Der Clown

Einige Lichter erlöschen im Zelt. Nur ein Scheinwerfer strahlt den roten Vorhang an. Charlie, der Clown, öffnet ihn vorsichtig einen Spalt, schließt ihn, und wiederholt das Spiel. Dann tritt er scheu vor den Vorhang, dreht sich verlegen hin und her und zupft nervös an den weißen Handschuhen, als ob er sich vor den im dunklen Zirkuszelt sitzenden Menschen fürchte. Unter einem bedauernden „Ohh“ des Publikums flüchtet er wieder, um danach im wiegenden Rhythmus eines langsamen Walzers, mit einer eleganten Geste, stolz seine imaginäre Geliebte, in die Manege zu führen. Der Scheinwerfer tastet die linkischen Bewegungen des Clowns ab, der nach einer werbenden Verbeugung, die Arme ausbreitet, um mit der unsichtbaren Partnerin zu tanzen. Sein roter Mund, verzieht sich zu einem zufriedenen, breiten Lächeln, als er nach anfänglichem Stolpern überrascht bemerkt, dass ihm einige Schritte im Takt der Musik gelingen. Stolz, geradezu selbstgefällig, führt er seine unsichtbare Partnerin am Arm zu einem Stuhl in der Manege und bedankt sich generös. Unter mehrfachem Augenzwinkern und einigen Kusshändchen, wendet er sich ihr noch einige Male zu.

Nun steht er, allein und verlegen, inmitten der geräumigen Manege. Der Lichtkegel des Scheinwerfers erfasst seine übergroßen, roten Schuhe, und gleitet an der schmächtigen Gestalt des Clown´s, empor, der in einer weiten, grün karierten Hose steckt. Die viel zu große, rot grün-blau gemusterte Jacke, reicht ihm bis zu den Knien. Ein weißer, smoking-ähnlicher Schalkragen, gibt den Blick auf ein weiß-rotes, gestreiftes Trikot frei. Am hageren, aus der Jacke herausragenden Hals des Clown´s, hängt schräg eine rote Schleife mit blauen Punkten. Jetzt steht er im vollen Licht, zupft sich verlegen an den weißen Handschuhen und blickt ab und zu Hilfe suchend zu seiner imaginären Geliebten. Im weiß geschminkten Gesicht mit dem roten Mund, den blau markierten Augen und der charakteristischen vierkantigen roten Nase, breitet sich immer mehr ein Lachen aus. Die Glatze mit dem spärlichen Haar-Rand und dem feschen roten Hütchen mit blauer Feder, wackelt im Takt mit. Das Publikum erkennt nun im vollen Licht des Scheinwerfers unter spontanem Beifall seinen Liebling. Die gleichzeitig eingeschaltete Beleuchtung verwirrt Charlie aber so, dass er erschrocken die Manege im Rückwärtsgang wieder verlassen will. Zum Glück bleibt er. Mit wenigen Gesten hat Charlie wieder einmal, die Herzen des zahlreichen Publikums gewonnen. Mit energischen Handbewegungen fordert er für sich einen Tisch und einen Stuhl. Es dauert eine ganze Weile, bis die in weinroter Kleidung, mit goldenen Knöpfen und Kordeln steckenden Helfer, ihre Aufgabe begreifen. Charlie fasst sich ab und zu ans Herz, faltet die Hände und strahlt, als die gewünschten Gegenstände vor ihm stehen.

Er betastet vorsichtig Tisch und Stuhl. Als ob er so etwas zum
ersten Mal sähe, prüft er umständlich deren Form und Standfestigkeit. Er setzt sich, zum Ergötzen des Publikums, sehr vorsichtig auf den Stuhl, immer prüfend, ob dieser nicht zusammenbrechen könne. Er probt nun spielerisch und vergnügt verschiedene Szenen durch: Zunächst sitzt er wie ein Lehrer hinter dem Tisch, der eine Schulklasse bei einer Klassenarbeit beaufsichtigt, dann wie ein Beamter am Schalter, der es mit seinen Pflichten sehr ernst nimmt. Er lehnt sich schließlich gemütlich zurück und scheint die Musik des Orchesters zu genießen. Plötzlich wirkt Charlie sehr besorgt, als ob er annähme, dass sein Publikum mit der bisherigen Vorstellung nicht zufrieden sein könne. Nach einer kurzen, nachdenklichen Pause, deutet er durch Gesten an, dass er drei Gefäße benötige. Die Zirkusdiener bringen, nachdem ihnen der Clown etwas ins Ohr flüsterte, drei durchsichtige Krüge mit
roter, gelber und blauer Seifenlauge und ein Glas, in dem verschiedene Röhrchen stecken. Die Musik spielt ganz leise. Charlie reibt sich vergnügt und zufrieden Hände und Bauch und beginnt mit den Röhrchen unterschiedlich große, farbige Luftballons auf zu blasen, die sich nach einiger Zeit von den Röhrchen trennen und von ihm mit zarten Gesten verabschiedet werden. Die vielen Kinder folgen staunend den Seifenblasen, die sich manchmal in Gruppen und dann wieder einzeln in die Luft erheben und sich einen Weg durchs Zirkuszelt bahnen. Jedes Mal, wenn eine Seifenblase an einem Seil, einer Tragestange oder am Zirkuszelt zerplatzt, ertönt ein bedauerndes „Ohh…“. Unter dem Beifall der Zuschauer und Kinder zaubert Charlie immer größere Seifenblasen, die rot-gelb-blau schimmern, aus den Röhrchen hervor. Er scheint glücklich bei seinem Spiel und klatscht mit dem Publikum in die Hände, wenn ihm schöne Gebilde gelingen.

Nun begibt sich Charlie zu seiner unsichtbaren Geliebten, setzt
sich zu ihr, streichelt sie, umarmt sie und gibt ihr mehrere Küsschen. Sie scheint wie das Publikum mit seinem Auftritt zufrieden zu sein. Ein Trommelwirbel setzt ein. Der Clown bläst als Hauptattraktion aus einem längeren Röhrchen unter zunehmendem Beifall eine Seifenblase auf, die so groß wird, dass sie die Verliebten wie in einem Haus umschließt. Charlie wirkt sehr traurig, als nach einem kräftigen Tusch des Orchesters, sein Traumhaus zerplatzt. Er verbeugte sich mit seiner unsichtbaren Geliebten, zeigt dem Publikum, die leeren Krüge, bekommt einen echten grünen Ballon zur Belohnung, und tanzt mit seiner imaginären Partnerin vergnügt aus der Manege heraus. Der nach einer kleinen Kunstpause einsetzende, rauschende Beifall des Publikums, will kein Ende nehmen. Alle übrigen Artisten, die ihre Künste am Trapez und Hochseil zeigten, die Löwen, Bären und
Elefanten vorführten, bekamen auch Beifall. Nichts aber hat die Kinder mehr begeistert, als der Clown Charlie, der einfach nur mit Seifenblasen spielte. Hinter dem roten Vorhang findet er ein ruhiges Plätzchen und träumt noch ein wenig dem Beifall und den Seifenblasen nach. Er wirkt glücklich und zufrieden. Ist es ihm doch wieder einmal gelungen, zusammen mit den anderen Künstlern, Artisten, den Tieren und vielen Helfern, seine geliebten Kinder und die Erwachsenen mit einem faszinierenden Programm zu begeistern. Schade, dass das Gastspiel, wie alles Schöne, so schnell zu Ende geht.

