Kindheitserinnerungen

In Oppenweiler herrscht zu dieser frühen Stunde tiefe Dunkelheit. Einige Fenster des nahe gelegenen Altersheims sind erleuchtet wie mein Arbeitszimmer. Offensichtlich sind andere Menschen auch schon tätig. Es regnet. An den Fenstern finden die Tropfen keinen Halt. Sie lösen sich und zaubern Perlenketten an die Scheiben. Ob der Regen den Durst der Pflanzen, Büsche und Bäume zu stillen vermag? Um mich und in mir herrscht Stille. Was will aus diesem lebendigen Schweigen ans Licht treten, sich mitteilen? Von einem innigen Lauschen erfasst, überlasse ich mich der Führung meiner Erinnerungen und Fantasien.

Die Freude über die letzten beiden Reisen in meine Heimatstadt, einen Spaziergang im Elsass und die Gespräche mit Freunden und Bekannten aus der Region, kommen mir in den Sinn. Ich sehe sie wieder vor mir, die weich gepolsterten, gelegentlich aber auch steinigen Wege auf unserer Wanderung in den Vogesen mit dem weiten Blick, auf die sich im dunstigen Horizont auflösenden weichen Linien der Höhen. Ebenso nachhaltig bewegt mich der anschließende Aufenthalt in meiner Geburtsstadt Rheinfelden(Baden). Die mir so vertraute Muttersprache klingt in mir nach, wie eine schöne Melodie. Ich genoss es, mit meinen Freunden wieder einmal im Badischen – Dialekt zu schwelgen. Mit meiner Frau gehe ich in Gedanken noch einmal über die Brücke mit dem Burgkastell, die Rheinfelden(Baden) mit der Altstadt von Schweizer – Rheinfelden und deren belebten Marktstraße verbinden. Auf Schritt und Tritt begleiten mich Erinnerungen an Kindheit und Jugend und an Menschen, mit denen ich in dieser Region bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr zusammen lebte. Es waren aber nicht nur Erinnerungen. Ich konnte auf meiner Reise die Orte meiner Kindheit und Jugend erneut erleben. Es gibt das Rheintal, den Rhein, die Brücke, das Burgkastell und die beiden Städte wirklich noch, und meine Heimatsprache. Wie wohl ist mir dabei zumute!

Unvermutet dringen bei diesen Gedanken die wiederholten Bitten unserer Kinder an mein Ohr: „Papa, erzähle uns aus Deiner Kindheit und Jugend. Du hast doch sicher viel mehr erlebt als das, was wir aus den Gesprächen mit Dir bisher kennen. Bitte schreibe es für uns auf!“ Der Bitte will ich nun entsprechen und versuchen, meinen Kindern Enkeln, Verwandten Freunden und Ihnen liebe Leser, in dankbarer literarischer Form Erinnerungen und Geschichten aus meiner Kindheit und Jugend zu erzählen: Unser vierstöckiges Wohnhaus in Badisch – Rheinfelden, kommt mir in den Sinn, in dem und um das herum ich lebte und spielte. In der dritten Etage wohnte unsere Familie, die anderen Wohnungen waren vermietet. Ähnlich hohe Gebäude bildeten ein zur Bahnseite geöffnetes Viereck. In dem großflächigen Innenraum hatten die Anwohner Obst und Gemüsegärten angelegt. Zu unserem Haus gehörten eine Hoffläche, ein Holzschuppen, ein Gemüsegarten, und eine kleine Grasfläche zum Trocknen der Wäsche. Um die Gärten herum führte ein Weg, unsere Spielstraße, an dem alle nur erdenklichen Handwerker ihre Werkstätten eingerichtet hatten. Davon soll später noch die Rede sein. In diesem Haus und in dieser Umgebung wurde ich am 3. Oktober 1929 geboren. Ich kam als ein kräftiger, gesunder Junge zur Welt, erhielt den Namen eines bedeutenden Heiligen “Franz” und wurde katholisch getauft. Angeblich sehr lebhaft und interessiert, erkundete ich nach und nach meine Umwelt.

Aus frühester Zeit erinnere ich mich an beruhigende Geräusche, wenn die Mutter oder Großmutter mit Tellern und Töpfen hantierten. Ich habe mich sicher, nach ergiebigem Schlaf, wie andere Kinder bemerkbar gemacht, wenn ich hungrig war oder der Pflege bedurfte. Erste stabile Erinnerungen führen nahe an diese frühe Zeit heran: Ich liege geborgen in unserer Wohnküche in zwei aneinander geschobenen Korbstühlen, die mit weichen Kissen gepolstert sind. Als kleiner Knabe war ich immer mit dabei, und verfolgte das Geschehen in der Küche. Deutlicher kann ich mich an unsere damalige Wohnstube erinnern. In dieser Zeit bewegte ich mich vornehmlich auf dem Boden. Ich rutschte gekonnt, das rechte Bein unter dem Hintern, unter Tisch und Stühlen herum. Der Tisch erschien mir damals aus dieser Perspektive riesengroß. Obwohl ich den Tonfall der Stimmen hören konnte, entging mir leider, was sich auf dem Tisch zwischen den Erwachsenen abspielte. Mit zunehmendem Wachstum und der Fähigkeit, mich am Tischbein hochzuziehen, erweiterte sich mein Blickfeld und es gelang mir besser, einzelne Gegenstände im Raum zu erkennen:

Da stand ein viereckiger Schrank mit einer Glastüre. Mich faszinierte dessen bunt bemalte Scheibe. Darauf war in einer bergigen Landschaft ein Bauernhaus zu erkennen, das sich mit tief gezogenem Dach unter dunkle Tannen duckte. Mein Großvater, ein von mir hoch verehrter Holzbildhauer, hatte den Schrank mit allerlei Schnitzwerk versehen. Er war oben von einer Ornament-Blende begrenzt. Die vier Ecken schmückten kunstvoll bearbeite Holztürmchen. In späteren Jahren stellte sich bei mir die Vorstellung ein, dass es sich bei diesem Schrank um eine umgebaute Musikorgel gehandelt haben könnte. Ich bin mir dessen aber heute nicht mehr ganz so sicher. In einer Mischung von Neugier und Furcht blickte ich oft zu dem auf dem Schrank liegenden, geschnitzten Totenkopf hinauf. Dort lagerten in einer Holzkiste, vor meinem Zugriff geschützt, auch die für mich höchst attraktive Schnitzler-Werkzeuge. In einem speziellen Etui, das ich nur selten zu Gesicht bekam, wurden die ganz feinen Stichel und Feilen aufbewahrt. Die ganze Einrichtung der Stube hatte mein Großvater künstlerisch ausgestaltet. In der Raummitte befand sich ein handgearbeiteter großer Tisch, umgeben von Stühlen mit unterschiedlichen, aufeinander abgestimmten Schlangen-Motiven der Rückenlehnen, von denen sich heute noch ein Stuhl in unserem Besitz befindet. Hinter der Tür stand ein hoher dunkelgrüner Kachelofen, der eine behagliche Wärme ausstrahlte. Die Wände schmückten Bilder mit bäuerlichen Motiven in geschnitzten Holzrahmen. An einer hervorgehobenen Stelle zwischen den Fenstern zur Straße fand das Gesellenstück des Großvaters seinen Platz. Auf einem aus Lindenholz gefertigten Kreuz in Form eines Rebstockes war der leidende Herr befestigt. Der Rebstock wurde leider in der Kriegszeit gegen Lebensmittel getauscht. Die Christusfigur habe ich später auf einem anderen schlichten Holzkreuz anbringen lassen. Es hängt heute an einen Ehrenplatz in unserem Wohnzimmer neben einem Marienbild.

Das vierstöckige Haus, in dem wir wohnten, kam durch Erbschaft meiner Großmutter in unseren Besitz. Mein Großvater, ein politisch interessierter Künstler, der in den Krisenzeiten nach dem ersten Weltkrieg mit seinen Schnitzarbeiten wenig verdienen konnte, war sehr stolz auf unser Anwesen. Er zog durch seine Körpergröße, dem grauen Vollbart und seinem wachen, kritischen Blick, die Aufmerksamkeit der Menschen an. Unser Großvater gab in der Familie den Ton an, und ließ es nicht zu, dass meine Mutter meinen unvermögenden Vater heiratete. Sie nahm es aber trotzdem auf sich, als allein erziehende junge Frau, in einer kritischen Umwelt, für mich zu sorgen. Ihrer Liebe und Pflege verdanke ich mein Leben, sonst könnte ich diese Geschichte nicht schreiben. Bis zu meinem dritten Lebensjahr erlebte ich meinen Vater noch in Rheinfelden. Die Erinnerungen sind aber spärlich. Ich übernachtete öfters bei ihm und seiner späteren Frau, in seiner nahe gelegenen Wohnung im „Gräbele“ zwischen beiden. Da er dann in den Kriegsjahren wie alle Männer als Soldat diente, vermisste ich meinen Vater für eine längere Zeit nicht so sehr. Einige Feldpostbriefe, eine Tapferkeitsauszeichnung und zwei von ihm gemalte Ölbilder, habe ich als kostbare Andenken an ihn aufbewahrt. Ich rechne es meiner Mutter hoch an, dass sie in all den Jahren immer zu erkennen gab, dass sie meinen Vater liebte und nie schlecht über ihn redete. Auch ich hatte ihn, trotz der Trennung in mein Herz geschlossen. Über spätere Begegnungen mit ihm berichte ich an anderer Stelle. Auch meine Mutter lernte wieder einen Mann kennen und heiratete. Als ich vier Jahre alt war, wurde mein Bruder Hans geboren. Eine große Freude, denn nun war ich nicht mehr allein. Wir traten auch später, bis zum heutigen Tag, in guten und in schlechten Zeiten immer für einander ein. Nach Großvaters Tod richtete meine Mutter unsere Wohnung teilweise nach ihren Vorstellungen neu ein. Die Wohnküche war in den Kriegsjahren, um Heizmaterial zu sparen, unser Aufenthaltsraum. Die anderen Zimmer wurden nur nach Bedarf beheizt. Die Küche war mit einem modernen Tisch, Stühlen, einem mit Holz und Kohle beheizbaren, weiß emaillierten Herd, einem einfachen Granitspülstein und mit einem eleganten weißen Küchenschrank eingerichtet. Über den Flur gelangte man in die geräumige Wohnstube, und zum Schlafzimmer der Großmutter. Daneben befand sich, der Straße zugewandt, das Schlafzimmer der Mutter. In dieser Wohnung kannte ich mich bald recht gut aus.

Es war für mich nicht störend, dass sich nach der Geburt meines Bruders zwei Wohngemeinschaften bildeten. Ich schlief als Junge zusammen mit meiner Großmutter in deren Zimmer. Meine Mutter schlief ab meinem vierten Lebensjahr mit meinem Bruder und ihrem Mann, solange dieser noch mit ihr zusammen lebte, in ihrem Zimmer. Wenn ich mich recht erinnere, wechselten die Großmutter und meine Mutter oft bei der Zubereitung der Mahlzeiten für uns. Unsere Mutter regelte die übrigen Angelegenheiten des gemeinsamen Haushaltes und kümmerte sich um unsere Kleidung. Es gab auch gelegentliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Mutter und Großmutter. Ich fühlte mich aber insgesamt geborgen und hatte keinen Anlass, mich zu beklagen. Meinen sportlich-drahtigen, groß gewachsenen, dunkelhaarigen Stiefvater habe ich in guter Erinnerung und war stolz, wenn ich ihn bei Waldfesten als einen erfolgreichen Sportler im Wettkampf beobachten konnte. Er war immer freundlich zu mir und gab mir Geschenke wie meinem Bruder Hans. Ich erinnere mich an ein besonderes Geschenk zu Weihnachten: Es war ein reichhaltiger Märklin-Baukasten, der mir gestattete, aus Einzelteilen immer wieder neue Fahrzeuge zusammen zu schrauben. Als Bruder Hans etwas größer war, spielten wir oft zusammen in der Wohnung. Mein Stiefvater war allerdings als Monteur sehr viel unterwegs, sodass unsere Mutter und Großmutter sich die Aufgabe teilten, die lebhaften Buben in Schranken zu weisen.

