Der Machtkampf

In der letzten Nacht hatte ich einen Traum, der mir nicht nur aus der Sicht einer persönlichen Deutung, sondern in der Folge der sich daran anschließenden Überlegungen von allgemeinem Interesse schien: Ich befand mich in dem kurzen Traum in einem Ringkampf mit einem ebenbürtigen starken Gegner. Der harte Kampf wurde mit großer Anstrengung geführt, erbrachte aber keinen Sieger, sondern führte zu einem äußerst kurzen verbalen Austausch in meiner heimatlichen alemannischen Mundart. An der Grenze meiner Kräfte angelangt sagte ich zu meinem Gegner „ hesch gnueg?“ und er gab mir zur Antwort „ i ha au gnueg“ will sagen „hast Du genug?“ und „Ich habe auch genug“

Dieser Traum erinnerte mich an Situationen in meinem Leben, in denen ich Probleme sehr angestrengt mit nicht angemessenem Kraftaufwand lösen wollte, aber auch an Reaktionen auf das Verhalten von Personen im öffentlichen und politischen Leben. Ich wähle zur Illustration skizzenhaft die Reaktionen auf das Verhalten einiger bekannter Politiker aus. Wer kann bestreiten, dass Putin und Trump als Politprofis es verstehen, ihre Vorstellungen der politischen Interessen mit großem Kraftaufwand im eigenen Land und auf den Bildschirmen in medial verfügbaren Nachrichten präsent zu halten. In meiner Betrachtung der Reaktion
auf ihre Machtdemonstrationen erzeugen sie dadurch ein vielfach vergrößertes Muster ihrer persönlichen Bedeutung. Dies löst bei vielen Menschen in Reaktion, Ängste vor möglichen unkontrollierbaren Aktionen wie vor einem „Monster“ aus; zu beobachten in den politischen Aktionen der Börse und Politiker nicht nur in Deutschland.
Wir Europäer schauen derzeit wie gebannt auf die Verhaltensweisen der medial äußerst professionell agierenden amerikanischen und russischen Präsidenten, ihre Machtfülle im eigenen Land und den deutlich erkennbaren Demonstrationenihres Einflusses auf die internationale Handels und Sicherheitsarchitektur. Wir Europäer reagieren mit Befürchtungen auf die schwindende Bedeutung im weltweiten Beziehungsgeschehen mit Abhängigkeitsgesten und innereuropäischen politischen Spaltungsbefürchtngen. Hieraus folgen mögliche ängstliche Fehleinschätzungen der Potenz Europas und der Abhängigkeit Amerikas und Russlands von Europa und anderen weltpolitischen Akteuren. Wer könnte das Beziehungsgefüge Chinas und dessen eigenen Machtansprüchen gegenüber Russland, Europa, Amerika und anderen um Einfluss bemühter Regionen, in Fragen des Handels und der Sicherheit übersehen. Die politischen, medialen, strategischen und handelspolitischen russischen und amerikanischen Interventionen, lösen bei anderen weltpolitischen Mitspielern, ängstliche, strategische und handelspolitische Reaktionen aus. Die tatsächliche Bedeutung der in der Weltpolitik handelnder Akteure wird durch die digitale Verfügbarkeit von Nachrichten, die ihrerseits von den politischen Akteuren, Putin, Trump, Xi Jingping, politisch, propagandistisch und medial gesteuert sind, verzerrt. Diese führenden Personen in den beispielhaft benannten Regionen mit unterschiedlichen politischen Systemen, erhalten in unserer Welt eine Bedeutung, die Ihnen als reale Personen gar nicht zukommt. Die medial gesteuerte Nachrichten, der politischen Propaganda mit ihrer permanenten Wiederholung und Verfügbarkeit der Informationen verleiht den handelnden Akteuren wie des Kaisers neue Kleider, einen Nymbus der ihnen als Personen nicht zukommt.

Ich habe mich bei dem Gedanken, dass es mir möglich schien den Akteuren ihre propagandistisch verzerrte Kleidung auszuziehen und sie als Personen wie Du und ich zu erkennen, die einmal zum Gericht über ihr Verhalten gerufen werden, wenn sie sich wie wir einst im Totenhemd ohne Taschen, vor Gott zur Rechenschaft über ihre Verwaltung bekennen müssen, sehr wohl gefühlt. Sie wurden zu Brüder und Schwestern mit denen wir als Christen, in einem von Gott erschaffenen und erhaltenen Universum eine Lebenszeit lang, in einer Gerechtigkeit und Frieden einfordernden Beziehung leben und sterben. Ich habe mich nicht mehr als in einer monströsen Welt lebendes von Angst bedrohtes Wesen empfunden und schlagartig meine kreativen Fähigkeiten wieder erlebt, als Schriftsteller ohne Waffen allen Menschen meine Liebe und meines Trostes in schwierigen Zeiten zu versichern. Dieser Text ist eine Kostprobe dafür, dass ich mich wieder frei fühle zu reden wie mir der Schnabel gewachsen ist.

Unterscheidung der Geister

Bekenntnisse

Weil sich tief in meinem Herzen, auf der letzten Wegstrecke des Lebens, Erfahrungen einstellen, die nicht nur mich betreffen, habe ich mich entschlossen, das was mich zutiefst erfüllt und bedrängt, zu veröffentlichen. Als ich mich einst nach meiner Pensionierung gedrängt fühlte, aus dem Leben für das Leben als Schriftsteller zu arbeiten, wusste ich nicht, was daraus folgen würde. Alles was ich schrieb und was mir zufiel, habe ich treulich meinen Texten anvertraut, in der Hoffnung, als Brückenbauer mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben. Jetzt stellt sich ein neues Drängen ein, darüber zu sprechen, was ich mit bald sechsundneunzig Jahren noch zu sagen habe, bevor ich vor dem Richterstuhl Gottes mein Leben und meine Begabungen zu verantworten habe.

Immer mehr hat sich seither die Gottesfrage, und alles was ich im Glauben der Kirche zu hören bekam, noch einmal als eine Kraft und ein Drängen eingestellt, über unseren Glauben und meine Erfahrungen zu erzählen, weil es hilfreich sein könnte, diese Botschaft zu verkünden. Ich bemerke, dass ich immer mehr von Gott beansprucht werde, Zeugnis über meinen Glauben abzulegen. Es ist genau der Punkt, der mich einst bewog alles stehen und liegen zu lassen, um mit dem Abitur den Weg zum Theologiestudium zu gehen, um Priester zu werden. Dies geschah bis zu dem Augenblick als ich bekennen musste „ich kann nicht mehr“. Damals stand ich kurz vor den Weihen. Der weitere Weg war aber keine Unterbrechung, sondern nur die Möglichkeit, den Glauben in mannigfaltigen Formen neu und vertieft zu erfahren. Er war und blieb Richtschnur und die Wegweisung für alles, was es zu bewältigen und zu verstehen gab.

Es zeigte sich aber, dass sich nach der Pensionierung der Raum öffnete, mich wieder mehr mit unserem Glauben zu befassen und der Spur meines Herzens zu folgen, mit Gott im Gespräch zu bleiben, um IHM Ehre zu erweisen. Ich spüre nun wieder ein Drängen, mehr als bisher über das zu reden, was mein ganzes Leben in Bewegung hielt, und in Bann zog. Es ist der Vater unser Schöpfer, der Sohn unser Erlöser und der Heilige Geist unser Tröster und Beistand. Immer zu Tag und Nacht bis zum heutigen Tag war mein Blick wieder auf Gott gerichtet, von dem wir alles haben, um von IHM, dem Herrn des Himmels und der Erde zu erzählen, der uns in unendlicher ewiger Liebe zugetan ist. Auch jetzt kommen die Tränen. Ich weine aber nicht, weil ich gequält, sondern weil ich von Glück über Gott und meiner unendlichen Sehnsucht nach IHM bewegt bin. Könnt Ihr verstehen, dass ich nicht mehr schweigen kann?
Bleibt um Gottes Willen im Segen und Frieden. Ich bleibe im Gespräch mit Euch der Gottesmutter allen Heiligen und Seligen.

Geborgen in der Kirche
Geborgen im Glauben Hoffen und Lieben.

Berufung

Dreifaltiger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, alles hast Du ins Dasein gerufen, uns von Ewigkeit in Dein Herz geschrieben und als »Getaufte« in Deine Kirche berufen. Du hältst Deine Schöpfung sicher über den Abgründen, vergibst den Völkern ihre Schuld, segnest Dein Werk und holst uns heim in Deinen großen Frieden. Geheiligt werde Dein Name! Staunend, andächtig und dankend preisen wir Dich, wenn Du Allmächtiger, uns Zeichen Deiner Herrlichkeit deutest. In der Stille unsere Häuser achten wir ein Leben lang auf Deine Weisungen. Rufst Du uns, dann jubeln unsere Seelen ihr »ad sum« und wir beten: »Öffne, Herr, Herz und Sinne, um Dir, den Menschen und all Deinen Werken zu begegnen. Lehre uns, wie Abraham zu glauben, Dich den Gekreuzigten und Auferstandenen, wie die Emmaus-Jünger zu erkennen, sorgsam und dankbar Dein Handeln auch in unserem Leben zu bedenken:

Ein aus Lindenholz geschnitztes Kreuz, meines verehrten Großvaters, neben einem Bild Mariens mit dem Jesus-Kind, ist in unserem Wohnzimmer nicht zu übersehen. Ursprünglich war der leidende Herr an einem Kreuz in Gestalt eines Weinstockes mit Rebzweigen und Trauben befestigt und hing in der Wohnung der Großeltern. Es begleitet meinen Lebensweg von Kindheit an. Tiefes Erbarmen überfällt mich oft, wenn ich zum Herrn emporblicke, der in Schmerzen gekrümmt, mein ohnmächtiges Schweigen mit den Worten füllt: »Für alle; auch für Dich, Franz! « Betete die betagte Großmutter den Rosenkranz, las sie in der Heiligen Schrift, segnete sie mich mit Weihwasser zur Nacht oder empfing sie die Krankenkommunion, warst Du Herr uns nahe. Wenn die Ordensschwestern im Kindergarten mit uns beteten und sangen, der Pfarrer uns vom Leben, Tod und Auferstehung Jesu, der weltweiten katholischen Kirche und den vielen Glaubenszeugen erzählte, oder Gottesdienste mit uns feierte, fühlten wir Kinder uns auch im Krieg und den Notzeiten danach, im Schutze Gottes geborgen. In sicherer Obhut und im Wissen, zur heiligen Familie zu gehören, blieb die St. Josefskirche in Rheinfelden mit der Marienkapelle bis zum heutigen Tag, meine erste geistliche Heimat. Sie hat sich in stillen Stunden der Anbetung tief in meine Seele eingeprägt. In der weltweit geöffneten Katholischen Kirche erfahre ich immer wieder Hilfe und Zuspruch und mein Glaube sagt mir, dass die Pforten der Hölle sie nicht überwinden. Ich betrachte es als Führung und Gabe Gottes, aufrechte und fromme Priester und Gläubige zu kennen, die mir den katholischen Glauben vorbildlich vermittelten. Sie halfen mir, Gott in allen Dingen, der Schrift, Liturgie, den Sakramenten, der Natur, Kunst, Musik und Literatur zu erfahren. Im Kindesalter ließ ich mich in feierlichen Gottesdiensten, tief beeindruckt von den Gesängen und Gebeten der Gemeinde mittragen, in stürmischer Adoleszenz, trösten und aufrichten. Dich, Herr, erlebte ich auch dankbar gegenwärtig, wenn mich in späteren Jahren, Fragen, Sorgen, und das Leid der Menschen berührten, oder, wenn ich deren Freude, Hoffnung und Glaubenstreue erleben durfte.