Kinderfreude

Bitte

Herr verrichte
DEIN Gebet in
uns damit wir
DEINEN Willen

Zum Wohl der
Brüder und
Schwestern
erfüllen

In der Liebe
zu DIR und
zu einander
stillt DEINE
Gnade

Die Sehnsucht
nach DIR gelobt
und gepriesen
seist DU hier
allezeit und
in Ewigkeit

Dankgebet

Mariengebet

Unter Deinen Schutz und Schirm
fliehen wir o heilige Gottesgebärerin.
Verschmähe nicht unser Gebet in
unseren Nöten, sondern erlöse uns
jederzeit von allen Gefahren, o Du
glorreiche und gebenedeite Jungfrau.
Unsere Frau unsere Mittlerin, unsere
Fürsprecherin. Versöhne uns mit
Deinem Sohne, empfiehl uns Deinem
Sohne, stelle uns vor Deinem Sohne
Amen

Maria mit dem Kinde lieb uns allen Deinen Segen gib.

Dem Ewigen

Aus tiefer Andacht des Schweigens und der Not aller Geschöpfe, wagen wir die Augen zu erheben, und DICH über alles geliebter Vater, Sohn und Heiliger Geist, den die Himmel und das Universum nicht fassen, zu bitten, uns beten zu lehren. DIR, unerforschlicher, ewig neuer Anfang allen Lebens und Betens, bekennen wir unsere, durch nichts anderes zu stillende Sehnsucht nach DIR. DU bist unser Schöpfer, und DIR allein verdanken wir in DEINEM ewigen „Ich bin der ich bin“, den immer neuen, schöpferischen Anfang allen SEINS. Ohne DICH, und DEINE unendlich gegenwärtige Liebe, existiert nichts. Bewahre uns, um DEINER Liebe und DEINES heiligen Namens willen davor, DICH mit DEINEN Werken zu verwechseln, die als Spuren auf DICH verweisen, und allem Bestand, Ordnung, Wert und Zeit gewähren. DU, über alles geliebter Vater, Sohn und Heiliger Geist, bist in uns, um uns und über uns, bis zum Ende der Zeit, und in DEINER Ewigkeit unsere wahre und einzige ewige Heimat.

Wir danken DIR für alle Spuren, die DU in uns, um uns und über uns, in das Universum DEINER Werke eingeschrieben hast. Nichts, Allmächtiger, Gegenwärtiger, Ewiger, ist ohne DICH, nicht einmal das „Nichts“. Entziehst DU Deine Existenz gewährende Gegenwart, fehlt uns das Licht und die Luft, zum Atmen und Leben. Nicht vorstellbar, aber manchmal in schrecklichen Stunden der Einsamkeit, ist eine Spur des Entsetzens, der Nacht des „Ohne DICH“ erfahrbar. DU aber, über alles Geliebter, bist auch dann noch unser Atem, unser Herzschlag und unser Schweigen in DIR. DEINE unendliche gegenwärtige Liebe, hat uns jedoch im Heiligen Geist aus Maria, DEINER Erwählten, DEINEN eingeborenen Sohn geschenkt. ER hat uns aus der Finsternis in das Licht SEINER Liebe zu DIR berufen, aus aller Not erlöst, und in SEINEM Leben, Tod und Auferstehen alles vollbracht, was wir nicht vermögen, aber DIR, der Quelle aller Heiligkeit und Herrlichkeit gebührt. In IHM, durch IHN und mit IHM, sind wir DEINE Söhne Töchter und Erben himmlischer Vater, und die geliebten Brüder und Schwestern DEINES Sohnes. In IHM, mit IHM und durch IHN den Eckstein, sind wir lebendige Bausteine der Kirche, im Heiligen Geist. Gottes Wohnung des Glaubens Hoffens und Liebens in der Zeit, der Ort und Hort der Verehrung, Andacht, Dankbarkeit, Einheit und Gemeinschaft, der Versöhnung des Betens Redens und Schweigens, des Trostes Heiles und Segens, in dem wir in Zeit und Ewigkeit, vor allem Bösen bewahrt sind.

Vater, Sohn und Heiliger Geist, verleihe DU meinen Armen Worten Segen und Heil, damit allen Menschen in Not und Gottferne unserer Zeit, Hoffnung erwache, dass Gottes ewiges Gebet der Liebe für uns, auch in ihnen die Dankbarkeit für alles was es gibt, zum Leben auferstehen kann. DEIN Gebet, Vater Sohn und Heiliger Geist, für alles was DU erschaffen und belebst, DU ewig junger gegenwärtiger Anfang, sei und bleibe in meinen Worten und in uns allen, die belebende Liebe und Sehnsucht nach DIR unsere Heimat in Zeit und Ewigkeit.

Im Kreuz ist Hoffnung Liebe Versöhnung und Erbarmen.

De Gotteswäg

O Gott i
zieh mi
Chäpli ab
un schwieg

Un bin ganz
g´wiß DU
hesch uns
lieb

Durch DICH
isch alles
schön un
ganz

DU bisch mi
Glück i bin
DI Edelstei un
DI Monstranz

DU mi vetrauti
Hand DU Gottes
Wort

Das Kreuz der Erlösung und Hoffnung

Der Kreuzweg

Ein in die Jahre gekommener Mensch hatte im Laufe seines Lebens viel erlebt, und mancherlei Leid erfahren. Wenn er sich umblickte, und er hatte klare Augen, konnte er erkennen, dass es den Anderen ähnlich ging. Das Herz wurde ihm schwer, wenn er sah, dass es weder ihm noch seinen Freunden möglich war, das Leid aus der Welt zu schaffen, so sehr sie sich dagegenstemmten. Wenn ihn dann manchmal der Kummer sehr niederdrückte, und ihm die Worte fehlten, um seinen Schmerz aus zu drücken, sank er, in sich gekrümmt, zu Boden und ließ seinen Tränen freien Lauf. Ohne es sich so recht eingestehen zu können, war er längst zu einem »Kreuzträger« geworden.

