Fünfundfünfzig Jahre sind vergangen, seit wir im Spätberufenenseminar St. Pirmin in Sasbach unser Abitur bestanden. Aus diesem Anlasse traf sich eine kleine Gruppe unseres Kurses zu einem Gedenken. Leider existiert unser Seminar nicht mehr. Die Heimschule Lender ist zwar noch ein Gymnasium, hat aber kein Internat mehr. Da sich in Sasbach manches verändert hat, stellt sich die Frage, was bleibt übrig und wirkt weiter. Hierzu habe ich mich vor einiger Zeit geäußert und füge diesen Text in dankbarer Erinnerung bei. Manches mag sich verändern, aber wir vergessen nicht:
Dankbar und mit großer Freude, wollten wir allen Menschen, die uns begleiteten, 1967 unseren Schulerfolg zeigen: Nach anstrengenden Jahren an einem Gymnasium hielten wir unsere Abitur-Zeugnisse in Händen. Das ersehnte Studium an der Universität war nun möglich, und die beruflichen Ziele lockten. Sechzehn Männer hatten es im Spätberufenenseminar St. Pirmin in Sasbach geschafft, den Grundstein für ihren weiteren Lebensweg zu legen. Noch einmal gingen wir einen kurzen Weg mit einander. Wir legten symbolisch Hand an ein Seil, damit man sehen konnte, dass wir einander viel bedeuten. Die Zeit blieb aber nicht stehen. Heute schaue ich nach vielen Jahren zurück und frage mich, was aus unserer verschworenen Gemeinschaft geworden ist? Bei diesem Rückblick möchte ich mich aber nicht wiederholen und auf unsere Lehrer zu sprechen kommen, die uns mit großer Sorgfalt, in allen Fächern auf die Reifeprüfung vorbereiteten. Ich möchte auch nicht erneut auf die Verdienste unseres Rektors, Schulleiters und all derer, die sich um unser Wohl kümmerten, eingehen. Es soll an dieser Stelle auch nicht die Rede sein von den rechtschaffenen Menschen, die im Umkreis des Seminars leben und arbeiten, auch nicht von den Weinbergen, gastlichen Lokalen, und der fruchtbaren Rheinebene. All dies ist an anderer Stelle gebührend geschehen und schwingt natürlich immer dann mit, wenn ich auf die Zeit in Sasbach zu sprechen komme. Denn wer könnte schon in dieser reichen Region länger wohnen, ohne all das zu lieben?
In dieser Geschichte geht es mir aber vor allem um die sechzehn Männer, mit denen ich fünfeinhalb Jahre auf engstem Raum zusammenlebte und lernte. Erst lange danach tauchten Ereignisse aus dieser Zeit wieder in meiner Erinnerung auf. Zunächst spontan, dann in ruhigen Stunden meines Berufslebens, besonders aber in der Zeit nach der Pensionierung. Ich lernte zu erkennen, dass längst aus einer verschworenen Gemeinschaft, Freunde fürs Leben wurden, die in meiner Seele auf geheimnisvolle Weise ihren Platz behaupten. Es ist und bleibt daher wahr: Jeder einzelne Schulkamerad mit seinen Stärken und Schwächen, hat für mich nach dem Abitur an Bedeutung gewonnen und ist mir in der Distanz nähergekommen, als je zuvor. Was in dieser reichen Zeit in Sasbach geschah, zeigt Wirkung und fühlt sich gut an. Wie oft habe ich an diese Freunde gedacht, und um deren Wohlergehen gebetet. Das »Seil« von dem ich sprach, ist für mich zu einem Symbol des Geistes geworden, der uns nach Sasbach, führte. Zu einer treibenden Kraft, die uns zum Abitur und zu einem erfolgreichen Leben verhalf, und mich auch zu dieser Geschichte veranlasste. Wer oder was könnte uns daher daran hindern, einander auch in Zukunft wohl gesonnen bleiben?
