Gedenken

Vater Du bist stark
treu wahrhaftig gerecht
Hüter alles Schönen
Guten und Edlen Du
Fels in der Brandung
unsere feste Burg

Mutter Du bist schön
bewahrst und schenkst
die Geheimnisse des
Lebens hütest den
Reichtum Du Spenderin
der Liebe unser Halt

Kind Du lebendiges
vertrauend und hoffend
Du Neugier und Schöpferkraft
gewährst milden Trost
Du Sieger über Elend
und Tod unsere Zukunft

Dreifaltigkeit

Wir kennen die Worte unseres Herrn Jesus Christus aus der Heiligen Schrift: “Ich bin der Weg die Wahrheit und das Leben”. Pilatus aber fragt: “Was ist Wahrheit?” Es braucht nur einen klaren Blick, um die Bedeutung dieser tröstenden Worte in unserer Zeit, in der es zwar aufrechte, wahrhaftige Menschen und Aussagen, jedoch auch eine Flut von Lügen und Untreue gibt, zu erkennen. Wer sehnt sich da nicht nach Orientierung, Heil und einem sicheren Weg? Die Einladung zu Umkehr und Frieden und die im Herrn verbürgte Hoffnung auf ein glückendes und erfülltes Leben, bis in die Ewigkeit hinein, scheinen nötiger denn je: In jeder Heiligen Messe feiern wir, in Verbindung mit allen Gläubigen, die feste Zusage unseres Herrn, für uns und alles Geschaffene “Weg Wahrheit und Leben” zu sein”. Dem Ruf des Priesters: “Durch IHN, mit IHM und in IHM, ist Dir Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes, alle Herrlichkeit und Ehre”, antworten wir als Kirche, mit unserem bestätigenden “Amen”. Wie viele Male durfte ich durch Gottes Gnade in meinem Leben, im Vertrauen auf den Herrn, diese Worte in Gottesdiensten ergriffen mitbeten. Durch IHN will sagen, von Ewigkeit her, schon ein guter Gedanke Gottes zu sein, und das menschliche Dasein, mit allen Höhen und Tiefen der Entwicklung des inneren, äußeren, und geistlichen Lebens, als ein Geschenk aus der Hand Gottes zu empfangen. In meinem ersten Buch “Geschichten und Gedanken” habe ich hierzu in einer Arbeit über die Einheit und Vielfalt nachgedacht, die in Überlegungen zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit gipfeln. Ein Geschenk der Gnade ist es, das ganze innere und äußere menschliche Dasein, mit all seinen Gegensätzen, in Jesus Christus als eine Erde und Himmel verbindende “coincidentia – oppositorum”, eine Verbindung aller Gegensätze zu erkennen. Wir Gläubigen trauen den Worten des Herrn, der uns durch die Kirche die fortbestehende Verbindung von Leib und Seele des Menschen in einer, selbst über den Tod siegender, pneumatischer Form seliger Schau bei Gott verspricht. Unser Leben endet eben nicht im Nichts, sondern in einer uns zugesagten unermesslichen Fülle. Mit IHM bedeutet für uns, dass uns nichts von der Liebe, und dem Segen des Herrn, zu trennen vermag. Wir sind kein Produkt eines sinnlosen Zufalls, dazu verdammt, einem ungewissen Ziel, blind entgegen zu taumeln. Mit IHM, unserem Herrn, leben wir in einer gottgewollten, und geordneten Welt, in einem an Wundern reichen Kosmos des Universums, ausgerichtet auf die Erfüllung bei Gott. Durch IHN sind wir, in Seiner Gnade gehalten, dazu berufen, als Gottes Kinder Diener der Freude und des Friedens zu sein, und in allen Bereichen unseres Daseins, mitwirkend und mitgestaltend, den Mitmenschen die Erlösung und die Hoffnung unseres Glaubens an den Herrn Jesus Christus zu bezeugen. In IHM, dem Gottessohn, stellt uns der Herr SEINEM Vater, als die geliebten Geschwister vor. ER nimmt uns mit hinein in SEINE Liebe zum Vater, einem über alle Vorstellungen hinaus, liebenden, gütigen, barmherzigen und gerechten Gott, dem wir angehören dürfen. Wir empfangen durch IHN den Heiligen Geist, der die ganze Schöpfung durchdringt, belebt und erhält, und auch uns auf wunderbare Weise neugestaltet. Ja wahrhaft Gnade über Gnade für die Erfahrung eines solchen Geschenkes.