Eigentlich war er ein ganz normaler Mensch, sozusagen einer wie Du und ich. Mit der Zeit gelang es ihm aber immer weniger, seine Not zu leugnen. Er ließ sich aber auch von anderen Lebensgefährten, die ihren Wohlstand vorführten, als könne ihnen kein Haar gekrümmt werden, nicht mehr so leicht täuschen. Hatte er doch im Alltag und in seinem Beruf häufig erfahren, dass weder Reichtum, noch aufgeblähter Stolz, oder unentwegte Klage, die Menschen davor schützen können, Begrenztheit, Krankheit und Not, letztlich Kreuz und Tod zu erfahren. Der Mensch, von dem in dieser Geschichte die Rede ist, ist aber einer von uns allen. Wahrlich kein schlechter, eher ein besorgter, nachdenklicher Zeitgenosse. Es gibt nicht sonderlich viele davon. Aber alle geht es an, was er zu sagen hat. Er kauerte im Laufe der Zeit nicht mehr so oft in sich gekehrt am Boden. Nein! Dieser Mensch richtete sich immer wieder auf, schaute umher, öffnete den stummen Mund und wagte es, mit und für alle anderen Gefährten über ihre unabwendbare Not zu reden. Wenigstens klagen wollte er dürfen, wie unmenschlich schwer es manchmal war, das eigene Kreuz zu schultern und das der ganzen Menschheit mit zu tragen. Zu bekennen, dass Menschenkinder wahrlich keine Heroen, sondern bestenfalls Brüder und Schwestern sind, die im Gespräch mit einander Brücken der Liebe bauen. Manchmal saß er mit einigen von ihnen vor seinem Haus, und sie schwatzten über dies und das. Sie waren sich gut, und vertrauten einander ihre Freuden, Sorgen und Nöte an. Als hätten sie alle dasselbe Geschick und säßen zusammen in einem Boot, im Gespräch über die letzten Dinge. Kräftig rudernd, kamen sie aber nur wenig voran, hofften aber unentwegt auf günstige Winde, die ihnen helfen könnten, ihr ersehntes Ziel zu erreichen.

Die Erdenbürger hatten schon lange angestrengt über sich nachgedacht. Viele Bände ihrer Erfahrungen und ihres Wissens, füllten die Regale der Bibliotheken. Sie lernten manches Nützliche für ihr Leben miteinander und von einander. In vielen klugen Büchern wurde auch von den Vorfahren berichtet. Neben vielen Ereignissen war darin auch die Rede von der Geschlechterreihe der Menschheit, von Völkern, die kamen und gingen, von Herrschern und ihrem Kampf und Streit um die Macht. Der Mensch, um den es auch hier geht, wusste davon. Es war ihm klar, dass die meisten seiner Brüder und Schwestern, wie alles Lebendige und auch er, lieber leben als sterben wollten. Aber es dauerte einige Zeit, bis ihm ein Licht auf ging und er redlicherweise zulassen konnte, was er erkannte. Er fand nämlich heraus, dass das Leben und der Tod, obwohl sie sich deutlich unterscheiden, untrennbar zusammengehören.

Von Jugend an hatte er sich dem prallen Leben, oder dem was man gelegentlich darunter verstand, zugewandt. Er nahm an Freud und Leid der Mitmenschen teil und erwies sich so manchem Gefährten als ein treuer, hilfreicher Begleiter. Hatte er doch selbst auch von Anderen, die wie er das Kreuzzeichen auf der Stirn trugen, oft Nähe, Liebe und Tröstung erfahren. Mit allen Kräften hatte er sich aber immer gegen das Leid, gegen menschliche Not, und jegliche Ungerechtigkeit gestemmt. Oft stand er tief erschüttert, an der Bahre seiner Freunde. Seine geweinten und ungeweinten Tränen wissen ein Lied von Ohnmacht und Trennung zu singen. Schwer lastete mit den Jahren die Fragwürdigkeit und Dunkelheit des menschlichen Daseins auf ihm. Er litt sehr darunter und suchte ernstlich nach Wahrheit und Erleuchtung, um entscheiden zu können,was angesichts der unabwendbaren Grenzen und des Endes zu tun oder zu lassen sei. Und er kam zur Erkenntnis: »Wenn es schon unmöglich sei, anstelle Anderer zu leben oder zu sterben, Kreuz und Tod aber unausweichlich wären, dann wolle er wenigstens ein froher Kreuzträger und Sterbender sein. Dann ging es aber auch nicht mehr, sich aus dem Staube zu machen, und die Verantwortung für sich und die Anderen einfach ab zu schütteln. Er hatte ja nun die vielen Menschen aller Zeiten im Blick, denen kein besseres Los beschieden war. Sein Gewissen ließ ihm von da an keine Ruhe mehr: Zu ihnen, den Brüdern und Schwestern, die vor ihm den Weg alles Irdischen gingen, musste er sich gesellen und in deren lange Reihe treten. Allein beim flüchtigen Gedanken, es anders haben zu wollen, als seine Vorfahren, überfiel ihn eine tiefe Scham. Nein, tausend Mal nein! Er wollte künftig auch bittere Wahrheiten nicht verleugnen und weder sich noch andere Menschen in diesen wichtigen Fragen täuschen. Fortan galt für ihn die Regel, jeden geschenkten Tag dankbar an zu nehmen und in Ehren zu gestalten, um dann, wenn sein eigenes Leben dereinst zu Ende gehe, wie alle Menschen vor ihm, auch in Würde zu sterben.

Der Mensch, der es hier wagt, über letzte Dinge zu reden, war sich bewusst, dass auch die Anderen, mit denen er das Dasein teilte, zum mindesten eine Ahnung von diesen Fragen hätten. Im Blick auf sie, wusste, er: »Alle Menschen und Geschöpfe wollen, wie er selbst, lieber leben, singen tanzen und lachen«. Er nahm immer wieder bei passenden Gelegenheiten seinen ganzen Mut zusammen, um seine Lebensgefährten mit dem Todeszeichen auf der Stirn, zu ermuntern, das Versteckspiel vor der Realität des Kreuzes und Todes aufzugeben. Dann aber an Stelle dessen umso mehr, mit einander zu sprechen, zu suchen und zu prüfen, auf welche Weise ein fröhlicher Mensch sein, und auch angesichts des unabwendbaren Endes seinen Weg gehen kann. Die Frage lautete daher fortan bei ihm: »Wer geht mit mir, wer geht mit Dir, wer geht mit uns zusammen diesen Weg, aufrecht, ohne dass wir die Augen vor den Grundfragen unseres Daseins verschließen müssten?«