Dennoch ergab sich aber gelegentlich die Frage, ob ich genügend berücksichtigte, dass seit unserem Abitur einige Dezennien vergangen sind, die uns prägten und formten. Denn nur selten kam es zu Telefongesprächen, Briefwechseln und gegenseitigen Besuchen. Auch in den Gesprächen bei unseren Jahrgangstreffen, gab es wenig Raum, um uns über die unterschiedlichen Lebensgeschichten, und die dabei gewonnenen Einstellungen auszutauschen. Wir müssten uns daher berechtigterweise wieder fragen, was uns der gute Geist von Sasbach heute noch bedeutet oder wie es um unsere Freundschaft mit einander bestellt ist? Meine Antwort möchte ich jetzt folgen lassen:
Die Frage, wie Menschen zu tragfähigen Beziehungen, zur Erfahrung von Freundschaft und Nähe kommen, stellt sich doch nicht nur für uns Sasbacher. Sie verweist weit darüber hinaus, auf die Bereitschaft zu pfleglichem Umgang mit jeglichen Beziehungsangeboten. In unserem Zusammenhang könnte das bedeuten, Wege zu erkunden, wie wir, unabhängig davon, wie oft wir einander sehen und sprechen können, positive Erfahrungen in Gruppen, erinnern und reifen lassen könnten. Mir scheint, dass guter Wille, gegenseitige Achtung, Respekt und Liebe, die wir im Leben allen Menschen ohne Vorbedingungen schulden, wichtig sind, um trotz oder gerade nach längerer Trennung, Freundschaft und Nähe angstfrei zu erleben. Um Unsicherheit auszuräumen oder Unterschiede in den Einstellungen zu klären, empfiehlt es sich, nach dem uns allen bekannten Satz »carpe diem«, den ersten Schritt zu wagen. Wir wissen ja alle nicht, wie lange uns zum Handeln Zeit bleibt. So gehe ich einfach weiter davon aus, dass uns der Geist, der uns einmal in Sasbach zusammenführte, trotz denkbarer Unterschiede in den Sichtweisen, wie bisher weiter hin brüderlich vereint. Ob ich zu einer anderen Zeit, oder ohne so manche Enttäuschung und Entbehrung im Leben, in der Lage gewesen wäre, wie jetzt, deutlich zu machen, wie wichtig die »Sechzehn Freunde« in den vergangenen Jahren für mich waren, wage ich zu bezweifeln. Noch schwieriger würde es für mich sein, nachzuweisen, wann und wie genau es geschah, dass sich nach und nach eine Freundschaft zu jedem Einzelnen entwickelte. Mit dem Abitur war eben nicht alles zu Ende. Es brauchte aber seine Zeit und auch den eigenen Reifeprozess, bis ich zulassen konnte, dass nicht nur tragfähige Freundschaften unter einander, sondern auch Bindungen entstanden sind.
Selbst wenn ich wollte, ich könnte die Tatsache, dass uns der Herrgott einmal zusammenführte, nicht aus der Welt schaffen. Von Gott gefügte, und vom Menschen übernommene Freundschaft und Liebe, kann man eben nicht einfach auslöschen. Sie hat – und ich sage das mit Bedacht – bis in alle Ewigkeit Bestand. Etwas prosaischer ausgedrückt: Auch wenn wir uns nicht mehr sehen würden oder lange nicht gesehen hätten, wenn wir keine Briefe austauschen würden oder nicht genau wüssten, wie es denen, die einmal ihre Hand ans Seil legten in den vergangenen Jahren ergangen ist, würde ich dennoch die »Sechzehn« als Freunde in guter Erinnerung bewahren, und ihnen alles Gute in Zukunft gönnen. Solche oder andere, auf ähnliche Art entstandene Freundschaften, zu pflegen und über alle Trennungen hinweg lebendig zu erhalten, hat für mich auch etwas mit praktischem Christentum zu tun.
