Ein Wochenende

Ja, es gibt sie noch, unsere „Ehrenamtlichen“, die sich auf je eigene Art dem Leben unverdrossen zur Verfügung stellen. Sie verdienen es, dass wir ihr Handeln bemerken und anerkennen. Sind ihre stillen Dienste doch so nötig wie das Salz in der Suppe, um uns das Leben im Alltag etwas schmackhafter zu machen. Hierzu nur einige Beispiele: Berufstätige Eltern wissen es zu schätzen, wenn die Großeltern sie entlasten und sich liebevoll um ihre Enkel kümmern. Manchmal schreckt uns das „Tatü“ eines Martinshorns auf. Ein Zeichen dafür, dass einsatzbereite Feuerwehrleute und Rettungsdienstler Tag und Nacht unterwegs sind. Vermögen wir doch ihre wichtigen Aufgabe erst dann voll zu würdigen, wenn wir selbst in Not geraten. Mich brachte unlängst ein älterer Mann zum Nachdenken, der sich nicht scheute, ohne besonderen Auftrag, auf dem Gemeindegelände achtlos weg geworfene Abfälle einzusammeln. In ähnlicher Weise beeindrucken mich und meine Frau seit Jahren die Einladungen engagierter evangelischer Christen vor Ort zu Gesprächen über den Glauben im Rahmen einer Vortragsreihe, die sie in eigener Regie gestalten und finanzieren. Im Anschluss daran möchte ich von einigen Frauen und Männern erzählen, deren Freude an ihren selbst gewählten Aufgaben, uns ein schönes Wochenende bescherte.

Es ist Freitag. Wir haben uns entschlossen, am dritten Vortrag der „Kirche im Dialog“ in diesem Jahr teilzunehmen. Das Thema „Gebet – Reden zu oder mit Gott“ hatte uns sehr interessiert. Durften wir doch davon ausgehen, dass die Pfarrerin, Dozentin an einer Missionsschule, die Not der Beter kennt und ihre gesamten Erfahrungen einbringen würde, um darüber mit uns zu reden. Wir kommen auch aus formalen Gründen gern zu diesen Veranstaltungen, denn es ist zu erwarten, dass die der Arbeitswelt angehörenden Organisatoren sorgsam mit unserer Zeit umgehen. Der Vortrag beginnt wie üblich um 18.00 Uhr und wird auch heute pünktlich um 20.00 Uhr mit dem Abendsegen enden. So bleibt uns anschließend noch genügend Zeit, um den Tag nach persönlichen Interessen ausklingen zu lassen. Dieser festgelegte zeitliche Rahmen mag mit dazu beitragen, dass in der Regel an die siebzig bis hundert Personen an den Vorträgen teilnehmen.

Die Referentin gab authentisch und überzeugend zu bedenken, dass ein gelingender Spracherwerb sowohl für die gesunde Entwicklung des Menschen als auch zur Gestaltung seiner Beziehungen zu anderen Personen und zu Gott sehr bedeutsam sei. Ergebnisse der Forschung belegten, dass nur dann, wenn Menschen von Geburt an angesprochen würden, irreparable Störungen der Fähigkeit zum Dialog mit anderen Personen zu vermeiden sind. Die Referentin ging auch ausführlich auf Probleme beim Beten als einem Sprechen zu oder mit Gott ein. Sie betrachtete unterschiedliche Formen und Praktiken beim freien und gebundenen Gebet. Einen besonderen Akzent legte sie auf die kirchliche Tradition, des den Glauben stärkenden Psalmengebetes. Sie vermittelte diese gehaltvollen Texte und Melodien von bleibendem Wert, als einen lebendigen Ausdruck existenzieller Erfahrungen des Gottesvolkes bei seinem dialogischen Reden mit dem Schöpfer.

Ob die referierten Vorstellungen des Betens und Bittens zu Maria, dem katholischen Verständnis von Lob und Fürbitten bei ihrem Sohn im Heiligen Geist, und das betrachten zentraler Glaubensgeheimnisse beim Rosenkranzgebet, heute noch unter Christen als trennend erlebt werden muss, wage ich aber zu bezweifeln. Dass wir Christen auch beim freien Gebet mit oder zu Gott nie allein, sondern immer in einer geistlichen Beziehung zur Kirche, allen Menschen und der ganzen Schöpfung stehen, ist tröstlich. Diese Einheit mit allen Menschen und der Welt käme aber auch in gebundener Form, besonders beim Lob- und Preisgesang in unseren Gottesdiensten zum Ausdruck. Es wurde uns in dieser Veranstaltung Kirche im Dialog, wieder einmal nahe gebracht und gezeigt, auf welch vielfältige Weise uns der Heilige Geist beim Beten zur Einheit führt. Allen ehrenamtlich tätigen Menschen und den Veranstaltern von „Kirche im Dialog“ ist auch in Zukunft Ideenreichtum und eine glückliche Hand bei der Auswahl von Themen und Referenten zu wünschen. Der anregende Freitag-Abend sollte aber nur der Auftakt zu einem anderen Ereignis an diesem Wochenende sein:

Einer Einladung von Freunden folgend, fahren wir frohgemut mit der S-Bahn am Samstagmorgen in den Hauptbahnhof Stuttgart ein. Beim Verlassen des Abteils geraten wir wie von selbst in den Sog einer betriebsamen Menschenmenge, die uns Richtung Ausgang schiebt. Dort warten schon die Gastgeber und eine lebhafte, uns zunächst noch ein wenig fremde Reisegesellschaft. Ein liebevoll in Form einer Lokomotive gestalteter, leuchtend gelber Anhänger, wird uns als Erkennungszeichen an die Brust geheftet. Das darauf befestigte, winzige grüne Kleeblatt, weist uns als Freunde der Gastgeber aus. Die zur Familie zählenden Angehörigen sind an einem kleinen Marienkäfer, die munteren Freunde des Iglauer – Singkreises, an einem Violinschlüssel zu erkennen.

Eine Lokomotive aus vergangenen Tagen, steht bereits reiselustig, prustend und zischend, unter Dampf. Unser Sonderzug mit seinen Wagen erregt auch bei anderen Reisenden große Aufmerksamkeit. Der Lokführer und dessen Heizer, blitzsaubere junge Männer, winken ihren Fahrgästen bei unserer Ankunft lachend aus dem Fenster des Führerstandes zu. Ein umsichtiger Zugführer in passender Uniform mit Schirmmütze und Trillerpfeife, hat alles bestens unter Kontrolle. Was kann bei seinem ordnenden Blick noch schief gehen?

Wir nehmen in einem alten Wagen der ersten Klasse auf unseren weich gepolsterten, dunkelroten Sitzen platz. Während der Fahrt von einem Bistro wohl versorgt, schaukeln wir in geruhsamer Fahrt mit wenigen Unterbrechungen Richtung Haigerloch. Die sich in vollen sommerlichen Grüntönen darbietende Landschaft zieht wie bei einer Kutschfahrt an unseren Augen vorbei. Hatte doch an diesem Tag die liebe Sonne nach verregneten Wochen ein Einsehen und vergoldete nach Kräften den Festtag unseres Jubilars.Es herrscht blendende Laune an Bord: Manche Reisende hängen wie aufgeregte Kinder an den Fenstern, um ja nichts von der schönen Umgebung zu verpassen. Kameras klicken unentwegt. Die aus der Lokomotive reichlich ausgestoßenen Rauchschwaden erschrecken zwar manchmal die unbedachten Fahrgäste an den Fenstern, dringen aber uns allen wie wohlduftender „Weihrauch“ in die Nasen. Wir genießen unsere jungen Fahrgäste, die an der sichernden Hand ihrer Eltern mit strahlendem Lachen demonstrieren, wie sicher sie sich schon auf ihren kleinen Beinen beim Marsch durch das Abteil fühlen. Nur für wenige Augenblicke erinnert mich der Sonderzug auch an vergangene Zeiten: Wie viele Familien mit ihren Kindern mögen vor uns in diesem Zug gesessen haben? Kann sich die alte Lokomotive auch noch an die vielen Soldaten, Heimkehrer und Gastarbeiter erinnern, die sie einst zu ihren Zielen beförderte? Ein schriller Pfiff ertönt und reißt mich aus meinen Gedanken zurück in die Gegenwart. Erstaunlich viele unbeschränkte Bahnübergänge gibt es auf unserer Strecke und dadurch immer wieder Anlass, uns durch warnende Pfiffe zu erschrecken. Stößt doch die Lokomotive vor jeder gefährdeten Stelle mehrere Signale aus, als gehe es für uns um Leib und Leben.Nach einigen Stationen, sowie bei Aufenthalten wegen Überholungen und einem Fahrtrichtungswechsel, erreichen wir wohl behalten unser Reiseziel Haigerloch.