Längst hatte der Mensch, von dem hier die Rede ist, ja bemerkt, dass er nicht alleine auf der Welt war. Daher bunkerte er sich nicht mehr ein, schaute mit klaren Augen durch das offene Visier um sich, und sah das Werden und Vergehen auch in der sprachlosen Natur. Als moderner Zeitgenosse, verfolgte er aber auch über die Medien, was in der weiten Welt geschah: Erdrückend türmten sich oft die Meldungen mit all dem Leid, Kreuz und Tod vieler Menschen, so vor seinen Augen, dass er den Kreuzweg der einzelnen Schwestern und Brüder gar nicht mehr erkennen konnte. Im besten Falle wurden die Menschen mit dem »materiell Nötigsten« versorgt. Wem aber konnten sie ihre Not und ihr Leid klagen, wer sprach mit Ihnen? Gab es für sie noch wahrhaftige Menschen, erfahrene Kreuzträger, die sie im Miteinander tröstend, wie gute Kameraden auf Schritt und Tritt begleiteten? Von solchen Gefährten hörte er wenig. Der Mensch, um den es hier geht, einer wie Du und ich, hielt in seiner Ohnmacht Ausschau nach Rettung für sich und die Vielen. Er sehnte sich nach einem Ort des Friedens, und einem Helfer, der allzeit bereit und in der Lage war, Überforderungen, Lasten und Leid der Armen zu bergen, und den geplagten, endlichen Menschen, im Leben und Sterben Halt und Geleit zu geben.

Er hatte sich sagen lassen, dass es da EINEN gebe, der die rastlosen und ratlosen Menschen liebe, deren Leid schultere, ihnen, wie ein guter Hirte seiner Herde, voran gehe, und durch SEIN Beispiel zeige, wie fröhliches Leben und würdevolles Sterben gelingen kann. Viele Male stand der Mensch, von dem hier die Rede ist, in all seinem Elend verstummend, vor dem Familienkreuz an der Wand, vor dem schon seine Vorfahren dem Herrn ihre Not klagten: Es bestand durchaus Hoffnung, dass der Sohn Gottes, der für uns grausam am Schandpfahl endete, in der Lage sei, alle Menschen, die sich seiner Barmherzigkeit anvertrauten, wirklich zu trösten: Durch SEINEN Tod am Kreuz, so besagte die Kunde, werde alle Schuld und Not der Menschen getilgt. Mehr noch, die Macht des Todes werde endgültig gebrochen und durch IHN in ein Auferstehen zum ewigen Leben gewandelt. Wem sollte angesichts solchen Trostes, der auch der ganzen Schöpfung zugesprochen ist, nicht das Herz aufgehen? Wie bitter muss es aber für den Sohn Gottes sein, wenn Trost suchende Menschen sich angesichts ihres eigenen Jammers von IHM abwenden, und SEINER göttlichen Barmherzigkeit nicht trauen. Der Mensch, von dem hier beständig die Rede ist, einer wie Du und ich, hatte ja erfahren, dass manche Erdenbürger das in sie gesetzte Vertrauen brachen. Umso größer könnten daher die Bedenken und Ängste sein, wenn es gelte, voll auf das Erbarmen Gottes zu setzen, und IHM alle Not aber auch alle Freude in der Feier der Eucharistie an zu vertrauen. Wie tröstlich wäre es aber dann für Hilfe suchende Menschen, wenn sie ihre Bedenken überwinden, und sich SEINER unendlichen Liebe, die er am Kreuz offenbarte, glaubend, hoffend, und liebend, voll an vertrauen könnten. Die Fülle des Heiligen Geistes würde ER über sie ausgießen, um sie zu befähigen, ihren Kreuzweg und dereinst auch ihren Tod, mit dem Kreuz und der Auferstehung des HERRN zu vereinen. Und das kann wirklich geschehen, denn der Herr, unser bester Freund, hat uns zugesagt, dass ER uns alle Zeit nahe ist, und uns auch in den schwersten Stunden unseres Lebens zur Seite steht. Mögen die vielen Christen, die vor uns durch die enge Pforte der Erlösung gingen, für uns bei Gott bitten, damit wir im Blick auf den geliebten HERRN, IHM folgend, glaubwürdige Zeugen SEINER Liebe werden. Der dreifaltige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, segne uns, alle guten Gedanken, dieses Leben und unsere Bitten um Heil. Der gütige Gott, bewahre, Dich, mich, und alles Geschaffene im Erdenleben vor allem Übel und geleite uns dereinst in SEINE ewigen Wohnungen.

Das Kreuz der Erlösung und Hoffnung

Studium in Freiburg

Je mehr wir uns dem Ende unseres Aufenthaltes im Spätberufenen- Seminar St. Pirmin in Sasbach bei Achern näherten, desto mehr drängten sich Fragen auf, ob wir nach bestandenem Abitur, auch den Anforderungen eines Studiums der Katholischen Theologie, an der Universität in Freiburg genügen würden: Mit gemischten Gefühlen folgten wir Pirminer der Einladung zu einem Besuch nach Freiburg in das Collegium Borromaeum, um den künftigen Studien- und Wohnort näher kennen zu lernen. Herr Rektor Oberle hatte mich beauftragt, für die Einladung und den dortigen Empfang zu danken. Ich wünschte sehr, dass es mir gelingen würde, hierzu die passenden Worte und den rechten Ton zu finden. Die ersten Eindrücke bei der Ankunft in Freiburg schienen die Befürchtungen zu bestätigen, dass uns nicht nur ein schmerzlicher Abschied von St. Pirmin und der Region um Sasbach, sondern auch ein schwieriger Anfang im Priesterseminar bevorstand. Dieser Eindruck bestätigte sich, als wir den Unterschied zwischen dem einladend wirkenden Seminargebäude in Sasbach und dem geschlossenen Gebäudekomplex des Collegium Borromaeum in Freiburg sahen.

An die der Öffentlichkeit zugängliche, damals etwas düster wirkende Seminarkirche, mit dem, überlebensgroßen Christus-Fresko hinter dem Altar, schloss sich das von außen ebenso streng wirkende Collegium in der Schoferstraße, mit dem wuchtigen Eingansportal, und der das Grundstück umfriedenden hohen Mauer an. Gegenüber baute sich, wie ein allen Stürmen trotzendes „Bauwerk“, das Erzbischöfliche Ordinariat mit der von vielen romanisierten Fenstern durchbrochenen Fassade auf. In zeitlichem Abstand betrachtet, legten sich mir und auch anderen Freunden des Kurses, damals ahnungsvoll, erste Schatten auf die Seele, denn es stellten sich uns unvermutet mehr Fragen als wir beantworten konnten.

