Eine Reise ins Unbekannte

Die zunächst vage Idee, über eine Reise ins „Unbekannte“ zu schreiben, entstand nach der Lektüre von Stefan Zweigs Biographie über “Honoré de Balzac”. Die Lebensgeschichte dieses französischen Dichters, dem es nach einer sehr belastenden Kindheit und Jugend, um Ruhm und Ehre bemüht, nicht gelang, im bürgerlichen Leben eine gesicherte Existenz aufzubauen, beeindruckte Johannes sehr. Wie es Balzac möglich war, trotz fehlgeschlagener Unternehmungen und erdrückender Schulden, in der „Comedy–Human“, den Höhepunkt seines dichterischen Werkbewusstseins zu entwickeln, wurde oft gewürdigt. Auch Stefan Zweig reihte sich mit seinem literarischen Werk und Leben in die große Zahl der Dichter, Denker und Forscher Musiker und Künstler ein, die zeitlebens dem „Unbekannten“ auf der Spur blieben.

Als Johannes darüber nachdachte, was diese Autoren und auch ihn zum kreativen Schreiben bewegte, träumte er in der Nacht von einem Kloster: In andächtiger Stille erfüllte ihn unvermutet ein fragloses Glücksgefühl, das sich in den Blicken und Gesten der Mönche spiegelte, und immer mehr vertiefte. Wie von einer Last befreit, folgte er nun dem Gedanken, seine Leser zu einer Reise ins „Unbekannte“ einzuladen und am schöpferischen Prozess des Entdeckens, Denkens und Fabulierens teilnehmen zu lassen.

Johannes schätzte die Erkenntnisse der Naturwissenschaften sehr, die sich nach ihrem Selbstverständnis primär mit zähl- und messbaren Tatsachen befassen. Er hätte daher von seiner Dankbarkeit gegenüber diesen Menschen und deren Leistungen zur Verbesserung unserer Lebensbedingungen reden können. Da er sich aber als ein seiner körperlichen, geistigen und seelischen Verfassung bewusster Mensch verstand, stießen nach seiner Ansicht Naturwissenschaften an ihre Grenzen. Er wusste dass es immer Menschen gab, die Fragen nach dem Sinn des Lebens im Ganzen nicht auswichen. Er hielt insofern die in den Geisteswissenschaften übliche Sprache für geeigneter, um Leben in all seinen Formen als ein Geschenk zu verstehen. Die Poeten, Musiker, Künstler Philosophen und Theologen gingen zwar in ihren Werken auch von bekannten Vorstellungen aus, überformten sie aber im schöpferischen Prozess in Bildern, Skulpturen, Bauwerken, Tönen und Worten, mit einem nicht minder erfahrbaren neuen, geistigen Gehalt.

Johannes wollte daher die schöpferische Fantasie auf Wegen ins „Unbekannte“, vorstellen, die zuvor noch nicht als Ziele bekannt waren. Er stellte sich und seine Leser damit bewusst vor die Aufgabe, so etwas wie ein Gedicht, oder einen Liebesbrief, mit eigenen Worten und Gedanken, auf ein leeres Blatt Papier zu schreiben. Wer wollte jedoch behaupten, dass derartige Texte oder Liebesbriefe, deren Inhalte erst beim Schreiben entstehen, unsinnig wären. Und Johannes versichert, dass er im Augenblick noch keine klare Vorstellung davon hat, wohin ihn die Finger auf den Tasten seines Rechners führen wollen.

Er wusste lediglich, dass er keine Mathematikaufgabe vor sich hatte und hoffte dass ihm in den Stunden des Schreibens die Worte und Sätze einfallen würden, um zu erfahren, wohin die Reise gehen sollte. Erst am Ende des neuen Textes, ließe sich redlicher Weise feststellen, ob für ihn und seine Leser eine sinnvolle Nachricht entstanden sei. Natürlich war das ein Wagnis, und Johannes spürte die Anspannung körperlich, zugleich aber auch eine heimliche Vorfreude, unter der Hand, eine Botschaft auf ihm bisher unbekannte Weise, entstehen zu sehen. Johannes hatte jedoch bereits erfahren, dass er auch im Alltag nie vor Überraschungen sicher war, und beim kreativen, geistigen Schaffen, gelegentlich unerwartete Hilfe erfuhr.

Der erste Gedanke, über den schöpferischen Prozess beim Schreiben nachzudenken, kam ihm ja nach der Lektüre von Stefan Zweigs Biographie über Honoré de Balzac. Wie oft mögen diese Autoren vor einem leeren Blatt gesessen haben, um dann, Wort für Wort ihre Einfälle festzuhalten, unsicher, ob man damals ihre Gedanken positiv aufnehmen würde; um dann, in mühsamer Arbeit, durch viele Korrekturen, ihren Ideen die sprachliche Form zu geben, die vor der eigenen Kritik und in den Augen der Leser, in Treue zum Werk, Bestand hatte.

Auch Johannes benötigte viele Anregungen anderer Autoren, um zu lernen, wie sie den Inhalt eines Textes in die hierfür geeignete Form und Sprache kleideten. Manchmal schien es, als liefe ihm die Zeit davon, um sich mit dem literarischen Erbe auch nur annähernd zu befassen. Hierbei sah er sich durch die fortwährende Begegnung mit bisher Unbekanntem, zu einer kritischen Auslese genötigt. Es brauchte eine geraume Zeit, bis er es, einer Anregung folgend, wagte, die ersten eigenen Texte zu veröffentlichen. Die einzelnen Beiträge fügten sich in Form und Inhalt aber immer mehr zu einer Einheit, die für ihn romanhafte Züge annahmen, in denen er sich als Autor erkannte.

Die erste Fassung seiner Idee, „eine Reise ins Unbekannte“ zu schreiben, hielt seiner Kritik nicht stand. Johannes hoffte aber, dass ihn die Lust an diesem Text weiter zu schreiben nicht ganz verließe und war gespannt, was ihm hierzu noch einfallen würde. Nach einer längeren Schaffenspause, führte ihn die Neugier und Lust, am Text weiter zu arbeiten, wieder an den Schreibtisch zurück. Johannes hatte ja inzwischen durch Versuche, neue literarische Wege zu erkunden, erfahren, dass sich andere Menschen dafür interessierten. Von da an erlebte er sich als Brückenbauer, der bereit war, mit seinen Lesern in einen offenen Dialog über seine Ideen und Gedanken zu treten. Sein stets waches Interesse, galt dankbar, den vielen neuen Einsichten über das Leben, die ihm zufielen.

