Vier Türme

Wir befinden uns auf einer Pilgerreise zum Kloster Münster Schwarzach. Einige Frauen und Männer folgen der Einladung unseres Pfarrers. Die vereinbarte Anreise mit eigenen Fahrzeugen, gestattet uns, den Komfort unseres neuen Golfs zu genießen. Wie üblich steuert meine Frau. Ich mache es mir daneben bequem, beobachte die Landschaft, und überlasse mich dem munteren Spiel meiner Gedanken und Gefühle: Wir fahren schon eine Weile südlich an Würzburg vorbei, Richtung Bamberg. Den momentan auftauchenden Erinnerungen an eine frühere Irrfahrt ohne Navigationsgerät auf den Straßen dieser Stadt, folgen aber bald wieder positivere Gedanken und Gefühle. Unser neues Auto federt die Unebenheiten der Straße deutlich besser ab, als sein Vorgänger. Durch innere und äußere Bilder hindurch, umkreisen meine Gedanken das Ziel unserer Reise, und die damit verbundenen Erwartungen: In Kürze werden wir die Frauen und Männer der anderen Fahrgemeinschaften treffen. Ich kenne das Kloster bereits seit einem früheren Besuch. Leider musste ich damals den Urlaub vorzeitig beenden. Mein empfindlicher Rücken, und die klösterlich harte Matratze des Bettes, passten nicht zusammen. Ich sende daher vorsorglich ein Stoßgebet zum Himmel, dass sich so etwas nicht wiederholen möge. Vor uns sind schon die vier markanten Türme der Klosteranlage zu sehen. Zeitgleich mit uns erreicht auch unser Pfarrer und die anderen Pilger das Kloster. Nach einer kurzen, herzlichen Begrüßung, begeben wir uns ins Gästehaus. Wir beziehen ein freundlich eingerichtetes Doppelzimmer in ruhiger Lage. Mein Stoßgebet um ein weiches Lager fand Gehör, sodass keine vorzeitige Abreise wie beim letzten Aufenthalt hier droht. Nach einer kurzen Erfrischung, begeben wir uns zu der nur wenige Schritte entfernten Klosterkirche, um mit den Mönchen zusammen den Vesper-Gottesdienst zu feiern. Eine weit ausladende Freitreppe führt zum Eingang des Gotteshauses. Wie schon oft bei anderen Gelegenheiten, stehe ich aufblickend, klein und sprachlos, vor der beeindruckenden Fassade dieser Kirche. Ich staune immer wieder über das, was Menschen vermögen, wenn sie, ihrem Glauben zu Gottes Ehre eine äußere Form geben. Rilkes Verse »Werkleute sind wir, Jünger, Knappen Meister…«, kommen mir in den Sinn. Das Staunen schlägt in Bewunderung um, als wir erfahren, dass die Mönche dieses Gotteshaus zusammen mit Hilfskräften selbst erstellten, und die zum Bau benötigten Steine selbst gebrochen, behauen, und von weit her auf Karren zur Baustelle gefahren haben. Wir treten ein in die Stille des Kirchenraumes, der in seiner sparsamen Ausgestaltung an romanische Kirchen erinnernd, zur Andacht einlädt. Die Seitenaltäre mit den Heiligenfiguren lassen diverse Baustile erkennen und stammen aus einer Zeit, in der noch jeder Priester-Mönch täglich die Heilige Messe feierte. Die Form des Kirchenschiffes lenkt den Blick zum Chor mit dem Hochaltar, um den sich die Mönche zum Gebet versammeln. Christus ist als gekreuzigter und auferstandener Herr, mit vergoldeten Wundmalen, von einem hellen Licht angestrahlt, der zentrale Punkt der Kirche. Im Tabernakel des linken Seitenaltars, der den brennenden Dornbusch darstellt, wird das Allerheiligste aufbewahrt. Dort knien oft Mönche, tief ins Gebet versunken. Schweigen verbreitend, lädt dieser Raum die Besucher ein, mit ihnen im Gebet Gott Ehre zu erweisen.