Zum Glück hellte sich unsere Stimmung beim Betreten des Hauses ein wenig auf, denn eine an der Pforte tätige ältere Schwester, wies uns freundlich den Weg zum Speisesaal, als würden wir schon erwartet. Mit etwas wackligen Knien schritt ich auf den großen, nicht nur zu unserem Empfang auf Hochglanz polierten Fließen, durch einen hellen, hohen Flur, zum „Refektorium“. Dort angekommen, konnte ich, wenn eine Person den Raum verließ, durch den Türspalt in den überdimensionierten Speisesaal schauen. Zur Rechten sah man eine Schar schwarz gekleideter Herren an einer langen Tafel sitzen. Ein kurzer Rundblick ließ erahnen, dass auch, wenn wir uns dazu zählten, noch viele Alumnen in dem reichlich großen Raum Platz gefunden hätten. Die Zeit bis wir aufgefordert wurden einzutreten, nutzte ich dazu, mir nochmals zu überlegen, was ich als Sprecher des Kurses in dieser für uns ungewohnten Situation, zum Dank sagen könnte. Ich war mir aber in einem wichtigen Punkt nicht ganz sicher: Uns war zu Ohren gekommen, dass der Direktor des Collegiums, ein strenges Regiment führe. Er stammte aus dem südlichen Teil des Schwarzwaldes, dem Hotzenwald. Aus dem Umgang mit den eigenen Verwandten, wusste ich nur zu gut, dass „Hotzenwälder“ manchmal sehr dickschädelig sein können. Aus diesem Grund wurde vermutlich der Direktor unter den Priesteramtskandidaten nur „Hotz“ genannt. Irgendwie kamen mir zum Glück vor dem Betreten des Speisesaales erhebliche Zweifel, ob dies sein wirklicher Name sein könne? Wie zu erwarten, waren im Priesterseminar hilfreiche Schutzengel anzutreffen. Mir lief jedenfalls im passenden Augenblick auf dem Flur ein Herr in „Schwarz mit Römerkragen“ über den Weg. Diese Gelegenheit, mich zu vergewissern, wie ich den Direktor ansprechen sollte, ließ ich mir nicht entgehen. Kurz entschlossen, sprach ich den Herrn in „Schwarz“ an, und sagte: „Darf ich Ihnen eine Frage stellen“? Er antwortete: „Wenn ich sie beantworten kann, gern“. Durch das freundliche Lächeln meines Gegenübers ermuntert, fuhr ich fort: „Ich bin beauftragt, uns beim Direktor des Collegiums für die Einladung zu diesem Besuch, und den freundlichen Empfang zu bedanken. Leider bin ich mir aber nicht sicher, ob er wirklich den Namen „Hotz“ trägt, wie ich es von Seminaristen hörte?“ Der Mann in „Schwarz mit Römerkragen“ schien sehr bemüht, die Form zu wahren, als er mir, das Lachen unterdrückend, antwortete: „Unser Direktor trägt den Namen Huber. „Hotz“ ist sein Spitzname. So wird er von den Seminaristen genannt“. Ich bedankte mich für die Auskunft, und aufatmend auch bei meinem persönlichen Schutzengel, der mir, wie so oft im Leben, wieder einmal hilfreich zur Seite stand. Der Mann in „Schwarz mit Römerkragen“ kehrte mir nun auffallend rasch den Rücken zu, und lief davon. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Nach dieser Begegnung habe ich mich schon oft gefragt, welches „Gelächter“ entstanden wäre, wenn ich, mit der Anrede „sehr geehrter Herr Hotz“, die Ansprache im Refektorium begonnen hätte. Wie wäre der verblüffte Direktor mit dieser Überraschung zu Recht gekommen? Auch ich wäre verdutzt dagestanden, ohne zu ahnen, was die hier versammelten Theologen so überschäumend amüsierte. Diese Blamage blieb mir aber erspart. Im Gegenteil: Die Dankesrede kam an, und wurde mit freundlichem Beifall belohnt. Der Schreck musste mir aber gründlich in die Glieder gefahren sein, denn ich erinnerte mich später kaum an die Mahlzeit, und nur lückenhaft an die anschließende Führung.

Einige Wochen blieben uns noch, um von St. Pirmin, den Menschen dort und der vertrauten Region Abschied zu nehmen. Wir hatten diese Zeit auch nötig, um uns auf das Studium in Freiburg und das neue „Zuhause“ im Collegium-Borromaeum einzustellen. Die Frage, ob meine Fähigkeiten ausreichen würden, um den Anforderungen des Studiums zu genügen, bedrängte mich manchmal? Als ich aber den künftigen Lebensweg bedachte, tröstete mich die Tatsache, dass ich ja auch trotz gelegentlicher Zweifel am Erfolg, in der Lage war, im Jahr 1967 das Abitur zu bestehen. Damals war ich immerhin schon siebenunddreißig Jahre alt. Einst war ich einmal der jüngste Stadtrat und nun der älteste Abiturient Baden-Württembergs. Es gab genügend Anlass zum Dank für den bisher erfolgreich verlaufenen Weg und berechtigte Hoffnung, auch den künftigen Aufgaben gewachsen zu sein. Die frohe Erwartung, nun bald an der Universität durch das Studium der Katholischen Theologie mehr, über unseren Glauben und dessen Bedeutung in unsere Gesellschaft erfahren zu dürfen, ließen alle kleinlichen Bedenken zurücktreten. Einige Voraussetzungen, die ich mitbrachte, stützten meine Hoffnung, mit Gottes Hilfe auch die anstehenden Aufgaben bewältigen zu können. Ich konnte darauf vertrauen, dass mein bisheriger Glaube. die Lebenserfahrungen und intensive Vorbereitung in St.Pirmin, bei den weiteren Studien ab und zu hilfreich sein könnten. Außerdem gab es manche mir wohl gesonnene Menschen, mit deren Hilfe und Gebet, ich auch weiterhin rechnen durfte. Unter diesen Bedingungen lockte das Studium der Theologie und Philosophie vehement.

