Stefan Zweig

Seit längerer Zeit begegne ich mit wachem Interesse dem literarischen Nachlass dieses sensiblen, sprachverliebten Schriftstellers, der mit einem weiten Herzen, dem Leben Schönheit und Grauen ablauscht, und in seinen Werken besingt. In einer kleinen Erzählung „Die Sorglosen“ ist seine Leidenschaft und Beobachtungsgabe fassbar mit der er die Sorglosigkeit eines teils der ewig Sorglosen, die sich im zweiten Jahr des entsetzlichen ersten Weltkrieges in St. Moritz vergnügten, und allem Leid gegenüber abschotteten. Er überlässt es dem Leser, seine eigene Antwort zu geben auf das namenlose Leid und Elend jener und in jeder Zeit. Den je eigenen Weg zu suchen, um trotz gefühlter, aber letztlich unwirksamer Trauer, den möglichen Funken aktiver Hilfe und Anteilnahme nicht zum verlöschen zu bringen. Aber auch, um in der Sorglosigkeit der Sorglosen, insofern es diesen gelingt, ein Leben ohne Mord und Totschlag zu führen.

Stefan Zweig, vermag nicht nur in seinen bekannten Novellen, wie zum Beispiel der „Schachnovelle“ oder „Verwirrung der Gefühle etc“, sondern auch in seinem Essay „Europäische Erben“, uns bedeutende Autoren in ihrer menschlichen und künstlerischen Entwicklung nahe zu bringen. Er nimmt insofern auch zu gesellschaftlichen Fragen seiner Zeit in einer immer wieder ins Geistige vordringenden Sprache, vorzustellen. Er zeigt seinen Lesern in einer stets überraschend neuen Weise, die Aufgabe eines der Humanität verpflichteten Autors, menschliche Größe und die Fähigkeit, selbst banalen Ereignissen Bedeutung zu verleihen. Er vermag auch vor Augen zu führen, unter welch schwierigen Umständen es Literaten möglich wurde, trotz feindlicher Umweltbedingungen, geistig zu überleben. Stefan Zweig zeigt auch Wege auf, um an dem als gut, edel und recht Erkannten, festzuhalten, um dieses hohe Gut gegen destruktiven Kräfte, im lebendigem Austausch unter Gleichgesinnten, am Leben zu erhalten. In “Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam” zeigt er uns, wie ein Mensch in der Kindheit von geriner Bedeutung, unter der Obhut eines katholischen Priesters, in Fleiß und Gelehrsamkeit Fähigkeiten erwirbt, um sich später mit den bedeutendsten Humanisten, auseinander setzen zu können. Sein Freiheitsdrang und die bis zum Lebensende bewahrte Neigung, sich in allen Bereichen seines Lebens undogmatisch zu verhalten, um Abhängigkeit in jeder Form zu vermeiden, charakterisiert Erasmus besonders. Er verstand es, sich allen Versuchen, ihn politisch zu vereinnahmen, effektiv zu entziehen. Stefan Zweig rühmt in Erasmus einen, dem Humanismus verpflichteten, mit profunden Kenntnissen ausgestatteten Experten seiner Zeit, dessen Rat auf allen Ebenen der Gesellschaft zunehmend gesucht wird. Mit seiner friedliebenden, auf Ausgleich und Überwindung von Gegensätzen zielenden Geisteshaltung, gerät Erasmus aber in zunehmende Gegnerschaft zu der, vom anderen führenden Exponenten Luther vertretenen Unbedingtheit in Glaubensfragen. Dies führt schließlich zu einem zwischen ihnen unversöhnlich, öffentlich ausgetragenen Streit. Die zunehmend schonungsloser geführten Debatten, spiegelten sich auch in Auseinandersetzungen unter Christen. Die verherenden Auswirkungen der Konflikte auf das kulturelle und gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen in Europa, führen dann auch zur Kirchenspaltung. Erasmus muss schließlich gegen Ende seines Lebens auf tragische Weise, das Scheitern seiner humanistischen, auf Ausgleich gerichteten Bestrebungen, und fortwährende, machtpolitisch motivierte Auseinandersetzungen von Protestanten und Katholiken erleben. Die im Augsburger Religionsfrieden im Sinne von Erasmus durch Melanchthon vorgeschlagenen Lösungen, zu einem Ausgleich der bestehenden Unterschiede in Glaubensfragen, verfehlen jedoch die angestrebten Ziele. Obwohl sich in der Realpolitik schlussendlich die Machtpolitik Machiavellis behauptete, wird das erasmisch-humanistische Prinzip friedlicher Überwindung von Gegensätzen, wie ein nicht auszulöschender Menschheitstraum im politischen Alltag immer wieder beschworen.

