Unsere Worte und Sprachen in ihren vielfältigen Formen, dienen uns Menschen lebenslang als Brücken zur Verständigung. Ich lade Sie, liebe Leser, daher heute ein, mit mir über die Bedeutung und Pflege dieses kostbaren Geschenkes unseres Lebens nachzudenken: Lange bevor wir sprechen konnten, drangen Geräusche, Töne und Worte an unsere kindlichen Ohren: Wenn die Mutter beispielsweise den Tisch deckte, dabei ein Lied summte, mit den Geschwistern redete oder die Teller klapperten, verschmolzen Geräusche und Worte zu einem vertrauten Sprachraum. Mutters Stimme klang in uns nach, als wir von ihr die ersten Worte und Sätze lernten, und deren Bedeutung erfassten. Es brauchte geduldige Zuwendung, viele Hinweise und Hilfen von ihr, bis wir im spielerischen Spracherwerb, unseren Wortschatz so erweiterten, dass wir konkrete Ereignisse in unserer Umgebung verstehen, und sinngemäß darauf antworten konnten. Die Worte und Sprache der anderer Menschen konnten uns von da an, im Einklang mit der eigenen Erfahrung, gelegentlich wie ein „heile Segen“ beruhigen und trösten, oder verunsichern, erschrecken und ängstigen. Der Spracherwerb und die Bereitschaft lebenslang zu lernen, gehören daher mit zu den Voraussetzungen unserer Kompetenz zur Lebensgestaltung und Orientierung in einer komplexen Umwelt.
Eine weitere Modifikation unseres Sprachvermögens erfolgte, außerhalb der Familie, durch Kontakte mit anderen Kindern und Erwachsenen, in der Schule, im Studium, im Beruf und in sozialen und religiösen Gruppen. Wir vermehrten dadurch unsere kognitiven, emotionalen und sprachlichen Fähigkeiten, und verinnerlichten diese Erfahrungen. Dabei passten wir im Wechsel vom Dialekt zur Hoch-, Fremd- und Fachsprache unsere Sprachkompetenz an die jeweiligen Erfordernisse an, um in stetig komplexerer Umgebung vernünftig handeln zu können. Auch in den globalen Beziehungen der Menschen und bei deren Problemen, sind die Bereitschaft zum Gespräch und unsere sprachliche Kompetenz als Medium des Interessenausgleichs, von entscheidender Bedeutung. Die weltweiten Konflikte und die wirtschaftlichen, ökologischen und religiösen Differenzen, sowie die militärischen und terroristischen Bedrohungen, sind daher auch Gegenstand von andauernd zähen Verhandlungen. Der Wille zur Verständigung über die hohen Kosten des Wiederaufbaus, der Migrationsbewegungen, und die Abwehr von Bedrohungen, bedürfen deshalb im hohen Ausmaß analytischer Fähigkeiten und sprachlicher Kompetenz der Beteiligten, um Lösungen unter den Geberländern im begrenzten Umfang zu verhandeln. Die globalen Probleme des in verschiedenen Sprachen erfolgenden Datenaustausches, bekommen nicht nur Wissenschaft, Bildung und Wirtschaft, sondern alle Menschen zu spüren, die bemüht sind, den ständigen Wandel der relevanten Informationen zu verstehen, um handlungsfähig zu bleiben. Um die heutige Nachrichtenflut zu reduzieren und die Worte und Sätze in ihrer kulturell unterschiedlich tradierten Bedeutung zu verstehen, ist außer der sprachlichen-, eine hohe medial-technische Kompetenz erforderlich.