Liebe Leser, es ist mir wichtig, Ihnen die Studienzeit in Freiburg so nahe zu bringen, dass sowohl die dort erworbenen Kenntnisse, als auch die Personen, die sie uns vermittelten, in ihrer Bedeutung erkannt werden können. Ich bitte daher den Heiligen Geist wie im Stundengebet mit den Worten: „Herr, öffne meinen Mund, mein Herz, und alle meine Sinne, Dich zu preisen!“ Im August 1967 erreichten mich zwei wichtige Nachrichten: Ein Brief, der mich darüber informierte, dass ich unter die Kandidaten der Theologie der Erzdiözese Freiburg aufgenommen wurde, und eine Einladung zu Exerzitien, gehalten von Dr. Klaus Hemmerle. Wir neuen „Alumnen“ trafen mit unseren Habseligkeiten zum festgelegten Zeitpunkt im „CB“, wie das Collegium Borromaeum unter den Kandidaten genannt wurde, ein. Groß genug war mein Zimmer: Ein Kleiderschrank, das Bett, ein Tisch und Stuhl aus älterem Bestand, bildeten die Einrichtung. Ich versuchte, mit etwas Dekor und einigen Büchern, dem Raum eine minimale persönliche Note zu geben. Albert, der wie ich, schon bessere Zeiten gesehen hatte, besuchte mich. Er hatte offensichtlich auch noch wenig Durchblick, und den Wunsch, sich zu orientieren. Dass dieses Gespräch der Anfang einer bis zum heutige Tag bestehenden Freundschaft sein könnte, war nicht voraus zu sehen. Ein nachfolgender Gegenbesuch in seinem Zimmer überzeugte mich davon, dass wir nicht weit von einander unter gleichen Bedingungen untergebracht waren. Zum Glück stellte sich bald heraus, dass sich nicht nur unser bescheidenes Mobiliar ähnelte, sondern dass sich auch unsere Einstellungen in manchen Punkten deckten. Ich war froh, durch Albert eine erste mitfühlende Seele in neuer Umgebung gefunden zu haben.

Unseren Exerzitienmeister Dr. Klaus Hemmerle kannte ich schon lange. Er war Jahre zuvor Vikar in meiner Heimatpfarrei St. Josef in Rheinfelden. Ich habe ihn, als groß gewachsenen Mann, mit einer markanten Nase und so schlank in Erinnerung, dass er Mitleid erregte, und man ihm einige Pfunde mehr wünschte. Er hatte seine helle Freude daran, andere Menschen mit Wortspielen zu ergötzen. Diese Technik war aber so eingefleischt, dass ihm verdrehte Sätze auch bei feierlichen Anlässen aus dem Munde purzelten. Der Leser stelle sich einmal vor: Hemmerle hielt eine Fastenpredigt in Rheinfelden und sprach lauthals von „Jesus, der in Kesseln gefettet war“. Wer konnte da noch andächtig bleiben? Er drückte seine Hirtensorge auch gelegentlich in der Frage aus, die ihm der Herr einst stellen werde: „Hemmerle, Hemmerle, wo sind Deine Lämmerle?“ Wir begegneten einander noch viele Male, bis er als Bischof von Aachen, leider viel zu früh, sterben musste. Auf einem Photo, das auf meinem Schreibtisch steht, schaut er mich, von Krankheit gezeichnet, sehr ernst an. Ich erinnere mich nicht mehr an Einzelheiten der Vorträge die er uns Alumnen während der Exerzitien hielt. Er führte uns aber, selbst sichtlich betroffen, auf so hohem geistigem Niveau an die zentralen Geheimnisse des Lebens und Sterbens Jesu heran, dass ich, berührt von seinen Worten, diese Exerzitien nie mehr vergessen konnte.

Am zweiten November 1967 begann ich mit dem Studium an der Universität in Freiburg. Der tägliche Weg führte am Münster, mit den Marktständen, und den schon von weitem appetitlich lockenden Würsten vorbei. Oft bewunderte ich die Menschen, deren Glauben und Kunstfertigkeit uns diesen einmaligen Kirchenbau mit seinem figuralen Schmuck der Portale, den kunstvoll gestalteten Fassaden, den vielen Wasserspeiern, und dem prächtig ausgestatteten Innenraum mit den wunderschönen gotischen Fenstern, hinterlassen haben. Das Freiburger Münster zeigte sich, Stein für Stein als ein Gotteshaus, das uns vom Staunen zum Beten führte, dessen mächtiger Turm mit seiner filigranen Spitze wie ein Finger Gottes, aus der Zeit in die Ewigkeit wies. Dieser kunstvolle Bau, der die Wirren des letzten Krieges überstand, war aber auch ein den Glauben stärkendes Zeichen der Zusage Gottes, dass die Pforten der Hölle seine Kirche nicht zu überwältigen vermögen. Ich frage mich oft in unseren unruhigen Tagen, wie es heute um die Bedeutung der Katholischen Kirche und deren Beitrag zur Sicherung christlicher Grundwerte in unserem Land, in Europa und weltweit bestellt ist? Kann es Christen gleichgültig sein, wenn unsere Kirchen geschlossen oder anderen Zwecken zugeführt werden, und Minarette die Aufgabe übernehmen, uns an Gottes Gegenwart zu erinnern? Sollten wir nicht unseren Bischöfen und Priestern brüderlich beistehen, wenn sie die Gläubigen aufrütteln und mahnende Worte wagen.

Vor Jahren lernte ich den früheren Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch kennen und schätzen. Zu meiner Zeit war er noch Repetitor im Collegium Borromaeum in Freiburg. Ich konnte damals nicht ahnen, auf welche Weise unsere Wege sich später kreuzen würden. Die Tagespost vom 2.2.10 berichtete über seine Predigt anlässlich des Karlsfestes im Aachener Dom, in der er die Auflösung, wenn nicht gar Zerstörung christlicher Grundwerte beklagte, und in Rückbesinnung auf unsere christlich-abendländische Kultur, verantworteten Glauben forderte, um der religiösen Gleichgültigkeit und dem praktischen Agnostizismus die Stirn zu bieten. Ich staune immer wieder, wie Gottes Liebe Menschen formt und auf große Aufgaben vorbereitet: Der äußeren Erscheinung nach war Erzbischof Zollitsch schlank geblieben. Davon konnte ich mich überzeugen, als wir uns nach langer Zeit bei einer Veranstaltung der Welte-Gesellschaft in Freiburg wieder begegneten. Er möge mir verzeihen, dass ich ihm bei einem Versuch, mich vorzustellen, versehentlich versicherte, ich hätte ihn vor Jahren im CB kennen gelernt, während er dort als „Präfekt“ tätig war. Er wehrte dieses Ansinnen mit Recht energisch ab. Mittlerweile ist mir der kleine Unterschied zwischen dem Rang eines Präfekten und seiner damals ausgeübten Aufgabe als „Repetitor“ wieder voll bewusst.