Seit dem Besuch verschiedener Klöster in der Umgebung von Graz, wünschte ich mir, auch einmal das bekannte österreichische Kloster Heiligenkreuz im Wienerwald und die dort wirkenden Mönche kennen zu lernen. Eine Kostprobe dessen, was in diesem Kloster spirituell zu erwarten war, wurde mir zuteil, als ich vor einiger Zeit im Fernsehen zufällig den Vortrag eines Zisterziensers zu einem Text aus der Apostelgeschichte über die Bekehrung und Entrückung des Paulus in den „dritten Himmel“ miterleben konnte. Allein die Art und Weise wie der Referent auftrat, und seinen Worten, von eindrücklichen Gesten begleitet, engagiert und ehrfürchtig, Kraft und Bedeutung verlieh, ließ mich aufhorchen. Dies erst recht, als ich bemerkte, welchen Höhepunkt im reichen Leben des Völkerapostels der Pater aufgriff und auslegte. Denn er stellte die Paulus, bei dessen Bekehrung zutiefst erfüllende Gnade Gottes, so in die Mitte seiner Betrachtung und in unsere Zeit, dass auch die Hörer, im Blick auf die Erfahrung des Apostels, im Glauben Bestärkung, Trost und Hoffnung erleben konnten. Der Zisterzienser, dessen Name ich leider nicht erfahren konnte, bezog sich in seinem Beitrag auf folgende Stelle in der Apostelgeschichte:
Im 2. Brief an die Korinther 12, 1-10, spricht Paulus von Gesichten und Offenbarungen, die ihm zuteilwurden, und schrieb: „Ich weiß von einem Menschen in Christus, der wurde vor 14 Jahren – ob im Leib oder außerhalb des Leibes weiß ich nicht, Gott weiß es – in den dritten Himmel entrückt, und von diesem Menschen weiß ich, ob er im Leibe oder außerhalb des Leibes war, Gott weiß es, dass er ins Paradies entrückt wurde, und unaussprechliche Worte hörte, die ein Mensch nicht aussprechen darf.“ Und weiter: „Darüber könnte ich mich rühmen, doch meiner selbst werde ich mich nicht rühmen, es sei denn meiner Schwachheiten“ Und in der Folge: „Deswegen habe ich dreimal den Herrn gebeten, ER möge doch von mir ablassen; aber Er sagte mir: Meine Gnade genügt Dir, die Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Paulus berichtet hier von einem „mystischen Ereignis“ in seinem Glaubensleben, das ihn selbst in unaussprechlichen Worten zutiefst berührte. Worte, die ein Mensch nicht aussprechen darf, über die man eigentlich schweigen sollte. In die Reihe der Theologen und Exegeten, die sich dennoch, wegen der für unser aller Glauben bedeutsamen Erfahrung des Apostels, um ein Verständnis dieses Textes bemühte, reihte sich auch der Zisterzienser von Heiligenkreuz ein, dessen Vortrag ich hörte.
Der Referent konzentrierte sich allerdings bei seiner Betrachtung weniger auf die ersten beiden Himmel, sondern fast ausschließlich auf die von Paulus bezeugte Entrückung in den „dritten Himmel“: Seiner Auslegung zufolge erlebt der Apostel bei einem bereits 14 Jahre zurück liegenden Ereignis, einen paradiesischen Zustand, der ihn, „einen Menschen in Christus“, so sprachlos werden ließ, als würden in einem derart mystischen Ereignis alle menschlichen Vorstellungen und Vermögen von Gott unendlich überboten. Paulus ist sich von da an zutiefst gewiss, dass der gnädige und barmherzige Gott, der ihm diesen Glauben und die damit verbundene Hoffnung und Liebe ins Herz gesenkt hat, auch dafür sorgen wird, dass ihn nichts mehr von der Liebe Christi trennen kann. Der Exeget Klaus Berger legt in seinem Kommentar zum Neuen Testament (2011, S.661) diese Erfahrung des Apostels als eine Entrückung aus, die Paulus bis zum dritten Himmel, in die höchste Höhe bzw. in die tiefste Tiefe führte. Denn nach etlichen damaligen Zeugnissen, gebe es nur drei, später mehrere Himmel. Ziel einer