Er betrachtete die Dinge, Ereignisse und Menschen nicht mehr nur wie gegebene Tatsachen, um sich darüber im Geben und Nehmen mit anderen Personen auszutauschen. Sie gewannen für ihn zunehmend Bedeutung als Geschenke in ihrer eigenen Schönheit, über die es sich zu reden lohnte. Wer wollte zum Beispiel darauf verzichten, über das stets wieder kehrende Ereignis von Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter zu staunen? Wer wünschte sich nicht tragfähige Beziehungen zu Menschen in gegenseitiger Treue? Johannes sah immer mehr hinter den Werken der Künstler, Musiker, Poeten, Wissenschaftler und Techniker, die schöpferischen Menschen, die auf den Spuren des Unbekannten waren. Auch das Dasein der Menschen im historischen Gefüge und im Geflecht sozialer Beziehungen, eingebettet in einen  für sie mikro- und makrokosmisch geeigneten Lebensraum, war nun Gegenstand seines Nachdenkens.

Überall begegnete Johannes nun das bisher “Unbekannte” in Form von Ereignissen, die Menschen in ihren Wirkungen erfuhren, jedoch nur begrenzt zu beeinflussen vermochten. Wer wollte beispielsweise ausschließen, selbst einmal zu erkranken, und dann auf Hilfe angewiesen zu sein? Johannes entwickelte ein neues Verständnis des menschlichen Lebens von Geburt bis zum Tod, eingebettet in einen fortwährenden Prozess des Gebens und Nehmens. Er schätzte dadurch diese Lebensgeschenke unendlich bedeutender ein, als  das, was Menschen mit berechtigtem Stolz herstellen und beherrschen konnten. Johannes folgte weiter dieser Spur: Er ließ es zu, dass seine über die Tasten gleitenden Finger, wie von selbst den aus dem Innern andrängenden Gedanken und Gefühlen in Worten und Sätzen ihre Form gaben. Nie wäre dieser Text so entstanden, wenn sich Johannes nur an einen festen, von ihm entwickelten Plan gehalten hätte. Er war nun sicherer, als zu Beginn dieses Beitrages, dass auch ein für die Leser sinnvoller Text entstehen konnte, wenn er weiter zu Papier brachte, was ihn bewegte. Das Schreiben ermutigte Johannes immer mehr, über das Leben in seiner vielgestaltigen Form nachzudenken, staunend von den Wundern und Geheimnissen des Lebens zu erzählen, und die Frage zuzulassen: „Warum es alles gibt und nicht nichts?“ Es stellte sich ihm die unabweisbare Frage nach dem Sinn, und Ziel, der Ursache, Einheit und Vielfalt aller Lebensprozesse. Drängende Fragen waren das, die ihm die evolutiv-genetisch ausgerichteten Naturwissenschaften nicht ausreichend beantworten konnten. Er war bei allem Respekt vor ihren Erkenntnissen, nicht mehr in der Lage, das Wunder des Lebens in seiner Vielgestalt, vor allem im Blick auf den im „homo sapiens“ gipfelnden, geistigen, schöpferischen, und kulturellen Überbau, nur auf das Machbare, und Messbare zu reduzieren. Dies alles konnte ihn nicht mehr hindern, weiter auf der Spur des schicksalhaften „Unbekannten“ zu bleiben, obwohl er zu dieser Zeit noch nicht wusste, wohin ihn die Reise führen würde.

Die Frage nach dem „Unbekannten“ schloss aber alles ein, was es gab und sollte nicht durch den Blick allein auf das „Machbare“ verstellt werden. Zu diesem Ganzen gehörten für Johannes auch die Erfahrung von Grenzen, Ende, Tod und die Frage nach dem Sinn des Lebens und seiner Geschichte über den Tod hinaus? ln der Literatur, Theologie Philosphie, den Künsten und im christlichen Glauben, fand er die notwendige Ergänzung zum Weltbild der Naturwissenschaften. Es fiel ihm auf diese Weise immer leichter, zu verstehen, dass er auf seiner Reise ins „Unbekannte“, ein Bewunderer Gottes geworden war, dessen Kunstfertigkeit er als ein mit Leib, Geist und Seele, seiner selbst und der Geschichte bewusster „homo sapiens“, in all seinen Werken entdeckte. Ein Gott, der sich den Glaubenden als Vater, Sohn und Heiliger Geist zu erkennen gab, alles Sein im Dasein erhält, und am Ende der Zeiten in einer neuen Schöpfung zu ihrem Ziel führt. Einen liebenden Gott, der sich in Seinem Sohn als Weg, Wahrheit und Leben zu erkennen gab. Johannes erzählte von da an in all seinen Geschichten immer auch von einem Gott, als dem Schöpfer und Erhalter des Universums, dem er alles Schöne in seinem Leben und alle Schönheit in der Natur, Kultur und Wissenschaft der Menschen verdankte. Hoffnung, Glaube und Liebe wurden so zu Triebfedern seines Lebens. Er trat damit in das große Warten und Sehnen der Schöpfung, auf die endgültige Begegnung mit Gott dem Vater, Sohn und Heiligen Geist ein. Auch Johannes hoffte, dass er nach dem Ratschluss Gottes, mit seiner schöpferischen Kraft, am Ende der Zeiten in einen neuen Himmel und einer neue Erde aufgenommen werde.