Die Großmutter betete viel, las in der Heiligen Schrift, oder hielt den Rosenkranz in Händen. Sie hatte gütige Augen und war, trachtenähnlich, mit langem Rock und blauer Halbschürze gekleidet. Im Oberteil ihrer Kleidung trug sie ein Büchlein, das in Leinen gehüllt war. Ich hatte mir ohne zu fragen vorgestellt, dass es sich bei diesem geheimnisvollen Büchlein. um ein religiöses Symbol handelte. Mein Bett befand sich direkt hinter dem Eingang zu ihrem Zimmer. Die Großmutter schlief auf der gleichen Seite an der Längswand des Raumes. Abends vor dem zu Bett gehen, spendete sie mir Weihwasser und das Kreuzzeichen. Sie hatte die Haare zu einem Zopf geflochten, den sie täglich zu einer Schnecke im Nacken zusammenrollte und pfleglich mit Nadeln sicherte. Sie war in ihrer ruhigen, liebevollen Art wie ein sicherer Hafen, in den ich nach meinen Ausflügen wieder zurückkehren konnte. Krankheitsbedingt war ich allerdings einmal für eine längere Zeit ans Bett gefesselt. Eine langweilige Angelegenheit. Um mir die Zeit zu verkürzen, beschäftigte ich mich mit einer stabilen „Milchflasche“. Es gelang mir nach und nach ein ziemlich großes Loch in die Wand neben meinem Bett zu schlagen, ohne dass dies die befürchteten ernstlichen Folgen nach sich zog.
Sehr beeindruckt war ich immer, wenn unser Pfarrer meiner Großmutter die Krankenkommunion in unser Haus brachte. Auf einem Tisch mit weißer Decke stand ein Kreuz. Daneben leuchteten zwei Kerzen. Der Pfarrer sprach davor seine Gebete. Die Vorstellung, dass der unendliche große Gott zu uns einfachen Menschen zu Besuch kam, hat mich immer tief berührt. Eine andere Szene in der Küche, blieb eher wegen der damit verbundenen Schmerzen fest im Gedächtnis haften: Damals konnte ich schon gehen. Meine Mutter hatte Wäsche gewaschen und diese in einen auf dem Boden abgestellten Eimer gegeben. Ohne dass sie es bemerken konnte, war ich neugierig hinzugetreten, verlor das Gleichgewicht und fiel rücklings in den Eimer mit der heißen Wäsche. Meine Mutter und Großmutter reagierten entsetzt. Die Brandwunden sind aber ohne Narben zu hinterlassen längst geheilt.

Es fehlen mir einige Erinnerungen als Bindeglieder zwischen dem Kleinkind – Alter und der Zeit, als ich in den Kindergarten ging. Vom Kindergarten erinnere ich nur den „eigenen, etwas strengen Geruch“ des Sandkastens und die katholischen Schwestern in ihrer Ordenskleidung, die uns zu Spielen anregten und darauf achteten, dass wir die Regeln einhielten. Bei meinem täglichen Fußmarsch in den Kindergarten trug ich mein Vesperbrot in einer bunt bemalten Blechbüchse bei mir. In der kalten Jahreszeit hatte ich widerwillig einen Strumpfgürtel zu tragen, an dem die langen Wollstrümpfe befestigt wurden. In diese Zeit hinein fallen auch erste Erlebnisse mit unseren Nachbarn. Die Umgebung, in der wir wohnten, bot vielfältigste Anregungen und Gelegenheit, die kindliche Neugierde zu befriedigen: Im reichhaltigen Angebot des Milch- und Kolonialwarenladens “Hina” gab es immer etwas zu entdecken. Ich war dort ein gern gesehener Einkäufer vornehmlich von Frischmilch und anderen Dingen des täglichen Bedarfs, wie Butter und Marmelade etc. Dabei hatte ich es zur technischen Perfektion entwickelt, die volle Milchkanne so im Kreise zu schwenken, dass aufgrund der Fliehkraft nicht zu viel Milch bei diesen Drehungen verschüttet wurde. Direkt gegenüber befand sich die Metzgerei “Baumer”. Dort gab es nicht nur Wurst und Fleisch, sondern von der freundlichen Frau Baumer für den kleinen Franz immer ein Scheibe Wurst extra. Das Malergeschäft Sutter am Ende der Straße war bei uns Kindern weniger beliebt, denn die unzugängliche Frau des Malers, kritisierte uns oft heftig.

Direkt neben unserem Haus befand sich das Bekleidungsgeschäft “Hunsinger”. Herr Hunsinger, ein emsiger Geschäftsmann, der Frauen sehr schätzte, besaß einen Opel P 4. Es ist nicht zu beschreiben, wie viele Kinder in diesem Fahrzeug Platz fanden, wenn wir an Sommertagen an den Rhein zum Baden fuhren. Wir Kinder spielten meistens am Ufer, während die Erwachsenen sich flussabwärts treiben ließen und auf dem Rückweg damit beschäftigt waren, mit Zweigen die lästigen Bremen zu verscheuchen. Es gab dort auch ein Boot, Bagger genannt, ein Lastkahn zur Säuberung des Rheinbettes, auf dem es sich gut sonnen ließ. Man musste bei höheren Temperaturen nur darauf achten, sich keine Brandwunden zu holen. Auf dem Grundstück der Familie Hunsinger stand im Hinterhof auch eine geräumige Schneiderwerkstatt. Dort saß der Schneidergeselle mit untergeschlagenen Beinen auf dem Tisch und hatte seine helle Freude daran, uns Kinder beim Nähen mit der Nadel zu pieksen. Später fand ich als Knabe auch Gefallen an den hübschen Schneiderinnen, besonders an aus Grenzach, die ich in achtbarer Distanz wie ein verliebter Kater anhimmelte. Im gleichen Haus lebten die “alten Hunsingers”. Die Seniorin, eine freundliche und hilfsbereite Großmutter, deren Küche immer ein wenig unaufgeräumt wirkte, war uns Kindern wohl gesonnen. Bei ihr fiel immer wieder etwas Nahrhaftes für mich ab. Ihr Mann ein Küfermeister, arbeitete in der Schweiz und unterhielt einen großen Gemüsegarten. Er war der Rosenvater schlechthin. Mit seinen abgearbeiteten starken Händen, hantierte er mit großer Zärtlichkeit an seinen Rosensträuchern. Wenn die Mädchen zu ihm kamen, um an Fronleichnam einige Rosenblätter zu ergattern, die dann vor dem Allerheiligsten bei der Prozession ausgestreut wurden, glänzte er mit einem charmanten Geiz. Er gab nur Rosenblätter ab, die sich eh nicht mehr lang am Strauch gehalten hätten.

Unterhaltend war für mich die Freundschaft mit dem Sohn des Schneiders. Seine immer schick gekleidete Mutter unterstützte unsere Kontakte, denn Rolf war ein Einzelkind. Von den Eltern wohl gehalten, verfügte er über viele Spielsachen, von denen mein Kinderherz nur träumen konnte. Vornehmlich Soldaten, Panzer und andere Fahrzeuge, die wir dann in langen Reihen in der Küche aufmarschieren ließen. Damals in den Dreißigerjahren verstärkten die Nationalsozialisten in allen Bereichen ihren Einfluss. Dies wirkte sich auch auf das Spielzeugangebot aus. Mehr und mehr fand ich auch Kontakt zu anderen Kindern aus der Nachbarschaft. Auch mein Bruder war so weit herangewachsen, dass er mithalten konnte. Bei Soldatenspielen war ich oft Anführer. Wir trugen nicht nur stolz unsere Holzgewehre und Säbel, sondern bauten auch aus alten Kinderwagen steuerbare Autos. Ich erinnere mich an die Konstruktion eines Sanitätsfahrzeuges: Die Achse eines Kinderwagens mit Rädern diente als mobiler Unterbau. Daran befestigten wir zwei Stöcke. Die Stöcke zogen wir durch einen Sack, der uns als fahrbare Trage für unsere Verwundeten diente, und los ging die Fahrt.

In der Zeit des Vorschulalters erweiterte sich unser Betätigungsfeld erheblich: Wir waren unermüdlich mit den verschiedensten Spielen beschäftigt. Es gab in unserem Wohngebiet außerordentlich viele Kinder aller Altersstufen. Nur durch die Mahlzeiten oder die Müdigkeit am Abend unterbrochen, reihte sich beim Spielen Tag an Tag. Wenn ich eine Zwischenmahlzeit nötig hatte, ertönte mein Ruf nach oben: “Großmame, Gutzischnitte”! Dies bewirkte dann, dass meine Großmutter ein deftiges Stück Bauernbrot richtete mit Butter und Marmelade bestrich und mir anbot. In unmittelbarer Umgebung befanden sich die verschiedensten Handwerker: Es gab da die Wäscherei “Hagmann” mit den großen Waschmaschinen, einem Nebenraum mit Wäschemangel und Büglerei, in dem die Wäsche aufbereitet und versandfertig verpackt wurde. Vor allem aber auch die hübsche Tochter Rosemarie. Daneben hatte der Hufschmied “Muffler” seine Werkstatt mit Schrott- und Lagerplatz. Dort fanden wir Buben immer wieder Abfallstücke, die wir noch brauchen konnten. Wir bestaunten die Arbeit des Schmiedes am Kohlefeuer und bewunderten die kraftvollen, rhythmischen Hammerschläge, unter denen das glühende Eisen die gewünschte Form fand. Besondere Aufmerksamkeit verdiente die Arbeit des Hufschmieds, der den Pferden die Hufe zurechtschnitt, die Eisen einbrannte, um sie anzupassen, die Nägel durch die Hufe schlug und deren Enden zufeilte. Unmittelbar daneben hatte sich der Maler „Würth“ seine Werkstatt eingerichtet. Dort standen unzählige Eimer, Leitern, Pinsel und reichlich Tapetenreste, die wir Kinder immer verwerten konnten. Einen besonderen Spaß bereitete es den Malergesellen, wenn sie uns Buben dazu verführen konnten, den “beizenden Geruch” des Salmiakgeistes zu schnuppern. Wir besuchten oft die anliegende Sattlerei. Der alte Großlaub und dessen Sohn arbeiteten dort zusammen. Mich beeindruckte die rot-violette, etwas vernarbte große Nase des kinderfreundlichen Alten sehr. Ein unerschöpfliches Arsenal an Sesseln, Stühlen, und vor allem an Leder-, Stoffabfällen und Schnüren, waren in einem kleinen Raum verteilt. Wir hatten immer Bedarf an Resten und beobachteten viele Stunden ungestört die Sattler bei ihrer Arbeit. Neben der Sattlerei hatte der Blechner “Sailer” seine Werkstatt. Hier konnten wir lernen, wie Abfallrohre h ergestellt und sonstige Teile aus Blech geformt wurden. Es gab dort auch verschiedene Maschinen, um die Blechstücke zu schneiden und in Form zu bringen In unmittelbarer Nähe unseres Hauses befand sich die Werkstatt von Schuster „Jehle“ , Wir schauten ihm oft zu, wie er am Dreifuß die Schuhe reparierte, Absätze ausbesserte, neue Sohlen aufleimte, mit Holznägeln befestigte, dann nagelte zurecht feilte und an einer großen Maschine polierte. Er führte auch ein Schuhgeschäft. Dies hatte den Vorteil, dass immer wieder zum Spiel nützliche Kartons zur Verfügung standen. In einer der Nebenstraßen wohnte unser Sanitäter Baumgartner, den wir unter dem Siegel der Verschwiegenheit konsultierten, wenn wir unter einer „Sportverletzung, Schramme, Schürfwunde etc.“ litten. Er versorgte uns immer, denn so bepflastert, fiel die Gardinenpredigt zu Hause nicht so hart aus. Doch wo gehobelt wird, fallen Späne, sagt das Sprichwort. Und wo Kinder intensiv spielen, lassen sich Schrammen kaum vermeiden. Hätten wir unseren Sanitäter nicht gehabt, wäre unser schon stark belasteter Schutzengel noch viel mehr gefordert worden.