Haben wir daher nicht allen Grund, zusammen mit unseren Priestern, in Gemeinschaft mit der ganzen Kirche. und allen Gläubigen, in jedem Gottesdienst, dem Vater im Himmel dafür zu danken, dass er uns Seinen Sohn als Erlöser gesandt hat. Ja, durch IHN, und mit IHM und in IHM, haben wir mit dem Vater und dem Heiligen Geist, in der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, alle guten Gaben, die uns zu Kindern Gottes machen. Lassen wir daher die uns geschenkte Liebe des Gottessohnes in unsre Herzen ein. Der Heilige Geist möge unser inneres, äußeres und geistliches Leben erfüllen, damit wir im Vertrauen auf die Nähe und Gnade des Herrn, in SEIN Erlösungswerk hineingenommen, unseren Mitmenschen die kostbare Hoffnung unseres Glaubens bezeugen können. Gott lebt, der Herr lebt, die Kirche lebt, und wir alle sind berufen, an der Versöhnung der Gegensätze und dem Frieden unter uns mitzuwirken. Die Gnade Gottes möge uns begleiten, damit wir das Geschenk der Erlösung aus Schuld und Sünde durch den Herrn, der Weg, Wahrheit und Leben ist, annehmen können, um mit IHM, durch IHN und in IHM, bis hin zur Fülle in aller Ewigkeit zu gelangen. Unser Herr, der im Unterschied zu manchen Versprechungen in dieser Welt, nicht lügen kann, hat uns, wenn wir den Lebenslauf vollendet, und den Glauben mit seiner Gnade bewahrt haben, unermesslich schöne Wohnungen im Herzen der Heiligsten Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligen Geist als Gotteskinder zugesagt.

Heilig heilig heili heilig ist der Herr

Lasset uns beten

Vater unser, so dürfen wir beten. Geheiligt werde DEIN Name. DEIN Reich komme. DEIN Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldnern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von allem Bösen. DU o Gott, unser Schöpfer, dem wir alles verdanken, was wir sind und haben, DU hast uns das Leben, DEINEN Sohn, den Heiligen Geist, DICH selbst, das Allerheiligste, was es im Himmel und auf Erden gibt, geschenkt. DIR verdanken wir das Heil und jeglichen Segen im Universum Deiner Liebe. DU bist unsere wahre Heimat, der Ort der Anbetung des Dankes, und das Herz der Welt.

DU hast uns DEINEN Sohn, im Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria geschenkt. Gott von Gott Licht von Licht, eines Wesens mit DIR und dem Heiligen Geist, ist ER von Ewigkeit zu Ewigkeit, als Gottes und Menschensohn das Wort und wahre Leben. In IHM durch IHN und mit IHM besitzen wir alles, was zu unserem Leben und ewigem Heil nötig ist. Durch IHN sind wir, gezeugt aus ewiger Liebe, Kinder, Erben, Söhne und Töchter, als Eigentum Gottes. ER bewirkt, dass wir in Freundschaft mit DIR, himmlischer Vater, DEINEN Werken, dem Wirken des Heiligen Geistes in uns, mit allen Geschöpfen, unseren Lebensgefährten im Himmel und auf Erden, in Einheit leben können.