Deine gütigen Engel, Herr, schützten und bewahrten mich in vielen Gefahren während des Krieges und den Hungerjahren danach. Immer wieder erfuhr ich in Notsituationen Beistand: Es gab fromme Frauen, die für mich beteten und Männer, die mich berieten und unterstützten. In der eigenen Familie, unserer Verwandtschaft, und bei Nachbarn, lernte ich im liebenden Miteinander christliche Fürsorge kennen. In unserer Stadt kannten sich die Menschen und teilten in schwierigen Zeiten die geringen Vorräte unter sich. Ohne ernstlich Schaden zu nehmen überstand ich im Krieg einen bedrohlichen Tieffliegerangriff, die riskante Flucht aus einer Kaserne, einen Kampfeinsatz in den letzten Kriegstagen, die Gefangenschaft und den gefährlichen Fußmarsch nach Hause. Ich habe den »guten Begleitern« bis zum heutigen Tag viel zu verdanken. Nach dem Ende einer längeren Beziehung, gab es für mich zeitliche Freiräume: Ich begann mich mit politischen und religiösen Themen zu beschäftigen. In der Leitung eines Katholischen-Vereins zur Beratung und Betreuung Jugendlicher, gelang es unseren Pfarrer zu entlasten. Als Vorsitzender einer Wählervereinigung und Stadtrat gewann ich vielfältige Einblicke in kommunale Entscheidungsprozesse. Die ständigen Enttäuschungen mit handelnden Personen und die Konfrontation mit wahltaktischen Strategien zur Meinungsbildung führten dazu, dass meine kommunalpolitischen Interessen abnahmen. Ich erkannte erhebliche Schwachstellen in den Voraussetzungen politischer Diskussion: Es mangelte in unserer Gesellschaft offensichtlich an einer ernstlichen Auseinandersetzung mit Werten, Normen, sozialen-, ethischen-, philosophischen-, religiösen und Sinnfragen. Bei der Suche nach Lösungen, begegnete ich immer mehr christlichen Konzepten. Ansprechpartner in diesen Fragen, waren die örtlichen Geistlichen und ein Stadtrat der CDU. Je mehr sich der Eindruck verstärkte, dass mich politische Fragen nicht mehr so stark interessierten, desto unsicherer wurde ich, ob ich mit der Übernahme dieser Aufgaben auf dem rechten Weg bin. Auf der Suche nach Alternativen, beschäftigte ich mich zunehmend mit christlicher Literatur. Zeitweise studierte ich fast ausschließlich die Heilige Schrift. Es entstanden in diesem Zusammenhang Fragen, die sich nicht mehr so leichthin abweisen ließen:

Ich meldete mich aus diesem Grund zu Exerzitien im Kloster Beuron an. In der Ruhe dieser Tage erhoffte ich mir klarer zu werden, welche Aufgaben mir im Hinblick auf das bisherige und künftige Leben wichtig wären und welche Ziele ich erreichen wollte. Den Aufenthalt in einem Kloster hatte ich gewählt, um den eigenen Standort als katholischer Christ im Licht meiner Glaubensüberzeugung zu überprüfen. Der vorgegebene zeitliche Rahmen zwischen anregenden Vorträgen, Schweigen, Mahlzeiten, Erholungsphasen und Gottesdiensten, kam meinem Anliegen sehr entgegen. Das Kloster mit den vielen Mönchen, Brüdern, der Liturgie und den zur Besinnung einladenden Räumen, erlaubte es, Alternativen zum bisherigen Leben zu prüfen. Ich kann es nicht beweisen, hatte aber den Eindruck, dass die Benediktiner in dieser Woche auch für uns beteten. Zu unserer Gruppe gehörte ein blinder Teilnehmer. Es ging mir besonders zu Herzen, wenn er bei den Gottesdiensten an einer kleinen Hausorgel Platz nahm und unsere Gesänge begleitete. Waren wir doch alle mit persönlichen Anliegen gekommen, wie Blinde, die weitergeführt werden wollten. Von Kindheit an, kannte ich die Bereitschaft, auf Eingebungen Gottes zu lauschen. Dieses kindliche Vertrauen, dass Gott unsere Wege kennt und uns lenken kann, tauchte wieder auf. Am Ende dieser Woche war ich kein anderer Mensch. Es war auch nicht so, dass ich zu allen Fragen Lösungen entdeckt hätte. Ich hatte aber erlebt, wie tröstlich es ist, wenn mehrere Menschen sich in Gottes Namen zusammenfinden, um zu beten und zu singen. Die Bereitschaft im Gebet, in der Schriftlesung und Liturgie die Nähe zu Gott zu suchen, begleitete mich in den Alltag. Die aufrüttelnde Erfahrung, zu erkennen, wie wichtig Priester sind, um Eucharistie zu feiern und die Frage, ob und wie ich auf einen solchen Anspruch reagieren könnte, ließ mich nicht mehr los:

Wieder zu Hause, eingebunden in die beruflichen, sozialen und politischen Aufgaben, suchte ich immer wieder die Stille, um mich Aspekten priesterlichen Dienstes in der Kirche vertraut zu machen. Zum Glück hatte ich von frühester Jugend an glaubenstreue Priester erlebt. Nun beschäftigte mich die Frage, was diese Menschen motivierte, sich von der Kirche in Dienst nehmen zu lassen. Ich interessierte mich für deren Aufgaben, las Berichte und Geschichten über das Wirken von Missionaren. Es fiel mir in diesem Kontext wieder ein, dass einst Pfarrer Dold mich als Junge gerne in der Priesterausbildung gesehen hätte. Sein Plan scheiterte aber am Widerstand meiner Mutter. Die Kirche als weltweite Gemeinschaft der Gläubigen mit ihrer Struktur, den Bischöfen, Kardinälen und dem Papst kamen in den Blick. In politischer Arbeit geschult, begann ich für alle, die als schwache Menschen, wie ich, der Kirche dienten, zu beten. Die geschichtliche Dimension der Kirche, ihr Weg durch die Zeit und ihre aktuelle Gestalt, beschäftigte mich sehr. Ich erkannte das notwendige Gegengewicht der Kirche zu den Zeitströmungen. Alles, was mir von Kindheit an lieb und teuer war, schien mir ohne die Stimme der Kirche in Gefahr. Noch mehr: Ich sah viele Menschen bedroht, der Gottlosigkeit zu verfallen. In meiner Not und aufbrechenden Sorge um deren Seelenheil, griff ich vermehrt zur Heiligen Schrift. Ich fühlte mich durch Gottes Wort sehr angesprochen. Da redete »Einer«, der die Menschen kannte, der Herr, wahrhaft, vertrauenswürdig und mit Macht. Mir gingen die Texte so unter die Haut, dass ich mich schwer davon lösen konnte. Ich war der Auffassung, nichts Besseres finden zu können. Immer wieder hörte ich die Stimme des Herrn, dass er Arbeiter in seinem Weinberg brauche. Zusehends beschäftigten mich Begegnungs- und Berufungsszenen: Der kleine Zachäus, der auf den Baum stieg, um den Herrn zu sehen, Jesu Gespräch mit der Sünderin, die Rückkehr des verlorenen Sohnes, der Schächer am Kreuz, die Verleugnung des Petrus, die Auferstehung Jesu und der ungläubige Thomas, die Begegnung mit den Emmaus Jüngern. Ich verfolgte den Lebens- und Leidensweg des Herrn, Jesu Tod und Auferstehung. Die Gestalt des Herrn beeindruckte mich immer mehr. Gleichzeitig fühlte ich mich sehr unwürdig, ihm als Priester nachfolgen zu können. Es tauchten Fragen auf: Könnte ich mich getäuscht haben? Ich befand mich ja schon im fortgeschrittenen Alter. Habe ich die Fähigkeiten, die nötig sind, um das Abitur nachzuholen und ein Hochschulstudium zu absolvieren? Wie kann ich ein langes Studium finanzieren? Wer wird meine Mutter versorgen, wenn ich außer Haus bin? Ich stand einer Fülle ungelöster Probleme gegenüber. Immer, wenn ich an den Herrn dachte und das, was er für uns getan hat, wurde es mir warm ums Herz. Über Monate hinweg hatte ich nicht den Mut, mit anderen Menschen über das zu sprechen, was mich zutiefst umtrieb. Schließlich wagte ich es doch, unseren Pfarrer über meine Überlegungen und Pläne zu informieren. Im Unterschied zu unserem damaligen Vikar, den ich ebenfalls ansprach, reagierte unser lebenserfahrener Pfarrer ruhig und besonnen. Mit Rücksicht auf mein bisheriges Leben, lag ihm sehr daran, mich vor unüberlegten Schritten zu warnen. Ihm gegenüber war es aber möglich, offen zu sprechen und mitzuteilen, dass mich die eigene religiöse Entwicklung ebenfalls überraschte und ich mir eine zweijährige Frist setzte, um die sich anbahnende Entscheidung so weit es möglich war, zu prüfen. Ich war froh, in unserem Pfarrer, meinem Beichtvater, einen Freund zu haben, mit dem ich über alles reden konnte. Ich begann nun immer mehr, mich ernstlich zu fragen, auf was ich mich einstellen müsste, wenn ich in der gegebenen Situation und in meinem Alter Priester werden wollte. Mir schien eine redliche Selbstprüfung angezeigt und ich hoffte, dass ich, nach einer Frist von zwei Jahren, je nach Ausgang dieser Erfahrungen, leichter entscheiden könne, ob ich es wagen könnte, das Ziel des Priesterberufes anzustreben. Ein Priester muss zum Beispiel morgens aus den Federn kommen. Mir schien das ein erstes Kriterium zu sein, um mich zu prüfen, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Von da ab begann ich, vor Antritt meiner täglichen Arbeit als Baukaufmann, die Frühmesse zu besuchen. Es waren nie viele Gläubige anwesend nur einige Frauen, deren Frömmigkeit mich beeindruckte, und unser Pfarrer, der mir sehr vertraut war. Ich möchte keinen dieser Gottesdienste missen. Ähnlich wie mit 12 Jahren in der kleinen Kapelle in Giersbach mit dem »Hotzenbischof«, waren wir eine kleine Herde. Wenn ich in der Dunkelheit und Ruhe frühmorgens die zehn Minuten Fußweg durch die Stadt zur St. Josefs-Kirche ging, war dieses schweigende Gehen wie erfüllt von Gottes Gegenwart. Ich war mit mir und meiner Absicht, Priester zu werden, einfach glücklich. Vor dem Ende meiner selbst gewählten zweijährigen Probezeit, hatte sich der Wunsch, noch Priester zu werden, gefestigt. Mir war klar, dass es mit Sicherheit kein leichter Weg werde. Ich machte mir auch Gedanken darüber, welche Zeit mir nach einem Studium bliebe, um als Priester zu wirken. Immer wieder setzte sich der Gedanke durch, dass ich von Gott alles, empfangen habe und dass der Herr sein Leben für uns Menschen hingegeben hat. Manchmal überlegte ich mir, dass sich jeglicher Einsatz lohnte, wenn ich auch nur einmal als Priester ein Messopfer feiern würde. Während der ganzen Zeit der Vorbereitung, befand ich mich in regelmäßigem Austausch mit unserem Pfarrer und dem damaligen Vikar. Ihre Begleitung und das Gebet frommer Frauen in den täglichen Gottesdiensten, erlebte ich wie einen Raum der Stille und Zuwendung, in dem Gott selber auf Seine Weise wirkte. Ich konnte auf zwei Jahre zurückschauen, in denen mit Gottes Hilfe einiges geschehen war:

Trotz meiner umfangreichen Tätigkeit im Beruf, im sozialen und politischen Umfeld und beim Musizieren, war es mir möglich,wochentags die Frühmesse zu besuchen. Dies war auch der Fall, wenn ich spät zu Bett kam. Es war mir wichtig, mein Studium weitgehend aus Eigenmitteln zu finanzieren. Die Ersparnisse, insbesondere aus meiner Nebentätigkeit als Schlagzeuger, waren so bedeutend, dass ich, wenn ich zusätzlich mein Instrument verkaufen würde, die Kosten bis zum Abitur aus eigener Tasche bezahlen konnte. Ich betrachtete auch die Tatsache, dass ich keine feste Beziehung zu einer Frau hatte und dass ich in den zwei Jahren als nebenberuflicher Musiker, trotz den Begegnungen mit vielen schönen Frauen, bei meinem Entschluss bleiben konnte, als einen Hinweis, der mich hoffen ließ, auch den geforderten Zölibat halten zu können. Ich wusste zwar nicht, ob ich das Abitur schaffen würde und in der Lage wäre, unter anderem noch Latein und Griechisch zu lernen. Es war mir bewusst, viel arbeiten zu müssen, um diese Hürde zu nehmen. Mit Blick auf bisher gelöste Aufgaben im Beruf, der Politik und im sozialen Bereich, durfte ich aber damit rechnen, dass sich diese Fähigkeiten auch in der Schule bewähren würden. Alles andere konnte ich ja getrost Gott und SEINEN guten Engeln überlassen. Hatte mich doch der Herr in meiner Jugend und im bisherigen Leben, in der Familie, der St. Josefs-Pfarrei, bei Verwandten auf dem Hotzenwald, in den Kriegsjahren und in schwierigen Zeiten danach, beschützt und vor Schaden bewahrt. Das Beispiel frommer Priester, Männer und Frauen, bestärkte mich im Glauben. Deren Glaubenszeugnis im beruflichen und sozialen Umfeld, im Mitvollzug der Eucharistie und den liturgischen Handlungen, halfen mir, die Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche zu festigen. Ich ging davon aus, dass auch meine beruflichen Erfahrungen, die Leitung einer Wählervereinigung und des Katholischen-Männer-Fürsorgevereins. sowie die Tätigkeit als Stadtrat und in den verschiedenen Ausschüssen, für die künftige Arbeit in einer Pfarrgemeinde nützlich sein könnten. Dies galt auch für die Einschätzung der eigenen Kräfte und den verantwortlichen Umgang mit der Gesundheit. Das vermehrte Studium religiöser Literatur, vor allem der Heiligen Schrift, und die nach dem Aufenthalt im Kloster Beuron fortgesetzte Klärung der Berufungsfrage sowie das wachsende Interesse an Aufgaben der Kirche, deren Strukturen und die vielen Hilfen, die mir durch sie zuteil wurden, bestärkten mich in der Gewissheit, dass wir Priester und die Kirche brauchen, um Eucharistie zu feiern und ein Gegengewicht zu atheistischen Zeitströmungen herzustellen, und um Menschen vor der Gottlosigkeit zu bewahren. Nachdem ich mir über meine religiöse Entwicklung und die aktuell gewonnenen Einsichten klar geworden war, drängte es mich, nicht mehr zu schweigen, sondern die wichtigsten Personen über die sich anbahnende Entscheidung zu informieren. Dies betraf die politischen Freunde, die Mitarbeiter im Sozialdienst, meinen Arbeitgeber, den Bürgermeister, meine Familie, die Verwandten, persönlichen Freunde und einige wichtige Nachbarn. Es begegnete mir in diesen Gesprächen, teils Überraschung, aber auch respektvolles Verstehen-Wollen. Die Anmeldung zur Aufnahmeprüfung im Spätberufenen-Seminar St. Pirmin in Sasbach war begleitet von Fragen, Unsicherheit und Hoffnung. Ich hatte unseren Bürgermeister gebeten, den Stadtrat erst über meine Absicht zu informieren, wenn mir die Bestätigung, zur bestandenen Prüfung vorliege. Er hielt sich aber nicht an diese Absprache. Zum Glück bestand ich die Prüfung am selben Tag, an dem ich wunschgemäß als Stadtrat von Rheinfelden aus dem Gremium ausschied. Ein erstes Ziel war mit Gottes Hilfe erreicht. Ich schaute auf zum Kreuz meines Großvaters, zu all denen, die diesen Weg vor mir gegangen waren und wartete mit großem Interesse auf den Tag, ab dem ich im Spätberufenen-Seminar St. Pirmin in Sasbach wohnen und arbeiten würde. Über die segensreiche Zeit in St. Pirmin werde ich mich in einem nächsten Beitrag äußern.

Geborgen in der Kirche
Geborgen im Glauben Hoffen und Lieben.

Baukaufmann und Stadtrat

Mit der Währungsreform in den frühen fünfziger Jahren, erwachte die bis dahin darbende Wirtschaft zu neuem Leben. Industrie, Handel und Gewerbe profitierten von einem kräftigen, stetigen Aufschwung. Wie durch Zauberhand füllten sich über Nacht die Auslagen der Geschäfte mit einem reichhaltigen Warenangebot. Die Konsumfreude hielt sich aber zunächst noch in Grenzen, denn am Stichtag standen jeder Person nur zwanzig Deutsche Mark zur Verfügung. Wir gewöhnten uns mit der Zeit an die neue Währung und hofften, dass sie stabil bleiben würde. Zum Glück spielte ich damals als Schlagzeuger in einigen Bands. Dadurch besserte sich der Gehalt auf und ich konnte mir ab und zu persönliche Wünsche erfüllen.

Am Tag der Währungsreform, 1948, fand in Rheinfelden das erste Rundstreckenrennen nach dem Krieg statt. Als begeisterter Radsportler meldete ich mich hierzu. Das erforderliche Rennrad, das den Krieg in einem Keller bei Bekannten überlebte, lieh ich mir Wochen zuvor zum Training aus. Unsere Mutter stellte meinetwegen den Speiseplan um. Ich bekam ab und zu ein Ei oder ein größeres Stück Fleisch zusätzlich, um zu Kräften zu kommen. Wir sind am Start: Der Starter, steht mit seiner Flagge bereit. Seine Warnung, den Fahrerpulk in den Kurven aufzulösen, um andere Rennfahrer nicht zu gefährden, höre ich wie von weit. Er senkt die Fahne zusammen mit dem Startkommando und los geht die wilde Jagd. Wir kommen »im Pulk« nur mit Mühe um die erste steile Rechtskurve. An der Strecke verteilt, treiben uns die Freunde lautstark an. Ich kann mich mit aller Kraft im vorderen Drittel des Fahrerfeldes halten. Wir Jugendfahrer glänzen mit hervorragenden Rundenzeiten, in denen wir, die nach uns startenden, erfahrenen Amateure, deutlich hinter uns lassen. Die Zuschauer jubeln und klatschen begeistert. In der dritten Runde zog mich aber in einer Rechtskurve das Hinterrad des Fahrers vor mir, unerwartet wie ein Magnet an. Danach ging alles sehr schnell: Ich fuhr auf, flog in einem Salto aus dem Sattel und landete herb auf der Straße. Die Schürfwunden begannen erheblich zu schmerzen und das verbogene Rennrad schaute mich mitleidserregend an. Kleinlaut nahm ich es über die Schulter, ging Richtung Ziel, und meldete mich bei der Rennleitung ab. Ohne umfassende Reparatur, war dieses geschundene und verbogene Sportgerät jedoch nicht mehr zu gebrauchen. Zum Abschluss des ersten Kriteriums nach dem Krieg, fand die Siegerehrung im großen Saal des Oberrheinischen Hofes statt. Unsere Band wurde zur anschließenden Tanzveranstaltung engagiert. Auf die zu erwartende Gage von zwanzig Deutschen Mark, als Schlagzeuger unserer Band, hatte ich mich sehr gefreut. Daraus wurde nichts. Nun schmerzten die Schürfwunden umso mehr, denn ich wusste, dass ich mein erstes, nach der Währungsreform selbst verdientes Geld, zur Reparatur des geliehenen Rennrades ausgeben musste. Radrennfahrer wollte ich von da an nicht mehr werden. Ich blieb meinem weniger schmerzhaften Beruf als Baukaufmann treu, und rechnete fest mit steigenden Einnahmen durch die Nebenbeschäftigung als Musiker.

