Vom Heiligen Thomas stammt der Wahrheitsbegriff: „ veritas est adaequatio intellectus ad rem“ – Wahrheit ist Anpassung der Erkenntnis an die Sache. Manchmal braucht es seine Zeit, bis sich der Kern einer solchen theologischen Aussage wieder so aus dem verdunkelnden Meinungsstreit herausschält, dass er sich dem wachen Bewusstsein der Gläubigen neu zu erschließen vermag. So ging es auch mir. Längere Zeit legte auch ich, dem modernen Verständnis folgend, die philosophisch und theologisch begründete Aussage des Heiligen Thomas, dass „Wahrheit eine Anpassung des Erkennens an die Sache“ sei, als überflüssig zur Seite. Die alte Pilatusfrage aber, „was ist Wahrheit“ behauptete sich hartnäckig und ließ sich nicht so leicht entsorgen. Sie tauchte aus der Dunkelheit der Verdrängung immer wieder auf.
Seit meiner Pensionierung vor Jahren, und dem dadurch gewonnenen Freiraum, bin ich Erfahrungen auf der Spur, die mir zunehmend gestatten, mein eigenes Fühlen, Denken und Urteilen zu gebrauchen, um der drängenden Suche nach Wahrheit, Weg und Leben folgend, auch philosophisch-theologische Aussagen auf ihre Tauglichkeit für uns heute zu prüfen. Dadurch kam es zu einer Veränderung meines Verhaltens, und der Einstellung zur Welt im Ganzen, die mich immer mehr ins Staunen versetzte. Ich erlebte mich in diesem Prozess zunehmend wie ein Geführter, der sich einer notwendigen Aufgabe nicht mehr entziehen durfte. Die Realität von Gut und Böse, Krieg und Frieden, Schuld und Sühne, Leben und Tod, die Sorge um die ökologischen, kulturellen und religiösen Daseinbedingungen der Menschen, verlangten meine Antwort. Der entscheidenden Frage, warum es mich und alles Seiende gibt, und der Erkenntnis, dass es in mir eine empirisch nicht zu erklärende Liebe zur Einheit und Vielfalt aller Phänomene im Mikro- und Makrokosmos gibt, konnte ich nicht mehr ausweichen. Diese Frage führte mich wieder in die Nähe der Erkenntnis des Heiligen Thomas, der die Meinung vertrat, dass Wahrheit sich in einem Prozess der Anpassung von Erkenntnis an die Sache, an das schon Da-Seiende ereignet. Es mag unseren Hochmut, selbst alles machen zu können zwar kränken, kann uns aber auch entlasten, wenn die widerständigen Dinge sich letztlich unserem erkennenden Zugriff in gewisser Weise entziehen. Wir erschaffen sie ja nicht auch wenn wir durchaus in der Lage sind, bereits Vorhandenes umzugestalten. Dem liebenden Blick gläubiger Erkenntnis erschließt sich aber darüber hinaus, in allen Dingen eine ihnen eignende Überfülle, die auf einen Schöpfer verweist. Nun wurde mir immer klarer, warum ich mein und aller Leben, die Einheit und Vielfalt, Gott und die Welt unbedingt liebe. Ich bemerkte in der Folge, wie sehr diese Erkenntnis mit meinen innersten Bedürfnissen übereinstimmte, und mich zu einem lebendigeren Bezug zu Menschen und Dingen führte. Pascal verweist in ähnlichem Zusammenhang sinngemäß darauf, dass unser Herz, die personale Mitte unserer selbst, seine eigenen Gründe hat. Vernunft Glauben und Liebe müssen daher keine unversöhnlichen Gegensätze sein. Sie können als treibende und steuernde Kraft, der in uns wirkenden und gestaltenden Gottebenbildlichkeit verstanden werden. Wohl den Menschen, die in Frieden mit sich, der Welt und allen Geschaffenen im Hause Gottes wohnen dürfen.
Mein Staunen über all diese Dinge, führte mich erneut zu den erhellenden Worten des Heiligen Thomas „veritas est adaequatio intellectus ad rem“. Ich erkannte aber nun die zeitlos wahre Botschaft, die sie enthalten. Ebenso klar wurde mir, dass wir die Dinge in ihrer Eigenart und Überfülle nur erkennen und lieben können, weil Gott der die Liebe ist, mit uns und durch uns liebt. Welch ein großes Wunder. Wer es fassen kann, der fasse es! Wie ein Paukenschlag zur Eröffnung der Symphonie des Himmels, berührt uns die Nähe Gottes, Seine Gegenwart, „die Fleischwerdung des Wortes“ in all Seinen Werken. Die ewige Wahrheit, die wir suchen, ist eben auch in den einfachsten Dingen der Welt verborgen. Glücklich der Mensch, dem diese Handschrift Gottes aufgeht. Gleichzeitig trat aber auch eine andere Erfahrung aus der Dunkelheit menschlicher Not, Angst und Zweifelns ins tröstliche Licht. Etwas noch viel Erhabeneres, nämlich die erschütternde Begegnung mit Gott selbst, dem DREIFALTIGEN, dem BARMHERZIGEN dem DEUS SEMPER MAIOR, dem immer GRÖSSEREN, der durch nichts zu beseitigen ist, dem VATER, der uns in Seinen offenen Armen bergen will. Alles in uns drängt nach IHM, das ist auch Teil der Wahrheit unseres Lebens. Es gibt demnach auch eine Annäherung menschlichen Erkennens an den Gott in uns, um uns und über uns, eine „adaequatio hominis ad deum“. Im Menschensohn, im wehrlosen Kind in der Krippe, wirbt ER, der Herr, um unsere Liebe. Die in uns allezeit begleitende Sehnsucht nach Glück und Frieden soll sich immer wieder neu erfüllen. Der Aussage des Heiligen Thomas füge ich daher beglückt hinzu: “veritas est adaequatio intellectus et sensus ad deum“. Die Wahrheit ist Anpassung des Erkennens und Fühlens an Gottes Gegenwart. Herr, von dem alles Gute kommt, verwandle das was wir sind und haben in eine Gabe. Lasse DU, dem wir immer schon gehören, nicht zu, dass wir Dich je verfehlen. Deine Worte mögen so in uns Fleisch werden, dass wir Menschen nicht all zu sehr erschrecken, wenn wir miteinander darüber reden.
Vielleicht haben Sie sich gelegentlich auch schon gefragt, ob Träume wirklich nur Schäume sind, ob es eine lupenreine, von jeglicher Subjektivität befreite „Realität“ gibt, wie es sich mit unerfüllbar scheinenden Wünschen verhält, oder ob es im Leben auch ein Zusammenspiel von Träumen, Realität und Wünschen geben könnte? Gelegentlich braucht es aber einen Anstoß, um sich mit derartigen Fragen zu befassen: Zur Abklärung eines Beschwerdebildes befand ich mich wenige Tage im Krankenhaus. Ich erlebte die Mitpatienten, Ärzte und Schwestern als ein in jeder Hinsicht besorgtes Team. Es stand an, noch einmal Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dies hatte den verständlichen Wunsch ausgelöst, alles gut zu überstehen, und zu einem Nachdenken geführt, wie ich die aktuelle Lebenssituation der Gesundheit dienlich gestalten könnte. Ein Traum und eine Theaterszene in denen es auch um Herzenswünsche ging, schienen damit in Zusammenhang zu stehen: In diesem Traum befand ich mich in der Situation des bekannten, von Edvard Munch gemalten Bildes, als sei ich der weit geöffnete Mund, der über mein Befinden hinaus, die Klagen und Nöte aller Menschen in der Hoffnung auf Gehör hinausschreit. Auch bei einer Aufführung von Goethes Faust, wurde ein Herzenswunsch deutlich: In den letzten Szenen stellt Goethe dar, wie der nach Erkenntnis strebende Faust, in einem erschütternden Ruf nach Gretchen, seinen Wunsch zu lieben und geliebt zu werden zu erkennen gibt. Zwei Szenen, die uns zeigen, dass wie Augustinus sagt, unser Herz über das Menschen Mögliche hinaus unruhig ist, bis es Ruhe findet in Gott.