Es gab eine strenge Hierarchie unter uns Buben: Die Älteren von uns spielten die Anführer, denen die jüngeren unbedingt zu gehorchen hatten. Bald gehörte auch ich zu den Anführern und war daher damit beauftragt, für ausreichend Spielideen zu sorgen. Der Radius unserer Unternehmungen erweiterte sich zusehends: Eines Tages kamen wir auf die Idee, aus einem alten Seitenwagen ein Boot zu bauen. Wir versuchten mit allen nur erdenklichen Mitteln, das Boot wasserdicht zu bekommen. Es bekam bei der Bootstaufe den Namen „Möwe“. Wir packten unser Boot auf einen Leiterwagen. Ob die Dichtungen halten würden? Vorsichtig ließen wir das Boot in einem Bach bei einem nahe gelegenen Sägewerk zu Wasser. Zu unserer großen Enttäuschung gelang es nicht, „in See zu stechen“. Aus allen möglichen Ritzen strömte Wasser in unser Boot und nach wenigen Minuten lag unsere stolze Möwe auf dem Grund des Sägebaches. Wir schlichen mit hängenden Köpfen nach Hause, ohne uns um eine weitere Entsorgung des Bootes – wie man heute sagen würde – zu kümmern.

Eines Tages fand in Rheinfelden ein Varieté im Freien statt. Die Attraktion neben anderen Darbietungen bestand darin, dass sich ein Künstler in einem Erdloch nur geschützt durch Hölzer in den Ecken, die Bretter zur Abdeckung trugen, zwei Stunden lang „lebendig begraben“ ließ. Ich beschloss als Anführer unserer Gruppe, dieses Erlebnis nach zu spielen. Bei Schuster Jehle lagerten ja die großen Kartons in denen die Schuhe zum Verkauf versandt wurden. Ein solcher Karton bot sich mir nun als Grab an. Unter dem Beifall meiner Gruppe, stieg ich mutig in einen Karton ein und schloss ihn von innen, um zwei Stunden lebendig begraben zu werden. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass der Schuster Jehle unser Spiel von seinem Arbeitsplatz aus beobachtete, heraus kam, und sich oben auf den Karton setzte. Ich kam in eine grässliche Not und bat inständig darum, mich entgegen meiner Ankündigung vorzeitig aus dem Karton-Grab frei zu lassen. In unserem Viertel hinter den Häusern spielte sich ein Großteil meiner Kindheit ab. Langsam erweiterte sich aber auch dieser Spielraum: Am Ende unserer Straße gab es Wiesenflächen und eine kleinere Fläche “unsere Eckwiese”. Dort spielten wir oft zusammen “Spachtel und Gizi”. Ich muss das ein wenig erklären: Spachteln bedeutet, dass ein zugeschnittenes Holzstück in den Boden geschlagen wurde und dass
der Sieger war, dem es gelang, eine ebenfalls zugespitzte „Spachtel“ sehr nahe an das eingerammte Holzstück in den Boden zu werfen. Gizi bedeutete: Auf einen großen Stein wurde ein kleinerer gelegt. Es galt dann, diesen kleineren Stein durch einen Steinstoß mit einem anderen Stein herunter zu stoßen.

Die Werderstraße, die damals wenig befahren war, gehörte zu unserem Spielrevier. Wir waren zu jeder Jahreszeit auf den Beinen und fanden immer wieder neue Ziele, uns zu beschäftigen und beim Spiel zu erfreuen. Unsere Mutter kaufte uns aus guten Gründen Lederhosen, die unverwüstlich sein sollten. Dies galt es zu testen. Wir setzten uns in den neuen Hosen stolz auf unseren Hintern und rutschten auf dem rauen Straßenpflaster hin und her, um herauszufinden ob die Hosen solchen Belastungen Stand hielten. Im Winter, beim ersehnten ersten Schneefall, durften wir bis in die Dunkelheit im Licht der Straßenlaternen unsere Energie entladen. Wir verwandelten durch ständiges Rutschen einen Teil der Straße in eine Eisbahn und ab ging die Fahrt. Bedächtiger wurde es, wenn wir
versuchten aus der Vielzahl der Schneeflocken, die aus dem Licht der Straßenlaternen heruntertanzten, einige davon mit unseren Zungen aufzufangen. Eines schönen Tages entdeckten wir am nahe gelegenen Güterbahnhof dass der Obst und Gemüsehändler „Bührer“ dort Orangen auslud. Es war zu verlockend, sich per Mundraub zu bedienen. Aus einer Kiste schaute eine dicke Orange vorwitzig heraus. Ich brauchte nur noch mit dem Finger ein wenig nachzuhelfen, um die Beute in Händen zu halten. Mit relativ schlechtem Gewissen verzog ich mich mit der Orange zu Hause aufs WC. Der Saft floss mir beidseits des Mundes herunter als ich mit Heißhunger meine Beute verzehrte. Nie hat eine Orange in dieser Spannung von schlechtem Gewissen und Genuss besser geschmeckt.

Am Güterbahnhof lagerten auch riesige Baumstämme mit ihrem Wurzelwerk. Eine herrliche Trainingsstätte, um Gleichgewichts- und Kletterübungen zu absolvieren. Ich stieg auf einen der größten Stämme und balancierte eine zeitlang verwegen auf ihm herum, bis ich schließlich herunter fiel. Ich rappelte mich danach am Boden wieder hoch und war entsetzt. Beim Aufprall und dem Abstützen mit der Hand war der linke Daumen aus dem Gelenk gekugelt. Die Haut über dem Daumengelenk hatte sich sehr gedehnt. Es sah aus, als ob das gebrochene Gestell eines Regenschirms gegen dessen Schirmseite drücke. Der Schreck war entschieden größer als mein Schmerz. Dann entschloss ich mich zur Selbsthilfe. Ich fasste den Daumen mit der rechten Hand, zog kräftig und wie durch ein Wunder war der Schaden behoben. Unserer Mutter habe ich aus guten Gründen nie etwas davon erzählt. Eines Tages stand am Ende der Straße vor einem Lokal das Pferdegespann des Landwirts „Fischer“. Die beiden schweren
Belgier-Pferde langweilten sich, während der Fuhrmann seinen Durst löschte. Mir fiel nichts anderes ein, als den ersten von zwei Pritschenwagen, die aneinander gebunden waren zu besteigen, die Geisel in die Hand zu nehmen und den Pferden ein kräftiges „Hü“ zuzurufen. Sie setzten sich zu meinem Schreck sofort in Bewegung. Sie kannten ja ihren Weg zu den Stallungen. In immer rascherer Fahrtging es bergab Richtung Zoll durch die Bahnunterführung mit einer Straßenabzweigung. Ich hatte große Angst. Zum Glück hielt sich damals der Straßenverkehr in Grenzen, sodass ein Zusammenstos vermieden werden konnte. Die Pferde kamen erst wieder zur Ruhe,als sie die beiden schweren Wagen den Adelberg hinauf zu ihren Stallungen ziehen mussten. Ich habe mich schleunigst aus dem Staub
gemacht und weiß nicht, wer die Pferde danach versorgte. Ohne weitere Folgen kam ich noch einmal mit dem Schrecken davon.

Dort am Adelberg trafen wir uns auch zum Wintervergnügen: Es gab immer einen Jungen, der einen Schlitten besaß. Manchmal koppelten wir mehrere Schlitten aneinander und kurvten, entgegen dem Verbot der Eltern, den Abhang Richtung Rhein hinunter. Natürlich bestand auch der Wunsch, Ski zu fahren. Wir besaßen die notwendige Ausrüstung aber nicht. Daher versuchten wir es mit zwei leicht gebogenen Brettern von alten Fässern und versahen diese mit gebrauchten Schuhen als Bindung. Die Eigenkonstruktion erfüllte allerdings nicht ganz den Zweck, denn es gelang uns nicht, damit bergab zu fahren, obwohl wir kräftigt mit den Stöcken nachhalfen. Der Unterbau unserer Konstruktion war einfach zu rau. In unserem Jungenkreis beschlossen die Älteren, dass es nun an der Zeit wäre, einen Bunker zu bauen, um vor den ständig besorgten Blicken unserer Umgebung gesichert zu sein. Mir fiel die Aufgabe zu, meine Großmutter zu überreden, dass sie uns erlaubte, die kleine Wiese hinter unserem Haus im Garten dafür zu benutzen. Sie sagte zu. Mit Pickel, Schaufel und Spaten rückten wir an, hoben den Rasen aber schrocken abwinkte, war alles schon vollbracht. In den vier Ecken und in der Mitte wurden Holzpfähle eingerammt. Darüber legten wir Bretter, schütteten den Erdaushub darauf, und deckten ihn mit den Grasnarben wieder ab. Im Bunker bauten wir ringsherum Sitzbänke und ließen einen Einstieg frei, der mit einem Deckel verschlossen werden konnte. Hier in dieser Unterwelt kreisten die ersten Zigaretten.

