Die Geburt

Sie atmet kurz, Schweißperlen stehen auf ihrer Stirn; ihre langen, blonden Haare, säumen klebrig-feucht, den Kopf. Im hageren, von Anstrengungen gezeichneten Gesicht, beginnen sich die Falten ein wenig zu glätten. Der zuvor schmerzliche Ausdruck weicht, als hätte die junge Mutter, es geschafft, eine schwere Aufgabe überstanden. Der weiße Bettbezug, lässt ihr bleiches Gesicht aber noch fahl erscheinen. Erschöpft, fallen ihr im Sekundenschlaf die Augenlieder immer wieder zu. Es scheint, als benötige sie Ruhe, Zeit, viel Zeit, um sich zu erholen und zu begreifen, was geschehen ist. Ihr gesundes Baby wird mit anderen Neugeborenen zusammen in einem besonderen Kontrollraum überwacht. Bald wird ihr die Schwester das Kind in die Arme legen. Nach langer Zeit des Wartens, kann sie zum ersten Mal ihren Sohn sehen.  Ein junger Mann, eilig unterwegs, stolpert durch die Drehtüre des Krankenhauses, -beinahe wäre er gestürzt -. Er hält sorgsam einen Strauß bunter Blumen in Händen. Die Sekretärin in der Rezeption, sitzt vor ihrem Bildschirm und gibt mit schlanken, flinken Fingern Daten ein, als ob sie ihn nicht bemerke. Nach einiger Zeit wendet sie sich wie abwesend, routiniert, dem jungen Mann zu. Ihre Stimme ähnelte einer Fahrplanansagerin, als sie sich erkundigt, was er wünsche? Hatte er in seiner freudigen Erwartung, zunächst Sympathie für die hübsche Frau hinter der Glasscheibe empfunden, so signalisiert ihm diese emotionslose Stimme nun: Abstand! Für einen Moment schlägt seine Stimmung um: Ärger lässt ihn steif werden und ebenso kühl reagieren, und sein Anliegen, technisch-distanziert, vortragen: »Wo finde ich die Gynäkologie, fragt er tonlos?» Wie aus einem Automaten tönt es ihm entgegen: »Zwei Treppen hoch, dann rechts und geradeaus. Sie können auch den Aufzug benutzen. In der Eingangshalle finden sie einen Stationsplan«. Entgegen seiner Gewohnheit entfernt er sich wortlos und steigt, immer noch verstimmt, die Treppen nach oben.

In der Mitte eines langen Flures findet er das Stationszimmer des Pflegepersonals. Eine freundliche Schwester erklärte ihm, dass seine Frau in einem ruhigen, dem Garten zu gelegen Einzelzimmer liege. Man habe ihr das Baby zum Stillen gebracht. Er könne sie aber getrost besuchen. Die Geburt sei normal verlaufen, Mutter und Kind seien wohlauf. Eine wichtige Nachricht! Wollte er doch unbedingt bei der Geburt dabei sein. Nach Einsetzen der Wehen hatte er seine Frau besorgt ins Krankenhaus gefahren, sich aber auf Rat der Ärzte wieder nach Hause begeben. Nun erhielt er verspätet die Nachricht, dass sein Frau ein gesundes Kind, einen Sohn geboren habe. In freudiger Erregung lässt der junge Vater alles stehen und liegen und fährt, verkehrswidrig schnell ins Krankenhaus, um seinen Sohn zu sehen und seiner Frau nach der Geburt des ersten Kindes beizustehen. Lange hatte er mit ihr das werdende Leben begleitet, gebetet, und die Geburt eines gesunden Kindes sehnlich erwartet. Manchmal nahm sie seine Hand und legte sie auf ihren Leib, damit er fühlen konnte, wie kräftig sich ihr Kind bewege. Nun war er, sprachlos vor Glück, in der Erwartung, in wenigen Minuten seinen Sohn mit eigenen Augen sehen zu können. Er klopft an die Türe. Eine müde Stimme antwortet: »Ja, bitte! « Dann tritt er ein. In dem vom Sonnenlicht durchfluteten Zimmer lächelt ihm seine Frau entgegen. Sie wirkt noch sehr müde und deutet auf ein inWindeln gepacktes kleines Bündel Leben. Nur der Kopf mit einer Andeutung von Haaren, das faltige Gesicht und die Hände mit den winzigen Fingern, sind frei. Die Augen des Babys sind nach dem anstrengenden Stillen geschlossen. Das ist er, »unser Sohn« flüstert sie, um das Kind nicht zu wecken. Er tritt näher. Zum ersten Mal begegnen sich Vater und Sohn.