Es ist immer erhebend, wenn die Mönche gemessenen Schrittes hinter ihrem Abt in feierlicher Prozession in die Kirche einziehen. Vor dem Hochaltar mit dem Kreuz Christi verneigen sie sich tief, um dann ihre Plätze im Chorgestühl einzunehmen. Die betenden Benediktiner erinnern mich in ihrer auf Gott zentrierten Haltung an den Geist, der auch in unserer Heimschule in Sasbach herrschte. Dort glänzt bis heute in goldenen Lettern über dem Eingang der Leitspruch einer betenden Schule: „INITIUM SAPIENTIAE TIMOR DOMINI“ Der Gesang der Mönche steigt auf und füllt den Raum. Alles, was in uns singen und beten kann, klingt mit. Der Lobpreis der Mönche schließt ja alle Menschen, die Kirche und die ganze Schöpfung ein. Wir lassen uns behutsam auf ihren Lebensrhythmus des „ora et labora“ ein. Während ich jetzt über sie und ihren so wichtigen Dienst schreibe, begleitet mich ihr Chorgesang. Eine ganze Weile dauerte es aber, bis wir bei unserem Besuch im Kloster, aus dem andächtigen Staunen erwachten und es wagten, zunächst zaghaft, und dann nach und nach etwas kräftiger in den Chorgesang der Mönche einzustimmen. Es war erhebend und zum Greifen nahe, wie sehr die Mönche ihr Leben auf Jesus Christus, unseren Herrn und Meister, ausrichten. Zu erleben wie sie, vor unseren Augen, nach der Regel des Heiligen Benedikt, vor allem anderen Gott in feierlicher Form die Ehre erwiesen.

Wir genießen bei den Mahlzeiten, die uns reichlich vorgesetzten Speisen und die aufmerksame Bedienung der Mönche in ihren weißen Schürzen. Die traditionelle Gastfreundschaft der Benediktiner, ist hier zu spüren. Bei Tisch und in Gesprächen lernen wir die anderen Pilger, Frauen und Männer, jüngere und ältere Menschen, näher kennen. Zu meiner Freude bemerke ich, dass auch einige evangelische Christen mit uns zusammen im Kloster sind. Nach der Komplet sprechen wir, zum Ausklang des Tages, noch ein wenig über unsere heutigen Erfahrungen miteinander. Nach einer ruhigen Nacht, sind wir in einem Halbrund um den Altar in der Krypta versammelt. Der Blick wird immer wieder auf den voll ausgeleuchteten Reliquienschrein unter dem Altar gelenkt. Ein Priester betritt in violettem Messgewand der Fastenzeit die Krypta. Obwohl er mit seinen gewellten, langen, grau-weißen Haaren, ein wenig an einen Künstler erinnert, und durch seine feste Stimme und die überzeugenden Gesten, die Reife eines starken Charakters erahnen lässt, tritt er ganz hinter seine Aufgabe zurück und lässt uns spüren, für wen er im Glauben dasteht. Deo gratias! Die Demut und dienende Haltung des Priesters wird besonders deutlich beim Hochgebet und der Konsekration. Wenn er dabei die Hostie und den Kelch weit über sich hinaus empor hebt, ist er wie nicht mehr da, um dadurch um so mehr auf den gegenwärtigen Herrn zu verweisen. Tief berührt, bete ich leise die Einsetzungsworte mit. Und heute, frage ich mich betroffen, warum können in unseren Tagen so wenige Menschen den Glauben feiern und auf diese Weise, die überwältigende Barmherzigkeit und Liebe Christi erleben? Wenn ich das auch nicht ändern kann, dann aber bete und bitte ich um so leidenschaftlicher, dass uns Gott der Herr seiner Liebe wegen, fromme, treue Priester und gläubige Menschen schenken möge, und dass ER sich unserer vielen, nach Liebe und Barmherzigkeit hungernden Schwestern und Brüder annehme. Schweigend und tief bewegt, verlasse ich zusammen mit meiner Frau und den anderen Gläubigen, den Ort, an dem ich wieder einmal über jedes Gezänk erhaben, die Kraft und Schönheit unseres katholischen Glaubens und die offenen Arme der weltweiten, armen und zugleich reichen Katholischen Kirche, erfahren durften.