Mit und durch DEINEN Sohn, o Vater, sind wir getauft, gefirmt und hineingeliebt in DEINE Wohnungen in der Welt und im Universum. In dieser lebendigen Heiligen Kirche, dem Ort unseres Lebens, Sterbens, Betens und Begegnens mit DIR, DEINEM Sohn und dem Heiligen Geist, bist DU o Gott, unser Glaube die Hoffnung und Liebe. In DIR, dem Reich der Gerechtigkeit und des Friedens, geschieht uns Heil Vergebung, Erbarmen, Rettung, Erlösung und Offenbarung. In und mit DEINEM Sohn, ist alles Gottwidrige in uns gekreuzigt, und die Schuld und Sünde der Welt gesühnt. Der Herr hat ja bis in die bittere Verlassenheit hinein, unser und aller Geschöpfe Leid ertragen, um uns aus den Gräbern der Gottferne und Sünde zu erlösen, damit wir IHM in SEINEM Reich, als Auferweckte, auf dem Weg in die ewigen Wohnungen folgen können. Die Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang, so auch jetzt, allezeit und in Ewigkeit.

Das Kreuz der Erlösung und Hoffnung

Einigung

Der Herr
Schenkt
alles was
ER ist so
werde ich
Christ

Und alles
was ich bin
und habe
werde IHM
und Euch
zur Gabe

Der Herr ist für uns gestorben und vom Tod auferstanden-

Der Birnbaun

Kein Laut ist zu vernehmen an diesem Morgen. Mensch und Natur gönnen sich eine Auszeit. Nichts stört das Schweigen. Die Stille erfasst auch mich. Durch die kahlen Bäume sind deutlich die verschlafenen Nachbarhäuser zu sehen. Es fehlt jede Spur eines Windhauches Tief am Horizont, hinter Wolkenbänken versteckt, lässt die neblig leuchtende Sonne, die Konturen entlaubter Bäume kräftig hervortreten. Ihr schräges Licht fällt in unser Wohnzimmer, zaubert edlen Glanz auf die silberne Teekanne und belebt ab und zu im Spiel mit dem Schatten unsere Wohnung. Wie im Rahmen eines Bildes, richtet sich vor mir, beim Blick durch das Fenster, majestätisch der hohe, ausladende Birnbaum auf. Er steht an der Grenze unseres Grundstückes zur Klinge hin, die uns immer frische Luft zufächert. Nur die Birke mit ihrem weißgrauen, schartigen Stamm, ist annähernd gleich hoch. Die schlanken Fichten zu ihrer Seite lassen lediglich an den überreifen krummen Zapfen die Jahreszeit erkennen. Sie legen keinen großen Wert auf Veränderung und halten jahrein, jahraus, an ihren dunkel- und hellgrünen stacheligen Zweigen fest. Zu Füßen des Birnbaums reihen sich, der Grenze entlang, wie Kinder im Reigen unsere Büsche. Im Gegenlicht, tritt die Schönheit unseres Birnbaums besonders deutlich hervor. Fest verwurzelt, Wind und Wetter trotzend, teilt sich der kräftige Stamm im formenreichen, bizarren Spiel, bis ins zarte äußerste Geäst. Wie eine Skulptur in ihrer nackten Schönheit, steht er entblättert vor meinen Augen. Staunend frage ich mich, welcher Künstler dieses vielgestaltige Astwerk auch nur annähernd darstellen könnte. Nun ist mehr als deutlich zu erkennen, dass er schon lange, wer weiß wie lange, seinen Platz behauptet, denn eine grüngraue Moosschicht bedeckt an der Wetterseite den kräftigen Stamm und die stabilen Äste bis hinauf in den Wipfel. Erhaben, stolz, steht er in seiner stillen Würde auf dem ihm eigenen Boden. Nur ab und zu bekommt der Birnbaum Besuch von einer Elster und einem Sperling. Dann zittern die Zweige aufgeregt bei der Landung, und winken den Freunden beim Abflug leise nach. Wenn ich unseren Nachbarn in einer gedachten Linie umgrenze, ist unschwer zu erkennen, dass er ein wahrer Birn- und kein Apfelbaum ist. Wer wollte ihm diesen Anspruch streitig machen? Er war vor uns da. Seit einiger Zeit dürfen wir uns an seinem übers Jahr wechselnden Liebreiz erfreuen: Im Frühling hüllt er sich in ein weißes Blütenmeer, im Sommer spendet er Schatten, im Herbst einen unerschöpflichen Reichtum an Früchten. Danach zeigt er uns seine markante Statur. Er wird den Herbstwinden trotzen, diesen Winter überstehen, und uns in unterschiedlicher Gestalt auch im nächsten Jahr an die Beständigkeit in aller Veränderung erinnern. Vielleicht freut sich unser stummer Freund ein wenig darüber, wenn wir ihn nicht übersehen, und davon erzählen, wie reich er uns beschenkt. Wir dürfen mit seiner Verschwiegenheit rechnen. Er wird alle Worte in seinem „Herzen“ bewahren, und hoffentlich auch die Menschen erfreuen, die nach uns kommen.

