Die freundliche Seite des Todes

Vor Tagen streckten und reckten die ersten Winterlinge und Schneeglöckchen ihre Blüten mutig den spärlichen Sonnenstrahlen entgegen. Leicht im Winde sich drehend und wendend, läuteten sie ahnungsvoll den bevorstehenden Frühling ein. Danach zeigten sich zögerlich einzelne Blüten der Zierkirsche, und verwandelten sich, wie durch Zauberhand, in wenigen Tagen vor unseren Augen in ein weißes Blütenmeer. Die Forsythien platzten in üppig leuchtendem Gelb aus ihren Knospen, und wetteiferten mit den bunten Tulpen, Narzissen und Osterglocken, um die Gunst der Sonne. Die jungen Blätter der Büsche und Bäume drängten aus ihrem Knospen. In überwältigender Fülle begann es ringsum zu grünen und zu blühen. Die Kraft der Sonne hatte auf wunderbare Weise die Natur wieder zu neuem Leben erweckt. Auch die Menschen drängte es hinaus ins Freie. Man konnte wieder Kinder beim fröhlichen Spiel, Paare in trauter Gemeinsamkeit, Nachbarn bei ihren Spaziergängen und Bauern bei ihrer Arbeit auf den Feldern erleben. Mich hielt es nicht mehr in unserer Wohnung.  Unsere Zierkirsche legte aber schon nach wenigen Tagen ihr hübsches, weißes Kleid, in einem Blütenregen ab, und tauschte es gegen ein neues, grünes Kostüm aus saftigen Blättern um. Es ist nicht zu fassen, wie eilig es die Natur in diesem Jahr wieder hat, uns im Licht der warmen Sonne, mit vielfältigen Wundern und Wandlungen zu beglücken. Im Gegensatz zum prallen Leben in der Natur, erinnerte uns die Kirche daran, dass wir mitten im Leben auch dem Tod begegnen, denn wir feierten auf dem Höhepunkt der Fastenzeit mit dem Palmsonntag, Gründonnerstag und Karfreitag, in der österlichen Botschaft als Gläubige, den Sieg des Lebens über den Tod.

Wer nicht durch die kirchlichen Festtage daran erinnert wird, dass einmal alle menschliche Pracht und Herrlichkeit ein Ende hat. dem stellen die Medien in den täglichen Meldungen  das grausame Geschehen auf unserer Erde, mit vielfachem Tod, und dem Leid der Menschen  vor Augen. Weniger im Mittelpunkt öffentlicher Berichterstattung, eher verschämt, auf den letzten Seiten unserer Tageszeitungen, stehen die Todesnachrichten, auf denen wir immer seltener das Kreuzzeichen sehen können. Noch stiller vollzieht sich die Erfahrung des Leidens und Todes im engeren Familien- und Freundeskreis, wenn der Tod überraschend Jung und Alt trifft, und wir dann einander betroffen am Grab begegnen. Es scheint so, als ob das Sterben, der Tod und die Trauer, heute im öffentlichen Bewusstsein, nicht den gebührenden Raum einnehmen würden. Auch uns Christen verschlägt es  ja beim Leiden, Sterben oder plötzlichen Tod eines lieben Menschen die Sprache, oder wir Erstarren im Schreck. Das uns mit der Geburt geschenkte Leben, und sein Ende mit dem Tod, begrenzen aber zusammen unser Dasein auf Erden. Dass Geburt und Tod keine sich ausschließenden Gegensätze sind, sondern als Grenzen zu  unserem irdischen Lebens gehören, und dass der christliche Glaube, einen gnädigen Gott verkündet, der unser menschliches Dasein und Sterben, durch Tod und Auferstehung in ein ewiges Leben führen will, gerät immer mehr aus dem Blick. Das war nicht immer so und müsste auch nicht so bleiben.