Eine Person, die mich vom ersten Augenblick an faszinierte, war der Religionsphilosoph Bernhard Welte. Wenn er mit seiner markanten Stimme in einem bis auf den letzten Platz besetzten Hörsaal dozierte, und ab und zu den Kopf in den Nacken warf, um sich mit einem Blick nach oben zu vergewissern, dass er noch „auf der Spur des Ewigen sei“, hätte man ein Blatt Papier hören können, das zu Boden fiel. Wir Studenten hingen an seinen Lippen, wie Durstige, das klare Wasser der Wahrheit brauchten. Er verstand es, scheinbar selbstverständliche Phänomene noch einmal wie neu zu betrachten. Mit der Frage „was ist das“ nahm er uns mit auf einen Weg, der auf hohem, geistigem Niveau, immer mehr von einer vorder- zu einer hinter- und tiefgründigeren Betrachtung des Gegenstandes der Untersuchung führte. Wenn wir seinem Vortrag auch nicht immer sofort zu folgen vermochten, so prägte sich doch die Art und Weise in der er die Untersuchung durchführte, die Gedanken vortrug, und die Betroffenheit mit der er im Umkreis des „Heiligen“ um Worte rang, tief in unsere Seelen ein. In zeitlichem Abstand hierzu blieb er für mich vorbildlich, wenn es galt, Glauben und Vernunft miteinander zu versöhnen. In seinen Schriften erwies er sich als ein engagierter Brückenbauer, der es verstand, die Bedeutung philosophischen Denkens zu erschließen und zu verantwortlichem, eigenem Nachdenken anzuregen. Ich freue mich, dass sein umfangreiches Werk über die Welte-Gesellschaft, in einer Gesamtausgabe eine würdigende Verbreitung erfährt. Es ist sicher kein Zufall, dass mich mein Lebensweg auch mit seinen Schülern zusammenführte:

Dem Dogmatiker Prof. Dr. Hünermann begegnete ich erstmals in Freiburg. Man erkannte ihn unterwegs, wenn er rank und schlank, zügig ausschritt, an seiner Baskenmütze. Mit einem entwaffnenden, bei jeder passenden Gelegenheit aufblitzenden Lächeln, und seiner klugen, zum Ziel führenden Argumentation, strahlte er bei seinen Vorlesungen eine vitale, reflektierte Frömmigkeit aus. Sein lebhaftes Mienenspiel und die sprechenden Gesten begleiteten den Vortrag. Er verstand es, komplexe Zusammenhänge auf das Wesentliche zu reduzieren, und verständlich darzulegen. Den Vorlesungen war eine gewisse Leichtigkeit zu eigen, die seine Hörer ermutigte, sich den angesprochenen Texten angstfrei zuzuwenden. Professor Hünermann fand in seiner unbekümmerten Art bei den Studenten Anklang. Weder er noch ich konnten damals ahnen, welche Bedeutung seine Vorlesungen über das Examen hinaus in meinem Leben haben würden: Die ewig aktuelle Frage des „Parmenides: „Warum gibt es etwas und nicht nichts“ und andere ontologischen Grundfragen des christlichen Glaubens und der Offenbarung, beschäftigten mich permanent bis heute. Der damalige Anstoß zur kritischen Reflexion der Gotteslehre bei Aristoteles, führte mich zur Frage, ob wir ohne Schaden zu nehmen, die Gedanken Platons, Aristoteles, der Vorsokratiker und deren philosophische Wirkungsgeschichte ausklammern könnten? Anhand der von Karl Jaspers vertretenen Existenzphilosophie, lernten wir den philosophischen vom religiösen Glauben zu unterscheiden. Auch der von Anselm von Canterbury in den Schriften „ Proslogion und de veritate“ ausgeführte Gedanke, dass „Gott etwas sei, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden könne“ behielt, wenn es um Aspekte möglicher Gottesbeweise ging, bis in unsere Tage, seine Bedeutung. Während meiner weiteren Studien an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, begegnete ich Prof. Hünermann wieder. Er hielt damals, als Studentenseelsorger, sehr lebendige Gottesdienste mit aufbauenden Predigten in der Dominikaner-Kirche. In geistiger Freundschaft verfolgte ich über viele Jahre sein Engagement im universitären und kirchlichen Bereich und bei Veranstaltungen der Welte-Gesellschaft. Ab und zu kam es zu einem Telefongespräch, wenn ich sein Lächeln nötig hatte, um schwerer verdauliche Speise bei römischen Vorgaben, in mein katholisches Weltbild zu integrieren. Ohne diese Vorgeschichte, über die wir wie selbstverständlich nie miteinander redeten, hätte ich sein umfangreiches Werk zum zweiten Vatikanischen Konzil sicher nicht in meine Bibliothek eingestellt. Ich bin tief beeindruckt, dass er dem Vernehmen nach, noch in hohem Alter, in Erfurt eine für die Kirche der ehemaligen Ostgebiete bedeutsame Aufgabe übernahm, um Vorschläge zu erarbeiten, wie den dort anstehenden Problemen künftiger Glaubenssicherung, strukturell begegnet werden könnte. Die „stille Freundschaft“ mit Prof. Hünermann über viele Jahre ermunterte mich, unverdrossen das mir Mögliche beizutragen, um der Katholischen Kirche ein freundlich-einladendes Gesicht zu geben; und die Notleidenden unserer Tage mit einem dankbaren Lächeln im Glauben zu bestärken.

Auf jede Vorlesung des Alttestamentlers Prof. Alfons Deissler, habe ich mich erwartungsvoll gefreut. Als junger Altstudent mit einiger Lebenserfahrung, entdeckte ich in ihm auf Anhieb das „Besondere“; seine Fähigkeit, der ewig jungen Wahrheit des Glaubens Gehör zu verschaffen. Wenn er ans Podium trat, schien es, als habe er lange zuvor die Worte, die er ehrfürchtig und kraftvoll aussprach, bei sich erwogen. Die Worte aus seinem Munde zu Ehren Gottes, legten auch bei seinen Hörern ein Verlangen frei, sich dem „Heiligen“ ehrfurchtsvoll zu nähern. Seine Exegese über „ausgewählte Psalmen“ und „das Buch Hosea“, sprang wie ein Funke auf uns über. Ich konnte diesem modernen Propheten leider nie sagen, wie wichtig mir damals seine Andacht, Demut und sein Glaubenszeugnis waren, und bis auf den heutigen Tag geblieben sind. Ich bin nicht der Einzige, den er mit seinem Auftreten und seinen bis in die Sprachlosigkeit hineinwirkenden Worten beschenkte: In dem 1989 im Herder-Verlag zu seinem 75. Geburtstag erschienenen Buch „Der Weg zum Menschen“, bezeugen viele Editoren, Autoren und Gratulanten, was sie Alfons Deissler verdanken. Auf dem Photo in diesem Band schaut er mit einem leisen, lebenserfahrenen Lächeln durch die Betrachter hindurch, als wolle er auch dadurch auf einen menschenfreundlichen Gott verweisen. Ich machte mir das einleitende Zitat von Bischof Klaus Hemmerle zu eigen, mit dem er Deissler in seinen religionsphilosophischen Beitrag charakterisierte und ehrte: Es hieß dort: „Wohl kein anderes Schriftwort steht für mich in so dichter Beziehung zu Alfons Deissler wie Mi 6,8. Er übersetzte den Vers wie folgt: „Man hat dir (bereits) verkündet, o Mensch, was gut ist und Jahwe an dir sucht: nichts anderes als Gerechtigkeit üben, den Brudersinn (hesed) lieben, und in Dienmut wandern mit deinem Gott“. Dieser liebenswürdigen Aufforderung habe ich nichts hinzu zu fügen.