Das Kreuz der Erlösung und Hoffnung

Der alte Mann und die Frau

Gelegentlich begegne ich dem alten Mann, der aufrecht und nachdenklich seinen Weg geht.Seine erkennbaren körperlichen Beschwerden, scheinen ihn nicht besonders zu beeindrucken. Blickt er mich mit seinem von Falten zerfurchten Gesicht, der markanten Nase, dem energischen Kinn und den leicht abstehenden, auf Empfang gestellten Ohren freundlich an, empfinde ich Sympathie und Respekt. Seine fragenden, zugewandten Augen, in denen Güte, Weisheit und Kraft aufleuchtet, fesseln mich immer wieder. Manchmal wirkt er, wenn er ruhig und bestimmt vorwärts schreitet, mitgenommen. Es entsteht aber nie der Eindruck, als könne er in schwierigen Zeiten seine Ziele aus den Augen verlieren. Mit einem Wort: Der alte Mann fasziniert mich. Er scheint ein gutes Herz zu haben. Bei unseren Begegnungen kann ich mich immer ein wenig an ihm aufrichten. Seine Erscheinung ermutigt ohne Worte. Ab und zu wirkt er in sich gekehrt, als ob ihn viele Gedanken bewegten. Ich frage mich immer mehr, was ihn beschäftigt, aus welchen Quellen er lebt und handelt, welche Ziele er verfolgt? Er könnte sicher manche Geschichte aus seinem Leben erzählen. Vielleicht lässt er sich bei unserer nächsten Begegnung ein wenig in seine Seele blicken?

Es überrascht mich nicht sonderlich, den alten Mann, der mich auf meiner Wanderung beschäftigt, nach einer Wegbiegung in der Ferne wirklich zu sehen. Wir sind offensichtlich in der gleichen Richtung unterwegs. Mir wäre es nie in den Sinn gekommen anzunehmen, es könne ihm in seinen Sportschuhen an Tempo gelegen sein. Im Gegenteil. Heute wirkt sein Gang beschwerlicher als sonst, müder aber nicht kraftlos. Langsam, als sei jeder Schritt kostbar, geht er mit Hilfe von Stöcken vorsichtig voran. Der Rücken könnte ihm Beschwerden bereiten. Ab und zu wandern seine Blicke in die umgebende Natur, die gerade jetzt, im Frühjahr beginnt ihre volle Kraft zu entfalten. Die Felder, Wiesen und Wälder stehen stolz in ihren farbenfrohen Gewändern. Ich kann beobachten, wie der Alte die emsigen Bauern freundlich grüßt. Er scheint mit ihnen ebenso vertraut zu sein, wie mit den Vögeln, der wärmenden Sonne,dem plätschernden Bach, und den Blumen und Gräsern am Wegrand. Der alte Mann scheint sich die Zeit zu gönnen, um all die Gaben der Natur mit ihren vielfältigen Stimmen, dankbar zu genießen. Es ist unvorstellbar für mich, ihn zu einer rascheren Gangart bewegen, zu wollen, denn das könnte ihn ja bei seinen „Beobachtungen“ stören. Ganz sicher würde er, eine solche Aufforderung ruhig und bestimmt mit der Bemerkung ablehnen, dass er schon oft in gleichem Schritt und Tritt gegangen und angehalten wurde, Tempo aufzunehmen, und dies nun getrost den Jungen überlas-sen könne. Wenn ich seine, trotz des höheren Alters durch trainierte Gestalt vor mir sehe, legt sich der Gedanke nahe, dass ihm Sport und Bewegung von Kindesbeinen an vertraut sind. Es würde mich gar nicht überraschen, wenn er mir ruhig und stolz erzählte, dass er auch heute noch jeden Tag Gymnastik treibe. Ob er Sportgeräte in seiner Wohnung hat? Überhaupt, wo und wie er wohnt, beginnt mich zunehmend zu interessieren. Ich halte ihn offen gestanden auch für einen Geistessportler und kann mir gar nicht vorstellen, dass er zu Hause nur vor dem Fernseher sitzen könnte. In solchen Gedanken befangen, kommen wir beide uns auf unserem Weg näher. Es fällt mir immer wieder auf, dass der alte Mann im Gegensatz zu den vielen Frauen, die mir unterwegs begegnen, wenig daran interes-siert scheint, sich ein attraktives jugendliches Aussehen zu geben. Er trägt, wie so oft, eine Cordhose und ein leichtes, blaues Wollhemd. Die locker das Haupt umspielenden, leicht schütteren weißen Haare, harmonieren gut mit Blau. Heute lächelt er mich besonders einladend an. Dabei treten seine Lebensringe, die Gesichtsfalten besonders deutlich hervor. Wie viele Jahre mochte er auf dem Buckel haben? Obwohl die Oberlieder der Augen nach Unten drücken, behindern sie seinen freimütigen Blick nicht. Wird es heute zu einem Gespräch kommen? Ich war mehr als bereit dazu. Das zugewandte Antlitz ließ einiges erwarten.