In seinem Roman „Ungeduld des Herzens“ berichtet Stefan Zweig in psychologisch einfühlsamer Sprache, von der unerwarteten dramatischen Verwicklung, eines Juden von dem familiär erwartet wird, ein bürgerlich erfolgreiches Leben aufzubauen. In seinenn Begegnungen zu Mmenschen
mit schwierigen Lebensverläufen, konfrontiert uns Stefan Zweig mit Fragen des Mitgefühls und dessen Folgen: Im Milieu einer Kadettenanstalt und deren prägender Stellung in der Gesellschaft, wird der Erzähler als junger Leutnant der k.u.k. Ulanen, in eine wohlhabende Familie eingeführt. Dort erfährt er das Wohlwollen der Familie, das ihm seine Kameraden fälschlicher Weise, als eine gelungene Vorteilsnahme vorwerfen. Er begegnet bei einem Fest der Tochter des Hausherrn, Edith, deren Freundin und dem besorgten Vater. Edith ist erschüttert, als der Leutnant sie zum Tanz auffordert. Die zarte, verwöhnte und anspruchsvolle Edith reagiert mit panischer Erregung, denn sie ist gelähmt und kann nur mit Hilfe eines Stützkorsetts einige Schritte gehen. Der Leutnant ist auch erschüttert und entwickelt Schuldgefühle, die er wieder ausgkeichen möchte. In nachfolgenden Kontakten sieht er sich vor der Aufgabe, sich mit der sensiblen Edith und deren Vater, der die Beziehung wohlwollend begleitet, zu arrangieren. Noch kennt der Leutnant die Ursache der Krankheit und die Reaktion des Vaters nicht näher. Als ihm seine Kameraden vorwerfen, dass er in Abhängigkeit gerate, stellt er seine Besuche kurzfristig ein, und gerät unter dem sich in anbahnenden Mitgefühl unter Entscheidungsdruck. Die Patientin durchschaut jedoch seine entschuldigende Lüge. Der behandelnde Arzt kommt ins Haus. Der besorgte Vater, der schon viel Geld in die Heilung seiner Tochter investierte, bittet den Leutnant, im Kontakt mit dem Arzt zu klären, ob das Leiden seiner Tochter „heilbar“ sei. In einem längeren Gespräch erfährt der Leutnant, dass der Hausherr seine Frau durch Magenkrebs bei einer Operation verlor. In der Todesnacht habe der Arzt erfahren, welche Bewandtnis es mit dem zu Reichtum gelangten Ehemann habe. Dieser, ein Versicherungsagent, habe während einer Bahnfahrt ein Gespräch belauscht, aus dem er erfahren habe, dass eine reiche Fürstin, ihr Erbe an gierigen Verwandten vorbei, ihrer langjährigen Begleiterin vermachte. Der Agent habe dann erreicht die Erbin so in Wohlwollen ihm gegenüber einzuhüllen, dass sie ihm ihr Erbe zu einem Drittel des zu erwartenden Kaufpreises vermachte. Er gerät in Konflikt mit seinem Handeln als er das Vertrauen dieser Frau zu ihm erlebt, und findet bis zu ihrem Tod eine Lösung in der Ehe mit ihr. Dieser glücklichen Ehe entstammt ein lebhaftes Kind, bis ihm auch Edith durch deren Krankheit zur ständigen Sorge wird. Er versucht alles, deren Heilung zu ermöglichen, um die Heilung zu ermöglichen. In diesem Kontext kommt es zu einem längeren Austausch über die Aussichten auf Heilung aus Sicht der Medizin. Der Arzt gibt zu bedenken, dass er Edith wie angezeigt seit fünf Jahren behandle und diese fortführe, weil er nie wissen könne, welche Methoden oder Mittel der Forschung er in die Hand bekommen könne, um eine Heilung einzuleiten. Derzeit mache er sich aber mehr Sorgen um den Vater, wegen dessen bedrohter Gesundheit, als um dessen kranke Tochter.

Es blieb mir, nach dem Studium der mir zugängigen Werke von Stefan Zweig ein schmerzliches Erlebnis, dass der von mir geschätzte Schriftsteller Stefan Zweig, der auf der Flucht vor den Nationalsozialisten, sein Leben mit einem Freitod beendete, als er auf einem ihm fremden, geistigen und sprachlichen Lebensraum, eine Sprachlosigkeit erlebte. Ich hoffe sehr, dass er uns dennoch auch in unserer heutigen Zeit ermutigen könnte, in Wort und Tat für das gutes menschliches Leben, gegen zerstörerischen Kräfte zu handeln.

Franz Schwald
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