Die Hotzen und ihr Bischof

Zwei Jahre war ich wärend des letzten Krieges bei Verwandten auf dem Hotzenwald. Ich ging einen langen Weg von Giersbach nach Kleinherrischwand zur Schule, und war in einer gemischten Klasse mit Buben und Mädchen zusammen. Das Lernen fiel nicht schwer, so dass ich mich gut zu behaupten verstand. Dies umso mehr, da uns als Lehrerin, eine hübsche, freundliche Elsässerin unterrichtete, in die ich mich jungenhaft verliebte.

Mit der fleißigen und frommen Bergermutter war ich täglich zusammen. Sie erinnerte mich an meine Großmutter, die ich nach deren Tod oft schmerzlich vermisste. Sie hielt mich an, und ich ging gerne mit ihr zu den Gottesdiensten in die Kapelle in Giersbach, und in die Pfarrkirche nach Herrischried. Gelegentlich gab es im Berger-Haus eine “Notschlachtung“. Der Pfarrer wurde dann reichlich bedacht. Ein Stück Butter, frisches Fleisch und Geräuchertes, hatte ich im Pfarrhaus abzuliefern. Zu meiner größten Verwunderung besaß die Köchin auch mitten im Sommer noch Weihnachtsgebäck, um den Träger zu entlohnen.

Ganz deutlich tritt nun die hagere, leicht nach vorn geneigte, große Gestalt, das von Falten zerfurchte Gesicht mit dem energischen Kinn, den lebhaften, gütigen Augen, und dem leicht gewellten, schlohweißen Haar, der Herrischrieder-Pfarrer, aus dem Strom der Erinnerungen hervor. Die Bauern nannten ihn liebevoll „ihren Hotzenbischof“. Stolz trug er seinen Römerkragen, und war unentwegt bemüht, seine weit zerstreute Gemeinde bei Wind und Wetter zu betreuen. Die Bergermutter führte das Familien-Privileg, die Geistlichen zu verköstigen, wenn sie wöchentlich in der Kapelle Gottesdienst hielten, gern und getreulich fort. Sie war dabei immer ein wenig aufgeregt, richtete die Stube fein her, deckte den Tisch mit dem schönsten Geschirr und bediente den hohen Herrn mit besonderer Sorgfalt. Der Bergervater zog sich indessen immer etwas verlegen zurück, um ein Zusammentreffen mit dem Pfarrer zu vermeiden. Mich wunderte es als Junge sehr, wie es kommen konnte, dass die Bergermutter mitten im Krieg in der Lage war, Bohnenkaffee anzubieten, und weshalb es nötig war, der guten Milch noch zusätzlich Sahne hinzu zu fügen. Jedes Jahr in der Fastenzeit war das Patrozinium. An diesem Tag wurde den Geistlichen eine Torte mit violettem Zuckerguss serviert. Pfarrer Rombach wusste sicher nichts davon, dass ich, während des Frühstücks der Herren, beim Melken im Stall fast verzweifelte, bei der Vorstellung, dass der Pfarrer und ein zusätzlicher Vikar mir nichts mehr von der Torte übrig lassen könnten. Ich bekam aber zu meinem Trost noch ein großes Stück ab.

Es war eine kleine, fromme Gemeinde, die sich zu den wöchentlichen Gottesdiensten in der schlicht eingerichteten Kapelle in Giersbach einfand. Hier war ich, ganz dicht hinter dem Priester, dem heiligen Geschehen besonders nahe. Ich folgte den Gebeten und Handlungen mit großer Aufmerksamkeit, und sehe den Pfarrer in seinem römischen Messgewand vor mir wie er, andächtig ergriffen, seinen Rücken beugt, die Einsetzungsworte spricht, die konsekrierte Hostie zur Anbetung hoch hält, die Kommunion austeilt, und uns den Segen spendet. Alles geschah in beeindruckender Würde und Feierlichkeit, und die wenigen, kräftigen Stimmen, schenkten Geborgenheit, und fülten den Raum im gemeinsamen Gotteslob.

Auf Pfarrer Rombach konnten wir uns verlassen. Er kam bei jeder Witterung zu Fuß. In einem besonders strengen Winter, bei hohem Schnee und Nebel, gab es einmal eine große Aufregung, als der Pfarrer ausblieb. Einer rasch zusammen gestellten Rettungsmannschaft gelang es schließlich, ihn zu unserer Freude wieder zu finden, und gesund nach Giersbach zu bringen. Pfarrer Rombach genoss wegen seiner seelsorgerischen Pflichterfüllung, und den Kontakten zu dem ihm Anvertrauten, als fürsorglicher Vater und Freund, hohes Ansehen. Er ließ es sich nicht nehmen, soweit es seine Kräfte erlaubten, mit anzufassen, um der Berger-Familie bei der Heuernte zu helfen. Man fand ihn dort bei den Frauen, denen er half, das Heu mit dem Rechen zu Maden zusammen zu ziehen.

In den Kriegsjahren war es  Pfarrer Rombach nicht gestattet, in der Schule zu unterrichten. Wir trafen uns daher in einem der Schule nahe gelegenen Bauernhaus. Er stand mit lebhaften Gesten in der einfachen Stube. Wir Buben und Mädchen scharten uns, dankbar und stolz,  auf Wandbänken und Stühlen um ihn. Anschaulich, bildhaft, lebendig und einprägsam, erklärte er uns die Glaubensgeheimnisse, und erschloss uns die Schrift. Er bewirkte durch seine Standhaftigkeit, dass auch wir ermuntert wurden, unseren katholischen Glauben zu lieben, und in einer Zeit zu bekennen, in der die damaligen Machthaber dies nicht schätzten. Gerade in den Kriegsjahren scharten sich nicht nur die Gläubigen um ihren „Hotzenbischof“. Mutig leistete er in der Kraft seines Auftrags und Glaubens, den Nationalsozialisten entschiedenen Widerstand. In der Pfarrkirche donnerte er von der Kanzel: „Ich bin ein Soldat Gottes, und ich weiche nicht von der wahren Lehre ! “. Die Gestapo saß im Kirchenschiff und stenographierte seine Predigt mit, wagte aber nicht ihn zu verhaften. Dies hätte einen Aufstand gegeben unter den Katholiken, denn Pfarrer Rombach hatte einen großen Rückhalt in der ganzen Bevölkerung.
Gelegentlich halte ich das Sterbebild des „Hotzenbischofs“ stumm in meinen Händen, der nach einem treuen und erfüllten priesterlichen Leben in einem violetten römischen Messgewand in seinem Sarg liegt. Er hat seinen Frieden beim Herrn wahrlich verdient. Dem aufrechten und treuen Priester, Pfarrer Rombach, schulde ich schon länger eine Geschichte, in der lebendig werden sollte, was mich mit Ihm, dem Hotzenwald und den Menschen dort verbindet. Dieses Versprechen mußte ich einlösen!

Hoch gelobt sei ohne End das hochheilige Sakrament

 

 

Franz Schwald
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