Könnten auch wir, geblendet vom Wissen, oft nicht mehr in der Lage sein, zu bemerken, dass wir über alle unsere Begegnungen und Behausungen im Dasein hinaus, ständig Gott unseren Schöpfer, dessen Abbild wir sind, wie ein verlorenes Gesicht suchen? IHN, den HEILIGEN, der uns in hohen Stunden des Lebens, wie in der Szene am Dornbusch, oder im respektvollen Miteinander, schon hier auf Erden einen Vorgeschmack auf die ewigen Wohnungen geben will? Seit über zweitausend Jahren, bezeugt uns die Kirche, dass diese Hoffnung nicht trügt, Gott selbst uns entgegenkommt, und in der alles verbindenden Liebe des Gottessohnes Jesus Christus, ein menschliches Gesicht hat. Wie tröstlich ist es dann, dass der dreifaltige Gott durch IHN, mit IHM und in IHM in unsere Geschichte eintritt, um als Weg, Wahrheit und Leben, ständig bei uns zu sein. ER, der Herr, dem Ehre gebührt, der die Macht hat zu sagen, wer sucht, der findet, wer anklopft, dem wird aufgetan, wer bittet, der empfängt. Wann geschieht das? Eben jetzt, und in jedem Augenblick göttlicher Zeitrechnung. Kennt doch der Geliebte auch all unser Kreuz und Ungemach und weiß, dass wir ohne IHN nichts vermögen. ER kann, wenn wir IHN bitten, alles Tote und Gottferne in uns, und in dieser Welt zu neuem Leben erwecken, und unsere nach Liebe hungernden und dürstenden Herzen wirklich sättigen. Gibt es daher einen ernstlichen Grund, der Hybris des Wissens so zu erliegen, dass wir es nicht mehr wagen, darüber hinaus Gott unsere unerfüllbar erscheinenden Wünsche für die Welt, und Kirche ans Herz zu legen? Und sollten wir unseren Gott, der die Liebe ist, und uns ständig besuchen will, nicht gern einlassen, wenn ER bittend vor unserer Herzenstüre steht, nicht öffnen, wenn der ALLMÄCHTIGE anklopft, IHM nicht wie ein Kind entgegen stürmen, wenn der Vater uns die Ehre SEINER Gegenwart erweisen will? Guter Herr, möchte ich mit Ihnen antworten: Wir sind zwar nicht würdig, aber halte DU uns in DEINER Nähe, und in Liebe vereint, damit wir allzeit in Wort und Tat Deine frohen Zeugen bleiben.
Alles hat seine Zeit. Diese Erfahrung gilt bis heute, ebenso wie das kraftvolle Zeugnis der Propheten und Psalmen. Wir vertrauen Gott dem Schöpfer Himmels und der Erde, dass ER uns und Seine Schöpfung durch alle Zeiten hindurch zur Vollendung führt. Seit über zweitausend Jahren folgen wir SEINEM eingeborenen Sohn Jesus Christus, dem Wort Gottes, in dem unser Vertrauen auf unseren liebenden himmlischen Vater zur Vollendung gelangt, und durch die Kirche und alle Diener Christi bis in unsere Tage als Heilsgeschichte bezeugt wird. Jederzeit, ob ich stehe, knie, mich verneige, arbeite oder ruhe, danke ich mit allen Christen dem gnädigen Gott und Herrn im Heiligen Geist, der uns aus unermesslicher Liebe mit der ganzen Schöpfung das Dasein gewährt. In allen Stimmungen, die das Leben eines älteren Menschen begleiten, sitze ich dankbar für die geschenkte Zeit, in meinem bequemen Sessel, betrachte das von meinem Großvater geschnitzte Kreuz, das Bild der Gottesmutter mit dem Kinde und eine moderne Ikone, die für mich die Kirche symbolisiert, schweige bete und meditiere. Ich komme dabei ins Gespräch mit dem GELIEBTEN, dem ich alles Schöne und Gute verdanke, der mir die Kraft und Freude am Leben schenkt, und mir hilft, das Leid und die Not unserer Zeit im Blick zu behalten. Der Herr kennt gewiss all unser Beten und Fragen, und weiß wie oft wir IHN zusammen mit anderen Christen anrufen. Für einen Moment erscheint es mir dann manchmal, als wäre schon alles gesagt und geschrieben, was nötig ist, sodass wir schweigen sollten. Das stimmt ja auch, denn Gott unser Vater, SEIN Sohn und der Heilige Geist wissen alles, bevor es zum Wort in uns wird; und dennoch meldet sich ein „Aber“. Obwohl der Eindruck entstehen könnte, als hätten wir lebenslang, zu Gott gefleht, gebetet und gesungen, sodass nur noch das Schweigen vor dem „Unsagbaren“ angemessen schien, geht es mir selbst wie einem Liebenden: Wie oft habe ich meiner Frau und anderen Menschen schon gesagt, dass ich sie liebe. „Aber“ immer wieder lockt es mich, in alter oder neuer Weise, das Gleiche zu sagen. Der Herr möge daher ein Einsehen haben, wenn es uns drängt auch IHM immer wieder, und tausendfach, das Gleiche zu bekennen, als wären wir SEINE unnützen Knechte, oder Narren der Liebe. Sagt doch schon der Volksmund: »Was sich liebt, das neckt sich«, oder wie ich es sage: »Was sich liebt, sagt dies immer wieder«. Wir können der Liebe dadurch nichts hinzufügen. Aber es ist immer wieder neu und schön, den Geliebten zu zeigen, wie unendlich liebenswert sie für uns sind.
Damit hat sich bereits eine weitere Frage beantwortet. Ich bin Gott sei Dank ein spät berufener Schriftsteller und Autor geworden, und mir sehr bewusst, dass ich dieser Aufgabe nur noch eine begrenzte Zeit dienen kann. Sollte ich mich aber deshalb in den wohl verdienten Ruhestand zurücklehnen, im Bewusstsein, ich hätte alles gesagt, und Gott, der Herr, wüsste eh und je schon, was ich reden wollte? Dieser Gedanke ist für mich nur sehr begrenzt verlockend: Natürlich gehören Erholungspausen dazu, und vor allem ein ruhiges Arbeiten – wie jetzt. Aber in meinem Sessel kommt mir im Augenblick eine bessere Idee: Es könnte ja durchaus geschehen, dass mir beim weiteren Schreiben, SCHÖNERES oder BESSERES einfallen würde, als je zuvor. Vielleicht könnten gute Worte wie eine Arznei den geplagten Mitmenschen beim Blick auf das Wesentliche behilflich sein, oder sie beim Leistungsdruck und ihren Sorgen begleiten. Vor allem aber müsste ich unter den Augen unseres überaus ehrwürdigen Dreifaltigen Gottes, noch entschiedener gegen die global zu beobachtende Respektlosigkeit der Menschen im Umgang mit einander in der Wirtschaft, Politik, den Medien und zwischen den Religionen zu Felde ziehen. Daher bitte ich Sie um Ihr Gebet für mich bei Gott, und sage nein und abermals nein, gegen die Versuchung, aufzugeben. Ihnen verspreche ich aber, solange es mir der Herr gestattet, zu Seiner Ehre, zum Wohl der Schöpfung und aller Mitmenschen weiter zu schreiben, denn das Feuer ist noch nicht erloschen.