Entrückung sei Erkenntnis, hier das Hören unaussprechlicher Worte, die kein Mensch aussprechen darf. Vielleicht hatte Karl Rahner, bei seiner bekannten Prognose, dass der Christ der Zukunft ein Mystiker sei, ähnliche Erfahrungen der Glaubensgewissheit im Blick, wie sie dem Völkerapostel bei seiner Entrückung in den dritten Himmel zuteilwurden. Was muss aber in dieser Situation in Paulus vor gegangen sein, der wusste, wie sehr er früher gegen Gott und die Kirche wütete; der wie vom Blitz getroffen zu Boden fiel, als ihn die Gnade Gottes berührte. Und um wie viel mehr noch muss er außer sich geraten sein, als ihm klar wurde, dass Gott ihn nicht, wie befürchtet, für seine Vergehen verdammte, sondern mit unendlicher Liebe und Barmherzigkeit belohnte. Paulus muss nach der Deutung des Mönches von Heiligenkreuz, seine Entrückung in den „dritten Himmel“, an die Pforten des Paradieses, als ein ihn erschütterndes Eingreifen Gottes erlebt haben. Eine unerwartete, gleichzeitig zutiefst ersehnte Gnade, die ihn seiner selbst enthob, in der Liebe und Gewissheit Gottes sicherte, und ihn von der schrecklichen Angst, den Glauben verlieren zu können, befreite. Dies alles durch den Herrn, der ihm zusagte, dass Seine Gnade genüge, um sich in allen Schwächen und Leiden des Apostels als der Stärkere zu erweisen.
Paulus und alle mit ihm manchmal in den dritten Himmel entrückten Gläubigen, müssen nun ebenso nicht mehr fürchten, dass ihr in Gott begründeter Glaube, und die daraus folgende Hoffnung und Liebe, durch irgendeine innere oder äußere Macht zerstört werden könnte. Denn unser christlicher Glaube ist und bleibt ewiglich fest und sicher, ein unverdientes, reines Geschenk unseres Gottes, des barmherzigen Vaters, der uns um Seiner selbst willen, auf unserer Pilgerreise auf Erden und bis in den Himmel hinein, vor allem Übel gnädig bewahren will. Wir Christen dürfen uns daher unserer Schwäche und Hoffnung eingedenk, voll Vertrauen aus dem Staub der Erde erheben, und mit allen Engeln und Heiligen den dreifaltigen Gott dankbar loben und preisen. Er, der Herr, unser Gott, wird uns, wie den Apostel Paulus, stets mit allem Nötigen ausstatten, um im Glauben, in der Hoffnung und Liebe bleiben zu können. Wünschen wir uns darüber hinaus auch gegenseitig Momente der Entrückung in erfüllter Gottesbegegnung, aus der Sicherheit im Glauben, Hoffen und Lieben erwachsen kann, wie sie einst dem Apostel Paulus zuteilwurde; eine Freude über Gott, die dann in Frieden mit allen Menschen guten Willens aus uns heraus singt und betet: Die Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist jetzt und in Ewigkeit!
Sie sitzt am Steuer ihres Autos. Ihre Freundin nimmt neben ihr Platz und räkelt sich auf dem Sitz bequem zurecht. Der Wagen ist, wie eine gute Stube im Winter, angenehm beheizt. Anne genießt es in dieser Nacht, Beifahrerin zu sein, sich ihren Gedanken zu überlassen und bemerkt: »Bald ist es so weit. Ich freue mich jetzt schon auf die besinnlichen Abende im Advent. Die Bratäpfel, die uns bei der Gastgeberin erwarten, sind besonders lecker. Sie schmoren sicher schon in der Röhre. Wenn ich an den feinen Duft denke, der durch die ganze Wohnung zieht, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Und danach eine Runde Bridge mit unseren Freunden. Mein Herz, was brauchst du mehr! Ein solches Ereignis hebt die Laune, hellt alle Dunkelheit auf und lässt uns, die in diesem Jahr schon früh einsetzenden kälteren Tage leichter ertragen«. Traudel, ihre Freundin, entgegnet: »Ich freue mich auch auf die Bratäpfel, aber weniger auf den harten Winter, mit all seinen Unbilden.