Auf meinen Erkundungsreisen nach neuen Spielmöglichkeiten entdeckte ich eine nicht weit von unserer Straße gelegen Gärtnerei. Ich erklärte meinen Freunden, es sei viel praktischer in der Nähe unsere geplante Hütte zu bauen, anstatt am Rhein oder im abgelegenen Wald. Hier sei alles wie von Gottes gütiger Hand schon vorbereitet. Wir rückten an mit Äxten etc., drangen in die von mir entdeckte Baumschule ein, entfernten in einem Viereck der gewünschten Größe die innen stehenden Bäumchen, und erstellten so sehr schnell eine Hütte. Noch größer war unser Vergnügen beim danach einsetzenden Jagdspiel. Die kleinen Buben rannten davon und spielten die Löwen, wir größeren versuchten sie zu fangen. Der besondere Reiz bestand darin, sich von den kleinen Bäumchen beim Jagen abfedernd tragen zu lassen. Das über einige Stunden währende herrliche Spiel fand ein plötzliches Ende, als ie Besitzerin der Gärtnerei uns übel mitspielte und mit der Polizei drohte. Wir verließen fluchtartig unseren Tatort und befanden uns einige Tage später vor dem Gericht, bestehend aus dem Polizeimeister Böhler und seinem Assistenten Mannschott, der alle Buben beim Namen kannte. Die Täter waren geständig, das Urteil wurde gesprochen und fiel nach der Körpergröße abwärts etwas milder aus. Mich erwischte es noch mit zwanzig Mark. Zu Hause gab es keine mildernden Umstände. Ich musste mir das Geld mühsam verdienen. Für einen Satz gebügelter Kragen, die ich auszutragen hatte, gab es bei einer Büglerin zehn Pfennige. Entsprechend aufwendig und zeitraubend war es, die zwanzig Mark zu verdienen. Der Radius unserer Aktionen erweiterte sich zunehmend und wurde dadurch für unsere Eltern immer unübersichtlicher. Das machte aber in unserer damals kleinen Stadt nichts aus, denn die Menschen kannten einander. In der Mehrzahl kinderfreundlich, hatten sie das Privileg, uns Buben in die gebotenen Schranken zu verweisen. Ich hätte nicht gewagt, mich über eine Ohrfeige beim Äpfelklauen zu Hause zu beschweren, das hätte weniger Verständnis, sondern nur eine herbe Rüge eingebracht. Insofern schwiegen wir mannhaft über derlei gelegentliche Beeinträchtigungen. Ich hatte einmal bei meinen Erkundungen eine Birnenplantage mit leckeren reifen Früchten entdeckt. Die Gier war größer als der Hunger. Ich breitete mein Taschentuch aus und war dabei schöne, reife Birnen zu ernten. Plötzlich erfasst mich eine Hand von hinten und ich hörte eine dunkle Männerstimme mit den Worten: „Was machst Du da!“ Es war der mir bekannte Feldhüter Krebs, der Vater eines Schulfreundes. Er nahm mich mit sich nach Hause zu einer Aussprache unter Männern. Mein Schulfreund legte Fürbitte für mich ein, und ich entkam dadurch einer gerechten Strafe.

Die Schule machte mir keine besonderen Schwierigkeiten. Ich erinnere mich kaum, wann ich meine Schularbeiten machte, wohl aber dass ich einem Klassenkameraden, dessen Eltern eine Metzgerei besaßen, bei den Schularbeiten half und zur Entlohnung Würste bekam. Wir befanden uns mittlerweile mitten im zweiten Weltkrieg, die Männer waren eingezogen, die Frauen zur Arbeit in der Rüstung verpflichtet. Die politischen Machthaber hatten ihren Einfluss auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens ausgedehnt und die Idee von Führer, Volk und Vaterland wurde uns beständig über alle Medien vermittelt. Auch in der Schule wurde der Hitlergruß praktiziert. Es kursierte eine judenfeindliche Propaganda. Dennoch hatten wir in unserer Familie öfters Besuch von einer älteren, ledigen Jüdin, „Fräulein Hirsch“. Sie trug vornehme Kleidung ihrer Verwandtschaft aus Amerika, die leider aus der Mode gekommen war. Ihre ausgeprägte Neigung, mich ständig küssen zu wollen, konnte ich nicht erwidern. Nur ihre Zudringlichkeit und Kleidung wirkte auf mich abschreckend. Gegenüber ihrer jüdischen Herkunft empfand ich, wie unsere Familie, aber keine Abneigung.

In dieser Zeit ging ich zur ersten heiligen Kommunion. Unser verehrter Pfarrer, der uns auch Religionsunterricht gab, bereiteteuns auf unser erstes Beichtgespräch vor und half uns dabei einzusehen, dass auch wir ab und zu kleine Sünder seien. Er erklärte uns die wesentlichen Botschaften und Inhalte unseres Glaubens vor allem, dass wir nun bald den Herrn Jesus in Gestalt einer Hostie empfangen dürften. Dieses Ereignis war mir ja von Hausbesuchen des Pfarrers bei meiner Großmutter und den sonntäglichen Gottesdiensten bekannt. Wir lernten, dass der unendliche Gott die Welt und uns erschaffen hat und so sehr liebt, dass er seinen Sohn sandte, um uns Menschen von aller Schuld zu erlösen. Der Pfarrer vermittelte uns, dass wir nur Gott gegenüber unsere Taten zu verantworten hätten und immunisierte uns nicht nur gegenüber den Einflüssen der damaligen politischen Machthaber sondern auch gegenüber jeder weltlichen Autorität. Er muss mich wohl als einen religiösen Fragen gegenüber aufgeschlossenen aufgeweckten Jungen erlebt haben, denn er schlug meiner Mutter vor, dass ich Priester werden könnte. Sie lehnte diesen Vorschlag aber ab.

Ich konnte den Tag der ersten heiligen Kommunion kaum mehr erwarten. Meine Mutter sorgte für die angemessene Kleidung. Ich bekam einen neuen dunkelblauen Anzug mit kurzer Hose, ein feines Hemd und Halbschuhe. In den Händen trug ich stolz meine Kommunionkerze, ein neues Gesangbuch und einen Rosenkranz. Wir wurden in einer feierlichen Prozession vom Kindergarten abgeholt, voraus Kreuz und Fahnen, die Geistlichen mit den Ministranten, die Stadtmusik, danach in Zweierreihen wir Buben und die Mädchen in ihren schönen weißen Kleidern und Kränzen. Die Kirche war gefüllt, unsere Bänke besonders geschmückt. Es folgte ein feierlicher Gottesdienst begleitet von Orgelspiel und dem Gesang der Gemeinde, dann schritten wir vor zum Altar um zum ersten Mal den Herrn in Brotsgestalt zu empfangen. Etwas von dieser feierlichen Stunde, in der ich für das Geheimnis des lieben Gottes ganz offen war, begleitet mich seither beim Kommunionempfang. Zu Hause gab es im Anschluss an den Gottesdienst mein Lieblingsessen Spaghetti in Tomatensoße, Koteletts und Salat. Die schöne neue Armbanduhr, die ich zum Fest geschenkt bekam, überstand den Tag nicht. Ich hatte sie aus Freude zu oft aufgezogen, sodass sie auch durch heftiges Klopfen nicht mehr in Gang gebracht werden konnte. Ich glaube nicht, dass ich das meiner Mutter am gleichen Tag eingestanden habe.

Die Zeit rückte näher an den Termin, der zur Aufnahme in das Jungvolk, anschließend in die Hitlerjugend bestimmt war. Das freie kindliche Spiel wurde so in ein von uns nicht mehr durchschaubares politisches Spiel einbezogen. Ich war natürlich wie alle meinechulfreunde stolz, als ich eine kurze Kordhose, ein Braunhemd,ein Koppel mit Fahrtenmesser und ein Schartuch mit Knoten empfing und damit zur Hitler-Jugend zählte. Erinnerlich sind mir vor allen Dingen die vielen sportlichen Angebote: Leichtathletik, Ringen, Boxen, Gewichtheben mit immer wieder arrangierten Sportfesten, in denen Wettkämpfe durchgeführt wurden. Dazu kamen Übungen im Marschieren, Stillstehen, Körperwendungen und das Antreten zu Standortappellen an den Sonntagen, durch die es immer schwieriger wurde, den Gottesdienst zu besuchen. Dies alles bildete nun neben der Schule Bestandteil unseres Tagesablaufs. Die Lehrer achteten sehr darauf, dass wir an diesen Angeboten teilnahmen und wer mochte es schon mit den Lehrern verscherzen.Beim Übergang vom Jungvolk zur Hitlerjugend entschied ich mich für ein weniger militärisches Angebot. Ich meldete mich zum Musikzug, lernte Querflöte spielen, zu trommeln und Fanfare zu blasen. Bei den gelegentlichen Aufmärschen zogen wir dann mit klingendem Spiel voran. Zumindest zum damaligen Zeitpunkt hatte ich mit Ausnahme, dass die Kirche, der ich angehörte, eher kritisch eingestellt war und wir bei den Prozessionen ein Schaulaufen zu bestehen hatten, keine nennenswerte Distanz zum System. Die von musikalischemPomp begleiteten Sondermeldungen über die Erfolge der Wehrmacht,die Filmberichte in den Wochenschauen, das Auftreten der politischen Prominenz des dritten Reiches bei den beeindruckend inszenierten Großveranstaltungen, die den “Führer“ verherrlichten, die Aufmärsche der Musikzüge, Standarten- und Fahnenträger, die sportlichen Veranstaltungen und die Führerreden, an denen wir in der Schule teilnehmen mussten, verstärkten nur das Bild eines alles in allem gut funktionierenden Apparates. Kritische Stimmen auch im privaten Bereich waren sehr selten. Das Abhören von Nachrichtensendungen aus dem Ausland war streng verboten.

Diese bis zu meinem 12. Lebensjahr glücklich und erlebnisreich verlaufene Kinderzeit fand ein jähes Ende durch den Tod meiner Großmutter. Unter diesem Schock erlebte ich zum ersten Mal, dass menschliches Leben endlich ist. Ich habe die Beziehung zu meiner Großmutter in einer Geschichte „das verlorene Gesicht“ beschrieben. Meine Mutter war damit einverstanden, dass ich für weitere zwei Jahre bei unseren Verwandten in Giersbach bei Herrischried, bei denen ich vorher schon gelegentlich in Ferien war, auf deren Bauernhof wohnen dürfe. Es war für meine Mutter und mich keine leichte Trennung. Erlebnisse aus dieser Zeit habe ich in meiner Erzählung „Der Hotzenbischof“ festgehalten. Über die Erfahrungen nach meiner Rückkehr vom Hotzenwald in meine Heimatstadt Rheinfelden im Jahr 1944, der Adoleszenz, die Berufswahl, Freundschaften, dass Kriegsende und Erlebnisse in der Besatzungszeit, werde ich in einem nächsten Kapitel berichten.

Nicht geweinte Tränen

Ein Sommertag: Großmutter arbeitet mit mir an einem Sägebock. Hin und her läuft die Handsäge. Wir zerkleinern Stämme zu Brennholz. Nicht nur das Sägen bereitet uns Vergnügen. Wir beide kennen uns gut. Eine erfreuliche, gemeinsame Zeit, umhüllt uns. Wie bei der Arbeit mit der Handsäge, so schenkte mir die Großmutter im Hin und Her vertrauter Nähe, beständige Liebe und Geborgenheit. Großmutter war daher für mich, obwohl sie nicht viel redete, durch ihre konstante Anwesenheit wie ein sicherer Hafen, aus dem ich zu kindlichen Spielen auslief, und in den ich nach ermüdenden Aktionen wieder zurückkehrte. So gut ich konnte, hatte ich ihr schon viele Male beigestanden: Wenn sie zur Behörde ging, begleitete ich sie stolz, las ihr die Texte vor, und half beim Ausfüllen der Formulare. Brauchten wir Kohlen, dann zog ich den schweren Leiterwagen. Sie las täglich die Heilige Schrift, und betete andächtig den Rosenkranz. Ich fühlte mich einbezogen und in guter Obhut. Umständehalber schliefen wir in einem Zimmer. Nach ermüdenden Spieltagen, spendete sie mir den Abendsegen. Sie bekreuzigte sich und mich mit Weihwasser. Eine seelische Wohltat, die mich mein ganzes Leben lang begleitete. Mit ihrem abgegriffenen Rosenkranz bete ich mich auch noch heute in den Schlaf. Die Großmutter zeigte mir durch ihr ganzes Wesen, dass ich ihr wichtig war. Im Zusammenleben mit ihr habe ich durch sie die fraglose Sicherheit, geliebt zu werden und zu lieben, einprägsam erfahren.