Wir erleben in unseren Tagen, beim Reden und Handeln in der Öffentlichkeit, eine Verrohung der Sitten, die uns bedrückt. Dass wir Menschen, im Schutz der freien Meinungsäußerung, im öffentlichen Diskurs oder in der Begegnung mit Hilfs- und Ordnungskräften, respektlos mit einander umgehen, ohne dass ein Moderator wirkungsvoll eingreift. Es stellt sich die Frage: Darf das hohe Gut straffreier Meinungsfreiheit dazu führen, dass Beleidigung, Beschuldigung, Verletzung, Respektlosigkeit unter Mitmenschen erlaubt scheinen? Wo bleibt dann in unserer Gesellschaft eine Diskussion, über die vielfältige Schuld im Umgang mit einander? Wer kontrolliert zum Beispiel die Macht der Medien bei der Meinungsbildung? Das Schweigen vieler Menschen, kann sicher nicht als Zustimmung zum Fehlverhalten anderer im öffentlichen Diskurs gedeutet werden. Danken wir daher umso mehr den Medien und ihren Mitarbeitern, die sich gegen eine Verrohung der Sitten in unserem Land wehren, und uns mit ausgewogenen Berichten über gesellschaftliche, politische oder kirchliche Ereignisse informieren. Wir Christen leben mit unserem Volk und allen Menschen weltweit zusammen, und bitten im täglichen Herrengebet, eingedenk unserer Schuld, Gott zurecht um Vergebung, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben. Im Vertrauen auf SEINE barmherzige Liebe und erlösende Gnade, erwächst daraus immer wieder Mut. zum Bekenntnis unserer Schuld.
Sicher bin ich nicht der Einzige, der sich vor Gott als ein armer Sünder erlebt. Ich weiß auch, wie schwer es fällt, sich die eigene Schuld einzugestehen, und darüber zu reden. Die Kirche hat zu Recht einen Vertrauensbereich geschaffen, der es dem Pönitenten erlaubt, sein Herz zu öffnen. Mit Freimut gilt es daher auszudrücken, wie lieb und teuer mir im Laufe des Lebens dieses Bußsakrament geworden ist. Leider haben es die Umstände und Altersbeschwerden erschwert, regelmäßig am Herz-Jesu-Freitag, bei einem mir vertrauten Priester zu beichten. Umso mehr vermisse ich bei Gottesdiensten, das mir von Kindheit an vertraute „Confiteor“, das Stufengebet, in dem wir Gläubigen mit dem Priester zusammen vor Gott, der Gottesmutter und allen Heiligen bekennen, in Gedanken, Worten und Werken durch eigene Schuld Gutes unterlassen und Böses getan zu haben. Sind wir Christen eventuell auch vom Gift der Selbsterlösung infiziert, die Schuld immer bei anderen zu suchen, deren Fehler zu kritisieren, die Gesellschaft, Kirche oder Gott anzuklagen, um uns selbst frei zu sprechen? Wer sollte dann aber in der Lage sein, das ersehnte Paradies auf Erden für uns herzustellen? Lenken wir dadurch nicht nur davon ab, dass wir alle Sünder sind, und Gottes Erbarmen, SEINE Erlösung, und die gegenseitige Vergebung nötig haben. Also weiter so? Nein, tausendmal nein. Sprechen wir für alle Menschen in der Wirtschaft, den Medien, in Politik, der Kirche dem Bildungswesen und unseren Familien in der Hoffnung auf Vergebung unserer Schuld, das „Confiteor“ wie wir es zu Beginn jeder Heiligen Messe mit einander beteten: Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, der seligen allzeit reinen Jungfrau Maria, dem hl. Erzengel Michael, dem hl. Johannes dem Täufer, den heiligen Aposteln Petrus und Paulus, allen Heiligen, und Euch Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe. Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken, durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld. Darum bitte ich die selige Jungfrau Maria, den hl. Erzengel Michael, den hl. Johannes den Täufer, die heiligen Apostel Petrus und Paulus, alle Engel und Heiligen und Euch Brüder und Schwestern, für micj zu beten bei Gott unserem Herrn. Laden wir herzlich alle Menschen unserer globalen Familie und alle Christen ein, bei Gott Fürbitte für uns einzulegen, dass wir zur Einsicht in unser schuldhaftes Verhalten kommen und einander gegenseitig verzeihen.
Bitten wir Gott aber auch inständig, dass ER uns Kraft verleiht mitzuwirken, dass wir die guten Sitten pflegen, jedem das Gute gönnen, das Böse verzeihen und würdevoll mit einander umgehen. Wir haben ja allen Grund, Gott, dem Vater Sohn und Heiligen Geist, der Allerheiligsten ewigen, starken und gerechten Liebe, ohne Makel und Fehl zu danken. Und IHN den HEILIGSTEN für das Leben, SEIN Erbarmen, die Vergebung unserer Sünden und Schuld und die Wohnung in SEINER Kirche, dem Reich ewigen Friedens, zu rühmen und zu lobpreisen. Beten wir wie der Schächer am Kreuz: DU, über alles Geliebter Gott, Vater. Sohn und Heiliger Geist, bist nicht Schuld an dem Bösen in der Welt, das uns hindern könnte DICH zu verehren anzubeten zu verherrlichen, und DIR für alles Gute zu danken. Tröste uns o Vater mit dem Segenswort DEINES Sohnes am Kreuz zum Schächer: „Heute noch wirst Du bei mir im Paradies sein!“
Vergib usere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldnern.
Unser himmlischer Vater hat uns, seinen Werken und der Geschichte, eine Richtung gewiesen. Als Gott mit uns, in uns, und über uns, waltet SEIN reicher Segen, und verbindet den Himmel und die Erde wie ein Regenbogen. In Lobpreis und österlicher Freude erheben wir aus gutem Grunde unsere Hände, und preisen IHN mit unserem Herrn Jesus Christus im Heiligen Geist, der wie wir es in den Lesungen der Osternacht hörten, alles erschaffen hat, SEINE Werke für gut befindet und erhält. Wer wollte leugnen, dass es auf Erden auch schreckliche Kriege, Katastrophen, die Gottesferne der Menschen, unsagbares Leid, Schuld, Angst, Not und Tod gibt. Die ewige Liebe Gottes aber geleitet uns mit SEINEM Sohn im Heiligen Geist durch Leid, Kreuz, Tod zur Auferstehung, ins wahre Leben. In lichten Momenten unseres Daseins können wir in allen Dingen SEINE Spuren, und in der Unruhe unseres Herzens, die Hoffnung und Sehnsucht nach IHM erkennen.