Nach dem zweiten Weltkrieg, und in den schmerzlichen Erfahrungen der Kriegsjahre, waren Leid und Tod unübersehbare Tatsachen, und Gegenstand des Redens miteinander. Zwei Generationen vor uns, saßen die Menschen, nach des Tages Mühen und Streit, zusammen, stützten sich gegenseitig, und erzählten einander von ihren Sorgen und Nöten. Viele Sterbende konnten vor Zeiten, ihr Leben im familiären Raum, umgeben von ihren Angehörigen, beenden. Geburt, Leben, Leiden, Sterben und Tod,blieben so in einem  Sinnzusammenhang, und die christlichen Rituale begleiteten im Jahreskreis menschliches Dasein, in der Hoffnung auf ein ewiges Leben nach dem Tode. Der in den letzten Dezennien unserer zivilisatorischen Entwicklung zunehmende Trend, zur globalen, wirtschaftlichen Verflechtung, und die Migrationsbewegungen, führten  mit dazu bei, dass sich die Struktur der Familien veränderte, und die gegenseitige Unterstützung von Geburt bis zum Tod, oft nicht mehr möglich ist. Hinzu kommt dass eine, Veränderung gesellschaftlicher Normen und Einstellungen dazu führt, das Leid, Alter, Sterben und den  Tod aus dem Bewusstsein zu verdrängen, sodass viele der in der Vergangenheit vorhandenen Hilfen, um sich zu Lebzeiten auf das Sterben und den Tod vorzubereiten, nicht mehr greifen. Dem Tod wird  dadurch  die Zugehörigkeit zum Leben verweigert. Es scheint mir aber von  humaner Bedeutung zu sein, dass  auch in unserer Zeit glaubwürdige Zeugen und Zeugnisse aus der Philosophie, Theologie, Literatur, Religion und Kultur an die Aufgabe der Versöhnung von Gegensätzen in unserem Leben, vor allem die Zugehörigkeit von Leben und Tod  in der Geschichte der Menschheit zu erinnern.

Ich habe mich in meinem beruflichen Leben, in der Wirtschaft, Politik, und als Psychologischer Psychotherapeut, im engen Austausch mit den Mitmenschen, lebenslang mit den Fragen unseres menschlichen Daseins, der uns bergenden Natur und Kultur, und ihren Wandlungen befasst. Wer meine schriftstellerischen Arbeiten der letzten siebzehn Jahre kennt, kann feststellen, dass ich, wenn nötig, auch gegen den Zeitgeist, bemüht war und bleibe, das Ganze unserer menschlichen Daseins in einem geschichtlichen und kulturellen, religiösen und philosophischen Zusammenhang zu bedenken. In diesem Kontext habe ich die Natur- und Geisteswissenschaften zwar unterschieden, aber nie als sich ausschließende Gegensätze betrachtet. Nach meiner Pensionierung, habe ich in meinen Schriften, besonders die mit dem Alter gegebenen Probleme, Fragen, und Möglichkeiten kreativer Entfaltung bedacht. Ein Prozess, der mit dem Sterben, der Vorbereitung auf das Ende im Tod, und in der christlichen Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, sein Ziel findet. Im heutigen Beitrag gilt mein Interesse besonders den letzten Erfahrungen eines Menschen, der möglichen Verdrängung dieser todsicheren Ereignisse, oder einer rechtzeitigen Vorbereitung auf das Sterben und den Tod:

In einer Predigt hat ein Priester zurecht darauf hingewiesen, dass unser Gott, ein Gott des Lebens war, ist und bleibt. Dass es aber für uns Christen in der Betrachtung der österlichen Geheimnisse, in der Nachfolge Christi, auch auf unsere Vorbereitung in der Betrachtung unserer Endlichkeit, des Sterbens, Todes und der Hoffnung, um die Auferstehung und das ewige Leben gehe. Viele Todesfälle in der eigenen Familie und im Freundeskreis in den letzten Jahren unterstrichen für mich die Bedeutung dieser Vorbereitung auf das Lebensende, über das eigene Geschick hinaus, für alle Menschen. Die Reflexion über einen eigenen Traum in diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen, liebe Leser vorstellen:  Im Anschluss an die zuvor genannte Predigt, betrachtete ich mein im höheren Lebensalter sicher zu erwartendes Sterben und meinen Tod. Ins Einschlafen hinein begleiteten mich zu meiner Überraschung zum ersten Mal in meinem Leben die Vorstellungen, dass mein eigener Tod trotz des schmerzlichen Lebensendes auch ein freundliches Gesicht habe. Erst nach einem folgenden Gespräch, in dem ich von einem alten Mann erfuhr, der den Tod zuvor verdrängte, und nun durch einen Schlaganfall gar nicht mehr in der Lage war, sich auf den Tod vorzubereiten, sah ich mich veranlasst, mit Ihnen, liebe Leser, über dieses für uns alle bedeutungsvolle Thema zu reden. Ich wollte und konnte Ihnen das überraschende Ergebnis meines Nachdenkens über das eigene Sterben und meinen Tod, nicht vorenthalten. Das Ergebnis fasse ich in nun zusammen:

Ich erkannte, dass mit meinem Tod nicht nur mein eigenes Leben mit all seinen Möglichkeiten auf Erden zu Ende geht, sondern auch alles vollständig und wirklich endet, was mir im Leben zur Last wurde. Ich muss nach meinem Tod nicht mehr für den Leib und meine Seele besorgt sein, kann keine Fehler mehr begehen, weder lügen, noch die Wahrheit verleugnen. Mit dem Tod hat auch alle Angst, Unsicherheit, Gehemmtheit, Not, Kummer, jegliche Sorge, das Leid, die Schmerzen, Enttäuschungen, Verletzungen, Beleidigungen, Missverständnisse, und die Bedrängnisse meiner Erdenzeit ein Ende. Ich schlief in Gedanken an die Osternachtsliturgie und meine Taufe ruhig ein und hatte folgenden Traum: „In einer ersten Szene bin ich als Träumer in einem Schwimmbad. Es nähern sich mir zwei wohlgenährte Fische mit offenen Mäulern. Der eine schlingt seine gebetsriemenartige Schwanzflosse liebevoll um mich. Beide Fische platzieren sich unter meinen Armen und halten mich über Wasser. In der folgenden Szene wird das Badewasser abgelassen. Ich bin besorgt, um das Überleben der Fische, und bringe sie in eine mit Wasser gefüllte Badewanne. In einer nächsten Szene spreche ich frohgemut mit einigen Theologen über meinen Traum und verkünde ihnen, die Erkenntnis, dass sie sich nicht vor dem Tod fürchten müssten, denn alles, was sie auf Erden je belastet hätte, fände mit dem Tod ein endgültiges Ende.“

Es ist für mich eine befreiende, erlösende Vorstellung, sicher sein zu können, dass alle die vor mir starben, denen ich wohl gesonnen bin, nach ihrem Tod nicht noch einmal ein Leben auf Erden erleiden müssen. Ebenso befreiend ist die Vorstellung, dass nach meinem Tod, die Trauernden sicher sein dürfen, dass weder ich noch sie selbst, nach ihrem Tod, noch einmal ein leidvolles Leben auf Erden erwartet. Es macht aber auch für die mir noch geschenkte Zeit keinen Sinn mehr über das vergangene Leid und vergangenen Streit nachzugrübeln, vielmehr nach der Fastenzeit allen Lebensgroll loszulassen, mit dem Leben von Geburt bis zum Tod zufrieden zu sein, und mich der österlichen göttlichen Liebe, Hoffnung und Barmherzigkeit anzuvertrauen.

Gott befohlen!
Franz Schwald

Geborgen in der Kirche
Christus ist erstanden

 

 

Das Vermächtnis

Ich sehe sie vor mir, die lange Reihe der Fragenden und Suchenden, wie sie durch die Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte wandern. Erdenbürger, die ihren Nachkommen und einander in Gesten, Wort und Schrift  erzählen, was ihnen im Laufe ihres Lebens wichtig war. Die auch von Dingen berichten, die sie,  über die Sorge ums tägliche Brot hinaus, bewegen: Sollte ein Mensch nicht ins Staunen geraten, wenn er von Kunstwerken aus der Frühzeit der Höhlenbewohner, von Pyramiden und Sakralbauten erfährt oder wenn er anderen Zeugnissen der Natur- und Geisteswissenschaft, Kunst- und Religionsgeschichte, aus den jeweiligen Epochen in verschiedenen Kontinenten begegnet? Können wir Heutigen dann die durch die Jahrhunderte ernst genommene Frage nach dem Sinn im Ganzen: »Warum gibt es dies und nicht nichts« einfach hochmütig beiseite schieben? Auf was müssen wir daher in unserem eigenen Interesse achten?