Ich lasse die leichte Beklemmung und Unsicherheit, die mich, als wir uns auf Augenhöhe begegnen befällt, beiseite und grüße in der mir möglichen Offenheit mit einem freundlichen »Grüß Gott!«. Er wendet sich mir voll zu und antwortet mit sonoren Stimme: »Grüß Gott, ein wunderschöner Tag! Sie sind auch schon unterwegs, wie die Bauern auf dem Feld, die zu diesen Wiesen und Äckern gehören!« Ich hatte mich nicht getäuscht. Er hatte tatsächlich mit den Bauern gesprochen und scheint sie gut zu kennen. Offensichtlich kommt er auch mir sehr entgegen. Der alte Mann scheint sich auf ein Gespräch mit mir zu freuen und sich dabei gut zu fühlen. Seine Hände und Arme, sind von der Sonne gebräunt, das Gesicht leicht gerötet. Der Blick ist zugewandt auf mich gerichtet, als modelliere er meine Gestalt. Ich frage mich, wie alt er sei? Derjugendliche Scharm und die lebhaften Gesten, die seine Worte begleiten, erschweren es, mich auf eine Jahreszahl festzulegen.

Ich gebe es schließlich auf, zu rätseln, wie ein Gespräch zwischen einem mehr als ein halbes Menschenleben Älteren und mir verlaufen könnte, welche Regeln da zu beachten wären, und ob er an einem Gedankenaustausch mit mir Interesse haben könnte. Meinen ganzen Mut, die Distanz zu überbrücken, lege ich in die Worte: »Wirsind uns nun schon so oft auf diesem Weg begegnet und heute begrüßen sie mich besonders einladend, sodass ich mir erlaube, sie zu fragen, ob wir nicht ein wenig gemeinsam wandern könnten? Er schien meine Bitte erwartet zu haben und gab freundlich zurück: Er kenne mich auch nur vom Sehen, das müsse uns aber nicht hindern, miteinander ,zu wandern und zu plaudern. Ihm sei im Moment auch danach. Der Bann war gebrochen; nun konnte mich nichts mehr hindern mit dem alten Mann zu reden.