In einem nachösterlichen Text des Evangeliums, äußerte Thoms, seine Zweifel an der Auferstehung des Herrn von den Toten. Er durfte seine Finger in die Wunden des Auferstandenen legen und die Worte hören: “Sei nicht ungläubig sondern gläubig!” Diese Schriftstelle, an die Johannes geführt wurde, legte ein Priester so aus, das es Sinn mache und lebensnotwendig sei, an die Auferstehung unseres Herrn über alle unsere Zweifel und Nöte hinaus, hoffend und vertrauend zu glauben. Johannes hatte dieses Schlusswort seines Beitrages über eine Reise ins Unbekannte, das ihn in die Nähe des Auferstandenen führte, weder geplant noch erahnt, als er sich an den Rechner setzte, um diesen Text zu schreiben. Wer wollte daher ausschließen, dass sein literarischer Versuch, auch seine Leser ermutigen könnte, auf dem rechten Weg zu bleiben. Johannes freute sich, dass er dem Impuls folgte, an der Hand Stefan Zweigs die Betrachtung über eine Reise ins „Unbekannt“ zu schreiben, als ein Warten im Advent des Lebens, in der seligen Hoffnung, auf ein noch ausstehendes, aber vom Herrn verbürgtes, endgültiges, letztes Ziel der Schöpfung.

Anmerkung:

Wer sich näher über den aktuellen Stand der naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Forschung aus christlicher Sicht informieren möchte, dem sei das im Springer Verlag 2016 erschienene Buch von Martin Rhonheimer: Homo sapiens: die Krone der Schöpfung, Herausforderungen der Evolutionstheorie und die Antwort der Philosophie empfohlen.

Zeit und Ewigkeit

 

 

 

Der kleine Engel

Es gab einmal vor vielen Monden „eine arme Seele“. Sie hatte in den  früheren Lebensjahren auf Erden fromm und in Frieden gelebt. Güter und Reichtum verteilte sie an arme Menschen. Geld und Besitz hätten für die letzte Reise eh nichts genutzt. Wo hätte sie schon eine Fahrkarte in den Himmel lösen sollen? Als sie so an sich herunter sah, barfuss, mit einer Kutte wie sie Mönche tragen, kam sie sich recht unbedeutend vor. Sie war sich auch nicht mehr sicher, ob sie bei ihrem Lebenswandel das Geschenk des Himmels wirklich verdient hätte. Ihre Jugendzeit, in der sie es mit den Tugenden nicht so genau genommen hatte, stand ihr noch lebhaft vor Augen. Sie liebte es damals, froh zu sein, Gesellschaft um sich zu haben, war dem Wein, dem lockeren Leben und den schönen Frauen zugetan. Bei genauer Betrachtung war sie auch als Kind kein reines Lämmchen gewesen: Sie erinnerte sich an gestohlene Birnen, Äpfel und Kirschen und an so manche handfeste Lüge und kleinere Notlügen. Manchmal wäre es angemessener gewesen, weniger hitzig zu sein und nicht so kräftig Prügel auszuteilen, wenn sie sich im Unrecht fühlte.

Nachdem sie viele Jahre in Saus und Braus gelebt hatte, selbst dabei nicht wirklich froh wurde und auch erkennen konnte, dass andere Erdenbürger, trotz vieler Reichtümer, nicht glücklich wurden, kam sie ins Nachdenken. In dieser Zeit hörte sie einmal eine Stimme – wie vom Himmel -, die sie ermahnte und sie bat, sie möge doch die zerstörte Kirche wieder aufbauen. Wenn sie dem Herrn Jesu nachfolge und auf Reichtum verzichte, dann könne sie tausendfältigen Lohn erwarten  und sehr glücklich werden. In ihrer Erdenzeit war die arme Seele immer sehr großzügig  und hielt ihre Tisch- und Zechgenossen frei. Nun legte sie die schönen  Kleider ab, gab ihr Erbe preis und teilte den Reichtum mit den Armen. Jetzt erst bemerkte sie, wie viele hilfsbedürftige Menschen es gab. Die einen hatten kaum etwas zu essen. Andere waren mutlos und verzweifelt, wussten mit ihrem Leben nichts anzufangen oder lagen krank und siech danieder. Die arme Seele behielt für sich nur noch eine Kutte,  die sie vor Kälte und Regen notdürftig schützte, Sandalen und einen Wanderstab. Wenn sie über ihr bisheriges Leben nachdachte, vergoss sie manche Träne. In lauen Nächten schlief sie unter Bäumen und  wenn es kalt wurde, in einer Höhle. Sie ernährte sich von Beeren und Pilzen und von Gaben meist selbst sehr armer Menschen. Die arme Seele betete, wie sie es gelernt hatte, das Kreuzzeichen, Vaterunser, und Ave-Maria auch für die Kirche. Sie pries Gott für alle Gaben. Andere fromme Seelen bemerkten, dass die arme Seele zufrieden und glücklich war über die schönen Dinge, die es auf Erden gab. Wenn sie sich irgendwo im Walde zur Rast setzte, konnte es geschehen, dass Tiere ihr Gesellschaft leisteten. Rehe, Hasen, selbst der mächtige Hirsch suchten die Nähe zur armen Seele, die stets bereit war, ihnen von dem Wenigen das sie besaß, etwas ab zu geben. Manchmal brauchte sie nur die Hand auszustrecken und eine Amsel oder Elster ließe sich darauf nieder. Wenn dann alle Tiere versammelt waren, konnte es geschehen, dass sie ihnen wie ein Pfarrer im Gotteshaus eine Predigt hielt. Die Tiere waren dabei Mucksmäuschen still und jagten selbst die lästigen Mücken nur mit größter Sorgfalt weg. Die arme Seele hatte nämlich in ihren Predigten dazu aufgerufen, dass großer Friede herrschen solle. Erst, wenn sie nach einer solchen Versammlung allen den Segen erteilt hatte, zogen die Tiere ihres Weges. Eines Tages war die arme Seele unter einem großen Birnbaum eingeschlafen. Plötzlich erscholl ein zartes Engelsgeläut, das immer näher kam. Da ertönte eine tiefe Stimme: » Franziskus, Franziskus! « Die arme Seele erschrak. Dann kamen einige kleine Engel herbei. Sie hielten Glocken in den Händen, denen sie himmlische Töne entlockten. Die Engelein mit den kurzen weißen Röcken und ihren goldenen Haren trugen keine Schuhe. Die brauchen sie ja nicht, denn Engel fliegen meistens. Sie sangen nun so schön den Kanon: „ Fürchte Dich nicht “, dass die arme Seele nicht mehr vor Angst zittern musste. Nun ertönte die tiefe Stimme wieder, die ihr den Auftrag gab: Bau mir die zerstörte Kirche wieder auf! Die arme Seele duckte sich sehr tief zu Boden und antwortete bedrückt: „Ich habe ja nur zwei Hände und bin es nicht gewohnt, schwere Steine zu schleppen zudem weiß ich nicht, wo ich die Kirche finden soll.“ Die Stimme antwortete: „Mach alles wie bisher. Ich werde dafür sorgen, dass du verwandte Seelen finden wirst, die dir helfen.“ Frohgemut erhob sich die arme Seele und wanderte weiter. Eines Tages sah sie vor sich ein kleines Kirchlein, das schon bessere Tage gesehen hatte. Sofort begann sie damit, das verfallene Mauerwerk auszubessern. Da kamen unerwartet einige junge Männer´ daher, die gesehen hatten, wie schwer es sein musste, allein für die Kirche zu sorgen. Sie erzählten, dass sie von weit her gekommen seien. Als sie von dem Leben der armen Seele hörten, hätten auch sie auf ihren Reichtum verzichtet, sich Kutten übergestreift und seien auf Sandalen hierher gekommen, um wie die arme Seele zu leben. Diese kräftigen Männer packten mit an, beteten mit der armen Seele zusammen bei der zerstörten oder in einer der anderen Kirchen in der Umgebung. In kurzer Zeit wurde die zerstörte kleine Kirche wieder aufgebaut. Nun hatten sie einen Ort zum gemeinsamen Beten gefunden. Der Ruf der Mönche verbreitete sich in der Region und es schlossen sich ihnen immer mehr Brüder an. Die arme Seele bemerkte aber die tiefste Not der Menschen und tat alles, um sie mit seinen Freunden zu trösten, ihren Glauben an den Herrn Jesu zu stärken und sie zu Liebe und Frieden anzuhalten. Das Weihnachtsfest, die Geburt des Herrn, feierten alle Mönche zusammen in einer alten Scheune. Es kamen arme Menschen, auch Hirten aus der Umgebung, hinzu. Sie priesen Gott für das kleine Jesuskind beteten und sangen zusammen frohe Lieder. Und so geschah es viele Jahre, bis die arme Seele todmüde geworden im Kreise ihrer Freunde starb. Sie schien aber gar nicht unglücklich zu sein, denn sie freute sich, dem Herrn im Himmel zu begegnen. Zum letzten Mal erteilte sie allen, die von weit her gekommen waren, trauerten und weinten, den Segen und sagte: „Seid nicht traurig, und macht alles so, wie bisher und wie ich es in diesem Buch aufgeschrieben habe. “