Wir reden in diesen Tagen viel über die missionarische Aufgabe, der Christen, dass sie mit einander und mit anders orientierten Menschen, über den Reichtum unseres Glaubens reden sollten. Der gegenseitige Trost wahrer Gottes- und Menschenliebe, die allem gilt, darf aber bei keiner religiösen Rede oder Handlung fehlen. Im steten Blick auf den Allmächtigen, und aus Seinen Quellen gespeist, könnte dann die Demut und Weisheit entspringen, die den Blick dafür schärft, dass unser Hunger und Durst nach Liebe und Glück letztlich nur Gott zu stillen vermag. Eine Kraftquelle, die schon den Glauben des Apostels Paulus festigte, und auch uns Vertrauen und Sicherheit zu schenken vermag, um allem Unglauben, Zweifel und Atheismus in und um uns, in Frieden wirksam begegnen zu können.

Schon in meinem ersten Band „Geschichten und Gedanken“, habe ich in einem einleitenden Essay versucht, Gründe zu benennen, warum es mich drängt, zu schreiben. Die dort behandelte Frage nach „Einheit und Vielfalt“ bewegt mich immer noch. In den dazwischen liegenden Jahren, hat sich für mich aber die Frage, welche geistigen und geistlichen Wurzeln, dem Schreiben zugrunde liegen könnten, etwas deutlicher geklärt: Stand zu Beginn meiner schriftstellerischen Tätigkeit, die Erfüllung der drängenden Bitte unserer Töchter: »Papa, erzähl uns etwas aus Deinem Leben«, im Vordergrund, so habe ich inzwischen begriffen, dass ich nicht nur unseren Kindern, sondern der gesamten „jüngeren Generation“ eine persönliche Aussage zur Frage schulde, was mir im Rückblick auf mein ganzes Leben wichtig geworden ist. Durch mein höheres Lebensalter fühle ich mich daher in der Pflicht, allen unseren Nachkommen im Sinne eines „Vermächtnisses“ mitzuteilen, wie menschliches Leben gelingen kann. Diesem Anliegen diente und wird auch in Zukunft, alles was ich zu sagen habe, gelten.

Manches mag vielleicht „eigensinnig“ wirken. Ich stehe aber dazu: Ich muss Ihnen, liebe Leser, beispielsweise gestehen, dass ich bislang, im Unterschied zu manchen Zeitgenossen, meinen Besitz immer noch nicht im Sinne einer Nachlassregelung testamentarisch aufgeteilt habe. Ich bin auch in meinem Leben mit wenigen schriftlichen Verträgen ausgekommen. Für meine Praxis, Gott und den Menschen zu vertrauen, bin ich auch nicht ungebührlich bestraft worden. Ein Rechtsanwalt hat sich aber einmal darüber sehr verwundert. Meine Vernunft sagt mir eben, dass mir, mit oder ohne Testament, am Ende des Lebens jede selbst gefertigte Sicherheit, sicher genommen wird. Viel mehr Gewicht legte ich jedoch auf all das, was „Rost und Motten“ nicht zerstören können: Es brauchte aber seine Zeit, bis ich fähig und bereit war „die Karten auf den Tisch zulegen“ und zu versuchen, Rechenschaft von meiner Verwaltung zu geben, und so etwas wie mein „geistliches Testament“ zu schreiben. Wohl wissend, dass dies ein schwieriges Unterfangen ist, und ich nichts Gutes ohne unseren Herrgott zu vollbringen vermag, aus dem auch alle meine Quellen entspringen. Ich vertraue darauf, dass ER mir nun die rechten Worte eingeben wird, um berichten zu können, was mich im Wellengang meines Lebens über Wasser hielt, und was ich all denen, die wahres Leben, ewiges Glück und unvergänglichen Reichtum suchen, als mein Vermächtnis, hinterlassen möchte. Insofern gelten die in diesem Essay dargelegten Einsichten und Ansichten auch unseren geliebten Töchtern, deren Partnern und unseren Enkeln