Auch in unserer multikulturellen, europäischen Gesellschaft, wechselnwir ständig unser Sprachmuster vom Dialekt und der Alltagssprache zur Hochsprache, Fach- oder Fremdsprache. Wir berücksichtigen beim Datenaustausch auch den Unterschied von empirischen und historischen Befunden, wie ebenso bei Themen aus den Bereichen der Kunst, Literatur, Musik, der Philosophie oder Religion. In einem lebenslangen Prozess entwickeln wir Menschen unsere analytischen und intellektuellen Fähigkeiten daher notwendig weiter, um verbale Inhalte, die uns täuschen, verwirren, schaden könnten, von denen zu unterscheiden, die hilfreich, richtig und wichtig für uns sind. In Diskussionen begegnen wir dabei aber gelegentlich zwei üblichen Sprachspielen, die wie „feindliche Brüder“ nicht zusammen finden wollen: Die Naturwissenschaften, die von der Vorstellung ausgehen, wir könnten mit geeigneten Methoden alles erforschen, und mit hoher Wahrscheinlichkeit das, was gültig, richtig und wahr ist, von dem unterscheiden, was falsch und zu verwerfen sei. Sie betrachten die Frage, warum es sie und ihre Forschungsgegenstände gibt, als irrelevant. Ausgeblendet wird meistens auch die Frage, ob alles was erforscht werden kann, noch zu finanzieren, sowie ethisch und sittlich zu vertreten ist. Der immer spezifischere Blick empirischer Forschung nur auf ihre Disziplin, führt schließlich auch dazu, dass es im Laufe der Zeit immer weniger Spezialisten gibt, die sich in den von ihnen vertretenen Fachgebieten noch auskennen. Die so bedeutsame ganzheitliche Betrachtung aller Lebenskontexte und ihrer Wechselwirkungen hingegen, schwindet.
Im Interesse von uns allen und der Forschung, ist es daher auch heute unverzichtbar, dass die in den Geisteswissenschaften tradierte Frage: „Warum gibt es das alles und nicht nichts?“, und damit der Blick auf das „Ganze“ nicht verloren geht. Es mag die empirischen Forscher zwar enttäuschen, wenn ihr Anspruch, das Maß aller Dinge zu sein, bestritten wird. Um die unantastbare Würde des Menschen als Person, eine Stellung und Verantwortung im gesamten Lebenskontext des Makro- und Mikrokosmos zu verstehen, muss aber über seinen Gestaltungsspielraum und dessen Grenzen, über seine Macht und Ohnmacht, über Leben und Tod, die in allem waltenden Geheimnisse, und seine Sehnsucht nach Vollendung in Gott gesprochen werden. Offensichtlich sind Worte eingebettet in sprachgeschichtliche Kontexte, von denen her sie ihre Bedeutung bekommen. Das gilt sowohl für die Natur- als auch für die Geisteswissenschaften. Beide Betrachtungsweisen sind unentbehrlich und bedürfen gegenseitiger Ergänzung. Dies umso mehr in einer Zeit, in der man vielfach davon ausgeht, eine geisteswissenschaftliche Erforschung der Phänomene erübrige sich. Es gilt daher, immer wieder neu, in den geschichtlichen Epochen aufzuzeigen, dass die unterschiedlichen Standpunkte Schaden nehmen müssten, wenn sie nicht durch die jeweils andere Auffassung ergänzt und bereichert würden. Wir müssen leider feststellen, dass bei einem unheimlich anmutenden Wachstum an Wissensbeständen, die Fähigkeit der Menschen, zur kritischen Analyse der Meinungsvielfalt, eher zu schwinden scheint. Hinzu kommt, dass die Sensibilität für den Reichtum an sprachlichen Ausdrucksmitteln, und damit die Bereitschaft zu kultiviertem Sprechen und Hören abnimmt. Differenziertes Hören und Verstehen von Worten und Sätzen im jeweiligen Sprachkontext, und die Fähigkeit, sich adäquat auszudrücken, sind aber notwendig, wenn beispielsweise Worte und Sätze in philosophischen, theologischen oder religiösen Kontexten, wenn letztendlich »Worte Gottes«, sinngemäß verstanden und von naturwissenschaftlichen Befunden unterschieden werden sollen.