Als die arme Seele nach langer Reise etwas müde und zerzaust vor dem großen Himmelstor stand, ging ihr das ganze Erdenleben durch den Kopf. Da öffnete sich das goldene Tor langsam und ein erhabener Engel in leuchtenden Gewändern trat heraus. In der Hand hielt er ein feuriges Schwert. So schön hatte sich die arme Seele den Erzengel Michael nie vorgestellt. Wenn der armen Seele in diesem Augenblick nicht ihr eigener Schutzengel beigestanden und ins Ohr geflüstert hätte: „ Der Erzengel Michael tut Dir nichts, er muss im Himmel nur nach den Rechten sehen; einer armen Seele kann er schon deswegen nichts antun, weil er Mitleid mit ihr hat, “ hätte die arme Seele umgehend das Weite gesucht. Sie hatte zudem bemerkt, dass der Erzengel Michael ein Lächeln nicht ganz verkneifen konnte. So etwas zu erkennen, darauf verstand sich die arme Seele, denn sie hatte auf Erden oft und gerne gelacht. Nun kam auch der Heilige Petrus heraus. Ihn erkannte die arme Seele sofort, denn er trug in seinen Händen die großen, goldenen Schlüssel für die Himmelstüre. Es gesellte sich auch der Heilige Paulus dazu. Ihn zu erkennen fiel der armen Seele nicht schwer, denn sie war sich sicher, wo Petrus ist, kann Paulus nicht weit sein und zudem hatte er in seiner Hand eine große Bibel. Der Heilige Petrus ergriff das Wort: » Wir wollen von Dir hören, wie Dein Name ist, was Du auf Erden vollbracht hast und warum Du begehrst, in den Himmel aufgenommen zu werden? Ach, so viele schwierige Fragen, dachte der kleine Engel, und was wird geschehen, wenn ich erklären muss, dass ich keine ganz reine Weste habe? Der Schutzengel bemerkte, dass die arme Seele bei diesen Fragen wie Espenlaub zitterte und flüsterte ihr zu: „ Die fressen Dich nicht, erzähle ruhig eins nach dem andern und wenn Du einen Fehler machst, zupf ich Dich an Deiner Kutte, dann kannst Du Dich verbessern. Mit etwas leiser Stimme begann die arme Seele die Fragen zu beantworten: „ Früher nannten mich meine Eltern Franziskus, alsich aber, um Jesus nachzufolgen,  mein Leben änderte, das Geld an die Armen verschenkte und selbst nichts mehr besaß, fühlte ich mich als eine arme Seele. Diesen Namen behielt ich dann bei, als Freunde zu mir kamen. Der Heilige Petrus schaute gütig auf die arme Seele hinunter und sagte: „ Zunächst, rede mit uns lauter, den Paulus und ich hörennicht mehr so gut, wie zu der Zeit, als wir auf Erden herum wanderten, um den Menschen den Glauben an Jesu zu verkünden. Dann wandte er sich kurz zu Paulus, besprach sich mit ihm und entschied: „ Von jetzt an wirst Du den Namen Franziskus wieder tragen, das hört sich im Himmel besser an. Zudem wirst Du in die Kleiderkammer gehen und Dir dort ein weißes Engelkleid und einen goldenen Heiligenschein abholen, den Du fortan sorgfältig pflegen musst, damit er seinen Glanz nicht verliert. Schuhe sind nicht nötig. Du kannst deine Kutte und die ausgetretenen Sandalen in der Kleiderkammer abgeben. Engel und Heilige brauchen keine Schuhe. Sie können alle fliegen. Die arme Seele hatte nicht damit gerechnet, dass sie die geliebte Kutte und die Sandalen abgeben müsste aber was tut man nicht alles, um in den Himmel zu kommen.