Diese unbeschwerte Kindheit, fand in meinem zwölften Lebensjahr ein jähes Ende. Ich war in keiner Weise darauf vorbereitet, dass meine Großmutter einmal nicht mehr da sein könnte. Während wir vergnügt Holz sägten, überfiel sie plötzlich ein Unwohlsein: Sie sackte ein wenig in sich zusammen, und griff sich an die Brust. Ich erkannte sofort, dass sich irgendetwas Schlimmes ereignete. Besorgt bot ich ihr den Arm, und geleitete sie bis zum ersten Podest unseres mehrstöckigen Wohnhauses. Hier brach die Großmutter in die Knie. Ich stützte sie dabei, und sie starb in meinen Armen. Der herzzerreißende Aufschrei unserer Mutter klingt mir noch in den Ohren. Sie war herbeigeeilt, stand uns gegenüber, blickte in die brechenden Augen ihrer Mutter, und erlebte so deren Tod. Die panische Reaktion meiner Mutter, die am ganzen Leib zitterte, beunruhigte mich sehr. Dem Auftrag, einen Arzt zu holen, kam ich in bestürzender Eile nach: Ich sehe mich noch, wie von Furien gehetzt, auf den Straßen rennen, bis ich endlich einen der uns vertrauten Ärzte fand. Dieser konnte aber nur noch den Tod der Großmutter feststellen. Sie lag inzwischen ruhig, ohne zu atmen, bewegungslos und mir fremd geworden, auf ihrem Bett in unserer Wohnung. Nach einiger Zeit holten sie Männer ab und brachten sie bis zur Aussegnung und Beerdigung in das „Totenhäusle“ unseres Friedhofs.

Was sich danach ereignete, erlebte ich schockiert und blockiert, wie in einem schrecklichen Film: Das Geschehen lief an mir vorbei. Irgendetwas schnürte mir die Kehle zu. Ich fand keine Worte, nicht einmal Tränen. Am Grabe stand ich, ohne zu begreifen, was da geschah. Nur die Leichenträger habe ich noch vor Augen, wie sie, schwarz gekleidet den Sarg an Seilen langsam in das Grab senkten. Ich höre heute noch den dumpfen Aufprall des Sarges auf der Erde, und die Geräusche, als die Seile wieder hoch gezogen wurden. Wie versteinert stand ich da, in einem Zustand, der weder Tränen noch Trauer zuließ. Vor dem Totenhaus im Friedhof fürchtete ich mich danach lange Zeit. Den Geruch der Thuja-Hecken konnte ich nicht mehr leiden. Den Friedhof und alles, was mit Tod zu tun hatte, verbannte ich ängstlich aus meinem Gedächtnis. Es fiel mir in den folgenden Jahren auch sehr schwer, mich an die Großmutter zu erinnern. Ihr Gesicht und ihre Gestalt waren aus meiner Erfahrung verschwunden. Die Versuche, an sie zu denken, endeten immer in bitterer Enttäuschung. Ohnmächtig und schmerzerfüllt, zog mich das überfordernde Geschehen in seinen Bann. Hatte ich zuvor gern und stolz über meine Großmutter geredet, als wäre sie die liebenswerteste Person der Welt, war ich nun nicht mehr in der Lage, über sie und ihren Tod, der mich fassungslos machte, zu klagen oder zu trauern. Es schien so, als wären auch alle positiven Erfahrungen, vor ihrem Tod in mir erstorben. Wenn in späteren Jahren Erinnerungen an sie auftauchten, überfielen mich Wehmut und Trauer, die mir oft die Teilnahme am aktiven Leben vergälte. Wie ein großer Stein lag die Einschätzung, es könne mich nach dem Tod der Großmutter niemand mehr so wie sie lieben, auf der Seele. Auch meine Liebe zu ihr fand keinen Ausdruck mehr. Selbst ihr Bild verblasste so sehr, dass ich mir nicht mehr vorstellen konnte, wie sie aussah. Es schien, als ob alles, was mich leidvoll an die Zeit mit ihr erinnerte, und viele nicht geweinte Tränen in meiner Brust versiegelt wären. Der Wunsch, nicht mehr an diese Katastrophe erinnert zu werden und die Angst, dass andere Menschen mein Leid nicht verstehen könnten, verschlossen mir den Mund.

Es dauerte seine Zeit und ein Leben in vertrauter Umgebung, bis ich wieder weinen lernte, mit anderen Menschen Freundschaft pflegen konnte und in der Lage war, über den Tod meiner Großmutter und den anhaltenden Schmerz zu sprechen. Im offenen Gespräch mit vielen Menschen ist nun der Stein, der auf der Seele lastete, weggewälzt, und ich erfahre wieder den österlichen Segen, zu lieben und geliebt zu werden. Warum sollte ich daher trotz schmerzlicher Trennung und Tod, nicht wieder wie früher, dankbar und stolz über die Liebesbeweise und kostbaren Erfahrungen mit der „besten Großmutter“, die es für mich gab, sprechen. Ihr Segen hat mich ja ein Leben lang begleitet. Ihr Rosenkranz liegt, nicht unbenutzt, unter meinem Kopfkissen. Ist das nicht die eine oder andere Träne wert?

Bei alten Menschen
geborgen

Fichten

Von meinem Arbeitszimmer aus kann ich das ganze Jahr über unsere drei Fichten in Garten sehen. In diesem Augenblick werden sie von der Sonne, die sich hinter diesigen Wolken verbirgt, so belichtet, dass sich ihre Konturen vor dem hellgrauen Hintergrund deutlich abheben. Leider habe ich sie, in Aufgaben vertieft, oft übersehen. Sie nehmen mir das aber nicht übel, denn sie wissen, dass ich sie gelegentlich innig betrachte. Im Laufe der Zeit sind wir sogar Freunde geworden. Vor Jahren konnte ich ihre grazile Gestalt, von meinem Schreibtisch aus, in ihrer vollen Größe bewundern. Inzwischen sind sie so gewachsen, dass ich ihre Spitzen beim Blick durch das Fenster nicht mehr erkennen kann. Daher muss ich mich vor ihnen verneigen, damit der obere Fensterrahmen ihnen nicht die Spitzen abschneidet. Jetzt bekomme ich Ihre volle Schönheit wieder in den Blick. Wir verweilen in gegenseitiger Freude einige Minuten, dann schenke ich auch der Umgebung meine Aufmerksamkeit.

Manchmal stellte ich mir vor, wie es wäre, wenn sich die Natur im Lauf des Jahres nicht veränderte. Dann würden wir aber sicher die Geborgenheit vermissen, die wir mit dem Wandel der Jahreszeiten erleben können. Ohne unsere drei Fichten im Garten, wären wir bedeutend ärmer. Ihnen kann, fest verwurzelt, Wetter und Wind wenig schaden. Sie lassen sich selbst im Winter die gute Laune nicht nehmen, und bewahren auch unter ihren Schneemänteln, ihr ansehnliches Grün. Den Vögeln, die hier überwintern, bieten sie ein sicheres Versteck, und uns das Vergnügen, deren munteres Spiel zu beobachten. Die kahl werdenden Büsche und Bäume im Garten, die unseren herbstlichen Kummer spüren, mahnen uns wortlos, sie vor Einbruch der kalten Jahreszeit noch einmal genau anzuschauen. Ihre zarten Triebe, deuten uns dann an, dass sie schon darauf warten, die kalte Jahreszeit gut zu überstehen, um im nächsten Frühjahr, in der wärmenden Sonne, wieder zu neuem Leben zu erwachen. Alle Freunde in der uns umgebenden Natur, sollen aber wissen, dass wir für viele Jahre des stillen Beisammenseins dankbar sind. Wir werden uns auch in der nächsten Winterruhe nicht aus den Augen verlieren und öfters an einander denken. Die Sonne versinkt nun zusehends am Horizont. Von unseren drei Fichten ist nichts mehr zu sehen; die Dunkelheit hat sie verschluckt. Sie sind aber ganz sicher noch da, wie die Sonne, die sich schlafen legt, um uns nach wenigen Stunden der Nachtruhe, bei Tageslicht wieder zu neuem Leben zu erwecken, und auch in jeder Ruhezeit zu begleiten.

Dankgebet

O Gott

Wir erleben zuweilen die Not eines Habenichts, der weiß, dass alles was es gab, gibt und geben wird im Himmel und auf Erden nur durch DICH Bestand hat. DU, o Gott, hast alles ins Leben gerufen beim Namen genannt und bist als Schöpfer der „ICH BIN DER ICH BIN DA“ das ewige Jetzt. Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, kein Gedanke hat es erfasst, kein Wort zu sagen vermocht wer DU bist. Wir und alles was es gibt sind wie ein Nichts unwürdig und unfähig DICH so zu preisen, wie DU es verdienst. Und doch! DEIN ewiges Licht leuchtet auch in diese Dunkelheit und erweckt die Sehnsucht zum Leben, DICH, ohne den wir nichts sind, Abba, lieber Vater zu nennen, in der Hoffnung, dass DU diese Menschen mögliche Weise, DICH um DEINER SELBST Willen zu preisen, hörst und DICH unser erbarmst.

O Gott, wir haben keinen anderen Ort und kein anderes Wort, als „VATER“ unser, das Gebet, in dem wir alles, was wir sind und haben von DIR empfangen, und Dir alles, was wir durch DICH sind und haben darbringen. Mehr kannst DU Vater uns nicht schenken, und wir haben keine schönere Gabe für DICH, als DICH unseren Vater zu nennen. DU unser geliebter ewiger Vater, und wir, DEINE Geliebten, die DICH als Vater anrufen. Geheiligt werde DEIN Name, DEIN Reich komme, DEIN Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.