Zu einer ernsten Belastungsprobe meiner Glaubensüberzeugungen kam es, als der vertretungsweise in Freiburg lehrende Professor Riedl uns in seiner Vorlesung „Einleitung zum Neuen Testament“ mit aktuellen exegetischen Befunden konfrontierte. Damals habe ich mir bereits die Frage gestellt, ob die historisch-kritische Betrachtung dem im Evangelium verbürgten Gottes Wort, der Frohbotschaft für alle Menschen, angemessen ist? Wie kann man sich erkühnen, nach zweitausend Jahren Kirchengeschichte, und sorgfältiger Überlieferung der Heiligen Schrift, in der Suche nach dem „Sitz im Leben“ zu entscheiden, welche Worte der Herr wirklich sagte, und was als zeitgeschichtliche oder sonstige Einkleidung für den Glauben unerheblich sei? Zum ersten Mal ging es für mich um entscheidende Fragen. Ich war schockiert und sah meinen bewährten Glauben bedroht, wenn ich diesen exegetischen Auffassungen folgte. Die Befürchtung stellte sich ein, dass ich beim weiteren Studium in anderen theologischen Disziplinen mit ähnlich befremdlichen Überraschungen konfrontiert werden könnte. Glaube in einem das Leben tragenden, existenziellen Vollzug, und theologische Wissenschaft, waren für mich von da an nicht mehr fraglos deckungsgleich. Ich war gefordert, genau hin zu sehen, was gelehrt wird, kritisch und wach zu bleiben, um unseren Glauben und das Evangelium vor Schaden zu bewahren und notfalls unter allen Umständen zu verteidigen. Die Mittel hierzu waren aber noch sehr bescheiden. In dieser Situation wandte ich mich wieder im Gebet an Gott den Herrn, der seine Kirche treulich durch die Jahrhunderte führte, mit der Bitte. ER möge sie und unseren Glauben auch in Zukunft beschützen. Vorerst war ich aber gewarnt.

Die von Professor Franzen 1965 im Herder-Verlag erschienene „Kleine Kirchengeschichte“ und die ergänzenden Vorlesungen über die alte Kirche von den Anfängen bis Gregor dem Großen, von dort zur Reformation, und darüber hinaus bis zur Gegenwart, ermutigten mich sehr. Der Katholischen Kirche, die trotz stärkster Bedrohungen, verlustreichen Glaubenskämpfen, und schmerzlichen Spaltungen, eine zweitausendjährige Geschichte überlebte, traute ich zu, dass sie Mittel und Wege finden werde, die Anfeindungen und Herausforderungen in unseren Tagen und in Zukunft zu bestehen. Große Heilige, Kirchenführer und unzählige treue Christen folgten der Aufforderung des Herrn: „Ihr werdet meine Zeugen sein!“ Ihnen allen, auch Professor Franzen schulde ich Dank. Er hat mir ja eine erste Brücke zum tieferen Verständnis der Kirchengeschichte im jeweiligen historischen Umfeld vermittelt. Es ist nicht zu übersehen, wie steinig der Weg unserer Kirche durch die Zeit war, und dass viele menschliche Schwächen und Schuld ihr Pilgerkleid beschmutzten. Dies kann aber nicht verdecken, welcher Segen für die Menschen von dieser „armen Kirche“ unter Gottes Beistand ausgegangen ist. Möge es uns vergönnt sein, mit ihrer Hilfe unseren Glauben auch in dem zusammenwachsenden Europa und überall auf der Welt.

In einigem Abstand zu den Ereignissen in Freiburg, die immer wieder von Semesterferien unterbrochen, reichlich Zeit ließen, um in der heimatlichen Umgebung, vertraute Menschen zu erleben, verlor auch das Leben im Collegium Borromaeum seine anfänglichen dunklen Seiten. Die Gottesdienste in der Seminarkirche und im Münster, die sich anbahnenden Freundschaften, die städtische Betriebsamkeit Freiburgs und ab und zu eine leckere Wurst als Zwischenverpflegung vor dem Münster, lockerten das von mir ernstlich betriebene Studium auf. Selbst das gegenüberliegende Erzbischöfliche Ordinariat stand ab zu für eine Weile im Sonnenlicht. Mühten sich doch dort auch engagierte Christen mit vielen schwierigen Fragen, Entscheidungen und Planungen zum Wohle der Diözese ab. Die Zeit rückte näher, um vom Collegium Borromaeum, der Universität und dem inzwischen vertrauten Freiburg mit seinem schönen Münster, Abschied zu nehmen. Die anfänglichen Fragen, ob ich in der Lage wäre, den Anforderungen des Studiums der Katholischen Theologie zu genügen, waren abgeklungen. Das ordentliche Ergebnis der abschließenden Prüfungen, erlaubte keinen Zweifel, dass ich beim Wechsel zur Universität in Münster das Theologie-Studium in der „Externitas“ erfolgreich fortsetzen könnte. Lediglich der Wohnortwechsel in das mir nicht bekannte Münsterland und die Frage, wie ich als „Süddeutscher“ dort überleben könnte, beunruhigten mich gelegentlich. Beim Studium an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, entdeckte ich meinen unersättlichen Hunger nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Geborgenheit im katholischen Glauben. Wie ein Schwamm sog ich alles auf, was mir das Leben im Seminar und an der Universität an Anregungen hierzu bot. In einer großen Offenheit und wenn nötig kritisch, strebte ich nach wahrer Erkenntnis und einem umfassenden Verständnis unseres katholischen Glaubens. Ich freute mich darauf, meinem Ziel Priester zu werden, auch in Münster ein Stück näher zu kommen. Über die folgenden, entscheidungsreichen Jahre, werde ich in einem nächsten Beitrag berichten.

Geborgen in der Kirche
Geborgen im Glauben Hoffen und Lieben.
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