Das Osterereignis, der weg gewälzte Stein, das leere Grab, der Engel, die Frauen und viele Glaubenszeugen unserer Kirche, bis hin zu Papst Franziskus, verkünden den Jüngern Jesu, uns und allen Zweiflern heute die frohe Botschaft: „Gott hat Seinen geliebten Sohn und uns aus dem Tode zu ewigem Leben auferweckt“. Unser Herr und Meister stirbt nicht mehr, und hat uns eine Wohnung im Herzen des DREIFALTIGEN bereitet, damit wir in Fülle leben. Stimmen wir daher in den Jubel der Kirche ein: „Tod wo ist dein Stachel, Hölle wo ist dein Sieg, denn der Herr ist wahrhaft von den Toten auferstanden!“ Wie schwer fällt es uns aber, eigene Vorbehalte und Ängste aufzugeben, damit der Herr uns im Heiligen Geist zum ewigen Leben auferwecken kann. Geht es uns da nicht ähnlich wie den Jüngern, die den schweren Stein vor dem Grab fürchteten, der sich nun auf Herz und Seele legte, um sie zu hindern, „alles zu begreifen, was in der Schrift über IHN gesagt ist“? Genau dann brauchen auch wir die Kirche und das Glaubenszeugnis in Wort und Sakrament, damit Jesus Christus in unseren Herzen auferstehen kann, und wir bemerken, dass ER schon lange unter uns weilt, um uns für SEINE in allem waltende Liebe und Barmherzigkeit, SEINE Gerechtigkeit und den Frieden öffnen und für einander Zeugen der Osterbotschaft zu sein.
Möglicherweise sind auch Sie in diesen Tagen zu einem Reiseziel unterwegs, während andere Menschen es vorziehen, in heimischer Umgebung ihre Ferien zu genießen. Wir alle befinden uns ja stets auf Pilgerreise. Mit meiner Frau besuchte ich einige Tage Wien. Wir begegneten staunend der Kunst und den Zeugnissen aus der ehrwürdigen Tradition der Habsburger, in der sommerlich belebten Stadt und feierten zusammen mit den Zisterziensern vom Stift Heiligenkreuz im Wienerwald eine ergreifende Heilige Messe. Eine Reise, in der wir tief beeindruckt erleben durften, welche Spuren die reiche Geschichte Österreichs, durch Kunst und Glauben in dieser schönen Stadt bis auf den heutigen Tag hinterlassen hat. Eine solche Reise bedarf einer Vorbereitung: Wir vertrauen unseren Nachbarn üblicherweise einen Schlüssel an, mit der Bitte, während wir unterwegs sind, auf unser Anwesen zu achten. Selbstverständlich überprüfen wir auch vor der Abreise unsere Versicherungen, obwohl diese Maßnahmen uns nicht immer vor Schaden bewahren konnten. Wer kennt nicht die gemischten Gefühle beim Abschied, und beim Aufbruch ins Unbekannte. Sind wir doch, als Reisende oder Bodenständige, ständigen Veränderungen ausgesetzt, und immer wieder genötigt, das bewährte Alte und das über die Grenzen hinaus lockende Neue, mit einander zu versöhnen. Im Laufe der Jahre lehrt uns aber die Weisheit, dass wir, lebenslang unterwegs, obwohl wir stets weitere Kreise ziehen, danach trachten, uns in jeder neuen Umgebung wieder einzunisten, zu lieben, geliebt zu werden, zu geben und zu nehmen. Wir Christen wissen uns berufen, nicht nur über unser Reiseziel zu reden, sondern so gut wir es vermögen, unseren Vorbildern auch tatkräftig zu folgen.
Wer steht uns aber bei, wenn uns auf dem Weg ins unbekannte Neuland, ein wenig die Beine wackeln? Kennen wir doch das Anforderungsprofil für unseren Lebensweg: Gott sei Dank ist aber die Aufgabe, einander in Liebe anzunehmen und zu stützen keine Leistung, sondern ein Geschenk des Himmels, um das wir bitten können. Ist letztlich unser Herr Jesus selbst doch die beste Lebens- und Todesversicherung auf unserer Pilgerreise. Diese und ähnliche Fragen müssen mich bewegt haben, als mir eine Meditation geschenkt wurde, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte: Ich befand mich dabei genau in der Situation eines Pilgers, vor Antritt seiner Reise ins Unbekannte, und überlegte mir beim Abschied und Aufbruch, wem ich während unserer Abwesenheit den Schlüssel zu unserem Zuhause übergeben wollte. Mir war ohne Zögern sofort klar, dass ich unserem guten Herrn Jesu diesen wichtigen Schlüssel anvertrauen würde, denn bei IHM wäre ich absolut sicher, dass ER uns nicht betrügen, und über all unser Hab und Gut sorgsam wachen würde. Ich freute mich sogar sehr bei dem Gedanken, dass der HERR sich in unserer Wohnung, die ER uns einzurichten half, wohl fühlen könnte. Vielleicht würde IHM SEIN Bild, das von meinem Großvater geschnitzte Kreuz an der Wand, daneben das Bild SEINER Mutter, die IHN als Kind auf dem Arm trägt, und eine Ikone, die etwas vom Geheimnis SEINER ständigen Gegenwart bei uns erahnen lässt, erfreuen. Ist dies doch der mir vertraute Ort, vor dem ich manche Stunde verweile, lausche und bete. Natürlich wäre für diesen hohen Gast, in SEINEM Ferienhaus auf Erden, das Feinste und Schönste gerade gut genug. ER dürfte sogar den Hausschlüssel behalten, damit ER uns jederzeit besuchen könnte. Sollte der Herr es für nötig erachten, so dürfte ER sich sogar in meinen geliebten Sessel setzen, um sich ein wenig auszuruhen und bei uns wohlzufühlen.
Kehren wir aber nun zurück in die Realität des christlichen Alltags in unserer Pfarrgemeinde: Ein Priester aus Nigeria feierte mit einer Hand voll Betern, die Heilige Messe. Als Lektor leitete ich, dessen eingedenk, die Lesung mit den Worten ein: »Ich sehe unsere Kirche gefüllt mit vielen armen Menschen, die Gott so nötig haben, obwohl sie nicht bei uns sind. Nach der Heiligen Messe wagte ich es, die betrübte kleine Schar ein wenig zu trösten, und erzählte ihnen von meiner Meditation. Aber was geschah dann? Plötzlich lachten wir alle, der Priester und die wenigen Beter, aus tiefster Seele. ER, unser Herr, der bei uns wohnt, weiß wohl manchmal besser als wir, wann und wie wir IHN nötig haben. In der weltweiten Katholischen Kirche wird ja immer irgendwann und irgendwo gebetet. Der Meister hat uns ja auch zugesagt, dass ER immer dort ist, wo sich auch nur zwei oder drei in SEINEM Namen versammeln. Dem Nachfolger auf dem Stuhl Petri, dem der Herr die Schlüsselgewalt übergab, gilt ebenso die feste Zusage, dass die Pforten der Hölle SEINE Kirche bis zum Ende der Zeiten nicht zu überwältigen vermögen. Beten wir daher für Seinen Diener, unseren Papst Franziskus, der darum bittet: Der Herr möge ihn schützen, begleiten und ermutigen, damit er im HEILIGEN GEIST die Kirche Jesu Christi kraftvoll führe, um die Herzen der Gläubigen für die immerwährende Barmherzigkeit des Dreifaltigen Gottes zu öffnen.
Vor Jahren habe ich mich in einem Referat mit Erkenntnissen aus der Altersforschung zum Übergang in den Ruhestand und den im höheren Lebensalter gestellten Aufgaben befasst. Ich entschloss mich damals im Vertrauen auf die eigenen Kompetenzen und Erfahrungen, den für mich geeigneten Weg zur Umstellung auf den neuen Lebensabschnitt selbst zu entdecken. Nach längerem Ruhestand, habe ich genügend Erfahrungen gesammelt, um über den Ruhestand und das Älterwerden sprechen zu können. Ich hoffe, mit dem von mir gewählten Thema und den weiterführenden Überlegungen hierzu auch Ihrem Interesse, liebe Leser, zu entsprechen. In einem Resümee gehe ich auf die schwierige Zeit nach dem Eintritt in den Ruhestand, sowie auf Aspekte der aktuellen Lebenssituation, und des auf Zukunft offenen Lebens ein.