Bei der langjährigen, vielseitigen Tätigkeit als Baukaufmann, lernte ich nach und nach die straffe Organisation innerbetrieblicher Arbeitsabläufe und viele tüchtige Mitarbeiter kennen, die ein Unter nehmen benötigt, um erfolgreich zu sein. Zunächst arbeitete ich längere Zeit in der Lohnbuchhaltung. Der sympathische Kollege, ein korrekter Buchhalter und treusorgender Familienvater, kam nach dem Krieg und der Gefangenschaft wieder zu uns. Er fuhr morgens sechzig Kilometer mit der Eisenbahn zur Arbeit und abends die gleiche Strecke nach Hause. Über die Fastnachtszeit kam er manchmal etwas blass zum Dienst, denn er nahm, »pflichtbewusst«, an allen Veranstaltungen eines der Tradition verpflichteten Fastnachtsvereins teil. Wenn ich als junger Kaufmann freitags alle Baustellen besuchte, um die Lohntüten auszuhändigen, empfingen mich die Mitarbeiter vom Polier bis zum Hilfsarbeiter, mit freundlichen Gesichtern. Gleichzeitig war es dadurch möglich, immer wieder den überraschenden Fortschritt der Bauarbeiten zu beobachten, mich von der Leistungsbereitschaft unserer Mitarbeiter zu überzeugen, und deren Eigenheiten kennen zu lernen. Ein tüchtiger Maurermeister und Polier, mit gewaltiger Leibesfülle, litt als Bayer unter anhaltendem Durst. Er benutzte anstelle eines Stuhles, in seiner Baubude, einen mit Brettern abgedeckten Bierkasten. Die Flaschen waren abends leer. In der Bahnhofwirtschaft stand außerdem ein Krug Bier für ihn bereit, den er vor Einfahrt des Zuges leerte, sich dann den Schaum von seinem kräftigen Schnurrbart strich, um sich bis zur Abfahrt des Zuges einen zweiten vollen Krug »hinter die Binde« zu gießen.

Unser Chef, ein hochgewachsener, promovierter Jurist, der in die Firma eingeheiratet hatte, ein ausgezeichneter Stilist, bat mich öfters zum Diktat, wenn es galt, bei wichtigen Schreiben auf Ausdruck und Form zu achten. Ich betrachtete diese Aufgabe, die Verschwiegenheit erforderte, als Auszeichnung, denn es war mir gestattet, auf seltene Fehler hinzuweisen, oder Vorschläge zur Verbesserung der Texte einzubringen. Unser Chef war in seinen Kreisen in der Stadt auch als Ratgeber gefragt, wenn bei irgendwelchen Anlässen die Etikette gewahrt werden musste. Ich teilte mit ihm die Liebe zur deutschen Sprache. Seine uns allen bekannten Schwächen, nahmen dem ehemaligen Offizier etwas von seiner Strenge; machten ihn um Nuancen menschlicher, sympathischer. Gelegentlich konnte ich nicht nachvollziehen, was ihn veranlasste, sich bei einigen Personen als abwesend erklären zu lassen. Er achtete sehr auf Sparsamkeit in kleinen Dingen, verwaltete persönlich Bleistifte und Farbstifte, und legte großen Wert auf korrekten sprachlichen Ausdruck. Nicht ohne Hintergedanken bat ich ihn eines Tages, mir einen neuen Rotstift zu geben und sagte, indem ich ihm zwischen Daumen und Zeigefinger, ein kaum erkennbares Stückchen Rotstift zeigte: »Mit diesem Rest kann ich bald nicht mehr schreiben«. Worauf er mir antwortete: »Dann schreiben Sie damit, bis sie nicht mehr schreiben können«. In mir verdichtete sich im Laufe der Zeit der Eindruck, dass er mit der Aufgabe als Chef einer expandierenden Bauunternehmung nicht sehr glücklich war. Er konnte sich aber in technischen Angelegenheiten auf den Rat seines Neffen, eines erfahrenen Bauingenieurs verlassen.

In unserer Firma gab es eine ungeschriebene Hierarchie: Unsere Diplomingenieure ließen bei passender Gelegenheit immer wieder durchblicken, dass sie in ihrem Selbstverständnis, durch ihre Ausbildung über den Bauingenieuren rangierten, denn schwierige technische Aufgaben oder komplexere statische Berechnungen mussten sie übernehmen. Obwohl ich ihr arrogantes Verhalten gelegentlich ablehnte, konnte ich erkennen, welche große Bedeutung einer akademischen Ausbildung im Beruf zukommt. Einer unserer besten Diplomingenieure, war öfters bei unserer Sekretärin und Telefonistin, einer hübschen Lehrerstochter, in deren Büro anzutreffen. Nachdem sie beide, für uns überraschend heirateten, war klar, dass der Anlass dieser Besuche nicht nur rein geschäftlicher Natur war. Mit den drei gleichaltrigen Technikern, die kleinere Baustellen betreuten, verstand ich mich auch in privaten Belangen sehr gut. Wir halfen uns gegenseitig, verständnisvoll, in schwierigen Situationen: Josef, ein vielseitig begabter, kluger und zuverlässiger Kollege, trieb ausgiebig Sport in allen Variationen. Er löste nicht nur schwierige bautechnische Probleme. Genau so geschickt zerlegte er Autos und Motorräder, spielte ausgezeichnet Orgel und Flöte und war auch an Philosophie sehr interessiert. Es fehlte ihm nur eine Frau. Mich wunderte seine Erfolglosigkeit in dieser Hinsicht nicht. Hatte ich doch gelegentlich erlebt, wie er sich in Gesprächen mit unserer Sekretärin amüsierte, wenn er philosophisch abgehoben, scherzte, sie ihn aber nicht verstand und wütend reagierte. Sein out-fit ließ zu wünschen übrig: Er trug die ausgedienten, aus der Mode gekommenen Kleider und Schuhe seines Onkels, eines Gymnasiallehrers. Es schmerzte mich immer, wenn er sich aus meiner Sicht »unter Wert verkaufte«, oder wenn andere Personen seine Begabungen nicht zu würdigen verstanden. Eines Tages war sie aber da, die Dame, die zu ihm passte. Eine hübsche Apothekerin, die in der Nähe arbeitete, führte täglich ihren Dackel spazieren und das Wichtige: Sie war Vegetarierin, wie er, und ausreichend gut katholisch. Josef ließ diese Gelegenheit nicht aus. Wir sahen ihn schon einige Tage später, den Dackel führend, auf einem Spaziergang mit der Apothekerin. Nach vielen Ehejahren haben die beiden sechs Buben und Mädchen auf dem Weg zu deren akademischen Weihen begleitet.

Die Baubranche reagiert bekanntlich wie ein Seismograph auf Veränderungen der Marktsituation. So führte die anhaltend stabile Auftragslage auch in der Bauunternehmung, in der ich seit Jahren arbeitete, zur permanenten Einstellung von Fach- und Hilfsarbeitern. Löhne und Gehälter lagen aber noch in einem sehr niedrigen Bereich. Ich wurde als junger Baukaufmann für die Angestellten in den Gesamtbetriebsrat gewählt. Das uns eingeräumte Mitspracherecht und die Interessen der Firmenleitung handelten wir übereinstimmend so aus, dass Arbeitsplätze erhalten blieben und die Entwicklung des Unternehmens gewährleistet blieb. Es waren aber nach dem Krieg erhebliche Investitionen erforderlich, um unseren Maschinenpark zu modernisieren. Wir waren stolz auf jeden neuen Lastwagen, Bagger, Betonmischer oder Baukran, der alte Geräte ersetzen konnte und die Arbeitsbedingungen verbesserte. Nach Jahren wechselte ich von der Lohnbuchhaltung in den technischen Stab. In direkter Zusammenarbeit mit dem Leitungsteam unserer Firma, gewann ich hierdurch Einblick in die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die Leistungsfähigkeit unserer Firma, und den Leistungsstand, der mit uns konkurrierenden örtlichen und überregionalen Bauunternehmungen. Mit der Leitung des Einkaufs oblag mir nicht nur die Aufgabe, mit unseren Lieferanten die jeweils günstigsten Preise auszuhandeln, sondern auch die punktgenaue Anlieferung der Baumaterialien oder Ersatzteile für unsere Maschinen sicher zu stellen. Von der Kalkulation, über die Durchführung der Baumassnahmen, die Nachkalkulation, bis zur Abrechnung und dem Abräumen der Baustellen, war ich in die betrieblichen Abläufe fest eingebunden. Es hat mich tief beeindruckt, mit welch hohem Einsatz alle Mitarbeiter in der Verwaltung, auf den Baustellen, im Kieswerk, der Schlosserei, Schreinerei und dem Bauhof, ihre Aufgaben erfüllten. Damals erwies es sich in unserer Stadt als besonders schwierig, die vielen, zugeteilten Flüchtlinge aufzunehmen. Sie benötigten vor allem Wohnungen. Um diese enorme Aufgabe bewältigen zu können, wurde eine städtische Wohnungsbaugesellschaft gegründet. Diese übernahm die Planung und technische Begleitung der erforderlichen Neubauten. Mit ihrer Unterstützung entstanden in relativ kurzer Zeit, viele Mehrfamilienhäuser mit Schule und Sportanlagen in neuen Baugebieten. Der zunehmende private Wohnungsbau und umfangreiche Bauaufträge der Industrie, trugen zum damaligen Wirtschaftswachstum erheblich bei. Ich begriff immer mehr, in welchem Ausmaß, die Stadt als Auftraggeber, und die politischen Gruppierungen im Stadtrat, an der Vergabe der Aufträge beteiligt waren.