Während der größere Teil unserer Gesellschaft nach dem Aussteigen die über hundert Stufen zum Schlosshotel hinauf stiefelt, klärt mich eine Dame, die den Kleinbus des Hotels steuert, über die Folgen des jüngsten Hochwassers im Tal und die anderen Sehenswürdigkeiten Haigerlochs, unter ihnen, die heute als Museum zugängige, ehemalige Arbeitsstätte des Atomforschers Heisenberg, auf. Oben angekommen versammeln wir uns alle in der sehenswerten Schlosskirche. Die wenigen Arbeiter, die zur Restauration der Kirche auf den Gerüsten herumturnen, verhalten sich ruhig und stören nicht. Vor dem Chor stellen sich die Mitglieder des Iglauer-Singkreises auf. Wir genießen bei ausgezeichneter Akustik den Gesang, der wie ein berührendes Gebet zu Ehren Gottes in der „Baustelle – Kirche“ aufsteigt. Mich beeindruckt nicht nur das hohe Niveau sondern auch die Dynamik des Musizierens, die sich unter der einfühlsamen Leitung unmittelbar auf uns Hörer übertrug. Die den Singkreis belebenden, in vielen Jahren gewachsenen Beziehungen der Sänger unter einander, und die reichlichen, übers Jahr verteilten Proben, haben sich offensichtlich gelohnt und einen ansprechenden Klangkörper geformt. Die Begeisterung und Aufmerksamkeit beim Singen konnte man den vielen jüngeren und älteren Sängerinnen und Sängern von Mund und Gesicht ablesen.

Einem mit den Gastgebern befreundeten Pastor, gelang es bei seiner Ansprache in diesem Gotteshaus, die von Kindesbeinen an bestehende leidenschaftliche Liebe des Jubilars zur Eisenbahn, sogar mystisch zu erhöhen, indem er sie mit dem seinerzeitigen „Zug“ des Gottesvolkes unter dem Schutz des Herrn verglich. Diese, das Fest eröffnende, gemeinsame musikalische Besinnung in der Schloss-Kirche, verlieh dem ganzen Tag eine feierliche Note und eigene Würde. Das Schlosshotel selbst entsprach mit seinem geschulten Personal und der erlesenen Speisefolge allem, was ein exzellent geführtes Vier -Sterne – Lokal auszeichnen kann. Beim gesamten Verlauf des Festes, waren aber auch die ordnenden Hände unserer Gastgeber deutlich zu spüren. Wir nahmen so in Gruppen platz, dass es erwünschte Gespräche durchaus erleichterte. Tischreden hielten sich in noblen Grenzen. Ein gesungenes Gebet eröffnete die Mahlzeit. Der Gang zum Bueffet verlief sehr ruhig. Das reichliche Angebot an ausgezeichneten Speisen und Getränken, bis hin zum Dessert, vermochte selbst verwöhnte Gaumen zufrieden zu stellen. Ein Gruppenbild mit der aufgeregten Gesellschaft vor der dampfenden und prustenden, zur Rückreise bereiten Lokomotive, durfte nicht fehlen. Der Lokführer und sein Heizer lachten immer noch aus dem Führerstand, waren aber nun deutlich von ihrer Tätigkeit und den Rauchschwaden gezeichnet. Die Rückreise nach Stuttgart bot wieder reichlich Gelegenheit zu Gesprächen über Erlebnisse während des Tages und anderen Themen.

Bei dieser Gelegenheit konnten wir erfahren, dass die Instandhaltung der Lokomotive und der Wagen eine kostspielige Angelegenheit ist. Der Zugführer, Lokführer und der Heizer, seien zwar nach dem vorgeschriebenen Standard ausgebildet, aber derzeit keine beruflich tätigen Eisenbahner. Sie waschen sich einfach nach einer schönen Fahrt mit ihrer Lokomotive wieder, und der Zugführer packt seine Schirmmütze ein. Dann geht´s mit dem nächsten Zug nach Hause. Ist das nicht zum Wundern schön? Ein Gespräch mit einem älteren Herrn führte mich aber überraschend zu seinen und meinen schmerzlichen Erfahrungen als junge Soldaten in den Wirren des zu Ende gehenden letzten Krieges und der unter ähnlichen Schwierigkeiten verlaufenen Rückkehr nach Hause. Es gibt wohl nur noch wenige Menschen, die aus persönlichem Erleben zu den damaligen bedrückenden gesellschaftlichen Verhältnissen etwas sagen können. Aber auch dieses Gespräch und selbst das Missgeschick, dass eine Dame ihre Handtasche mit allen Papieren an einem Bahnhof stehen ließ, konnten unser Reisevergnügen insgesamt nicht all zu sehr beeinträchtigen, zumal ein Taxifahrer das vermisste Stück samt Inhalt wieder zurück brachte. Bleibt schlussendlich nur noch, unseren Gastgebern, dem Jubilar Peter, seiner Frau Susanne, deren Sohn und Tochter und den ehrenamtlich tätigen „Eisenbahnern“ für einen in jeder Hinsicht schönen Tag zu danken. Wie arm wären wir in unseren Tagen ohne die vielen ehrenamtlich wirkenden Menschen?

Geborgen in der Kirche
Geborgen im Glauben Hoffen und Lieben.
Franz Schwald
WP to LinkedIn Auto Publish Powered By : XYZScripts.com
Social media & sharing icons powered by UltimatelySocial