Viel belastender als erwartet, gestaltete sich der Übergang in den Ruhestand und die Veräußerung der psychotherapeutischen Praxis. Erst nach Abschluss der komplexen Verhandlungen, gelang es in einem längeren Prozess mit der Kassenärztlichen Vereinigung, den Tagesablauf an die neue Situation anzupassen, Kompetenzen zu aktivieren und in Handlungen umzusetzen. Ein Leben lang hatte ich gewirkt und reiche Erfahrungen gesammelt. Als ich nach Monaten die Chance erkannte, alle meine Ressourcen sinnvoll zu reflektieren, dem Drängen nach Gedankenaustausch zu folgen, und als Schriftsteller zu arbeiten, erkannte ich eine sinnvolle Aufgabe bis zu meinem Lebensende. Seither habe ich mich in drei Bänden „Geschichten und Gedanken“ zu Fragen des Lebens und Erlebens auch im höheren Alter geäußert. Über meinen Literaturblog „franz-schwald.de“ erreichte ich über die verschiedenen Kanäle im Internet einen größeren Leserkreis, um als Brückenbauer in einen fruchtbaren Dialog zu treten.
Die aktuelle Lebenssituation im sechsundneunzigsten Lebensjahr ist dadurch charakterisiert, dass ich Gott sei Dank, trotz körperlicher Beeinträchtigung in der Lage bin, mich voll dem Schreiben zuzuwenden. Ich biete aber meinen Lesern nur Inhalte an, die mich persönlich bewegen, und von allgemeinem Interesse, für das heutige und künftige Leben der Menschen erscheinen. Die persönliche Lebenserwartung akzeptierend, neige ich zu einer strengen Auswahl der Inhalte im Kontrast zu allzu pessimistischen Lebenseinstellungen. Stabilisierende Kontakte zur Familie, Freunden und Lesern, und die Freiheit von beruflichen Zwängen, ermöglichen einen gestaltbaren Tagesablauf, um Tätigkeit und Muse an das aktuelle Leistungsvermögen anzupassen. Ich bedanke mich für die Lebensumstände, die mir gestatten, als spätberufener Schriftsteller einen ersehnten Beruf auszuführen. Wie sich dies alles, wie von selbst entwickelte, habe ich in meinen Büchern und im Literaturblog in Lyrik, Kurzgeschichten und Artikeln hinterlegt. Diese Arbeiten sind Teil meines Dankes und Vermächtnisses an das Leben. Ich wende mich nun den Themen zu, die mich aktuell, und im Blick auf die Zukunft, sehr beschäftigen:
Als älterer Mensch, fühle ich mich besonders verpflichtet und berechtigt, mich zur Endlichkeit unseres Daseins, der Verantwortung gegenüber dem Leben, den Mitmenschen, unseren Nachkommen, und der auf Zukunft offenen Sinnfrage zu äußern. Gott sei Dank ist es mir noch vergönnt, bei vollem Bewusstsein der reichen Gaben des Lebens zu schreiben und zu arbeiten. Alles, was ich in mir, um mich und über uns wahrnehme, ist nicht einfach selbstverständlich, sondern des Nachdenkens wert. Ich verstehe mich selbst, die Mitmenschen, unsere Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Technik als ein Geschenk in unverdienter Gnade. Daher gilt vor allem unserem Herrgott Dank, in dessen Händen ich voll Vertrauen mein Werk lege in der Hoffnung, dass es unserem Schöpfer gefällt. Was ich zu sagen habe, richtet sich im Grunde an alle Menschen, die sich ihrer Endlichkeit bewusst, danach sehnen, aktiv und auf Zukunft offen zu bleiben.
Wieder einmal bekam ich, wie so oft, zur rechten Zeit ein Buch in die Hände. In der von Andreas Kruse, in 2. Auflage 2015 erschienen Arbeit, „Die Grenzgänge des Johann Sebastian Bach“, werden Themen behandelt, die mir aus dem eingangs erwähnte Referat auch aus eigener Erfahrung bekannt sind. Der Autor belegt am Beispiel von Johann Sebastian Bach, dessen erstaunliche Hingabe an sein Werk bis ins hohe Alter. Er weist nach, wie Bach, trotz eines an Entbehrungen, Gebrechen, und Konflikten reichen Lebens, die musikalische und kompositorische Schöpferkraft bis in die Stunden vor seinem Tod, zur Ehre Gottes kreativ entfaltete. Wir könnten fragen, welche Bedeutung für uns, die Lebensgeschichte von Johann Sebastian Bach zum Thema Älterwerden hat?
Unter den vormals gegebenen Umständen der Praxisabgabe mit 75 Jahren, konnte auch ich bei den körperlichen Gebrechen und seelischen Belastungen, nicht erwarten, noch drei Bücher schreiben zu können; schon gar nicht, dass mir das Schreiben, als Dialog mit den Menschen, zu einer so befriedigenden Aufgabe werden könnte, dass dies den Einsatz aller meiner Ressourcen rechtfertigte. Ich wusste nur, dass ich, mit meiner Biographie und dem zugewiesenen Schicksal, als ein „spätberufenes Talent“ versöhnt, in der Lage war, in allen wichtigen Entscheidungen im Leben, dennoch nie zu spät zu kommen. Was konnte mich demnach hindern, im höheren Alter noch ein freier Schriftsteller zu werden?
Es stellte sich vor allem die Frage nach der Lebenserwartung. Leben und Tod sind aber als unverfügbare Vorgaben, neben anderen Grundworten wie die Frage des Vorsokratikers Parmenides “warum gibt es etwas und nicht Nichts“ und Pilatusfrage im Verhör mit Jesus: „was ist Wahrheit“ auch heute sinnvoll. Auch wir könnten die Frage stellen, was bedeutet uns heute Wahrheit, Leben und Tod? Könnte unser gelegentliches Schweigen ausdrücken, dass es uns bei dieser Nachfrage die Sprache verschlägt, weil es sich um grundsätzliche Themen handelt, die wir nicht im Griff haben, sondern die uns umgreifen? Ich möchte Sie, liebe Leser, einladen, mit mir zusammen in dieser Hinsicht das Leben und Werk Johann Sebastian Bachs zu betrachten, um über diese Grundworte und deren Bedeutung für unser Leben und Älterwerden nachzudenken:
Durch die Lektüre des vorgenannten Buches, sind mir vor allem die zwei Grundordnungen wieder ins Gedächtnis gerufen worden, vor denen wir nicht die Augen verschließen sollten: Es sind zwei unumstößliche Tatsachen, denen wir, wenn wir auf das Ganze des Daseins achten, begegnen. Schon viele Generationen vor uns hatten davon Kenntnis, und prägten die inhaltsschweren Sätze: „Media in vita in morte sumus“, und ich füge hinzu: „Media in morte in vita sumus“. Zu Deutsch: Mitten im Leben sind wir im Tod, und mitten im Tod sind wir im Leben. Johann Sebastian Bach anerkannte die zwei Ordnungen des Lebens und Sterbens, denen auch wir nicht entgehen können, und entfaltete in vorbildlicher Weise zur Ehre Gottes, sein schöpferisches, musikalisches Talent. Pilatus stellt die Frage: „Was ist Wahrheit?“ Wir könnten ihm einfach antworten: „Wahr ist, dass wir leben und sterben“ Der Psalmist Koholet spricht davon, dass alles seine Zeit habe. Wir wissen todsicher, dies gilt auch für uns. Ohne gefragt zu sein, beginnt unser Dasein und endet, wenn wir es nicht stören, ebenso. Dazwischen liegen Tage und Nächte, und einige Jahre die Erfahrung von Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Es obliegt uns allen, beim Älterwerden die genannten Grundordnungen des Lebens und Sterbens zu bejahen, in einem schöpferischen Prozess die eigenen Ressourcen zum Wohl des Ganzen zu entfalten, und vom Leben in Dienst genommen zu werden. Wir wissen, auch wenn wir es vermeiden, darüber zu sprechen, dass jede Stunde, Minute oder Sekunde, die uns geschenkt ist, ein Vergehen, und damit Sterben unserer verfügbaren Zeit ist. Genau so steht fest: Einmal werden uns sicher alle Handlungsmöglichkeiten auf Erden genommen, ohne dass wir den Tag, die Stunde oder Art und Weise unseres Todes genau kennen. Hoffen dürfen wir aber, dass andere Menschen, die dasselbe Schicksal mit uns teilen, noch nach uns da sein werden. Ihnen und den Bedingungen unseres gemeinsamen Daseins gilt daher, Generationen übergreifend, unser Sorgen und Handeln. Es scheint nicht nur, sondern es ist wirklich so, dass wir mitten im Leben von Geburt an auf unseren endgültigen Tod hin, auch im Vergehen der Zeit sterben. Es gilt aber auch der andere Satz, mitten im Sterben zu leben, ebenso. Kein Mensch, der natürlichen Todes stirbt, kennt, wie wir sahen, den Tag oder die Stunde. So besehen ist die uns geschenkte Zeit, immer auf Zukunft offen. Diese Offenheit auf Zukunft, diesen Vorlauf an Zeit, über den wir verfügen dürfen, gilt es zu sehen und zu nutzen. Es scheint mir allerdings schwieriger, Ihnen liebe Leser, zu erhellen, warum ich darauf bestehe, dass wir mitten im Sterben der Zeit auch Leben, sodass auch der Satz „Media in morte in vita sumus“ für uns gilt.