Nun schlug Paulus die Heilige Schrift auf. Der armen Seele fiel ein: „Genau wie beim Nikolaus “ und mit dem hatte sie schlechte Er-fahrungen gemacht. Der Heilige Paulus hatte einen Spickzettel in großer Schrift in seiner Bibel, denn er konnte nicht mehr gut sehen. Dann hob er an: „ Erzähle mir frei heraus, was Du auf Erden mit Gottes Hilfe Gutes getan, unterlassen oder falsch gemacht hast!“ Das Herz der armen Seele klopfte mächtig. Der Schutzengel bemerkte die Angst und sagte: „ Franziskus, nimm Dich zusammen, es wird schon alles gut werden!“ Da schaute er dem Heiligen Paulus fest in die Augen und begann, zunächst stotternd, dann immer flüssiger zu reden: „ Ich habe schon in meiner Kindheit meinen Eltern widersprochen, Birnen und Äpfel in Nachbarsgärten gestohlen, bin ohne Erlaubnis auf Bäume geklettert, um Kirschen zu naschen. Später habe ich mich mit meinen Freunden oft gezankt. Wenn sie nicht das machten, was ich wollte, habe ich sie verprügelt. Ich habe in feinen Kleidern, die armen Menschen übersehen, an üppigen Gelagen teilgenommen und mich mit vielen Mädchen amüsiert. Und was sehr schlimm war: Ich habe oft, wenn ich mich sehr über eine Untaten schämte, gelogen.“ Gelogen, wollte Petrus entrüstet einwenden. Da bekam er von Paulus einen Stoß. Er flüsterte ihm ins Ohr; „ Und wie war es damals, bevor der Hahn dreimal krähte?“  Petrus bekam einen roten Kopf und hielt sich mit der Nachfrage in diesem Punkt beschämt zurück. Franziskus fuhr fort: „ Es dauerte sehr lange, bis ich erkannte, dass ich bei den Ausschweifungen nicht glücklich wurde und die Freunde mit all ihrem Besitz ebenso wenig, obwohl mir mein Schutzengel mächtig ins Gewissen redete. Da bekam Franziskus einen Stoß und der Schutzengel flüsterte ihm zu: „ Das mit dem Schutzengel war überflüssig! „ Erst von dem Augenblick an, als ich die Kutte nahm und versuchte, in Sandalen wie der Herr Jesus herumzuwandern, zu beten den Frieden zu verkünden, die Armen versorgte und den Kranken half, ging es mir besser. Ich freute mich an Pflanzen, Tieren, Sonne, Mond und Sternen, konnte lachen und sogar den Tieren predigen. Verzeih mir, Heiliger Paulus, mir fallen, außer dass ich die zerstörte Kirche mit Freunden zusammen wieder aufbaute, keine weiteren guten Werke in meinem Erdenleben zu meiner Entlastung ein. „Umso mehr habe ich dazu in meiner goldenen Bibel auf einem besonderen Blatt mit dem Namen Franziskus aufgeschrieben, “ gab der Heilige Paulus zur Antwort. Dann wandte er sich zur armen Seele und sagte feierlich: „ Du hast verdient, in den Himmel eingelassen zu werden, den Jesus Dein Freund, dem Du nachgefolgt bist hat Dir schon lange all Deine Schuld vergeben. Der Heilige Petrus nahm den goldenen Schlüssel und wollte die Himmeltür öffnen, da wandte sich die arme Seele an ihn und bat: „ Ich habe schweren Herzens zugestimmt, meine Kutte und die Sandalen abzugeben, darf ich wenigsten im Himmel „ ein kleiner Engel “ sein? « Die Heiligen Petrus und Paulus mussten bei dieser Bitte ein wenig lächeln. Dann aber fiel Paulus ein, dass der Herr gesagt hatte, wer nicht so klein sei, wie ein Kind, komme nicht in das Himmelreich. Sie befanden, dass es damit einen „ höchsten Grund “ gebe, der armen Seele diese Bitte nicht abzuschlagen. Der kleine Engel wurde, nachdem er mit einem weißen Kleid und einem nagelneuen Heiligenschein aus purem Gold ausgestattet war, von Petrus und Paulus persönlich in den Himmel geleitet. Sein Schutzengel hielt sich dabei etwas zurück, blieb aber für alle Fälle auch im Himmel in der Nähe von Franziskus.