Mein Gesprächspartner, mit dem ich über aktuelle politische Fragen diskutierte, war unser leitender Bauingenieur und Architekt. Wir saßen uns bei der Arbeit gegenüber. Er war seit Jahren im Stadtrat und Bauausschuss tätig. Mir imponierte seine christliche Einstellung und aufrechte Haltung in schwierigen Lebenssituationen, besonders gegen Ende seiner beruflichen Tätigkeit. Als er einmal erkennen ließ, wie sehr er sich mehr Ausgeglichenheit und Altersweisheit wünschte, um ungerechten Angriffen ruhiger begegnen zu können, sagte ich ihm: Wenn Sie nicht mehr energisch Ihre Meinung äußerten, um Aufgaben mit zu gestalten, und sich gegen Unrecht zur Wehr zu setzten, würden Eigenschaften fehlen, die ich an Ihnen besonders schätze«. Er schmunzelte, versuchte sich mit Daumen und Zeigefinger vergeblich ein Barthaar auszuzupfen und wandte sich bei ratternder Rechenmaschine, leicht nach vorn gebeugt, wieder dem Angebot zu, an dem er arbeitete. Gelegentlich schien es mir, als würde ihn die Arbeit erfreuen. Er summte dann leise vor sich hin, bis er den richtigen Ton fand, um aus tiefster Seele zu seufzen: »Ach Luise, kein Mädchen ist wie diese…« Ab und zu verstieg er sich in einen etwas skurrilen Humor, der ohne Kenntnisse der technischen Anspielungen, schwer verständlich war: Unsere Senior-Chefin, die auch im hohen Alter noch täglich in der Hauptbuchhaltung arbeitete, war ihm zugetan und sprach ihn – eine Ausnahme – mit Vornamen an. Sie betrat eines Tages erwartungsfroh unser großes Büro und sagte, um sich die letzte Sicherheit zu holen: »Artur, Euer Büro mit den vielen großen Fenstern sieht so nüchtern aus. Ich habe entschieden, auf den äußeren Fensterbänken Blumenkästen mit roten Geranien aufzustellen«. Artur, ohne sich stören zu lassen, äußerte: »Die Blumenkästen kommen sicher wieder weg«! Mit allem hatte die Chefin gerechnet, aber nicht mit einem Widerspruch. Ihre Miene verdüsterte sich, als sie energisch entgegnete: »Die Blumenkästen werden aufgestellt«! Artur blickte kurz auf, als müsse er die aktuelle seelische Verfassung seiner verehrten Seniorchefin prüfen, und entgegnete trocken: »Die Blumenkästen kommen bestimmt wieder weg«! Das war entschieden zuviel für eine ältere Dame, die Widerspruch nicht schätzte. Sie drehte mit hochrotem Kopf ab, wandte sich zur Tür und brummte vor sich hin: »Die Kästen werden aufgestellt«! Und so geschah es. Was mochte Artur veranlasst haben, der von ihm sehr verehrten Seniorchefin zu widersprechen? Ich betrat anderntags in Erwartung der weiteren Entwicklung, neugierig unser Büro. Alle Fenster waren, wie angekündigt, mit Blumenkästen versehen, in denen zugegebenermaßen wunderschöne rote Geranien prangten. Herr Fleck betrat nach mir den Raum: Er zeigte sich nicht sonderlich überrascht und setzte sich ohne Kommentar an seinen Platz, um weiter am Angebot zu arbeiten. Da er es vorzog, sich nicht über unseren »Blumenschmuck« zu äußern, hielt ich es nicht für angebracht, ihn darauf anzusprechen. Alle Besucher, die anschließend unser Büro betraten, äußerten sich meist zustimmend zu unseren Geranien. Es vergingen einige Tage in gewohnter Weise. Aber an einem schwülen Nachmittag zog ein schweres Gewitter auf. Blitze und kräftiger Donner leiteten das Naturschauspiel ein, dann öffnete der Himmel seine Schleusen – und wie! Der böige Wind peitschte Regenmassen gegen unsere Fensterscheiben. Es wollte kein Ende nehmen. Der schräg einfallende Regen klatschte hörbar auf unsere Blumenkästen. Die Geranien senkten ihre Köpfe; einige legten sich ganz flach. Im Ausfallwinkel spritzte gleichzeitig eine schmutzige Brühe gegen unsere Fensterscheiben. Ein Bild zum Weinen. Mir war nun klar, weshalb Herr Fleck ruhig feststellen konnte, dass die Blumenkästen wieder weggeräumt würden. Dies geschah still und heimlich. Wir unterdrückten unsere Schadenfreude und verloren kein Wort darüber. Die Seniorchefin tat mir leid, die uns so fest entschlossen, mit Blumen erfreuen wollte. Ob sie den skurrilen Humor von Artur verstand, oder sich in dieser Sache mit ihm aussprach, ist mir nicht bekannt. Sicher hat sie bemerkt, dass sie, zu Unrecht enttäuscht, annahm, ihre Wünsche würden absichtlich nicht beachtet.

Im Vorfeld der 1952 anstehenden Stadtratswahl, konnte es nicht ausbleiben, dass ich oft mit unserem leitenden Ingenieur, über dieses kommende Ereignis sprach. Ich gab zu bedenken, es könne auch im Interesse des Bürgermeisters liegen, den umfangreichen Wohnungsbau in unserer Stadt zu fördern, um bei einer Zunahme der Einwohnerzahl als Oberbürgermeister mit höheren Bezügen rechnen zu können. Unter dieser politischen Konstellation, hatte ich berechtigte Sorge, dass alteingesessene Rheinfelder, besonders meine gleichaltrigen Schulkameraden, die im heiratsfähigen Alter dringend Wohnungen benötigten, wie bisher warten müssten. Ich hatte zeitlich freie Valenzen und fasste den Entschluss, mich in unserer Stadt politisch zu betätigen: In der örtlichen Presse, die unsere Anliegen unterstützte, gab ich ein Inserat auf, in dem die Wohnung suchenden Rheinfelder Bürger zur Diskussion in ein Lokal eingeladen wurden. Mit einigen Klassenkameraden, die sich bei ihrer Wohnungssuche benachteiligt fühlten, hatte ich mich zuvor auf diese Vorgehensweise geeinigt. Zu unserer großen Überraschung, folgten sehr viele Interessenten unserer Einladung in den »Wasserturm«. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt. Es herrschte eine erwartungsvolle Unruhe. Nach der Begrüßung hielt ich eine Ansprache und erläuterte die Lage: Vor der anstehenden Stadtratswahl gelte es, sich Gehör zu verschaffen. Die Zeit sei gekommen, auch an die ortsansässigen Rheinfelder zu denken, die im heiratsfähigen Alter, dringend Wohnungen brauchten. Ich schlug vor, dem Bürgermeister schriftlich unsere Wünsche vor zu tragen. Zu diesem Vorgehen gab es nach längerer Diskussion der Teilnehmer eine eindeutige Zustimmung. Um unserer Absicht Nachdruck zu verleihen, gründeten wir die Wählervereinigung »Gemeinschaft Rheinfelder Bürger«. Wir ließen eine Liste herumgehen, in die sich alle Interessenten eintragen konnten. Aus der Versammlung wurden einige Teilnehmer gewählt, die den engeren Vorstand bildeten. Wir erhielten von den Anwesenden den Auftrag, umgehend eine Petition an den Bürgermeister zu schreiben. Ich war überrascht, dass unser Vorhaben eine so breite Unterstützung fand.

Der Vorstand unserer Wählervereinigung fand sich wenige Tage danach zur ersten Sitzung in einem Lokal ein. Wir verteilten die Aufgaben: Es wurden außer mir als 1.Vorsitzenden, ein 2. Vorsitzender als Stellvertreter, ein Schriftführer und ein Kassenwart gewählt. Unter meiner Regie verfassten wir die Petition an den Bürgermeister. Wir gingen davon aus, eine befriedigende Antwort erwarten zu können. Es dauerte aber sehr lange, bis wir die Stellungnahme der Verwaltung erhielten. Die Antwort erwies sich als so nichtssagend, dass wir den Eindruck gewannen, nicht Ernst genommen zu werden. In einer Versammlung informierten wir unsere Mitglieder. Nach eingehender Diskussion entschieden wir, um auf die Dringlichkeit des Wohnungsbedarfs hinzuweisen, uns an der bevorstehenden Stadtratswahl als Wählervereinigung »Gemeinschaft Rheinfelder Bürger« zu beteiligen und mich als Spitzenkandidat aufzustellen. Ich war sehr überrascht, welche Eigendynamik unser Vorhaben in der kurzen Zeit bis zu dieser Entscheidung entwickelte. Anstelle der Klagen über die Notlage, spiegelten die Gesichter der Anwesenden, und deren Diskussionsbeiträge, Hoffnung und Bereitschaft, sich am Wahlkampf nach Kräften zu beteiligen. Auf diese mutigen und entschlossenen Helfer, konnten wir uns verlassen. Es stiegen in mir zwar noch einige berechtigte Bedenken auf: Ein politisches Amt hatte ich zuvor noch nicht begleitet. Diese Überlegungen behielt ich aber für mich. Es blieb ja noch genügend Zeit, mich nach und nach auf diese neue Aufgabe einzustellen und mich mit den Freunden zu beraten. Wir hatten bei unseren Beratungen einen großen Vorteil: Es war uns bekannt, dass der Bürgermeister über Mittelsmänner erfuhr, welche Stellungnahmen bei den Aussprachen der verschiedenen Parteien erfolgten, sodass er sich auf jede Sitzung gut vorbereiten konnte. Dies galt nicht für uns. Wir behandelten, alle unsere Beratungen als streng vertraulich, um uns ein Überraschungsmoment zu bewahren. Dies erwies sich auch bei der Planung und Organisation unseres Wahlkampfes als günstig. Niemand erfuhr von den von uns geplanten Aktionen. Einige Tage nach der konstituierenden Versammlung unserer Wählervereinigung, besuchte mich ein langjähriges Mitglied einer anderen Partei, um mir zu versichern, er sei von uns getäuscht worden. Er habe selbstverständlich nicht die Absicht, Mitglied unserer Gemeinschaft Rheinfelder Bürger zu werden. Die bei der Gründungsversammlung vorgelegte Beitrittserklärung zu unserer Wählervereinigung, habe er für eine Anwesenheitsliste gehalten und irrtümlich unterschrieben. Er verlange, seinen Namen wieder zu streichen. Ich versicherte, dass ich sein Anliegen verstehe, aber nicht damit rechnen konnte, dass er an unserer Versammlung teilnehmen würde. Es sei mir persönlich auch nicht als Mitglied einer anderen Partei bekannt gewesen. Er habe aber nun einmal unterschrieben, obwohl es mir schwer verständlich sei, warum er nicht vorher gelesen habe, was er unterschrieb. Ich wäre aber gehalten, diese Angelegenheit im Vorstand unserer Wählervereinigung zu besprechen und könne nicht eigenmächtig handeln. Wir ließen uns bei der nachfolgenden Diskussion im Vorstand, diesen Sachverhalt auf der Zunge zergehen, denn dass uns ein alt gedienter Parteiprofi auf den Leim gehen könnte, hatten wir politischen Neulinge nicht erwartet. Er meldete sich kein zweites Mal.