In einem geistlichen Impuls bezeugte uns anschließend ein Pater seinen Weg zu den Benediktinern, erklärte uns den Aufbau und die Struktur der Klosteranlage, und den nach festen Regeln ablaufenden Rhythmus von Gebet und Arbeit der Mönche. Es wurde uns klar, dass, ohne eine an Jesus Christus orientierte Frömmigkeit und ohne echte Berufung durch den Herrn, ein so streng geregeltes, den Gehorsam einforderndes Leben, nicht gelingen kann. Bei einer nachfolgenden Führung durch die Klosteranlage erhalten wir Informationen über den Bau und die künstlerische Ausgestaltung der Kirche, die Aufgaben der Mönche und Brüder in der Schule, dem Rekollektiohaus, der Missionsarbeit und in den Wirtschaftsbereichen: Die Bemühungen des Klosters im Bereich erneuerbarer Energien sind weithin bekannt, und gelten als fortschrittlich. Über eine Biogas- und Holzverbrennungsanlage etc. versorgen sich die Benediktiner selbst und können darüber hinaus noch Energie ins öffentliche Netz abgeben. Die Zeichen der Zeit gehen aber auch an den Benediktinern nicht spurlos vorüber. Denn allein auf sich gestellt, ohne die vielen Hilfskräfte, wären sie weder heute noch in Zukunft in der Lage, alle anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Eine schmerzliche Feststellung, die wir mit den Benediktinern von Münster Schwarzach teilen, in der Hoffnung, dass der Herr auch unser Gebet erhöre und uns diese ihm geweihte Stätte des »ora et labora«  gnädig erhalten möge.

Gleichsam als Höhepunkt des Aufenthaltes in Münster- Schwarzach nehmen wir am sonntäglichen Konventsamt teil. Ein wenig Unruhe schaffte es, bis alle Gäste, die Wert darauflegten, bei den Mönchen im Chorgestühl mit zu beten und zu singen, dort ihren Platz gefunden hatten. Ich legte es nicht darauf an. In meiner Vorstellung gehört denen das Chorgestühl, die dort dem Herrn täglich dienen. Aber es scheint, dass sich die Zeiten und Ansichten hierzu ändern. Das hinderte mich, meine Frau und einige andere Beter aber nicht, mit den Benediktinern zusammen in den uns vertrauten Kirchenbänken die Eucharistie andächtig mit zu feiern und Gott frohen Herzens zu loben und zu preisen. Die Geschichte vom segensreichen Aufenthalt bei den Benediktinern in Münster Schwarzach läuft eigentlich auf die Frage hinaus, was in uns nachklingt und was wir davon weitergeben können: Viele Kreuzungen und Abzweigungen erschweren gelegentlich im Alltag die Orientierung. Dann ist guter Rat teuer. Wir brauchen dann dringend eine Wegweisung, einen liebevollen Navigator, der uns hilft, damit wir unsere von Gott geschaffenen schönen Wohnungen in der Katholischen Kirche nicht aus den Augen verlieren und einfach links liegen lassen. Die Mönche in Münster Schwarzach zeigen uns mit ihrem „ora et labora“ die Richtung an und ermutigen uns durch ihr Vorbild. Sie haben ja nicht nur Steine herangeschleppt, um ihre Kirche zu bauen, sondern sich selbst als lebendige Bausteine unter der Navigation des dreifaltigen Gottes so führen lassen, dass der Herr SEIN wahres, geistiges Gotteshaus aus Menschen mit brennenden Herzen auf erbauen kann. Eine glaubende Gemeinschaft liebender Zeugen. Ein lebendiges Haus Gottes, in dem der Herr selbst wohnen und wirken will. Danach verlangt Herz und Sinn.

 

 

Franz Schwald
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