Gleißendes Licht erfüllte den unendlich großen Raum. Der kleine Engel musste sich erst sehr vorsichtig an das Licht, heller als tausend Sonnen, gewöhnen. Er hatte ja auf Erden viele Male versucht, sich vorzustellen, wie es im Himmel ausschauen könnte. Jetzt erst wurde ihm klar, dass eine solche Pracht, unvorstellbar ist. Es leuchtete ihm auch ein, dass es ratsam war, sich zuvor neu einzukleiden. In Kutte und Sandalen wäre er sich hier doch sehr komisch vorgekommen. Der Erzengel Michael befahl und sogleich ertönten himmlische Posaunen. Alle Augen richteten sich auf den kleinen Engel, der im großen Himmelstor noch kleiner wirkte. Sein Schutzengel stieß ihm in die Seite und sagte leise: „ Flieg schnell ein wenig in die Höhe, damit dich alle sehen können! „ Die glasklare Stimme des Erzengel Michael war nicht zu überhören:  „ Wir begrüßen unter uns den kleinen heiligen Engel Franziskus!“ Wie gern hätte sich Franziskus in diesem Augenblick wieder in  der Kapuze seiner Kutte versteckt. Mit was konnte er es verdient haben, ein Heiliger zu sein? Gut, dass sein Engelskleidchen verbarg, wie sehr ihm die Beine zitterten. Da spürte er seinen, Freund, den Schutzengel neben sich, der ihm zuflüsterte: „ Franziskus bewahre Haltung, zeig ihnen allen, was ein kleiner Engel ist.“  Er wäre jetzt am liebsten so groß gewesen, wie der Erzengel Michael. So blieb ihm nichts anderes übrig: Er reckte und streckte sich, so gut es ging und flog einige Male in die Höhe, damit ihn auch die letzten Engel im Himmel noch sehen konnten. Als ihn dabei ein kleines Stäubchen kräftig in der Nase kitzelte und er ein-, zweimal laut niesen musste, war der Bann gebrochen. Der rauschende Beifall zeigte ihm, dass er bei allen im Himmel angekommen war und er beschloss, seine anderen Talente zu nutzen, um die himmlische Heerschar gelegentlich zu erheitern. Sein Schutzengel würde ihn sicher erinnern, wenn er gegen irgendeine Ordnung verstieße. Auf ihn, der ihm während seines Erdenlebens in schwierigen Situationen beigestanden hatte, konnte er sich auch im Himmel sicher verlassen. Jetzt erst hatte er sich genügend an das helle Licht gewöhnt, um  einen Blick in die festliche Versammlung wagen zu können. In der Ferne alles überragend sah er Gott Vater, Sohn und den Heiligen Geist in aller Herrlichkeit auf goldenen Thronen sitzen. In strahlendem Licht, umgab die Heiligste Dreifaltigkeit eine große himmlische Heerschar, die immer wieder Lob, Preis, Ehre, Dank und Halleluja sang. In der Nähe waren die Heiligen, Kirchenlehrer, Kardinäle und Bischöfe platziert und dann zu beiden Seiten, wie in einer Konzilsaula, die Priester, Ordensleute und frommen Seelen, Palmwedel in den Händen, mit denen sie sich ab und zu Kühlung zufächerten. Zu Füßen der Dreifaltigkeit lagerten frommen Hirten, die drei Könige, Ochs und Esel, Josef und Maria. Der kleine Engel schaute nach oben. Das ganze Himmelsgewölbe war mit Sternen übersät, die glitzerten. Auch Sonne und Mond waren zu sehen, aber viel schöner als auf Erden. Alles Geschaffene verherrlichte Gott. Franziskus hatte ja immer ein wenig Sorge, ob neben den vielen Heiligen auch der Kosmos, Tiere und Pflanzen, im Himmel noch Platz finden könnten. Jetzt war es gut. Alles was er in seinem Erdenleben liebte, fand sich – zwar etwas anders -, aber auf seine Weise im Himmel wieder.

Der kleine Engel hoch zufrieden, musste einfach einen Weg finden, um seine Freude auszudrücken. So schwirrte er denn vor Glück im ganzen Himmel herum. Eine Ewigkeit lang würde er all die Pracht, Herrlichkeit und die himmlische Musik erleben dürfen. Er betrachtete es auch als einen großen Vorteil, ein kleiner Engel zu sein, denn so konnte er ohne großes Aufsehen, allen Anwesenden seine Aufwartung machen. Natürlich würde dafür eine Ewigkeit nicht ausreichen. Es musste aber die Rangfolge eingehalten werden, das hatte er schon gelernt. So flog er unauffällig an der obersten Reihe, wo die frommen Seelen Platz gefunden hatten vorbei, schlich sich unter das Gesinde von Maria und Josef, denn dort waren auch noch kleine Engel, ganz nahe an die Heiligste Dreifaltigkeit heran gerückt. Da juckte es ihn im rechten Zeigefinger so sehr, dass er es wagte, den großen Zeh Gott Vaters ein wenig zu kitzeln. „ Huch! „ sagte Gott Vater. Er, der Allwissende, hatte natürlich sofort bemerkt, wer ihn berührte. Der  kleine Engel sank in sich zusammen, als ihm sein Schutzengel eine mächtige Standpauke hielt: „ Es zieme sich nicht, auch nicht für einen Heiligen Franziskus, Gott zu berühren! „ Der kleine Engel hatte nun wirklich nichts zu seiner Verteidigung vorzubringen. Es wurde ihm zusehends übel. Gott Vater sah seinen Sohn und den Heiligen Geist an und lächelte ein wenig. Dann sprach er besänftigend zum Schutzengel: „  Richte den kleinen Engel wieder auf.“  Und zu Franziskus: „ Es darf niemand Gott berühren, es sei denn in Liebe! „ Ich habe aber einen Auftrag für Dich: „ Du sollst mein Sendbote im Himmel sein und Dich unauffällig an alle heranwedeln, die beim großen Halleluja einschlafen. Du magst sie dann mit einem kleinen Schabernack zum Lachen bringen, damit sie wieder bei der Sache sind. Franziskus machte vor der Heiligsten Dreifaltigkeit die größte Referenz, zu deren er fähig war, trat dabei aber auf sein Röcklein, so dass er stolperte und der Heiligenschein gewaltig verrutschte. Sein Schutzengel war aber, wie immer, sofort an seiner Seite, half ihm auf die Beine und setzte ihm den Heiligenschein wieder zurecht. Der kleine Engel betrachtete seinen Auftrag direkt vom lieben Gott, als eine große Auszeichnung. Er gefiel ihm besonders. Hatte er doch zur Erdenzeit schon oft und gern gelacht. Er kicherte in sich hinein beim Gedanken: Wer zuletzt lacht, lacht am besten! In Gegenwart der Heiligsten Dreifaltigkeit so viel Schönheit und Pracht und Freiheit ewig zu erleben; wer sollte da nicht in den Himmel kommen wollen.

 

 

 

 

 

Freude

Es ist schön
zu dichten
wenn sich der
Seele Anker
lichten

Und die
Gedanken
auf dem Meer
der Liebe
schaukeln
hin und her

Zeit und Ewigkeit

Freude

Ich gebe meine
Worte preis an
Dich unseren
Vater

Rede Herr und
Gott wir hören
dreimal heilige
ewige Freude

Amen für uns
Amen für alle

Hingabe Jesu unsere dreimal heilige Freude

 

 

Die Handtasche

Nach längerem Abwägen, fällt die Entscheidung: Sie wünscht sich  zum Geburtstag eine neue Handtasche. Das war geschafft! Ich erkläre mich unvorsichtigerweise bereit, sie zum Einkauf in die Stadt zu begleiten. Erwartungsvoll sitzen wir in der Regionalbahn. Wie üblich, sind wir an diesem Tag nicht die einzigen Kauflustigen, bahnen uns den Weg durch die Menge und steuern das Ziel, ein großes Kaufhaus an.