Nun nahmen die Ereignisse ihren Lauf: Wir trafen uns wöchentlich zu Vorstandssitzungen, in denen wir die Strategie zur Stadtratswahl beschlossen. Ich hatte persönlich sehr enge Kontakte zur örtlichen Presse und einer Druckerei. Der Inhaber eines Verlages und der lokalen Zeitung, erwies sich als interessiert, und war sofort bereit, uns tatkräftig bei der Kampagne zu unterstützen. Der Besitzer einer Druckerei, stand ebenfalls hinter unserem Vorhaben. Wir hatten dadurch alle Möglichkeiten, die Öffentlichkeit kostengünstig auf die politischen Ziele unserer Wählervereinigung hinzuweisen. Je näher der Termin zur Stadtratswahl heranrückte, umso intensiver nutzten wir das Forum der »örtlichen Presse« und die Möglichkeit, Flugblätter zu verteilen und Plakate zu kleben. Unsere Mitglieder beteiligten sich engagiert an dieser Kampagne. Es dürfte keinen Bürgert gegeben haben, der unsere grünen Plakate und Flugblätter nicht kannte. Am Tag vor der Wahl verteilten wir zusätzlich grüne Luftballons mit unserem Aufdruck. Obwohl wir nicht gespart hatten, war unser Vorrat rasch verbraucht. Die Ballons wurden uns aus den Händen gerissen und von den Kindern werbewirksam durch die Straßen getragen. Wir waren sicher, die Rheinfelder Bevölkerung ausreichend über unsere politischen Ziele informiert zu haben. Der engagierte Wahlkampf machte uns allen Spaß und führte dazu, dass sich Vorstand und Mitglieder der Wählervereinigung besser kennen lernten und sich mit unseren Zielen identifizierten. Gelegentlich erreichten uns Hinweise, darauf zu achten, dass sich keine links gerichteten Personen in unsere Wählervereinigung einschlichen. Wir erklärten diesen Gesprächspartnern, es handle sich um eine Kommunalwahl mit klar lokalen Zielen und wir wären schon in der Lage, zu entscheiden, wem wir vertrauen könnten. Wir hätten übrigens eher Anlass, uns über den engagierten Einsatz aller unserer Mitglieder der Wählervereinigung in der zurück liegenden Zeit zu freuen. Der Termin zur Stadtratswahl stand kurz bevor und damit nahte die Entscheidung darüber, ob wir die Wähler mit unseren Zielen, Argumenten und Kandidaten überzeugen konnten. Je näher dieser Tag kam, desto mehr nahm auch unsere Anspannung zu. Hatte sich doch im Laufe des Wahlkampfes unsere Motivation geändert: Anfänglich wollten wir mit einem hohen Stimmenanteil der Stadtverwaltung und dem Bürgermeister zeigen, wie viele Wähler mit der bisherigen Wohnungsvergabe unzufrieden waren. Als wir im Wahlkampf erhebliche Zustimmung beobachteten, rechneten wir uns aber eine realistische Chance aus, unsere Interessen durch ein Mandat im Stadtrat und den verschiedenen Ausschüssen wirkungsvollere vertreten zu können. Da ich als Spitzenkandidat für unsere Wählervereinigung nominiert war, begleiteten mich Hoffen und Bangen. Einige Schweizer-Stumpen habe ich am Wahltag geraucht, ohne dass die Spannung merklich nachließ. Die Wahl endete mit einer »kleinen Sensation«: Wir erreichten auf Anhieb die erforderlichen Stimmen und ich wurde Stadtrat. Das überraschende Wahlergebnis war an diesem Tag bei vielen Bürgern unserer Stadt das »Hauptgesprächsthema«. Den hohen Stimmenanteil und meine Wahl hatten uns viele Bürger nicht zugetraut. Was mich aber in den nächsten Jahren in diesem Amt erwarten sollte, war zu dieser Zeit nicht einzuschätzen. Erst die vielen Glückwünsche aus unseren Reihen und weit darüber hinaus, ließen mich erahnen, welche Bedeutung diese Wahl in der Öffentlichkeit hatte.

Es dauerte nicht lange, bis mir die Tagesordnung zur ersten Stadtratssitzung nach der Wahl zugestellt wurde. Die Mitglieder des Vorstandes trafen sich zur Besprechung dieser Vorlage: Wir bestimmten, wer außer mir, einen Platz in den verschiedenen Ausschüssen bekommen sollte. Trotz vieler guter Ratschläge der Parteifreunde, wie ich mich in der ersten Sitzung des Stadtrates, nach der Wahl, verhalten sollte, begleitete mich eine deutlich spürbare Unruhe auf dem Weg zum Rathaus. Es war uns allen klar, dass mich dort keine Blumen erwarteten. Hatten wir doch im Wahlkampf unsere Zähne gezeigt und mit recht deutlichen Argumenten Kritik geübt und unsere Ziele vorgestellt. Ich rechnete mit einer herben Reaktion verschiedener Stadträte. Mir war bewusst, wie wenig Mittel mir zur Verfügung standen, um mich gegen solche Angriffe wirkungsvoll zu wehren. In dieser Lage griff ich zu einer List: Ich legte zwei Stenoblöcke und mehrere Bleistifte vor mir auf den Tisch, um den Anschein zu erwecken, als ob ich alles stenographisch festhalten wollte, was die einzelnen Redner gegen uns vorbrachten. Die Taktik wirkte. Während der mit harten Vorwürfen gegen unseren Wahlkampf gespickten Rede, musste sich der Vorsitzende einer anderen Fraktion krampfhaft an seinem Rednerpult festhalten, denn ich schaute ihn gelegentlich ruhig an und stenographierte, so schnell ich konnte. Seiner Stimme merkte man daher eine deutliche Erregung an. Ich hatte den Eindruck, dass er sich ohne Manuskript, in freier Rede, mit seiner scharfen Kritik sehr schwer getan hätte. Einige andere Stadträte hielten sich darauf hin mit ihren Äußerungen merklich zurück. Das war überstanden! Über die weiteren Punkte der Tagesordnung, wurde ohne Diskussion entschieden. Die Wählervereinigung Rheinfelder Bürger war eine politische Größe geworden, deren Beiträge in den öffentlichen und nichtöffentlichen Sitzungen des Stadtrates und in den Ausschüssen Ernst genommen wurden. Gab es doch immer wieder Situationen, in denen unsere Stimme zu Entscheidungen gebraucht wurde. Da wir nach wie vor Wert darauf legten, dass unsere Überlegungen zu den Tagesordnungen vertraulich behandelt wurden, konnte man im Plenum nie wissen, wie wir uns verhalten würden. Ich lernte sehr rasch zu erkennen, welche taktischen Maßnahmendurch gegenseitige Absprachen erfolgten, um Sachentscheidungen im Plenum durchzubringen. Es war für mich gelegentlich erschütternd, zu sehen, wie unterschiedlich sich die Stadträte in öffentlichen und nicht öffentlichen Sitzungen verhielten. Ihre Stellungnahmen zu verschiedenen Themen in der Öffentlichkeit und vor der Presse, wichen gelegentlich sehr von ihren Entscheidungen im Gremium ab. Manchmal schien es mir, als seien einige Räte bei komplexeren Vorlagen auch überfordert: Wenn es darum ging, den umfangreichen Haushaltsplan zu diskutieren und zu verabschieden, waren kaum fundierte Beiträge oder Kritik zu vernehmen. Ging es aber um die Anschaffung recht unbedeutender Geräte oder Maschinen, war mit einem erheblichen zeitlichen Aufwand zur Diskussion zu rechnen.

Um den Stadtrat mit den Problemen eines Krankenhausneubaus vertraut zu machen, besichtigten wir in Bayern verschiedene Einrichtungen. Der dortige Gemeinderat hielt es für angebracht, uns eine Übernachtung anzubieten und uns mit einem Trachtenabend zu erfreuen. Nachdem ich meine Unterkunft gefunden und mich etwas erfrischt hatte, kam ich mit einiger Verspätung wieder an den Ort zurück, an dem die Veranstaltung stattfand. Es machte keine allzu großen Schwierigkeiten, das Lokal zu finden. Blasmusik wies mir, je näher ich kam, desto sicherer den Weg. Als ich die äußere Türe öffnete, blieb mir die Luft weg und die Ohren dröhnten. Da kam mir mit verzweifelter Miene ein Kollege entgegen. Aus seinen Ohren hingen Reste von Serviettenpapier, die er sich hinein gestopft hatte. Sein Kommentar: »Sie haben uns ehrenhalber zwei Meter vor die Blasmusik gesetzt, ich halte es nicht mehr aus«! Das musste ich mir nicht antun. Wir hatten den Segelfliegern eine großzügige Spende zu ihrem Fest zur Verfügung gestellt. Sie luden dankbar einen Stadtrat zu einem Rundflug über Rheinfelden ein. Es gab einer längeren Diskussion im Gremium, mit dem Ziel, den Segelfliegern keine Absage zu erteilen. Man konnte aber erkennen, dass es an Freiwilligen mangelte, die bereit waren, ein Segelflugzeug zu besteigen. Nach einiger Zeit kam es zum Beschluss, mir als dem Jüngsten, diesen Flug zu überlassen, um die Ehre des Stadtrates zu retten. Ich nahm das Angebot an, ohne weitere Einzelheiten über den geplanten Flug zu kennen. Spannend war es schon. Erst kurz vor dem Start, informierte man mich darüber, dass das Segelflugzeug durch einen Windenstart in die Höhe gezogen werde. Ich setzte mich, in der Hoffnung auf einen guten Ausgang des Unternehmens, in das Segelflugzeug. Die Kabine wurde geschlossen, die Winde zog an, die Maschine hob ab und wurde mit zunehmender Geschwindigkeit, in kürzester Zeit, steil nach oben katapultiert. Bei schönstem Sonnenschein flogen wir eine große Runde über die Stadt. Es war nichts zu hören als der Fahrtwind. Ab und zu bemerkte ich, wie Aufwinde die Maschine anhoben. Viel zu früh setzte der Pilot wieder zur Landung an. Wir erreichten genau den Ort, an dem wir vor einigen Minuten gestartet waren.

Wir Mitglieder der Wählervereinigung mussten im Laufe der Zeit erkennen, dass es im Stadtrat und den Ausschüssen nicht so leicht war, die Verwaltung dafür zu gewinnen, Rheinfelder Bürger, mehr als bisher, bei der Vergabe städtischer Wohnungen zu berücksichtigen. Unsere ständigen, kritischen Hinweise, führten aber dazu, dass gelegentlich auch jungen ortsansässigen Familien Wohnungen zugeteilt wurden. Es bestand aber öfters eine deutliche Diskrepanz, zwischen den Erwartungen unserer Wählervereinigung und den Vorstellungen anderer Parteien mit den entsprechenden Ergebnissen bei den Abstimmungen im Stadtrat. Als die Verpflichtungen aus diesem Amt zunahmen und die Möglichkeiten, auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen, sich sehr in Grenzen hielten, stellte sich mir immer mehr die Frage, ob ich mit der Wahl zum Stadtrat auf dem richtigen Weg war. Es belastete mich gelegentlich sehr, von mir erkanntes Unrecht zwar aufdecken, aber nicht wirkungsvoll bekämpfen zu können. Meine Parteifreunde und ein mir gut bekannter Priester, ermutigten mich in diesen schwierigen Situationen. Wie in einem Spiegel reflektiert die Arbeit im Stadtrat und in den Ausschüssen, das Zusammenspiel und die Gegensätze der Interessen politischer Gruppen, Vereine, Kirchen und der Wirtschaft in einem Gemeinwesen. Das notwendige Verständnis sozialer Zusammenhänge und das Wertebewusstsein, sah ich im Schwinden, egoistisches und rücksichtsloses Durchsetzen der jeweiligen Ziele im Wachsen. Ich überlegte mir immer mehr, welche Grundeinstellungen, Normen, und Werte unverzichtbar sind, um ein geordnetes, sinnerfülltes Leben in Gemeinschaft mit anderen Personen zu gewährleisten. Ich besann mich zunehmend auf meine christlich- und humanistischen Wurzeln. Die Stadtratstätigkeit und mein Beruf ließen mir immer weniger Raum, persönlichen Interessen und Hobbys nachzugehen. Ich wurde ja nicht nur von meinen Parteifreunden angesprochen, sondern auch von anderen Bürgern, deren Interessen ich wahrnehmen sollte. Von den vielen Verpflichtungen im Beruf und Amt in Anspruch genommen, regte sich in mir immer mehr die Frage, ob ich mich zum Politiker eigne, der zwangsläufig, zum Ziel führende Strategien entwickeln muss, und Helfer benötigt, die zu ersetzen sind, wenn sich Konstellationen ändern, und man sich Mehrheiten beschaffen muss, um in den nächsten Wahlen zu bestehen. Es vergingen einige Jahre, bis ich erkannte, dass ich schon lange in eine andere Richtung strebte.