Heilig heilig heili heilig ist der Herr

Trostworte

Geliebter Vater, Sohn und Heiliger Geist, erleuchte unser Herz und die Sinne, um von DIR Herrlichster, Wunderbarster, der Quelle ewiger Liebe, demütig anbetend zu reden. Vor, in und nach aller Zeit, bist DU als Weltenschöpfer, in Einheit mit DEINEM Sohn und dem Heiligen Geist, der eine und verehrungswürdigste Ursprung allen Seins, und dereinst unser gnädiger Richter. DU hast uns in all DEINEN Werken, in den Heiligen Schriften und durch DEINE Kirche, DEINE Liebe geoffenbart, die Pflege der Natur anvertraut und uns die Sehnsucht nach DIR geschenkt. DU hast uns auch in die Dienste der Kirche und Menschheitsfamilie berufen, um DEINE Herrlichkeit allen Völkern bis DU wieder kommst zum Gericht zu verkünden. Im Heiligen Geist hast du uns befähigt, als Kinder Söhne und Töchter DEINE Zeugen und Mitarbeiter in der Welt zu sein. DEIN Heiliger Wille soll sich in unserem und Leben mit der Kirche, in DEINEM Reich der Gerechtigkeit und des Friedens, als Einladung im Glauben Hoffen und Lieben zu allen Menschen und Geschöpfen bewähren. Er verpflichtet uns, Wahrheit und Lüge, Gut und Böse im Lichte des Gewissens zu unterscheiden, und Gott zu geben was IHM, und dem Staat, den Familien und der Gesellschaft, was ihnen gebührt. Prüfen wir, als getaufte und gefirmt Christen. in Verantwortung für unseren Glauben, die gegenwärtigen Ereignisse in unsrer Menschheitsfamilie:

Ehre der Dreifaltigkeit

Veni creator

Ein Tropfen DEINER
Liebesfülle bewegt
der Herzen Stille
und es wird Licht

Wo Gottes Wort
in uns zerbricht
erhebst DU Sinne
und Gemüt damit es
wieder neu erblüht

Sind Gottes Worte
wie Ein Tropfen DEINER
Liebesfülle bewegt
der Herzen Stille
und es wird Licht

Wo Gottes Wort
in uns zerbricht
erhebst DU Sinne
und Gemüt damit es
wieder neu erblüht

Sind Gottes Worte
wie neu geboren
trösten sie unsre
armen Ohren

Des Vaters und
des Sohnes Erbe
ist zu sehen im
Wort und Werke
neu geboren
trösten sie unsre
armen Ohren

Des Vaters und
des Sohnes Erbe
ist zu sehen im
Wort und Werke

Komm Heiliger Geist

Über Wünsche

Der kleine Hans stellt sich vor seinen Vater, stemmt die Hände in die Hosentaschen und erklärt mit blitzenden Augen „ich will Zugführer werden.“ Gestern wünschte er noch begeistert, einmal zur Feuerwehr zu gehen, und das Auto mit dem „ta tü ta ta“ , das ihm so sehr gefiel, zu steuern. Sein Vater gab ihm zu verstehen, dass sich seine Wünsche im Laufe der Jahre noch ändern könnten. Die zwei Jahre jüngere Alice meldete sich auch zu Wort und ließ ihren verblüfften Vater mit dem Wunsch, „ein Supermodell“ werden zu wollen, erahnen, dass künftig noch andere Überraschungen folgen könnten. Diese stellten sich danach auch in bunter Folge ein. Die Eltern beruhigten aber sich und ihre Kinder im sicheren Wissen, dass nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen werden. An die Kindheit schließt sich die Schule, Ausbildung, das Studium und die Berufswahl an. Die Einbettung in die gesellschaftlichen Lebensverhältnisse mit ihren Anforderungen und Grenzen sowie der Berufsalltag, führen in unerbittlicher Folge dazu, dass sich das Blickfeld des Handelns wieder verengt. Die Wünsche bekommen dann spezifischeren Zuschnitt, und richten sich auf die berufliche Karriere, Partnerwahl, Lebensgestaltung, die Sorge um die eigene Familie und die Kinder. In dieser Zeit kommen manche Wünsche, die unser Leben bereichern könnten, zu kurz und müssen als momentan unerfüllbar für einige Zeit aus dem Bewusstsein verdrängt werden. Es kann aber zuweilen geschehen, dass unvorhergesehene Ereignisse wie Krankheit, das Zerbrechen einer Beziehung oder Todesfälle uns nötigen, uns neu zu orientieren. In Situationen, in denen die vertrauten Erfahrungen und Wege nicht mehr tragen, können Wünsche und Vorstellungen wieder auftauchen, die hilfreich sind, unser seelisches Gleichgewicht in neuer Weise wieder zu finden. Aber nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene müssen lebenslang lernen, mit erfüllbaren und unerfüllten Wünschen zu leben. Es bedarf daher großer Aufmerksamkeit, Geduld und gelegentlich einer schöpferischen Pause, um eigene Wünsche zu erkennen und in die Tat umzusetzen, oder mit unerfüllbaren Wünschen in geeigneter Form freundlich umzugehen.

Auf diesen Umstand bin ich seit meiner Pensionierung gestoßen. Wie ein Kind stand ich zunächst, befreit vom beruflichen Alltag, einem Universum von Möglichkeiten gegenüber. Ich hatte nun die Qual der Wahl. Nach welchem Maßstab sollte ich mich richten? Ich musste lernen auf meine innere Stimme zu achten, um für den nächsten Lebensabschnitt, den angemessenen eigenen Weg zu finden. Es fiel mir nicht leicht, meine Sporträder stehen zu lassen und den geliebten Tennisschläger in die Ecke zu stellen; zu lernen, anstrengenden Sport zu lassen, und Freude beim Spaziergang in der Natur zu erleben. Ein Glück, dass ich geduldig warten konnte, bis sich in mir der als ein Drängen erlebte, Wunsch zu schreiben, immer deutlicher konstellierte. Ihn galt es zu hüten, und nach Mitteln und Wegen zu suchen, um diesem Anspruch in einer mir möglichen Weise folgen. Die Vorstellung, nach einem erfüllten Berufsleben, als spät berufener Pensionär noch einmal eine lebenswichtige Aufgabe anzugehen, gewann aber nur zögerlich Gestalt. Ich musste erhebliche innere und äußere Bedenken, die sich mir in den Weg stellten überwinden. Dies gelang nicht auf Anhieb, sondern wie so manches in meinem Leben durch Denkanstöße von außen. In diesem Falle waren es unsere Töchter und ein Freund, die mich davon überzeugten, dass all das, was ich bislang geschrieben hatte und aktuell schrieb, mir nicht allein oder der eigenen Familie gehörten. Auch andere Menschen hätten ein Recht darauf, meine Gedicht Gedanken und Geschichten zu lesen. Nachdem ich mich entschloss, die Finanzierung selbst zu übernehmen, fand ich einen professionell arbeitenden christlichen Verlag, um die wünschenswerte Begleitung meiner Arbeit als Autor zu gewährleisten. In acht Jahren sind so drei Bücher entstanden, die das zur Sprache bringen, was mir aus meinem früheren und heutigen Leben bedeutungsvoll erschien, und am besten zu meinem akademischen und beruflichen Profil passte. Ich bin selbst erstaunt, wohin mich der Wunsch zu schreiben bislang führte. Gott sei Dank reicht meine Gesundheit noch dazu aus, dieser Neigung auch im Internet mit einem Literaturblog weiter zu folgen. Ich deutete schon an, dass ich als Autor in besonderer Weise auf meine Lebenserfahrungen, Beobachtungen, Stimmungen, Fantasien und Wünsche achte. Aus der jeweiligen inneren Verfassung und den gegebenen äußeren Umständen ergibt sich dann ein aktueller thematischer Schwerpunkt, dem ich mich zuwende. Dem eigenen Anspruch, authentisch zu bleiben, und nur das zu schreiben, wonach es mich drängt, konnte ich bislang ausreichend folgen. Diese Vorgehensweise berücksichtigt auch die Erfahrung, dass ältere Menschen, zu denen ich zähle, daran erinnert werden, dass die Lebensuhr tickt. Umso wichtiger ist es für mich, auf ein Gleichgewicht von Muße und Arbeit zu achten. Bis zur Stunde ist dies einigermaßen gelungen. Ich führe nur das literarisch aus, was mir aus der Fülle der Optionen wichtig und realisierbar erscheint. Immer notwendiger wird es aber, einen Weg zu finden, um mit unerfüllbaren Wünschen freundlich umzugehen. Diese Erfahrung möchte ich mit Ihnen, liebe Leser, nachfolgend näher betrachten:

Ich stand in meiner Jugend und danach oft staunend unter dem Sternenhimmel, erlebte erschrocken manches Gewitter, beobachtete freudig erregt Sonnenaufgänge, Abendstimmungen und sprachlos glücklich, das Werden und Vergehen in der Natur. Mit immer größerer Dringlichkeit stellte sich mir dadurch angeregt, die Frage: »Warum gibt es das alles und nicht nichts«, die lange vor unserer Zeit bereits den Vorsokratiker Parmenides sehr beschäftigte. Ich habe Philosophen, Theologen, Naturwissenschaftler, Poeten und Künstlern, die auf ihre je eigene Weise über das Leben nachdachten, und mit den Lebensbedingungen und Bedürfnissen aller Lebewesen auf unserem Globus beschäftigen, viel zu verdanken. Das Anliegen, auch heute Brücken zu einander zu bauen, und das Gespräch über unser Dasein auf unserer Erde in einem nicht überschaubaren Weltall mit einander zu teilen, wurde unüberhörbar. Es geht mir dabei darum, mit anderen Gefährten all das Schöne dankbar zu erleben, zu erhalten und so zu verwalten, dass die nächsten Generationen durch uns keinen Schaden erleiden. Bei meinem Nachdenken über meinen und unseren Standort im dynamischen Prozess des Geschehens im Ganzen, erweiterte sich stets das Blickfeld. Der Umstand das Werden und Vergehen, das ich mit allen Sinnen so weit als möglich zu erfassen suchte, eben die Tatsache, dass etwas da ist, und sich uns zeigt, ist mir von Kindheit an vertraut, als Daseinsraum in dem wir alle leben. Wahrscheinlich teile ich mit vielen andern Menschen auch die Schwierigkeit, uns gedanklich der alten Frage zu nähern, wer diese Lebensvielfalt erschaffen und am Leben erhält.

Diese von vielen Menschen gemiedene Frage, trieb mich immer wieder um. Ich wich ihr nicht aus und überlegte mir, in welcher Weise ich mich ausdrücken müsste, um die Ehrfurcht zu zeigen, die mich befällt, wenn ich mich dem „Unerklärlichen“ nähere. Dies umso mehr, als sich eine Vorstellung immer drängender entwickelte, dass dies „Fülle“ zwar empirisch nicht zu fassen, und dadurch undenkbar erscheint, aber nicht notwendig ein völlig leeres Nichts sein muss. Die aufkeimende Hoffnung, dass diese unser aller Leben ermöglichende und erhaltene Kraft wenigstens symbolisch angedeutet werden könnte, faszinierte mich. Gleichzeitig verlor das zuvor so bedrohliche Nichts ein wenig von seinem fatalistischen Schrecken, verdankt ihm doch, philosophisch betrachtet, alles sein Dasein. Dadurch näherte ich mich wieder neu ermutigt all dem, was mich zeitlebens auch im Glauben faszinierte; dass wie in der Genesis beschrieben, jegliches Leben auf unserem Globus und das Weltall von Gottes Gnaden erschaffen, und durch die Zeiten, als ein erfülltes Dasein am Leben erhalten wird. Nur eine vom Glauben erhellte Vernunft und ein vor der Vernunft bestehender Glaube, die sich nicht ausschließen müssen, können wie Papst Benedikt XVI immer wieder anmahnte, uns helfen, das große Geheimnis der Liebe zu aller Segen mit Gottes Hilfe zu wahren. Die Versöhnung von Glauben und Vernunft, und der Blick weg von mancherlei eigenen Vorstellungen hin zu einem Leben in einem dynamischen Ganzen, war aber angesichts all dessen, was dieser Auffassung heute entgegensteht, manchmal ein leidvoller Prozess. Allein der von Gott geschenkte Glaube, und die davon getragene Kunst, Musik und Poesie schein, als unzureichende Medien in der Lage, die Distanz und Nähe zum Unsagbaren in einer lebendigen von Liebe durchwalteten Gottesbeziehung zu überbrücken. Nun war der Weg frei, dies andeutungsweise in einem selbst gemalten Bild zu symbolisieren.