Soeben berichtete mir mein Mann, der von einem Treffen mit seinen Musikfreunden zurückkam, wie schwierig es für ihn war, bei lebhaftem Verkehr mit dem Auto im Dunkeln zu fahren. Die Nebenstraßen seien bei leichtem Nieselregen spiegelglatt«. Ihre Freundin Anne, sitzt derweil, wie ungerührt daneben. Sie kuschelt sich in den Beifahrersitz. Ab und zu huscht ein flüchtiges Lächeln über ihr zufriedenes Gesicht. Ihre Augen, abwechselnd schließend, dann wieder öffnend, ist sie dem Anschein nach gedanklich voll bei ihren Bratäpfeln. Sie zeigt nicht die geringste Neigung, das Thema zu wechseln und bemerkt – wie beiläufig: »Mein Mann ist in solchen Fällen oft ängstlicher als ich. Obwohl er mich vor der Fahrt zu Dir auf die Nachrichten verwies, in denen vor einem überraschenden Kälteeinbruch und glatten Straßen gewarnt wurde, bin ich mit meinem Wagen ohne Probleme zu Dir hierhergekommen«. Die zugegeben, nicht so einladende Wetterlage, sollte uns aber nicht davon abhalten, die wenigen Kilometer nach Stetten zu fahren. Es stehen ja sonst die Bratäpfel und der schöne „Bridge-Abend“ auf dem Spiel. Die B14 ist sicher gestreut und gut befahrbar. Und außerdem, fügte sie schelmisch und leicht überlegen lächelnd hinzu: »Unsere ängstlichen Männer fahren ja nicht mit«. Ihre Freundin entgegnet: »Klar, und im Unterschied zu vielen Autofahrern haben wir ordentliche Winterreifen. Kein Wunder, wenn Sommerbereifte ins Rutschen kommen!« Darauf entgegnet Traudel: »Ich kann mich blind auf meinen Mann verlassen. Er sorgt immer für unsere Sicherheit. Wir sind gut bereift«.
Als ob sie ihren Worten den nötigen Nachdruck verleihen möchte, drückt sie -zur Probe- herzhaft auf die Bremse und erschrickt: »Huch, ich glaube, es ist doch etwas glatt!» entfährt es ihr. Ihre Freundin Anne bemerkt hierzu in beunruhigender Selbstsicherheit: »Macht nichts! Dieses Wetter kann uns nicht einschüchtern. Denk an die leckeren Bratäpfel, die es bei Frau Sommer gibt. Diesen Hochgenuss und den schönen Bridge-Abend können wir uns nicht entgehen lassen«. Es gelingt Anne aber nicht mehr, ihre Freundin vollständig davon zu überzeugen, dass keine Gefahr droht. Man konnte ja bei der zunehmender Dunkelheit, dem stärker aufkommenden Regen und den vielen irritierenden Lichtern entgegenkommender Fahrzeuge, den Mittelstreifen kaum mehr erkennen. Traudel hat inzwischen bereits vorsichtigerweise die Geschwindigkeit gesenkt. Sie hängt nach vorn gebeugt über dem Lenker und versucht, angestrengt durch die hochtourig laufenden Scheibenwischer hindurch blickend, den Bodennebel zu durchdringen, um bei dem lebhaften Verkehr die Orientierung nicht zu verlieren. Leicht gereizt, presst sie zwischen den Lippen die Bemerkung heraus: »Wie üblich, der Hartmannsweiler Stau! Aber heute schon so ungewöhnlich früh«. Dann fügt sie in einer Art kritischem Kommentar hinzu: »Immer diese ängstlichen Autofahrer, die sich bei Glatteis nichts mehr zutrauen«! Anne, von ihren Gedanken über die leckeren „Bratäpfel“ unangenehm abgelenkt, entgegnet: »Man kommt nicht vorwärts, wenn alle so langsam und vorsichtig fahren. Scheint doch sehr glatt zu sein«? »Vorsicht«! ruft Traudel plötzlich: »Ich mache eine Bremsprobe«. Dann bemerkt sie erschrocken: »Na ja, ganz so viel Halt haben wir nicht«, als der Wagen leicht ausbricht. Sie fährt fort, und ermahnt sich selbst