Nach einigen erfüllten Minuten des Schweigens, findet der Vater seine Sprache wieder und es bricht aus ihm heraus: So habe er sich den »kleinen Mann« vorgestellt, genau so! Und zu seiner Frau gewandt: »Wie ist das möglich, unseren Sohn schon zu kennen, bevor ich ihn sehen konnte? «Sie lächelt still und glücklich, als er etwas verlegen ans Bett herantritt und sie liebevoll küsst. In diesem Moment verzieht das Baby das Gesicht ein wenig. Und er äußert im Brustton der Überzeugung, dass sein Sohn schon zu wichtigen Lebensäußerungen fähig wäre: »Er lächelt ja schon ein wenig! «Die Mutter entgegnet weise: So ist das Leben, so sind die Männer!« Die Eltern können es nicht lassen, immer wieder ihr Kind und sich glücklich anzuschauen. Das lange Warten ist vorbei. Wie Blinde, die lange nicht sehen konnten, denen nun das Augenlicht wieder geschenkt wurde, so möchten sie ihr Glück, ihr Kind gesund sehen zu können, anderen Menschen mitteilen. Allen sagen, wie schön ihr Sohn wie hell das Zimmer und wie kostbar diese Stunde ist. Zu Hause ist alles bestens vorbereitet: Eine Wiege und ein Wickeltisch in freundlichen Farben, stehen in einem ruhigen Kinderzimmer bereit. Die wenigen Habseligkeiten, die ein Kind in den ersten Lebenswochen benötigt, sind ausreichend vorhanden. Ein »musikalischer Mond« hängt von der Decke und eine Kinderrassel wartete darauf, kräftig gerüttelt und geschüttelt zu werden. Oft geht der werdende Vater ins Kinderzimmer. Schaut sich um, ob alles Nötige vorhanden ist und versucht sich vorzustellen, wie es sein würde, wenn seine Frau und das Kind schon da wären. Der junge Vater kann es in aufkeimender Verantwortung für seine eigene Familie nicht lassen, seiner Frau zu erzählen, wie er zu Hause alles nur Erdenkliche vorbereitet habe, damit es dem Kind und der Mutter wohl ergehe. Die Freude, nun eine Familie zu sein und mit ihrem Sohn zu Hause erwartet zu werden, leuchtet der Mutter aus den Augen. Sie strahlt über das ganze Gesicht, als sie dem jungen Vater den Sohn zum ersten Mal in die Arme legt. Der junge Mann, nun Vater, verabschiedet sich zärtlich von seiner Familie, denn er kann sich sicher sein, dass das Warten bald ein Ende hat und Frau und Kind nach Hause kommen. Gemessenen Schrittes, mit hoch erhobenem Kopf, damit alle Menschen seine Freude und den Stolz, Vater zu sein, erkennen könnten, verlässt er das Krankenhaus. Sogar die Dame in der Rezeption bemerkt an seinem freundlichen Gruß, dass dieser Mann »auf Wolke – Sieben « schweben müsse.

Heute ist der Tag, an dem er seine Lieben aus dem Krankenhaus abholen darf. Er passiert gehobener Stimmung den Eingangsbereich. Die Sekretärin lächelt verbindlich. Er grüßt freundlich zurück mit der Bemerkung, er kenne sich aus. Sehr pünktlich, bereits Minuten vor der vereinbarten Zeit, betritt er mit seiner neuen Tragetasche das Zimmer seiner Frau. Sie erwartet ihn bereits »ausgehfertig« und packt das Kind sorgfältig in die Tasche. Er lässt von da an, wie ein »Wachhund« seinen Sohn nicht mehr aus den Augen. Ihm erscheint es auch fraglos selbstverständlich, dass es nur er die Tasche mit dem Sohn tragen könne.  Der ganze Mann spiegelte das Glück und den Stolz, Vater zu sein. Ihr Sohn, ein liebes- und hilfsbedürftiges kleines Menschenkind, war von da ab der unbestrittene Mittelpunkt der jungen Familie. Mit seiner kräftigen Stimme ist er bis zum heutigen Tag in der Lage, all das einzufordern, was er zur Ernährung, Pflege und Gesellschaft braucht.

Maria mit dem Kinde lieb uns allen Deinen Segen gib.

 

 

 

 

 

 

Franz Schwald
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