Was kommt mir in den Blick, wenn ich mich als älterer Mensch in unserer Welt und darüber hinaus umsehe und umhöre? Was und wer war für mich Maßstab des Handelns? Der von mir, über seinen Tod hinaus, hochgeschätzte, akademische Lehrer und Religionsphilosoph, Bernhard Welte, dessen geistiger und geistlicher Nachlass in vielen Bänden zum Studium und zur Erbauung zur Verfügung steht, zeugt von christlichen Wurzeln und einem freimütigen Blick auf die Fragen und Sorgen der Menschen in unserer Zeit. Er gibt darin auch Rechenschaft über das, was ihn zutiefst bewegte. Es sind geistige und geistliche Schätze, die er in seinem Vermächtnis, jedem der es hören will, ans Herz legt: Vor einiger Zeit, nahm ich auf Einladung der Welte-Gesellschaft an einer Veranstaltung in der Katholischen Akademie in Freiburg teil. In den Referaten und Arbeitsgruppen kamen Erfahrungen über die Nähe Gottes und die historischen Wurzeln des Atheismus zur Sprache. Die dort behandelten Themen über die beglückende Erfahrungen der Nähe Gottes, und die äußerst befremdliche Gottesferne, finde ich auch in meinem Leben als das vor, was mich unbedingt angeht. Insofern spricht Welte auch für mich. Wenn ich in meinem Vermächtnis davon spreche, was mich immerzu bewegte, und was ich resümierend, der Nachwelt als Vermächtnis, als das Wichtigste, hinterlassen möchte, dann hat das zweifelsohne wesentlich mit dem zu tun, von dem im Sinne Weltes, während der Tagung in Freiburg die Rede war.

Ich komme zurück auf das oben erwähnte pilgernde Volk Gottes, auf alle die Menschen, die von Generation zu Generation, ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihren Glauben, das heißt alles, was ihnen wichtig war, an ihre Nachfahren weiter gaben. Vornehmlich die Älteren waren durch ihre Lebenserfahrung berufen, Wächter und Hüter des Wissens,der Kultur und des Glaubens zu sein. Wir alle übernehmen deren Erbe, führen es fort, und sind wie sie von Geburt bis zum Tod unterwegs. Mit der Begrenztheit des menschlichen Lebens, und aller Dinge, müssen wir, trotz unserer mannigfaltigen technischen Möglichkeiten und Mittel zur Steuerung der Prozesse, auch in Zukunft rechnen. All das zeigt uns: Wir können zwar viel, sind aber nicht Herr allen Daseins. Das aus der schöpferischen, uns bergenden Natur immer wieder neu gewährte Leben in all seiner Vielfalt, ist und bleibt endlich. Daher taucht sie immer wieder neu und auf unterschiedliche Weise auf, die oben erwähnte Frage: »Warum gibt es das alles, Mensch, Natur, Mikro- und Makrokosmos, und nicht nichts?« Und damit unter redlichen Menschen auch die Frage nach Sinn und Bedeutung alles Seienden, nach Schuld, Tod, Leid und ewigem Leben? Die Einen verneigen sich dankbar für alles und glauben hoffnungsvoll an ein ganz anderes, glückliches Leben nach dem Tod, die Anderen suchen unentwegt, und fortschrittsgläubig, nach immer neuen Wegen und Erklärungsmodellen, um auf Erden ihr Glück zu machen. Gott und Religion scheint es in ihrem Leben und Denken nicht zugeben. Die Frage nach Einheit und Vielfalt des Ganzen, stellt sich der menschlichen Vernunft jedoch immer wieder mit unterschiedlicher Dringlichkeit. Manche halten die Frage nach dem Sinn des Ganzen,  verwirrt durch die Komplexität der Phänomene und Ereignisse für überflüssig, Andere, wie Welte und auch ich, für vernünftig und dringend geboten.