mit den Worten: »Immer nur leicht auf dem Gaspedal bleiben und nicht plötzlich bremsen«! Sie hat jetzt nur noch Augen für den Verkehr und schreit erregt: »Vorsicht, da vorne stehen sie! Ich glaube da liegt schon einer im Graben. Da geht nichts mehr«! Um dann enttäuscht hinzuzufügen: »Arme Frau Sommer; und unsere schönen Bratäpfel! Vorgestern habe ich ihr noch die „Brettacher“ gebracht, das sind einfach die besten dafür«. Ane, immer für einen Rat gut, sagt hierauf: »Ich schlage vor, wir biegen einfach ab. Ich kenne eine passende Nebenstrecke. Wir fahren über Höfen, da ist die Straße sicher frei. Traudel versucht es mit einem kaum mehr wahr zu nehmenden Einwand: »Hier scheint’s aber spiegelglatt zu sein! Da vor uns am Berg, drehen bei einem Auto schon die Räder durch«! Danach selbstkritisch: »Bloß nicht anhalten! Achtung! ich fahre um das Auto herum in die Kreuzung«. Und mit einem Aufatmen: – »Geschafft, das war aber knapp! Wie viele Menschen heute unterwegs sind. Die können alle nicht Auto fahren«! Anne erregt warnend schreit: »Rechts vor uns liegt einer im Graben«! Hierauf bemerkt Traudel, betont höflich, »Danke, ich weiche aus«. Dann leicht entsetzt der Ausruf: »Links, ein Auto im Gegenverkehr schlingert! Wie kommen wir hier vorbei«? Sie gibt sich selbst gute Ratschläge und sagt laut und deutlich: »Immer ruhig bleiben. Ich schlängle mich durch. Bloß nicht bremsen und anhalten. Huch, jetzt geht’s bergab«! Der Wagen rutscht fast von allein. Bremsen nützt nichts. Entsetzt äußert Anne: »Rechts vor uns liegt einer im Graben! Vorn links, auch! Sind das aber viele Autos, die liegen bleiben! Was wollen die denn alle bei so einem Wetter auf der Straße? Frau Sommer wird uns schon sehnlich erwarten. Es ist ja bereits Viertel nach Acht. Die schönen Bratäpfel! Wir haben uns doch so auf diesen Abend gefreut. Um besser sehen zu können, rückt Traudel immer näher an die Windschutzscheibe heran. Dann mahnt sie sich deutlich zur Vorsicht: »Achtung! komme ich da durch? Verdammt eng! Wie weit der in der Mitte fährt, der Hornochse! Hoffentlich fängt er nicht an zu rutschen«! Sie atmet befreit auf mit den Worten: »Gut gemacht«! Endlich eine ebene Strecke, vierspurig. Jetzt haben wir es nicht mehr weit. Wäre ja auch zu schade, wegen so einem bisschen Glatteis auf die leckeren Bratäpfel und unseren schönen Bridge-Abend verzichten zu müssen. Die beiden Bridgerinnen erreichen auf ihre Weise wohlbehalten das gastliche Haus von Frau Sommer. Die Bratäpfel sind nicht verkohlt und schmecken nach der anstrengenden Reise besonders gut. Und als sie sich gegen Mitternacht zur Rückfahrt auf den Weg machen, hat ein gütiger „Wetter- oder Bridge-Gott“ die Strasse von jeglichem Glatteis und unangenehmen Verkehrsteilnehmern befreit. Sie sind sich auf der Heimfahrt einig, dass es sich in diesem Falle lohnte, entgegen der guten Ratschläge ihrer Männer, den eigenen Fahrkünsten und Entscheidungen zu trauen.
O Gott der uns
DEIN Alles gibt
und uns unendlich
ewig liebt
DU hast uns aus
dem Schlaf erweckt
den Gabentisch
so reich gedeckt
Wir danken loben
preisen DICH für
alles Gute gnädiglich
bewahre uns auch
Diesen Tag dass uns
kein Leid geschehn
mag dass wir mit Herz
und Mund DEINEN
Segen machen kund
und DEIN Reich auf
auf unsrer Erde
wie im Himmel werde
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