Lange hatte ich nicht mehr gemalt, aber nun musste es geschehen. Da mir die Idee zwar hilfreich, meine praktischen Fertigkeiten im Malen aber schlicht erschienen, war ich mit dem ersten Ergebnis nicht zufrieden. Denn es gelang mir nur sehr unvollständig, die Erhabenheit dessen zu symbolisieren, nach dem meine schöpferische Sehnsucht Ausschau hielt. Daher versuche ich Ihnen, liebe Leser, in dürftigen Worten zu zeigen, was ich malen würde, um die in einer Gottesbegegnung waltende Ehrfurcht auszudrücken: Mein Bild hätte einen sehr differenzierten Hintergrund in Blautönen, die das Unerklärliche nicht als Schrecken, sondern als Quelle unsäglicher Liebe darstellen sollte. Einer Liebe, die uns in heiliger Begegnung unfassbar erhaben und zugleich unendlich nahe anspricht und zur Antwort befähigt. Wie Moses am brennenden Dornbusch würde uns der Herr wenn wir Seinen heiligen Boden betreten, jeden Schrecken alle Not, ja selbst den Tod erträglich machen. Der dreifaltige, barmherzige und gute Gott würde uns gern Seine Liebe schenken, damit die Herrschaft des Dreifaltigen und Allmächtigen sichtbar würde. Wie schön müsste das für die entsetzlich hungrige und durstige Seele sein, endlich bei Gott Zuhause zu sein. Können sie sich, liebe Leser, ein solches Himmelsblau als Untergrund meines Bildes vorstellen, das wahrlich kein Künstler auf der weiten Welt schön genug malen könnte. Und dieses Blau umrahmte einen freischwebenden, wunderschönen, mit Rubinen, Smaragden und einem schwarzen Onyx besetzten Kelch. Dieser Kelch, hätte keinen festen Grund. Er wäre einfach in seiner gottgegebenen Schönheit nur da als Symbol der Beziehung zu Gott und der ganzen Schöpfung. Dieser Kelch sollte die offenen Hände betender Menschen symbolisieren, die alles, was sie sind haben und erleiden vor Gott tragen und mit und für andere Menschen teilen, die ohne es zu wissen der Liebe Gottes entbehren. Vom Kelch und der Hostie würden lichtvolle Strahlen ausgehen, die das Dunkel des Bilduntergrundes österlich durchdringen, sodass Himmel und Erde wie in einer großen Symphonie vereint wären. Wenn ich mir schon wie ein Kind jede Grenze überschreitend, unerfüllbare Wünsche auszusprechen erlaube, dann müsste, was auch der begabteste Maler nicht wirklich malen könnte, auch die erhabenste Musik aller Zeiten, jegliche Kunst und Wissenschaft, ja selbst der Chor aller Heiligen und Engel aufgeboten werden, um mein Bild nur in Nuancen komplettieren zu können. Das würde offen gestanden den Platz jeder Leinwand sprengen. Und dies alles würde nie genug sein, dem Dreifaltigen auch nur annähernd für seine Gaben zu huldigen. Wie tröstlich ist es für mich, alle Worte und Bilder als unangemessen zu erkennen, und im Glauben zu wissen, dass unser Vater im Himmel auf den guten Willen und nicht nur auf unsere Werke schaut, und es Seinem Sohn überlassen hat, für uns und an unserer Stelle bei Gott Fürbitte zu leisten, und uns im Heiligen Geist beisteht, damit uns zu seinen Ehren immer wieder ein gutes Wort oder eine Tat gelingt.

Deo gratias

Über das Hören

Schon vor unserer Geburt sind wir im Herzschlag der Mutter mit dem Leben verbunden. Danach öffnen wir der Umwelt unser kleines Herz und hören die Geräusche, ersten Laute und spüren die Berührungen. Die Stimme der Mutter und pflegenden Personen prägt unser frühkindliches Gehör. Schlafend, wachend, trinkend und hörend, fühlen wir uns in das Leben und unsere Umgebung ein. Wir hören viele Worte, den Klang der Stimmen und reagieren auf Zuwendung und Bedrohung. Bis ans Lebensende entwickelt sich unsere Fähigkeit zu hören. Im Dialog mit der Umgebung lernen wir uns mit dem Gehör zu orientieren und mit andere Menschen die emotionale Nähe und den Abstand zu regeln.
Mit dem Spracherwerb erweitern wir hörend und fühlend unsere Lebenserfahrung im Umgang mit eigenen Bedürfnissen und Grenzen, den Reaktionen anderer Menschen und dem Erleben der Umwelt. Durch Schule, Studium, Weiterbildung und Klärung unserer Beziehungen in Familie, Beruf und Gesellschaft, bleiben wir hörend im ständigen Austausch mit anderen Menschen und Bildungsangeboten. Lebenslang dient uns das Hören, um uns in immer komplexeren kognitiven und emotionalen Kontexten zu orientieren, einander zu verstehen und Missverständnisse zu klären. Wir entwickeln durch hörendes und bewertendes Lernen im Austausch mit den vielfältigen medialen Angeboten auch ein Gefühl für das, was uns wahr und richtig, falsch und lebensfeindlich erscheint. Neben den beruflichen, politischen und gesellschaftlichen Informationen, die wir hörend bewerten, bilden wir unser Gehör auch im künstlerisch-musischen, philosophisch-ethischen, musikalischen und im weltanschaulich-religiösen Bereich ständig weiter.
Es bleibt uns Menschen daher vorbehalten, im Rückblick auf unser Leben dankbar zu sein für all das, was wir von anderen zu hören bekamen, diese Erfahrungen und Erkenntnisse gewissenhaft zu prüfen, um sie bei der Beurteilung komplexer, das Dasein und den Fortbestand der Menschheit dienenden Aufgaben zu nutzen: Als mir unsere Tochter den vor ihr geborenen Enkel Max in die Arme legte, meldete sich bei mir im Staunen über dieses Wunder auch ein inneres Lauschen auf die vielen Wunder in unserem Leben und das sorgende Hinhören auf das, was vor uns war und nach uns sein wird. Nehmen wir lebenslang Hörenden dankbar die vielen Geschenke der Menschen vor uns aus Wissenschaft und Bildung in Philosophie, Ethik, Moral, Theologie und Religion in die Arme, und geben wir sie an alle Menschen, die mit uns und nach uns unterwegs sind weiter.

Hingabe Jesu an den Vater und an uns im Heiligen Geist

Nachdenkliches

Vor Jahren habe ich mich in einem Referat mit Erkenntnissen aus der Altersforschung zum Übergang in den Ruhestand und den im höheren Lebensalter gestellten Aufgaben befasst. Ich entschloss mich damals im Vertrauen auf die eigenen Kompetenzen und Erfahrungen, den für mich geeigneten Weg zur Umstellung auf den neuen Lebensabschnitt selbst zu entdecken. Nach langerem Ruhestand, habe ich genügend Erfahrungen gesammelt, um über den Ruhestand und das Älterwerden sprechen zu können. Ich hoffe, mit dem von mir gewählten Thema und den weiterführenden Überlegungen hierzu auch Ihrem Interesse, liebe Leser, zu entsprechen. In einem Resümee gehe ich auf die schwierige Zeit nach dem Eintritt in den Ruhestand, sowie auf Aspekte der aktuellen Lebenssituation, und des auf Zukunft offenen Lebens ein.
Viel belastender als erwartet, gestaltete sich der Übergang in den Ruhestand und die Veräußerung der psychotherapeutischen Praxis. Erst nach Abschluss der komplexen Verhandlungen, gelang es in einem längeren Prozess, den Tagesablauf an die neue Situation anzupassen, Kompetenzen zu aktivieren und in Handlungen umzusetzen. Ein Leben lang hatte ich gewirkt und reiche Erfahrungen gesammelt. Als ich nach Monaten die Chance erkannte, alle meine Ressourcen sinnvoll zu reflektieren, dem Drängen nach Gedankenaustausch zu folgen, und als Schriftsteller zu arbeiten, erkannte ich eine sinnvolle Aufgabe bis zu meinem Lebensende. Seither habe ich mich in drei Bänden „Geschichten und Gedanken“ zu Fragen des Lebens und Erlebens auch im höheren Alter geäußert. Über meinen Literaturblog „franz-schwald.de“ erreiche ich über die verschiedenen Kanäle im Internet einen größeren Leserkreis, um als Brückenbauer in einen fruchtbaren Dialog zu treten.

Die aktuelle Lebenssituation mit demnächst sechsundneunzig Jahren ist dadurch charakterisiert, dass ich Gott sei Dank, trotz körperlicher Beeinträchtigung in der Lage bin, mich voll dem Schreiben zuzuwenden. Ich biete aber meinen Lesern nur Inhalte an, die mich persönlich bewegen, und von allgemeinem Interesse, für das heutige und künftige Leben der Menschen erscheinen. Die persönliche Lebenserwartung akzeptierend, neige ich zu einer strengen Auswahl der Inhalte im Kontrast zu allzu pessimistischen Lebenseinstellungen. Stabilisierende Kontakte zur Familie, Freunden und Lesern, und die Freiheit von beruflichen Zwängen, ermöglichen einen gestaltbaren Tagesablauf, um Tätigkeit und Muse an das aktuelle Leistungsvermögen anzupassen. Ich bedanke mich für die Lebensumstände, die mir gestatten, als spätberufener Schriftsteller einen ersehnten Beruf auszuführen. Wie sich dies alles, wie von selbst entwickelte, habe ich in meinen Büchern und im Literaturblog in Lyrik, Kurzgeschichten und Artikeln hinterlegt. Diese Arbeiten sind Teil meines Dankes und Vermächtnisses an das Leben. Ich wende mich nun den Themen zu, die mich aktuell, und im Blick auf die Zukunft, sehr beschäftigen:

Als älterer Mensch, fühle ich mich besonders verpflichtet und berechtigt, mich zur Endlichkeit unseres Daseins, der Verantwortung gegenüber dem Leben, den Mitmenschen, unseren Nachkommen, und der auf Zukunft offenen Sinnfrage zu äußern. Gott sei Dank ist es mir noch vergönnt, bei vollem Bewusstsein der reichen Gaben des Lebens zu schreiben und zu arbeiten. Alles, was ich in mir, um mich und über uns wahrnehme, ist nicht einfach selbstverständlich, sondern des Nachdenkens wert. Ich verstehe mich selbst, die Mitmenschen, unsere Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Technik als ein Geschenk in unverdienter Gnade. Daher gilt vor allem unserem Herrgott Dank, in dessen Händen ich voll Vertrauen mein Werk lege in der Hoffnung, dass es unserem Schöpfer gefällt. Was ich zu sagen habe, richtet sich im Grunde an alle Menschen, die sich ihrer Endlichkeit bewusst, danach sehnen, aktiv und auf Zukunft offen zu bleiben.

Wieder einmal bekam ich, wie so oft, zur rechten Zeit ein Buch in die Hände. In der von Andreas Kruse, in 2. Auflage 2015 erschienen Arbeit, „Die Grenzgänge des Johann Sebastian Bach“, werden Themen behandelt, die mir aus dem eingangs erwähnten Referat und nun auch aus eigener Erfahrung bekannt sind. Der Autor belegt am Beispiel von Johann Sebastian Bach, dessen erstaunliche Hingabe an sein Werk bis ins hohe Alter. Er weist nach, wie Bach, trotz eines an Entbehrungen, Gebrechen, und Konflikten reichen Lebens, die musikalische und kompositorische Schöpferkraft bis in die Stunden vor seinem Tod, zur Ehre Gottes kreativ entfaltete. Wir könnten fragen, welche Bedeutung für uns, die Lebensgeschichte von Johann Sebastian Bach zum Thema Älterwerden hat?

