stets mit Studenten gefülltes Lokal, in dem man am Tresen leicht mit anderen Menschen ins Gespräch kam, würde uns wieder zu einem Glas Bier einladen.

Auf unserem Weg in die Stadt kämen wir auch am Budden Turm, dem ehemaligen Psychologischen Institut, dem Priesterseminar und der Überwasserkirche vorbei, wenn wir über die gepflasterte Straße zum Dom und zur Innenstadt spazierten. Ich hörte ihn wieder, den tiefen Ton der Glocken, die zu den Gottesdiensten einluden und konnte vor den inneren Augen die vielen Stände des am Wochenende belebten Marktes sehen. Wie früher glitten die Blicke begehrlich über das reiche Angebot an Blumen, Obst, Gemüsen, Käsen und Würsten. Wir würden am Wochenende wieder einmal den Prinzipalmarkt mit der Lambertus Kirche, den stolzen Patrizierhäusern und am Rathaus vorbei, unter den Kaskaden, die reichen Angebote der Geschäfte bewundernd, und die Straße hinauf und hinunter schlendern. Hier befand ich mich einst oft auch in der Herderschen Buchhandlung, um die Neuerscheinungen in Literatur, Theologie und Philosophie zu sehen. Vielleicht würde die Zeit sogar noch reichen, um wenigstens einmal im „Pinkus“ an einem der rohen Tische, die nach Studentenleben rochen, Grünkohl mit Würsten und Kartoffeln zu essen. Bei schönem Wetter setzten wir uns dann vor den Stuhlmacher, ließen uns ein frisches Pils zapfen, und bewunderten in aller Ruhe die vorbeiziehenden Damen mit ihren gefüllten Einkaufstaschen und die ewig hübschen Studentinnen. Vielleicht kämen wir dabei auch mit einigen Münsteranern über die Vorzüge dieser Stadt ins Gespräch, in der wir uns wieder rundherum zu Hause fühlten.

Es könnte uns auf dieser Fantasiereise sehr verlocken, den kulturellen Angeboten Münsters, dem Theater, dem Landesmuseum, der Universität, dem Aasee mit dem Mühlenhof und dem Zoo, unsere  Referenz zu erweisen. Mir all dies aber noch ausführlicher vorzustellen, würde meine Nachtruhe weiter stören, denn inzwischen war es vier Uhr morgens geworden.

Ich konnte ja nun, da in meiner Vorfreude alles Wesentliche bedacht und beschrieben war, ruhig meinen Schreibtisch wieder verlassen. Es war aber fraglich, ob mich das Reisefieber wieder einschlafen ließ? Einstweilen grüßte ich Münster, die schöne Stadt, und all die Menschen dort, in der Erwartung, sie bald wieder zu sehen. Mit den Gedanken, was sich seit unserem letzten Besuch in Münster wohl alles verändert haben könnte, fiel ich wieder in einen gesunden Schlaf?

Erinnerungen

 

 

 

 

 

 

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