Angeklungen ist bisher schon, dass wir uns damit abfinden müssen, dazu bestimmt zu sein, über den Anfang und das Ende unserer Existenz nicht zu verfügen. Wir stoßen mit der Frage danach, im Grunde auf ein Geheimnis, und sollte mich jemand fragen, wer ich bin, dann muss ich ehrlicherweise sagen, ich weiß nur dass ich auf dieser Welt bin und einmal nicht mehr in dieser Welt sein werde. Ich brauchte aber eine geraume Zeit, um zu erkennen, dass wir Menschen einander ein Geheimnis sind und bleiben, und uns ebenso in einem geheimnisvollen Kosmos bewegen, der all unserem Bemühen, ihn empirisch zu erfassen, widersteht. Kinder, und ich war selbst ein neugieriges Kind, aber auch Erwachsene, sind unter günstigen Umständen in der Lage, offen zu sein und zu bleiben für das Geheimnis des Werdens und Zieles unserer Existenz.
In meinen Büchern bin ich dem „Unerklärlichen“, dem Geheimnis und zielstrebenden „Drängen“, auf der Spur geblieben. Ich sprach auch schon davon, wie wichtig es mir wurde, beim Eintritt in den Ruhestand, den eigenen Weg zu finden, um diesem Lebensimpuls nachzuspüren. In allen meinen Erzählungen, in denen ich über das uns geschenkte Leben nachdachte, versuchte ich, die uns begegnenden Geheimnisse des Daseins zu wahren, und von der Freude über die zukunftsoffene Gegenwart und Geschichte der Menschen zu künden. Erst im höheren Lebensalter, nach dem Ende der beruflichen Pflichten, fand ich wieder Zeit und Muße, mich wie in der Kindheit, über das Wunder meiner Existenz, das geheimnisvolle Geschehen in mir, der Natur und die Geschichte der Menschen zu freuen. Auch darüber zu staunen, dass ich, ähnlich, wie Johann Sebastian Bach, bis zur Stunde, trotz aller mir auferlegten Gebrechen, und den im Leben mit unserem Volk und in der Völkergemeinschaft erlittenen Schrecken, nicht erstarrte, sondern offen bleiben durfte, für das Geheimnis der Zukunft:
Praktisch bedeutet das, dankbar zu sein, für den je neuen Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde. Ich wundere mich immer wieder, zu welchen Leistungen das menschliche Gehirn, auch in der erholsamen Nachtruhe, fähig ist. Manche Menschen scheinen das Geschehen von Tag und Nacht sehr stark zu trennen, sodass Traum und Fantasie eher als störend erlebt werden. Ich habe nicht nur beruflich seit vielen Jahren ein ungestörtes Verhältnis zu meinen Träumen. In den letzten Jahren beobachte ich die eigene Kreativität der Träume, die mir manchmal neue Erkenntnisse, in Form ganzer Handlungsabläufe, schenken. Die offenere Haltung neuen Einfällen gegenüber macht sich auch in überraschend auftauchenden Tagesfantasien bemerkbar. Auch die Beziehungen zu anderen Menschen veränderten sich im Ruhestand: Ich achte mehr auf die eigene und die Befindlichkeit der Anderen. Es ist mir bei Gesprächen ein Anliegen, den Dialog so zu gestalten, dass genügend Raum für das Auftauchen neuer Aspekte gegeben ist. Ich freue mich, wenn sich die Gesprächspartner in meiner Gegenwart sicher fühlen, und dann in der Lage sind, ohne Angst ihre eigene Meinung zu vertreten. Umständehalber bin ich auch mehr zu Hause, achte auf Haus und Garten und erlebe, immer wieder neu, im Werden und Vergehen, das Ereignis von Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Ich bediene mich nicht nur der verfügbaren technischen Hilfsmittel, sondern ich bestaune und anerkenne immer mehr der Menschen Erfindungskraft, durch deren Produkte sie einen unverzichtbaren Beitrag für uns alle und die künftigen Generationen leisten. Muss ich noch besonders erwähnen, welche Fülle an Anregungen, Literatur, Kultur, Philosophie und Theologie uns schenken, um unser gegenwärtiges und künftiges Dasein zu gestalten?
Immer mehr fühle auch ich mich als Teil eines geordneten Ganzen, und berufen, mitzuwirken, um unser Dasein nach Kräften zum Wohle der Menschen mitzugestalten, und Schaden von uns abzuwenden, die wir alle inmitten des zeitlichen Vergehens, in unserem zukunftsoffenen Leben, einem endgültigen Ziel entgegen streben. Mit zunehmendem Alter musste ich aber auch unsere menschliche Existenz als ein Leben und Sterben in allen Formen bejahen lernen, und aus einem festen Grund – Natur – Selbst- und Gottvertrauen heraus, trotz, Schuld, Krieg, Verfolgung und Widrigkeiten, auf ein Generationen übergreifendes Zusammenwirken und Fortbestehen von Menschheit, Natur und Kosmos, zu vertrauen. Liegt es da nicht nahe, auch auf eine letzte Vollendung der irdischen Existenz zu hoffen, und uns der christlichen Botschaft auf Erlösung und ewigem Leben zu öffnen? Möge uns allen die Gnade zuteilwerden, dass wir uns in Glaube Hoffnung und Liebe vertrauensvoll vor unserem „Dreifaltigen Gott“, anbetend verneigen, der uns in allen bewussten und unbewussten guten Gaben unseres Daseins in lebensbewirkender väterlicher, zukunftsoffenen Liebe, über den Tod hinaus begegnen will. Wenn aber wir Menschen uns schon einander, nur unter Wahrung unserer auf Zukunft offenen Existenz in Vertrauen und Würde begegnen können, um wie viel mehr ist zu wünschen, dass wir der Zusage unseren Herrn Jesus Christus, dem Gottessohn vertrauen, der uns im Heiligen Geist, in Glaube Hoffnung und Liebe in eine sichere, glückliche, ewig offene Zukunft führen kann.