Unter den vormals gegebenen Umständen der Praxisabgabe mit 75 Jahren, konnte auch ich bei den körperlichen Gebrechen und seelischen Belastungen, nicht erwarten, noch drei Bücher schreiben zu können; schon gar nicht, dass mir das Schreiben, als Dialog mit den Menschen, zu einer so befriedigenden Aufgabe werden könnte, dass dies den Einsatz aller meiner Ressourcen rechtfertigte. Ich wusste nur, dass ich, mit meiner Biographie und dem zugewiesenen Schicksal, als ein „spätberufenes Talent“ versöhnt, in der Lage war, in allen wichtigen Entscheidungen im Leben, dennoch nie zu spät zu kommen. Was konnte mich demnach hindern, im höheren Alter noch ein freier Schriftsteller zu werden?

Es stellte sich vor allem die Frage nach der Lebenserwartung. Leben und Tod sind aber als unverfügbare Vorgaben, neben anderen Grundworten wie „was ist Wahrheit und die Frage des Vorsokratikers Parmenides: Warum gibt es etwas und nicht Nichts?Auch wir könnten die Frage stellen, was bedeutet uns heute Wahrheit, Leben und Tod? Könnte unser gelegentliches Schweigen ausdrücken, dass es uns bei dieser Nachfrage die Sprache verschlägt, weil es sich um grundsätzliche Themen handelt, die wir nicht im Griff haben, sondern die uns umgreifen? Ich möchte Sie, liebe Leser, einladen, mit mir zusammen in dieser Hinsicht das Leben und Werk Johann Sebastian Bachs zu betrachten, um über diese Grundworte und deren Bedeutung für unser Leben und Älterwerden nachzudenken:

Durch die Lektüre des vorgenannten Buches, sind mir vor allem die zwei Grundordnungen wieder ins Gedächtnis gerufen worden, vor denen wir nicht die Augen verschließen sollten: Es sind zwei unumstößliche Tatsachen, denen wir, wenn wir auf das Ganze des Daseins achten, begegnen. Schon viele Generationen vor uns hatten davon Kenntnis, und prägten die inhaltsschweren Sätze: „Media in vita in morte sumus“, und ich füge hinzu: „Media in morte in vita sumus“. Zu Deutsch: Mitten im Leben sind wir im Tod, und mitten im Tod sind wir im Leben. Johann Sebastian Bach anerkannte die zwei Ordnungen des Lebens und Sterbens, denen auch wir nicht entgehen können, und entfaltete in vorbildlicher Weise zur Ehre Gottes, sein schöpferisches, musikalisches Talent.

Pilatus stellt die Frage: „Was ist Wahrheit?“ Wir könnten ihm einfach antworten: „Wahr ist, dass wir leben und sterben“ Der Psalmist spricht davon, dass alles seine Zeit habe. Wir wissen todsicher, dies gilt auch für uns. Ohne gefragt zu sein, beginnt unser Dasein und endet, wenn wir es nicht stören, ebenso. Dazwischen liegen Tage und Nächte, und einige Jahre die Erfahrung von Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Es obliegt uns allen, beim Älterwerden die genannten Grundordnungen des Lebens und Sterbens zu bejahen, in einem schöpferischen Prozess die eigenen Ressourcen zum Wohl des Ganzen zu entfalten, und vom Leben in Dienst genommen zu werden. Wir wissen, auch wenn wir es vermeiden, darüber zu sprechen, dass jede Stunde, Minute oder Sekunde, die uns geschenkt ist, ein Vergehen, und damit Sterben unserer verfügbaren Zeit ist. Genau so steht fest: Einmal werden uns sicher alle Handlungsmöglichkeiten auf Erden genommen, ohne dass wir den Tag, die Stunde oder Art und Weise unseres Todes genau kennen. Hoffen dürfen wir aber, dass andere Menschen, die dasselbe Schicksal mit uns teilen, noch nach uns da sein werden. Ihnen und den Bedingungen unseres gemeinsamen Daseins gilt daher, Generationen übergreifend, unser Sorgen und Handeln. Es scheint nicht nur, sondern es ist wirklich so, dass wir mitten im Leben von Geburt an auf unseren endgültigen Tod hin, auch im Vergehen der Zeit sterben. Es gilt aber auch der andere Satz, mitten im Sterben zu leben, ebenso. Kein Mensch, der natürlichen Todes stirbt, kennt, wie wir sahen, den Tag oder die Stunde. So besehen ist die uns geschenkte Zeit, immer auf Zukunft offen. Diese Offenheit auf Zukunft, diesen Vorlauf an Zeit, über den wir verfügen dürfen, gilt es zu sehen und zu nutzen. Es scheint mir allerdings schwieriger, Ihnen, liebe Leser zu erhellen, warum ich darauf bestehe, dass wir mitten im Sterben der Zeit auch Leben, sodass auch der Satz „Media in morte in vita sumus“ für uns gilt.

Angeklungen ist bisher schon, dass wir uns damit abfinden müssen, dazu bestimmt zu sein, über den Anfang und das Ende unserer Existenz nicht zu verfügen. Wir stoßen mit der Frage danach, im Grunde auf ein Geheimnis, und sollte mich jemand fragen, wer ich bin, dann muss ich ehrlicherweise sagen, ich weiß nur dass ich auf dieser Welt bin und einmal nicht mehr in dieser Welt sein werde. Ich brauchte geraume Zeit, um zu erkennen, dass wir Menschen einander ein Geheimnis sind und bleiben, und uns ebenso in einem geheimnisvollen Kosmos bewegen, der all unserem Bemühen, ihn empirisch zu erfassen, widersteht. Kinder, und ich war selbst ein neugieriges Kind, aber auch Erwachsene, sind unter günstigen Umständen in der Lage, offen zu sein und zu bleiben für das Geheimnis des Werdens und Zieles unserer Existenz.

In meinen Büchern bin ich dem „Unerklärlichen“, dem Geheimnis und zielstrebenden „Drängen“, auf der Spur geblieben. Ich sprach auch schon davon, wie wichtig es mir wurde, beim Eintritt in den Ruhestand, den eigenen Weg zu finden, um diesem Lebensimpuls nachzuspüren. In allen meinen Erzählungen, in denen ich über das uns geschenkte Leben nachdachte, versuchte ich, die uns begegnenden Geheimnisse des Daseins zu wahren, und von der Freude über die zukunftsoffene Gegenwart und Geschichte der Menschen zu künden. Erst im höheren Lebensalter, nach dem Ende der beruflichen Pflichten, fand ich wieder Zeit und Muße, mich wie in der Kindheit, über das Wunder meiner Existenz, das geheimnisvolle Geschehen in mir, der Natur und die Geschichte der Menschen zu freuen. Auch darüber zu staunen, dass ich, ähnlich, wie Johann Sebastian Bach, bis zur Stunde, trotz aller mir auferlegten Gebrechen, und den im Leben mit unserem Volk und in der Völkergemeinschaft erlittenen Schrecken, nicht erstarrte, sondern offen bleiben durfte, für das Geheimnis der Zukunft:

Praktisch bedeutet das, dankbar zu sein, für den je neuen Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde. Ich wundere mich immer wieder, zu welchen Leistungen das menschliche Gehirn, auch in der erholsamen Nachtruhe, fähig ist. Manche Menschen scheinen das Geschehen von Tag und Nacht sehr stark zu trennen, sodass Traum und Fantasie eher als störend erlebt werden. Ich habe nicht nur beruflich seit vielen Jahren ein ungestörtes Verhältnis zu meinen Träumen. In den letzten Jahren beobachte ich die eigene Kreativität der Träume, die mir manchmal neue Erkenntnisse, in Form ganzer Handlungsabläufe, schenken. Die offenere Haltung neuen Einfällen gegenüber macht sich auch in überraschend auftauchenden Tagesfantasien bemerkbar. Auch die Beziehungen zu anderen Menschen veränderten sich im Ruhestand: Ich achte mehr auf die eigene und die Befindlichkeit der Anderen. Es ist mir bei Gesprächen ein Anliegen, den Dialog so zu gestalten, dass genügend Raum für das Auftauchen neuer Aspekte gegeben ist. Ich freue mich, wenn sich die Gesprächspartner in meiner Gegenwart sicher fühlen, und dann in der Lage sind, ohne Angst ihre eigene Meinung zu vertreten. Umständehalber bin ich auch mehr zu Hause, achte auf Haus und Garten und erlebe, immer wieder neu, im Werden und Vergehen, das Ereignis von Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Ich bediene mich nicht nur der verfügbaren technischen Hilfsmittel, sondern ich bestaune und anerkenne immer mehr der Menschen Erfindungskraft, durch deren Produkte sie einen unverzichtbaren Beitrag für uns alle und die künftigen Generationen leisten. Muss ich noch besonders erwähnen, welche Fülle an Anregungen, Literatur, Kultur, Philosophie und Theologie uns schenken, um unser gegenwärtiges und künftiges Dasein zu gestalten?
Immer mehr fühle auch ich mich als Teil eines geordneten Ganzen, und berufen, mitzuwirken, um unser Dasein nach Kräften zum Wohle der Menschen mitzugestalten, und Schaden von uns abzuwenden, die wir alle inmitten des zeitlichen Vergehens, in unserem zukunftsoffenen Leben, einem endgültigen Ziel entgegen streben. Mit zunehmendem Alter musste ich aber auch unsere menschliche Existenz als ein Leben und Sterben in allen Formen bejahen lernen, und aus einem festen Grund – Natur – Selbst- und Gottvertrauen heraus, trotz, Schuld, Krieg, Verfolgung und Widrigkeiten, auf ein Generationen übergreifendes Zusammenwirken und Fortbestehen von Menschheit, Natur und Kosmos, zu vertrauen. Liegt es da nicht nahe, auch auf eine letzte Vollendung der irdischen Existenz zu hoffen, und uns der christlichen Botschaft auf Erlösung und ewigem Leben zu öffnen? Möge uns allen die Gnade zuteilwerden, dass wir uns in Glaube Hoffnung und Liebe vertrauensvoll vor unserem „Dreifaltigen Gott“, anbetend verneigen, der uns in allen bewussten und unbewussten guten Gaben unseres Daseins in lebensbewirkender väterlicher, zukunftsoffenen Liebe, über den Tod hinaus begegnen will. Wenn aber wir Menschen uns schon einander, nur unter Wahrung unserer auf Zukunft offenen Existenz in Vertrauen und Würde begegnen können, um wie viel mehr ist zu wünschen, dass wir der Zusage unseren Herrn Jesus Christus, dem Gottessohn vertrauen, der uns im Heiligen Geist, in Glaube Hoffnung und Liebe in eine sichere, glückliche, ewig offene Zukunft führen kann.

Zeit und Ewigkeit

Kirchengebet

Lieber Vater, unser Schöpfer, Sohn unser Erlöser, Heiliger Geist unser
Tröster und Beistand. Lass DEINE heilige Liebe unter uns walten. Heilige Maria, unsere Mutter, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde
unseres Todes:

Ave Maria
WP to LinkedIn Auto Publish Powered By : XYZScripts.com
Social media & sharing icons powered by UltimatelySocial