Ich kenne das Kaufhaus von verschiedenen Besuchen. Meine Frau und die Töchter, fühlen sich im Unterschied zu mir in solcher Umgebung pudelwohl. Es scheint sie keineswegs zu ermüden, beutegierig durch alle Abteilungen der verschiedenen Etagen zu streifen, um die angebotenen Waren nach Mode, Qualität und Preis zu prüfen. Stets auf dem Sprung zum nächsten Artikel oder einem »Schnäppchen«, steht ihnen das Jagdfieber ins Gesicht geschrieben. Gewöhnlich suche ich mir bei derlei Unternehmungen einen Stuhl, um abzuwarten, bis mir ein »Fundstück« zur Beurteilung vorgelegt wird. In derlei Situationen empfiehlt es sich, nicht zu bezweifeln, dass die Damen selbst am Besten in der Lage sind, Nutzen und Kosten ihrer Auswahl einzuschätzen. Und sollte sich in mir manchmal die Idee entwickeln, als Mann auch erkennen zu können, was einer Frau gut zu Gesicht steht, unterdrücke ich umgehend derlei wenig hilfreiche Gedankenspiele.  Erfahrungsgemäß führt das ja nur dazu, dass meine Damen im besten Falle einen von mir vorgeschlagen Gegenstand mit deutlich geringschätzigen Blicken in die Hand nehmen, um ihn nach kurzer Prüfung wieder ins Regal zurück zu legen.

Die gutgemeinte Absicht, meine Frau zu begleiten, um sie durch mein Interesse am Einkauf zu erfreuen, war an diesem Tag so dominant, dass ich mich nicht mehr an frühere, enttäuschende Erlebnisse zu erinnern vermochte, die zu einer längeren Einkaufsabstinenz meinerseits führten. Zudem war ich mir einigermaßen sicher, in der Obhut meiner Frau bei Laune zu bleiben, und in dem riesigen Kaufhaus nicht verloren zu gehen. Als geheime Notfallplanung beabsichtigte ich, mich gegebenenfalls in das Restaurant zurück zu ziehen, um dort abzuwarten, bis die unbändige Kauflust meiner Frau abgeklungen ist. So gewappnet, schaue ich dem weiteren Verlauf des Einkaufs relativ gelassen entgegen.

Wir beginnen das Unternehmen „Handtaschenkauf“, strategisch nachvollziehbar, im obersten Stockwerk: An den unmöglichsten Plätzen und Verstecken, gibt es in dieser Abteilung eine reichliche Auswahl verschiedener Handtaschen, in allen nur erdenklichen Farben und Größen. Ich folge meiner Frau in sicherem Abstand, um nicht aufdringlich zu erscheinen und sie nicht aus den Augen zu verlieren. Sie geht mit frischem Elan zielstrebig auf die ersten Taschen zu, wiegt sie in der Hand, prüft das Leder und die Einteilung, hängt sie sich probeweise links, dann rechts über die Schulter, tritt prüfend vor den nächsten Spiegel, um sie der Reihe nach, wieder in die Regale zurück zu stellen. Nach einiger Zeit haben wir auf diese Weise das oberste Geschoß ineffektiv durchforstet.

Mit ungebrochenem Jagdfieber begeben wir uns auf Beutesuche im dritten Obergeschoss: Das Angebot ist verblüffend vielfältig.Taschen über Taschen stehen in größeren und kleineren Regalen. Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Taschen gesehen. Esentwickelt sich in mir die abstruse Vorstellung, dass es nicht genügend Frauen geben könnte, um sie alle zu kaufen. Möglicherweise kann dies aber nur einem Mann einfallen. Meine Frau hingegen schreitet wieder kurz entschlossen auf die Taschen zu: große und kleine, rote und braune, schwarze und weiße, Einkaufstaschen und auserlesene Objekte für die »Dame von Welt«. Es mögen an die Hundert Taschen gewesen sein, die sie prüfte, um sie dann wieder an ihren Platz zu stellen. Meine Enttäuschung hält sich immer noch in Grenzen. Ich betrachte es aber als meine fürsorgliche Aufgabe, warnend darauf hinzuweisen, dass es kaum ein anderes Geschäft in dieser Stadt gebe, das ein ähnlich umfangreiches Taschen-Sortiment anböte. Sie möge daher die Hoffnung nicht aufgeben, fündig zu werden.

Dieses Hinweises hätte es nicht bedurft, denn wir befinden unsmittlerweile im zweiten Obergeschoß. Und wie es das Schicksal will: Es gibt Taschen in allen Variationen. Mir sind ähnliche Objekte in dieser Reichhaltigkeit früher gar nie aufgefallen. Wo hatte ich bloß meine Augen? Wir nehmen wieder mit Regalen Kontakt auf, längere, kürzere, hohe und niedrige, alle prall gefüllt mit Taschen. Mich überkommt ein erstes Schwächegefühl und ich setze mich auf einen der Stühle in der Nähe meiner Frau. Wenn ich gelegentlich bemerke, dass sie eine Tasche besonders ausgiebig betrachtet, erhebe ich mich, um sie mit einem vorsichtigen Rat beim Kauf zu unterstützen. In der Regel bedarf es einer solchen Schützenhilfe nicht, denn wenn ich es wage, eine Tasche chic zu finden, kann ich nahezu sicher sein, dass sie unweigerlich ins Regal zurück wandert.

Es überrascht mich nicht mehr sonderlich, auch im ersten Obergeschoss reichlich Taschen zu sehen. Innerlich seufze ich bereits: » Nichts als Taschen, wo soll das noch enden? « Zusehends nähere ich mich der Belastungsgrenze. Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich dabei, die Taschen schon doppelt zu sehen. Die Taktik meiner Frau bei der Wahl eines Objekts, scheint mir inzwischen ausreichend klar: Tasche anschauen, Einteilung und Leder prüfen, Farbe auf sich wirken lassen, gelegentlich Tasche links, dann rechts umhängen, vor den Spiegel treten, die Tasche wieder in das Regal zurück stellen.