Er schlug vor, uns Zeit zu lassen, um das auch mir sehr vertraute Tal hinauf durch den Wald den Berg hinan, über Zell, wieder zurück nach Oppenweiler zu gehen. Ich gab mir Mühe, mich auf sein Tempo einzustellen. Es war nicht einfach für mich, da ich sehr wohl eine raschere Gangart gewöhnt bin. Er schien dies zu bemerken und sagte: »Ist es Ihnen unangenehm, langsam zu gehen? Ich fühlte mich ein wenig ertappt, sah aber keinen Anlass, etwas zu verheimlichen und antwortete wahrheitsgemäß: »Ich gehe zwar allein viel schneller. Um mich mit Ihnen zu unterhalten, könnte ich mich aber auf ihren langsameren Schritt gut einstellen«. Wir wanderten nun geruhsam den uns bekannten Weg zum Brückle und die Steigung hinauf in den Wald. Der alte Mann nahm mir die Bürde ab, das Gespräch zu beginnen, und verwies auf seine beiden Stöcke: Diese Hilfen benötige ich erst seit zwei Jahren. Nun wohne
ich mit meiner Familie seit 25 Jahren hier in Oppenweiler. Den Weg, den wir zusammen gehen, bin ich früher im flotten Tempo gerannt. Mir ist fast jede Grasnarbe am Weg bekannt. Ich hatte mir damals mein Laufpensum in Intervalle eingeteilt. Es war mir wichtig, den Weg möglichst in immer kürzerer Zeit zu bewältigen. Ich stieg auch gern auf mein Rennrad, vergnügte mich beim Schwimmen, Tennis-spiel und mit Wintersport. Gut, dass ich das alles kenne, denn von alldem ist heute nur die tägliche Gymnastik, und das geruhsame Wandern übrig geblieben.Es hat mich sehr gekränkt, als ich nach und nach alle die mir lieben Sportarten nicht mehr ausüben konnte. Nun bin ich so weit, Ihnen und denen, die schneller gehen oder rennen können, dies Vergnügen von Herzen zu gönnen, denn ich entdeckte, dass ich beim langsamen Gehen sehr viel mehr erleben kann. Erst in diesem Jahr habe ich all das, was auf einem gemütlichen Spaziergang geschehen kann, in einer Erzählung beschrieben. Der alte Mann kam so richtig in Fahrt, als er von seinen vielen Sportarten erzählte, die ihm offensichtlich früher Freude bereiteten. Er schien dabei gar nicht zu bemerken, dass uns beide mehr als ein halbes Menschenleben trennt. Dies ermutigte mich, ihm zu gestehen, dass ich mir bereits überlegt hätte, ob er sportlich interessiert sein könnte und dass ich mich schon länger frage, wie alt er wirklich sein könnte. Er gab mir zur Antwort: » Mit fünfundsiebzig Jahren habe ich meine berufliche Tätigkeit beendet und die Praxis abgegeben. Nun bin ich seit mehreren Jahren im Ruhestand, und ununterbrochen dabei zu lernen, mit der zur Verfügung stehenden Zeit sinnvoll umzugehen. Bei einer meiner mir sehr wichtigen Beschäftigungen, den Wanderungen um Oppenweiler herum, haben wir uns ja kennen gelernt. Wenn Sie wollen, dann schenke ich Ihnen gerne eine Erzählung von mir, damit Sie entdecken können, was dieser Weg mit dem Blick auf die „Reichenberg“ und über Zell zurück im Wechsel der Jahreszeit zu bieten
hat«. Ich war nun doch überrascht. Kaum zu glauben, dass dieser lebhafte und interessierte Mann schon weit über achtzig Jahre alt sein sollte. Für einen Moment wünschte ich mir selbst, dass ich einmal ebenso lebendig und bei Kräften sein dürfte, wenn ich so alt wäre. Ich gab ihm wahrheitsgemäß zur Antwort: »Ich hatte erwartet, dass Sie höchstens auf fünfundsiebzig Lebensjahre zu gehen. Umso erfreulicher sei es für mich, so miteinander reden zu können, als gäbe es keinen Altersunterschied zwischen uns. Ich spüre auch eine gewisse Ähnlichkeit zu Ihrer Lebenssituation: »Seit Jahren bin ich in einem ständigen Lernen und stehe mit meinem Biologie- und Chemiestudium zur Zeit im Examen mit all seinen Unwägbarkeiten und den Problemen, die auch danach auf mich zukommen. Es gibt noch eine weitere Ähnlichkeit. Bei meinen zeitlich aufwendigen Studien komme ich selten zum Ausgleichssport. Es wäre schon viel gewonnen, wenn ich wie Sie, täglich gymnastische Übungen durchführte. Daher nehme ich mir jetzt wieder fest vor, für sportliche Interessen mehr Zeit einzuplanen, damit ich mir später den Vorwurf ersparen kann, etwas versäumt zu haben«. Das Eis war gebrochen. Das unterschiedliche Alter spielte nun keine Rolle mehr. Ich war wie befreit von einer Last. Der alte Mann hatte wirklich eine Fähigkeit, Distanz abzubauen, um ein offenes Gespräch zu ermöglichen. Er schien auch keine Scheu zu haben, mich als junge Frau ernst zu nehmen. Im Gegenteil. Er empfand offensichtlich Vergnügen dabei, mit mir Erfahrungen auszutauschen. Das nun spürbare Vertrauen erlaubte es mir, eine weitere Frage zu stellen: »Ich habe mehrfach beobachtet, dass Sie mit den Bauern auf dem Feld reden. Es schien so, als ob Sie deren Tätigkeit zu schätzen wüssten«. Er schaute mich wohlwollend an und erklärte: »,as wäre eine längere Geschichte. Wenn sie wollen, dann schenke ich Ihnen eine Erzählung, die davon berichtet, wie ich in den Kriegsjahren bei meinen Verwandten auf dem Hotzenwald die Arbeit in der Landwirtschaft in Feld und Wald rund ums Jahr kennen lernte. Sie haben richtig beobachtet, ich schätze die fleißigen Bauern unserer Umgebung sehr und lasse keine Gelegenheit aus, sie das spüren zu lassen. Kenne ich doch die Mühen und Liebe zur Scholle aus eigener Erfahrung. Dies gilt übrigens für alle „Werktätigen“ hier am Ort. Ohne die Menschen in den Betrieben Büros, der Verwaltung, im Gesundheitswesen und den Behörden, ohne unsere Lehrer, Mütter Putzfrauen und Müllmänner könnten wir nicht so leben, wie wir es heute gewohnt sind. Davon, schränkte er ein, steht aber wenig in den Gazetten. Und auch die Medien sprechen kaum von diesen Helden des Alltags, die sich engagiert in Staat und Gesellschaft einsetze Ich erschrak ein wenig bei dem Gedanken, dass so viele Menschen auch für mich tätig sind, an die ich bisher wenig gedacht hatte. Gab dann etwas betroffen zur Antwort: »Offensichtlich hatte ich Sie richtig eingeschätzt, denn ich bemerkte, wie freundlich Sie mit den Bauern sprachen. Dass Ihnen die vielen anderen Berufstätigen aber genau so wichtig sind, hat mich sehr berührt. Denn offen gestanden, darüber habe ich bisher wenig nachgedacht«. Der alte Mann verzog sein Gesicht zu einem gnädigen Schmunzeln und entgegnete: »Seien Sie unbesorgt, in Ihrem Alter, sie haben mir ja noch nicht gesagt, wie „jung“ Sie sind, machte ich mir über manches, was mich heut bekümmert, ebenso wenig Gedanken. Da hatte auch ich andere Interessen. Sie haben ja noch ausreichend Zeit vor sich, und sollten sich keine Vorwürfe mache«. Der alte Mann stand für mich plötzlich nicht mehr auf einem Sockel. Wir begegneten uns auf „Augenhöhe“. Er verlor zwar einige Lorbeer-blätter aus dem Kranz meiner Idealisierung, den ich ihm aufgesetzt hatte, gewann dafür aber umso mehr menschliche Züge. Es brauchte sicher einige Jahrzehnte, um nicht nur weiße Haare sondern auch diese Altersweisheit zu bekommen. Wie tröstlich für mich. Ich gab zur Antwort: Pilgerreise[/caption]

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