Ein kleines Gefäß mit Weihwasser gefüllt, gehört zu meinen frühesten kindlichen Erfahrungen. Unsere Großmutter ließ es sich nicht nehmen, jeden Abend an mein Bett zu treten, ihre Finger ins geweihte Wasser, zu tauchen, und mich im Namen des Vaters, des Sohnes und Heiligen Geistes zu segnen. Es war mir dabei immer ein wenig feierlich zu Mute. Im Schutze dieser liebevollen Geste konnte ich dann ruhig einschlafen. Ich konnte es kaum erwarten, bis ich mich später wie die Erwachsenen, beim Betreten und Verlassen der Kirche, selbst mit Weihwasser besprengen und bekreuzigen durfte.
Tief beeindruckt haben mich auch die gelegentlichen Krankenbesuche unseres Pfarrers. Ein Beistelltisch wurde weiß eingedeckt, und darauf ein kleines Standkreuz und zwei silberne Kerzenständer mit brennenden weißen Kerzen gestellt. Wenn der Priester sich in Ehrfurcht bekreuzigte und vor dem Allerheiligsten niederkniete, erfüllte mich ein feierlicher Schauer. Zur vertrauten Umgebung gehörte auch das von unserem Großvater selbst geschnitzte, und naturbelassene Kreuz aus Lindenholz, in Gestalt eines Weinstocks an der Wand. Ein Leben lang begleiten uns Christen das Weihwasser und das Kreuz, als Zeichen der Erlösung, des Segens und der Hoffnung, bis über den Tod hinaus. Ist das nicht Grund genug, wieder einmal zu bedenken, was geschieht, wenn wir zum Kreuz aufschauen, und uns selbst oder andere bekreuzigend, den Segen empfangen oder einander spenden?
Ich gehöre noch zu der Generation katholischer Christen, die sich darüber freuen, wenn die Kirchenglocken uns zur Heiligen Messe und kirchlichen Festen einladen, und wir uns im Jahresreigen um den Altar versammeln. Unsere Priester waren sehr geachtet, und wir Kinder begrüßten sie mit einem fröhlichen „Gelobt sei Jesus Christus“. Wir schätzten den Religionsunterricht und unsere Geistlichen, die uns die Bedeutung der Zeichen und Sakramente erklärten, und mit uns die Geheimnisse unseres Glaubens feierten. Ein heiliger Schauer kann uns befallen, wenn wir vom Kreuz berührt, und aus unseren Träumen wachgerüttelt bemerken, wie sehr uns Gott liebt und braucht, um an SEINER Stelle in anderen Menschen Hoffnung und Segen zu erwecken, und dass wir in IHM und durch IHN, ein Zeichen SEINER Gegenwart in unserer Zeit sein sollen. Vielleicht meint es Gott in SEINER zarten Liebe und unendlichen Geduld mit uns sogar gut, wenn ER SEINE alles überragende Majestät vor uns verbirgt, und uns schwache Menschen benutzt, um in den Spielwiesen des Alltags, anderen unseren Glauben so zu bezeugen, dass sie sich vor uns und dem Herrn nicht zu sehr erschrecken müssen. Denn auch wir dürfen fest darauf vertrauen, dass der Herr die Schwächen und Nöte Seiner Zeugen kennt, und auch durch unsere kleinen Gesten das Wunder wahrer Gottesbegegnung bewirken kann.
Die Begegnung mit der überwältigenden Fülle der Liebe des dreifaltigen Herrn, würde uns Kleingläubige doch sicher noch mehr erschrecken, als den mit fester Speise des Glaubens vertrauten Petrus, der beim Hahnenschrei seinen Verrat erkennend, bitterlich weinen musste. Das kraftvolle Kreuzzeichen der Liebe Gottes kann unsere Schuld und verborgenes Chaotisches in uns und um uns aufdecken. Es kann uns aber auch zur Erkenntnis führen, wie unsagbar wir darauf angewiesen sind, die barmherzige Nähe Gottes, und SEINE Vergebung im schlichten Kreuzzeichen immer wieder zu erfahren. Von Geburt bis in den Tod und in die Auferstehung hinein, ist das Kreuzzeichen ein Ausdruck dafür, dass Gott nie aufhört Chaos in Kosmos zu wandeln. Wer, wenn nicht die Heiligste Dreifaltigkeit weiß besser, was für uns alle wirklich umfassend gut ist. Gottes Fürsorge für das, was er in SEINER unendlichen Güte und Liebe geschaffen hat, und allezeit am Leben erhält, ist wahrlich schon des Dankes wert. Unsere Heiligen sind auf ihre je eigene Weise, wie der Heilige Franziskus, mein Namenspatron, Zeugen der erlösenden Liebe Gottes. Wie nahe durfte dieser Heilige dem dreifaltigen Herrn kommen. Ein Beichtspiegel ist er für uns alle: Sind wir so still, demütig, aufmerksam und offen, dass der alle Geschöpfe durchwaltende Segen göttlicher Liebe auch uns erfüllen, und durch unsere Armut hindurch zu einem wirksamen Zeichen der Liebe werden kann? Hängen wir die Kreuze nie ab und bleiben wir allzeit gesegnet im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Der Herr ist für uns gestorben und vom Tod auferstanden-
Manche Märchen könnten so beginnen: Es war einmal eine große Familie. Der Vater hatte wie alle Väter viel zu tun, um im Auf und Ab des Lebens das Nötige zu besorgen. Er wusste, wie fast alle Väter, was eigentlich wichtig war, und nur zu oft übersehen wurde. Aber ihm war das Glück beschert, von Jugend an mit Mutter Natur in gutem Einvernehmen zu leben. Sie gebar ja immer wieder neues Leben und sorgte still und ohne Unterlass dafür, dass alle ihre Kinder wohl gedeihen konnten. Glaubt mir, es gab unter ihrem Schutz schon lange und bis heute unermesslich viele Pflanzen und Tiere aller Art und sogar auch vernunftbegabte Menschen auf Erden. Allen diesen Lebewesen gewährte sie für eine genau zugemessene Zeit in immer wieder neuen Formen ein auskömmliches Dasein. Und nicht nur das. Sie freute sich bis zum heutigen Tag von Herzen, wenn alle ihre Kinder sich voll entfalteten und mit ihren Artgenossen zusammen ein eigenes Leben führten. Über all dies hinaus, barg sie sorgsam die vielen Geheimnisse des Lebens und die Weisheit, dass auf jeden Herbst und Winter wieder ein neuer Frühling und Sommer folgte.