Langsam dämmert es mir, sie könne möglicherweise gar nicht so recht wissen, was sie kaufen will. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass sie diese Tatsache irgendwie störe. Eher beginne ich mich selber ein wenig verlassen zu fühlen. Sie scheint nur noch Augen für Taschen zu haben. Stellen Sie sich einmal vor, zu welchen ehelichen Belastungen es führte, wenn ich über diesen Zustand klagte. Ein guter Engel und langjährige Erfahrungen mit Frau und Töchtern, bewahren mich vor solchem Missgeschick. Ich trabe daher, etwas verdrossen, stumm wie ein Fisch, hinter meiner Frau her.

Es geht noch ein Stockwerk tiefer. Ich glaube, mich trifft der Schlag! Da ist sie, »die Spezialabteilung für Damentaschen«. Ich nehme alle Kräfte zusammen, um mit meiner Frau -wie zu erwarten, ineffektiv-noch einige Regale nach der Methode: Anschauen und Zurückstellen, nach einer geeigneten Tasche durch zu stöbern. Dann gebe ich mich geschlagen und sage: » Ich kann nicht mehr; ich brauche frische Luft! Ein etwas überrascht, enttäuscht-kritischer Augenaufschlag meiner Frau ist die Antwort. Dann großzügig, als litten Männer chronisch beim Einkauf unter Konditionsschwierigkeiten, die Absolution mit der Frage: » wo treffen wir uns? « Ich kenne nur das Cafe in der Nähe des Schlossplatzes. Wir vereinbaren, uns dort zu treffen.

Mit raschen Schritten verlasse ich das Kaufhaus und erhole mich auf der belebten Königsstraße bei einem Akkordeonisten, der seinem Umhängeschild nach, in Russland schon verschieden Preise gewann.Er spielt hervorragend Stücke von Bach und Händel. Ich komme etwas zur Ruhe. Beim Gang zum Treffpunkt bin ich bereits so auf Taschen fixiert, dass ich es auch ohne Frau nicht lassen kann, ein kleines Fachgeschäft zu betreten, um dessen Angebot zu prüfen. Mein Blick fällt auf ein interessantes „weißes Stück“. Ich wage es, nach den aktuellen Erlebnissen  beim Einkauf zu vermuten, dass diese Tasche meiner Frau gefallen könnte. Ich sitze im Café: Es herrscht Hochbetrieb. Die Bedienungen kommen kaum nach. Einige Tische sind unappetitlich mit leerem Geschirr voll gestellt. Mit Mühe halte ich einen Platz für meine Frau frei. Endlich!

Sie kommt mit kleinem Gepäck – ohne Handtasche. Die Enttäuschung ist ihr ins Gesicht geschrieben. Die leeren Teller und Tassen auf den Tischen im überfüllten Cafe´ sind auch nicht geeignet, sie zu erheitern. Wir nehmen einen Drink. Ich setze zu einem letzten Versuch an, die Stimmung zu retten, und erweise mich als ein interessierter Taschenjäger. Ohne Überheblichkeit, wie nebenbei, gebe ich zu verstehen, dass ich in Ihrer Abwesenheit dem kleinen Fachgeschäft neben an einen Besuch abstattete, mit dem Verweis, wir sollten diese Option nicht auslassen. Ein müdes Lächeln zunächst, dann aber wieder dieser »Taschensuch-Blick« in den Augen meiner Frau. Ich habe ins Schwarze getroffen.

Wir bezahlen, verlassen den ungastlichen Raum und steuern gemeinsam das Fachgeschäft an. Eine überaus freundliche Verkäuferin nimmt uns in Obhut. Meine Frau sucht die Regale ab und zieht auf Anhieb, ich traue meinen Augen nicht, sie zieht »meine weiße Tasche« aus dem Regal, prüft das Leder, die Form, die Einteilung, hängt sie links und rechts um, fragt mich schließlich, ob sie mir gefalle? Ich halte mich aber mit aller nur erdenklichen Anstrengung zurück, mich zu äußern, in der Hoffnung, jetzt hat sie es. Bei der nachfolgenden Szene hätte ich in den Boden versinken können, hatte ich doch alles vermeintlich richtig eingefädelt. Meine Frau aber gibt der Verkäuferin eindeutig zu verstehen, die »weiße Tasche«  habe zwar einen gewissen Charme. Sie habe sich aber eine braune Tasche gewünscht. Das war es dann.

Meine Frau lehnt sich bei der Rückreise sichtlich erschöpft in dengepolsterten Sitz zurück. Ich bin nicht so sehr müde, eher verärgert; sind es doch nur noch Stunden bis zu ihrem Geburtstag. Wo bekomme ich denn nun eine Tasche her? Finstere Gedanken verfolgen mich. Was hat uns diese Reise in die Stadt gebracht? Es geht mir immer wieder durch den Kopf, braun muss sie sein, – und sie wird auch eine braune Tasche bekommen, aber nach meiner Einkaufsmethode! Anderntags befinde ich mich in unserem Schuhgeschäft in Backnang und sehe zu meiner großen Überraschung in der Auslage die »braune Handtasche« wie für meine Frau gemacht, und dazu noch recht preiswert. Hinein! Ich lasse mir die Tasche zeigen, prüfe das Leder, die Einteilung, hänge sie probeweise rechts, dann links über die Schulter, trete vor den Spiegel und kaufe sie. Der Verkäuferin gebe ich diskret aber bestimmt Einblick in meine Seelenlage und sage: »Wenn meiner Frau diese Tasche nicht gefällt, dann gibt es Schuhe. « Ich behalte mir das Umtauschrecht vor. Sie werden es nicht fassen, mir ging es genau so. Ich präsentiere am Geburtstag stolz mein Geschenk und meine Frau äußert begeistert: » Genau so habe ich mir die Tasche vorgestellt «. Mir fällt ein Stein  vom Herzen. Können Sie mir erklären, wie es dazu kommt, dass ich die Absichten meiner Frau errate?

Erregung

 

 

 

 

 

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