Anbetung

O Gott DU Allerheiligstes
ewiges Leben als Vater
Sohn und Heiliger Geist
DU bist das einzige ewige
Wort das uns alles schenkt
was es gab gibt und geben
wird im Universum von
Himmel und Erde

DU bist das eine allmächtige
Wort das Alpha und Omega
die Quelle aller Liebe und
allen Lebens nach DEINEM
Willen in unserer Zeit und
in DEINER Ewigkeit
DU bist das Allerheiligste und
einzige Wort in allen DEINEN
Worten und Werken und in allen
DEINEN Geschöpfe auch in
meinem Mund auf das es
ankommt

Durch DEINEN Sohn hast DU
im Heiligen Geist als Gotteswort
alles erschaffen was es im
Himmel und auf Erden gibt
und DICH in DEINEM Sohn
als Schöpfer Erlöser und
gerechter liebender Vater
erwiesen der uns in Wahrheit
den Weg des Friedens zum
ewigen Leben eröffnet

DU Allerheiligster ewiger Vater
offenbarst DICH in den Worten
und Psalmen der Propheten im
Evangelium und durch das Leben
den Tod die Auferstehung und
Himmelfahrt Jesu den Gottes- und
Menschensohn als Liebe zu IHM
zu uns und allen DEINEN Geschöpfen

DEIN Sohn Jesus Christus ist für
uns Menschen und alle Geschöpfe
das einzige Wort das vom Himmel
kommt und im Glauben Hoffen
und Lieben der von IHM gegründeten
Kirche bis zum heutigen Tag an
unser Ohr dringt

Um uns am Gabentisch der Liebe
mit Gott dem Vater dem Sohn
und dem Heiligen Geist und
und miteinander in Gottes
Reich der Gerechtigkeit und
des Friedens zu versöhnen

O Gott, unser Schöpfer Vater und
Herr öffne unsere Herzen den
Mund und alle Sinne um DEIN
barmherziges Wort ewiger Liebe
auf das alles ankommt in allen
Worten und Werken aus DEINER
Hand zu erkennen sodass wir DICH
als begnadete Sünder aus ganzem
Herzen mit aller Kraft lieben und
DEINE Liebe zu uns im Schweigen in
Worten und Taten bekennen
DEO GRATIAS

Heilig heilig heili heilig ist der Herr

AGNUS DEI

AGNUS DEI qui tollis
beccata mundi
misere nobis

AGNUS DEI qui tollis
beccata mudi
miserere nobis

AGNUS DEI qui tollis
beccata mundi
miserere nobis

Lamm Gottes
JESUS CHRISTUS
Gottes und der
Menschen Sohn

DU nimmst hinweg
die Sünden der Welt
erbarme DICH unser

AGNUS DEI qui tollis
beccata mundi
dona nobis pacem

Lamm Gottes
JESUS CHRISTUS
Gottes und der
Menschen Sohn

DU nimmst hinweg
die Sünden der Welt
gib uns DEINEN Frieden

Abendgebet

Bevor des Tages
Licht vergeht hör
Welterschaffer
dies Gebet

Der DU so milde
und so gut nimm
gnädig uns in DEINE
Hut. Gib dass kein

Böser Traum uns
weckt kein nächtlich
Wahnbild uns erschreckt
die Macht des Bösen

Dämme ein dass unser
Herz stets bleibe rein.
DER DUVater mit dem Sohn
Und Geist regierst

Auf einem Thron DIR
sei die Ehre allezeit
und in Ewigkeit

Altsasbachertag

Liebe Kursfreunde, Pirminer, Altsasbacher und Freunde der Heimschule Lender,
immer wieder erinnerte ich mich gern an die Zeit im Spätberufenensemniar St. Pirmin und in der Heimschule Lender: Der Wahlspruch „Initium sapientiae timor domini“ grüßt jeden Besucher, der sich der Schule nähert auch heute, und erinnert an ihren Gründer Xaver Lender. Die Geschichte unseres Spätberufenenseminars St. Pirmin fand leider mit dem Abriss des Gebäudes ein für uns schmerzliches Ende. Umso bedeutsamer ist es für mich, heute zurück zu schauen, um uns an die Zeit der Vorbereitung auf unser Abitur zu erinnern. Als derzeit ältester Pirminer, ist es für mich eine ehrenwerte Aufgabe, unseren Lehrern und den Menschen der Erzdiöse Freiburg, die uns auf diesem Weg unterstützten, noch einmal zu danken.

Man kann ein Gebäude abreißen, aber nicht den Geist zerstören, der uns in Sasbach zu einer Gemeinschaft formte, der wir unsere beruflichen Wege und die derzeitigen Plätze in Kirche und Gesellschaft verdanken. Sollte es möglich sein, an geeigneter Stelle eine Gedenktafel anzubringen, die an die Spätberufenen erinnert, würde dies sicher auch St. Pirmin ehren. Die Lehrer und Freunde, von denen wir uns verabschieden mussten, treten sicher mit ihrer Fürbitte um Glauben, Hoffnung und Liebe, in der Nachfolge unseres Herrn Jesus Christus für uns ein.

Der Vater Sohn und Heilige Geist möge uns stärken, um SEINEN Beistand allezeit zu bezeugen. Die Heimschule Lender empfehlen wir Pirminer gern, als geeigneten Ort, um junge Menschen auf ein Studium und ihre Aufgaben in Kirche und Welt vorzubereiten.

Bleibt im Segen und Frieden!
Euer Franz aus Oppenweiler

Die Ehre sei dem Vater Sohn und Heiligen Geist

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Flipsi und Flapsi – eine Fabel

Es war einmal ein Mäusemädchen, eigentlich eine süße kleine Mäusedame, niedlich, lebendig und sehr schön. Sie saß eines Tages auf einem Stein und betrachtete ihre Welt. Viel gab es da zu bewundern: Gräser, bunte Blumen, einen kleinen Bach, einen Hügel mit Büschen und Bäumen. Sie hörte die Vögel zwitschern, und freute sich an dem Spiel der Wolken, die am Himmel ihre Bahn zogen. Ihre Freundin, die liebe Sonne, machte die ganze Welt heiter und wärmte Flipsi auf ihrem Stein. ,Da schob sich plötzlich eine dicke, dunkle Wolke vor die Sonne. Schatten legten sich über alles und Flipsi wurde es trotz des dichten Mäusefells kühl. Sie konnte sich auf einmal gar nicht mehr so richtig freuen. Als hätte sich Dunkelheit auch über ihre zarte Seele gelegt, begann sie über ihr bisheriges Leben und all die Wünsche nachzudenken, die sich noch nicht erfüllten. Eigentlich, dachte sie, führe ich gar kein schönes Mäuseleben, denn ich bin allein. Andere Mäuse sind verheiratet, haben eine Wohnung und Kinder. Sie spürte deutlich, wie sehr sie sich nach einem hübschen, starken Mann und lieben Kindern sehnte. Da wurde Flipsi sehr traurig: Die Blumen waren nun nicht mehr so schön, der kleine Bach plätscherte weniger lieblich. Sogar die Bäume und Büsche schienen sich im Schatten ein wenig zu ducken und die Sonne hinter den Wolken hielt ihre wärmende Kraft zurück. Flipsi ging alles so sehr zu Herzen, dass sie schrecklich weinen musste. Tränen tropften ihr ins Mäusefell, als sie bemerkte, von niemand geliebt zu sein. Lange saß sie, ganz in sich zusammen gekauert, auf ihrem Stein und verbarg ihr Gesicht in den Pfoten. Schließlich wurde Flipsi aber sehr ärgerlich, denn sie bemerkte plötzlich: Das Weinen hilft ja gar nicht! Und als eine Schwalbe herbeiflog und sie voll Mitleid am Schwanz zupfte, kam ihr die Idee: Wenn sie sogar eine kleine Schwalbe ein wenig liebhabe, dann finde sie sicher auch noch einen lieben Mäusemann. Auf einmal wich die ganze Trauer von ihr. Und ganz aufgeregt, überlegte sie weiter: Einen lieben Mann bekomme sie doch wohl eher dann, wenn ich nicht mehr traurig wäre und mich recht hübsch machte:
So schnell ihre kleinen Mäusebeine sie trugen, lief sie hinunter zum Bach. Ihr Spiegelbild im Wasser wollte ihr aber gar nicht gefallen. Du siehst ja wirklich zum Heulen aus, Flipsi«, sagte sie zu sich selbst und »Das soll aber nun anders werden!« Und sie machte etwas, was Menschenkinder manchmal gar nicht so sehr mögen. Sie wusch sich so gründlich, dass es eine Freude war, ihr zu zuschauen: Sie wusch sich das Gesicht, die Beine, den Bauch und den Rücken, sogar den lieblichen Mäuseschwanz und den Mäusepopo. Dann eilte sie wieder schnurstracks zu ihrem Stein, und ließ sich vom Wind und der Sonne, die wieder hinter den Wolken hervortrat, behaglich das Fell trocknen. Ei, war da Flipsi schön anzusehen: Ihr Fell glänzte in der Sonne. Sie konnte sich wieder an dem schönen Tag freuen und saß recht vergnügt und zufrieden auf ihrem Stein. Gedanken verloren wanderte ihr Blick den kleinen Weg am Bächlein entlang. Es schien in der Ferne nur noch ein kleiner Sprung zu sein, bis zur wärmenden Sonne. Sie überlegte ernstlich, die liebe Sonne zu bitten, dass sie Flipsi einmal Huckepack nehmen sollte. Dann nahm sie aber wieder Abschied von dieser Idee, denn jetzt, da es ihr wieder gut ging, wollte sie es nicht riskieren, sich das schöne Fell zu verbrennen.