Unter dem Segen der Natur brachte einst ein Kirschbaum im Garten, als die Vögel und Menschen längst die leckeren Früchte eines Jahres verzehrt hatten, wieder neue Schösslinge hervor. Eine lange Zeit des Reifens und Wartens lag nun vor ihnen. Nachdem die Herbstwinde die fahl gewordenen Blätter abgeschüttelt hatten, konnte man endlich den Stamm und die vielen Zweige besser erkennen. Wirklich schön war er, auch ohne Laub. An der den Winden zugekehrten Seite hatte der Kirschbaum Moos angesetzt. Das bedeutete, dass er an dieser Stelle schon viele Jahre lang seinen Platz behauptete. Wer es einmal versucht hatte, diesen einmaligen Stamm mit seinen vielfältigen Verzweigungen zu zeichnen, konnte erfahren, welch schönes Kunstwerk die Natur geschaffen hatte. Aber nur einem staunend schweigenden Betrachter, gab der Kirschbaum in beglückenden Augenblicken etwas von seiner Würde preis. Selbst ein Poet brauchte sensible Augen und Ohren, damit diese Zwiesprache gelingen konnte. Sagte doch neulich ein Schössling zum andern: «Du Nachbar, findest Du es nicht schön, dass uns die Mutter Natur vor Einbruch der kalten Jahreszeit in ein so feines Mäntelchen gepackt hat, um uns vor Wind und Kälte zu schützen?» «Gewiss, sagte ihr Nachbar, und ich bin mir auch sicher, dass sie uns schützend während des langen Wartens bis zum nächsten Frühling begleiten wird». «Selbst die Tiere haben aber im Unterschied zu uns einen sehr großen Vorteil, entgegnete der Andere nachdenklich. Sie können wenigstens Laute von sich geben, wenn es ihnen gut oder schlecht geht. Und außerdem gibt es ja auch noch die vielen klugen Menschen, die denken und reden können.» Da geriet sein Nachbar ins Philosophieren und gab -neun Mal klug- zur Antwort: «Stimmt schon, aber hast Du nicht bemerkt, dass manche Menschen weder richtig sehen, hören, noch fühlen können und dass sie manchmal so seltsame Dinge tun?»
Da wurde der Andere ein wenig traurig und antwortete: «Ich weiß, uns fehlt einiges von dem, was Menschen auszeichnet. Ich jedenfalls leide sehr darunter, wenn sie unsere Mühen für sie da sein zu wollen, gar nicht so recht bemerken». Das ging dem anderen Schössling zu Herzen. Er wollte seinen Nachbarn trösten und bemerkte: «Schau, gerade jetzt hat sich ein vom Wind zerzauster Sperling auf unseren Zweig gesetzt und singt der Kälte und dem Regen trotzend, für uns ein frohes Lied». Nun erinnerten sich beide Schösslinge an derartige schöne Erlebnisse im vergangenen Frühling und Sommer bis tief in den Herbst hinein und daran, dass ihnen in dieser Zeit viele Vögel und Insekten Gesellschaft geleistet hatten. Nach dieser erfreulichen Erkenntnis, bargen sie sich wieder in ihre wärmenden Mäntelchen, um mit den Gefährten, dem nächsten Frühling entgegen zu träumen. Sie waren sich sicher, dass die Mutter Natur sie durch den strengen Winter bringen und danach wieder zu neuem Leben erwecken werde. So kam es dann auch.
Nach einem langen Winter hielt sich die Frühjahrssonne mit Ihrer Wärme noch sehr zurück. Die Schösslinge wunderten sich. Sie hatten lange gewartet und spürten nun ein Drängen, sich zu entfalten. Unsere beiden Schösslinge gehörten zu den ersten, die es wagten, die ersten Sonnenstrahlen zu nutzen, um sich aus ihren Mäntelchen zu schälen. Welch ein Wunder! Die anderen Blüten folgten ihnen, und über Nacht schlüpften auch sie aus ihren Winterkleidern. Die Zweige mochten sich recken und strecken und hatten dennoch keine Chance mehr, selbst gesehen zu werden. Denn ein weißes Blütenmeer hüllte den Kirschbaum wie in ein Festtagsgewand ein. Die vielen Blüten platzten vor Stolz und freuten sich über die emsigen Bienen, Insekten und die fröhlich zwitschernden Vögel, die ihnen Gesellschaft leisteten. Die beiden Schösslinge bekamen feuchte Augen, als sie sich, von einem Windhauch bewegt, gegenseitig in ihrer vollen Schönheit bewunderten und zunickten. Sie wurden dabei fast ein wenig fromm, und dankten gerührt der Mutter Natur für ihre Gaben. «Was hast DU denn», fragte der eine, zur Blüte gewordene Schössling, den anderen besorgt, «Du schaust ja trotz all Deiner Blütenpracht ein wenig traurig aus?». «Ach», sagte dieser: «Mir gefällt zwar mein Frühlingskleid, aber ich habe mich doch auch für alle Tiere und Menschen hübsch gemacht und wünschte mir, dass sie sich über unsere Pracht freuen könnten. Es dauert doch nur wenige Stunden, dann nimmt uns der Wind die feinen Röckchen wieder ab». Diese Worte gingen der anderen Blüte so zu Herzen, dass Sie nur mit Mühe ihre Tränen zurückhalten konnte. Dann wollte sie Trost spenden und entgegnete: «Aber schau doch auf die vielen Bienen, Insekten und Vögel, die uns besuchen. Und siehe da, das kleine Mädchen an der Hand der Mutter. Höre wie es staunend jauchzt und mit seinem Finger auf die Blütenpracht nach oben zeigt». «Ich habe den Jubel und den Finger wohl bemerkt, entgegnete die andere Blüte, aber ich kann ja nicht sprechen, um dem Kind meine Freude zu zeigen und meine Trauer, dass so viele andere Menschen uns das ganze Jahr über bei all ihren Geschäften gar nicht wahrnehmen». «Stimmt und stimmt doch nicht ganz, entgegnete die andere Blüte. Ich kenne einen Poeten, von dem weiß ich, dass er uns und die Mutter Natur bemerkt. Ja ich glaube sogar, dass er uns liebt und Mitleid mit uns hat, weil wir nicht reden können. Noch mehr, ich traue ihm zu, dass er es versucht, an unserer Stelle mit seinen Artgenossen darüber zu reden». «Du glaubst wirklich, dass es einen Menschen gibt, der für uns Blüten und die ganze schweigende Natur ein gutes Wort einlegt?» «Das weiß ich nicht so genau, gab die die andere Blüte zu bedenken, aber ich bin sicher, dass er uns und den Kirschbaum liebt». «Woher willst Du das so genau wissen, entgegnete die andere Blüte.» «Ich kann das auch ohne Worte in seinen Augen und seinem Herzen erkennen, entgegnete die Andere. Wenn der Poet mich manchmal aus seinem Fenster so innig anschaut, dann bin ich mir dessen sicher, dass er unsere schweigende Blütensprache versteht und ich bin dann sehr glücklich darüber, dass er unsere Anmut und Pracht schön findet.» «Ja und wenn im Herbst unsere Blütenblätter abgefallen und vom Winde verweht sind, und in der kalten Jahreszeit von unseren Frühlingskleidern nichts mehr zu sehen ist, fragte die andere Blüte?» «Ja, auch dann schaut er oft aus seinem Fenster und sein Blick sagt mir, dass er auch unseren kahlen Baum und die entblätterten Zweige liebt.» Die andere Blüte reckte und streckte sich danach ein wenig und sagte mit einigem Stolz: «Allmählich beginne ich zu hoffen, dass unser Dasein auch anderen Lebewesen Freude bereitet». Genau in diesem Augenblick gelang es dieser Blüte mit einem verständnisvollen Lächeln, dem sanften Winde eines ihrer schönsten Blütenblätter anzuvertrauen. Dann fügte sie glücklich hinzu: «Ich habe nun gar keine Angst mehr, mich von der Mutter Natur, wie es uns gemäß ist, von einer Kirsche wieder in eine Knospe verwandeln zu lassen, die warten muss, bis sie im Frühling für einige Stunden wieder zu neuem Leben erweckt wird.» «Und was macht Dein Poet, in dieser Zeit, fügte sie fragend hinzu?» «Er nimmt alles, was er mit uns erlebte, wahr und schreibt eine Geschichte, um die Menschen an uns zu erinnern und ihnen Augen und Ohren für die Schönheit der Natur zu öffnen.
Kirschblüzen
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