Aber was war denn das? Da kam doch -wie ein Bote der lieben Sonne- ein Mäusemann des Weges. Es war Flapsi, der da entlang des Baches einen Trainingslauf machte. Er war stark und schön anzusehen, und konnte so gut rennen, dass der Staub wie eine kleine Wolke hinter ihm aufwirbelte. Ihr sollt wissen: Die Mäuse haben von Kindheit an großen Spaß sich zu bewegen, zu rennen und sich zu verstecken. Das ist wichtig für sie, um sich vor den Katzen zu schützen. Und Flapsi war ein besonderer Mäusemann, der gern seine Muskeln spielen ließ, ja manchmal sogar dazu neigte, vor anderen Mäusen mit seiner Kraft zu protzen. Wenn er aber nicht gerade, wie jetzt, hart trainierte, konnte er auch ganz gemütlich und faul herumliegen. Jetzt aber war ihm offensichtlich nach Rennen zumute. Er keuchte und schwitzte dabei und bekam vor Anstrengung eine ganz rote Nase. Er schien für nichts anderes Interesse zu haben. Da sah er, wie ein Geschenk des Himmels, plötzlich Flipsi in der Sonne auf ihrem Stein sitzen. Aus vollem Lauf blieb er wie angewurzelt stehen, und konnte sich nicht genug satt sehen an dieser hübschen Mäusedame. Wahrlich, Flapsi hatte schon manchem Mäusemädchen den Hof gemacht. Flipsi strahlte ihn aber so betörend an, dass Flapsi alle Bedenken beiseiteschob und es wagte, die Mäusedame mit einer leichten Verbeugung artig zu begrüßen. Er hatte auf einmal gar keine Lust mehr, alleine am Bach entlang zu laufen. Hallo! sagte er: Ich bin Flapsi und finde, Du siehst gut aus! Hallo! sagte Flipsi, ohne sich allzu sehr zu zieren: Ich heiße Flipsi, Du siehst auch ganz gut aus! Willst Du Dich nicht ein wenig zu mir setzen? Wir könnten zusammen plaudern«. Sie dachte: Einen so tollen, starken Mäusemann habe ich selten gesehen. Flapsi nahm das Angebot an und setzte sich neben der Mäusedame auf den Stein. Sie erzählten sich so dies und das, was einen Mäusemann und eine Mäusedame das Jahr über beschäftigt. Die Sonne schien plötzlich wieder wärmer zu strahlen, die Vögelein lieblicher zu zwitschern, der Hügel und die Büsche standen wieder in saftigem Grün und sogar das Bächlein schien in Freude lauter als zuvor zu plätschern. Flipsi und Flapsi waren auf einmal sehr verliebt. Sie streichelten sich und gaben sich sogar ein Küsschen. Wenn ich einmal heiraten sollte, dachte Flapsi, dann müsste meine Mäusefrau so aussehen, wie Flipsi. Und Flipsi dachte: Einen so schönen, starken Mann wie Flapsi, würde ich auf der Stelle heiraten. Nun nahm Flapsi seinen ganzen Mut zusammen und sah Flipsi so liebevoll an, dass diese ihr Mäusegesicht ein wenig zur Seite bog und gestand ihr: »ich finde Dich, Flipsi, wunderschön. Willst Du meine Frau werden und mich heiraten? Flipsi fühlte ihr Herz bis ins Mäuseschwänzchen pochen und sagte ganz glücklich: »Auch Du gefällst mir. Einen Mann wie Dich, habe ich mir immer gewünscht«. Sie nahmen sich in die Arme und keine der Wolken am Himmel traute sich in diesem Augenblick, die Sonne zu verdecken, um dem Glück der beiden Mäuschen nicht im Wege zu stehen. Der Abschied tat nicht weh, denn sie würden sich ja wieder sehen.

Froh eilten die beiden nach Hause zu ihren Eltern und verkündeten ihnen die große Neuigkeit. Und wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde, dass bald eine große Mäusehochzeit gefeiert werde. Viel gab es nun zu tun, bis alles vorbereitet war. Denn auch Mäuse verstehen sich darauf, Feste zu feiern. Nachdem alles vorbereitet war, wurden Einladungskarten mit der Mäusepost versandt. Darauf stand geschrieben: »Wir laden Euch herzlich zu unserer Mäusehochzeit am nächsten Sonntag ein! Eure Flipsi und Flapsi«. Und dann kam dergroße Tag: In einer kleinen weißen Mäusekutsche fuhren die Brautleute und deren Eltern zur Kirche. Flipsi trug ein wunderschönes, weißes Brautkleid mit einer großen Schleppe. Flapsi hatte sich als Bräutigam besonders chic gekleidet. Alle eingeladenen Mäuse und die vielen Tiere, die als Zaungäste neugierig herbeigekommen waren, klatschten Beifall. In der Mäusekirche hatte sich der Pastor auf eine feierliche Trauung eingestellt und einige Musiker eingeladen. Die Mäuseeltern und Verwandten nahmen in den ersten Reihen Platz, rückten ihre Festtagskleider zurecht und lauschten ergriffen der schönen Musik. Der Pastor hielt eine tiefsinnige Predigt über Liebe und Treue. Heimlich wischten sich die Mäusemütter Tränen der Rührung ab. Selbst die Mäuseväter hätten fast geweint, wenn ihnen nicht gerade noch eingefallen wäre, dass sie das ja nur sehr selten tun. So schauten sie in ihrer stillen Würde der Trauung nur ein wenig hilflos und verknittert zu. Der Pastor steckte dem Brautpaar die Ringe an und segnete das Paar und alle Anwesenden. Die Orgel spielte noch einmal recht feierlich zum Auszug. Alle Verwandten, Freunde und deren Kinder, die sich am Portal aufgestellt hatten, spendeten Beifall. Die Vögel setzten sich auf das Gebälk unter dem Vordach der Kirche und zwitscherten im Chor ein wunderschönes Lied. Hinter der Brautkutsche fuhren alle geladenen Gäste in Blumen bekränzten Gespannen zum großen Festschmaus in´s Mäusegasthaus. Es gab ein leckeres Hochzeitsessen: Saft für die Kinder, und Wein für die Großen. Danach wurden Eis und Kuchen serviert und die Musik spielte zum Tanz auf. Flipsi und Flapsi eröffneten den Hochzeitstanz und gaben sich vor allen Gästen einen Kuss. War das ein Singen, Tanzen und Scherzen. Man sagt heute noch, dies sei eine der schönsten Mäusehochzeiten gewesen, die es je gegeben hat.

Flapsi nahm anschließend seine junge Frau bei der Hand und ging mit ihr zur neuen Wohnung. Er hatte ja zur Überraschung seiner Frau, das Mäuseloch ganz besonders fein einrichten lassen. Bei der Wohnung angekommen, nahm er sie auf die Arme und trug sie -wie sich das auch bei Mäusen gehört- über die Schwelle in´s Mäuseloch. Flipsi konnte sich nicht satt sehen an all den schönen Sachen: Im Flur gab es eine hübsche Garderobe mit einem großen Spiegel. In der Küche befanden sich in weißen Schränken klitzekleine Tellerchen, Tassen, Töpfe und Pfannen. Es gab auch einen Kasten mit Gabeln und Messern. Sogar – Ihr werdet es kaum glauben- eine Spülmaschine stand da, damit Flapsi nicht selbst Geschirr spülen musste. Im Esszimmer gab es ein kleines Sofa, Schränke für das Geschirr und ein Tisch mit Stühlen. Zur Feier des Tages hatte Flapsi auch rote Rosen nicht vergessen, und sie in einer schönen Vase auf dem Tisch gestellt. Das Wohnzimmer war mit Bücherschränken, Tisch, Sesseln und einem großen Sofa ausgestattet. Sogar einen Fernseher hatte Flappsi besorgt, obwohl Mäuse eigentlich wenig Zeit zum Fernsehen haben. Im Schlafzimmer standen Betten und ein Schrank mit Wäsche. Sogar ein Mäusebad und eine Mäusetoilette gab es. Glücklich und zufrieden lebte das Paar hier lange Zeit. Flapsi sorgte dafür, dass genügend Nahrung ins Haus kam. Flipsi verwöhnte ihren Mann mit gutem Essen und hielt das Mäuseloch in Ordnung. Denn auch Mäuseeltern haben es gern, wenn die Wohnung ab und zu wieder einmal aufgeräumt ist. Als einige Monde ins Land gegangen waren, stellte sich bei Flipsi und Flapsi Nachwuchs ein. Drei Mäusekinder wurden geboren. Das erste nannten sie Claudia, das zweite Veronika und das dritte Christiane
Das war ein Leben in der Mäusewohnung. Flipsi klagte nun öfters, dass es hier nun wirklich zu eng würde und dass man mit drei Kindern ein größeres Mauseloch benötige. Flapsi hatte sich aber so an die alte Wohnung gewöhnt, dass er sie gar nicht mehr aufgeben wollte. Er half nun auch im Haushalt mit, fütterte die Mäusekinder, wusch sie und brachte sie zu Bett. Die drei Mäusekinder wuchsen heran und wurden immer frecher. Bald hielt es sie nicht mehr im Mäuseloch und Flipsi mußte ihnen erklären, wie es draußen in der Welt zugehe. Sie ermahnte immer häufiger ihre Kinder und sprach: »Passt gut auf, passt gut auf, wenn ihr draußen vor dem Mäuseloch spielt, denn da schleichen auf samtenen Pfoten der Kater Mautze und die Katze Mietze herum und die fressen mit Vorliebe kleine Mäusekinder! Wenn ich die Katzen sehe, dann rufe ich: piep, piep, piep! Kommt dann schnell, kribbele, krabbele in´s Mauseloch hinein, damit Euch kein Leid geschieht! Und eines schönen Tages, als die Mäuslein wieder einmal sorglos vor dem Mauseloch in der Sonne spielten, schlich tatsächlich der Kater Mautze auf leisen Sohlen heran. Er leckte sich in Erwartung der feinen Speise den Mund und duckte sich zum Sprung, um die Mäusekinder zu fangen und zu fressen. Aber Flipsi hatte wie ein Schießhund aufgepasst: Piep, piep, piep! warnte sie ihre Kinder. Und wie der Blitz flüchteten sie, kribbele, krabbele ins sichere Mauseloch. Der Kater Mautze aber schlich enttäuscht von dannen, denn er konnte keines von ihnen fangen und fressen. Und wenn die Mäuslein nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

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