Ich habe mich aus innerem Antrieb und Überzeugung, wie im Ersten Band meiner „Geschichten und Gedanken“ ausgeführt, dafür entschieden, den Naturwissenschaften Respekt zu erweisen, aber auch den Geisteswissenschaften und Religionen, den ihnen zustehenden Platz einzuräumen. Es erscheint mir wünschenswert und dringend geboten, dass sich das in der Vergangenheit bewährte Zusammenspiel von Natur und Geisteswissenschaft, auch in Zukunft fortsetzen kann. Auf die allseits bekannten Folgen einer Trennung von Glauben und Leben, möchte ich anhand des derzeit beklagten Glaubensverlustes und der damit verbundenen Unsicherheit im Blick auf eine tragfähige Sinn-, Werte- und Normbegründung nachfolgend hinweisen: Im Unterschied zu den Verhältnissen in meiner Jugend, als Klerus, Kirche und Gesellschaft sich vielfach ergänzten, erfahren kirchliche und lehramtliche Aussagen heute eine eher geringe Akzeptanz bei den Gläubigen und in der politischen Diskussion. Dies gilt insbesondere im Bereich der Gesetzgebung, der Ethik und Moral. Erkenntnisse der Natur-, Sozialwissenschaft und Philosophie, drängen stark in die öffentliche Meinungsbildung. Das bedrohliche Ausmaß dieser Einflüsse, auf die christliche Weltanschauung und deren Wertvorstellungen, wird im europäischen Raum vielfach beklagt. Wenn wir die Migration vieler Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen und die dominante Präsenz atheistischer und laizistischer Vorstellungen bedenken, dann ist verständlich, dass die christlichen Kirchen das Sendungsbewusstsein ihrer Gläubigen einfordern, um den Glauben unverkürzt an die nächste Generation weiter zu geben. Wir sollten aber unseren Glauben in seiner langen Tradition aus jüdischen Wurzeln des alten und in Jesus Christus gründenden neuen Testamentes, Zeit und Ewigkeit zusammen führenden, alles stabilisierenden Werte- und Normenkanons, nicht gering schätzen. Juden, Christen und alle an Gott glaubenden Menschen gehören zu diesem durch die Zeit pilgernden Volk.

Gerade die ehrwürdige Geschichte der Katholischen Kirche, ihre Martyrer, Heiligen und Seligen, die Bischöfe Priester und frommen Gläubigen, vor allem aber Jesu Tod und Auferstehung, sind die Garanten für eine Zukunft über den Tod hinaus. Diesen Zeugen unseres Glaubens bin ich mit Gottes Hilfe ein Leben lang gefolgt. Die oft so sehr gescholtene und auch wirklich Fehler behaftete Kirche, ist mir im Bewusstsein ihres alles überragenden Segens, zu einer bestärkenden Heimat geworden. Ich bin auch nicht allein: Noch gibt es sie, die vielen treuen und rechtschaffenen Ordensleute, Bischöfe, Kardinäle, Priester, Diakone und Pastoralreferenten, die mit unterschiedlichen Aufgaben in Kirche und Gesellschaft betraut, Hand in Hand mit christlichen Männern, Frauen und Jugendlichen, um Gotteslohn wirken. Wie in einer guten Familie, gehören aber auch alle die mit dazu, die gefehlt haben. Dankbar für alle Gnade, den Zuspruch und die Wohltaten, die ich durch unsere Kirche und das freundliche Geleit evangelischer Christen erfahren durfte, bin auch ich bereit, alles was mir möglich ist, in Kirche und Gesellschaft einzusetzen, und den späteren Generationen und unseren Kindern zur Ermutigung, die Bedeutung dieses Glaubens für unser aller Leben, in diesem persönlichen Vermächtnis zu bezeugen.

Wie geht solcher Glaube? Hierzu einige Erfahrungen: Glaube geht von Hand zu Hand, von Mund zu Mund, wie ein „gebrochenes Brot“, zur Stärkung von einem Mensch zum anderen. Alles, was unseren Glauben stärkt, der gnadenhaft dem Herzen Gottes entspringt, sucht  eine Chance, um sich in unseren Seelen zu beheimaten. Dieser Glaube  enthält und übersteigt soziales Engagement ins Unermessliche. Denn er untersagt uns, Mitmenschen nieder zu machen, und gebietet stets  deren Würde und Gotteskindschaft zu achten. Jedem Menschen die Barmherzigkeit und den Segen Gottes, bis in den beseligenden Himmel hinein zu gönnen und zu wünschen, ist des Christen Pflicht und Freude. Das meine ich, wenn ich die Unendlichkeit einer personalen Beziehung nie fassend, manchmal sage: »Wenn ich könnte, würde ich Dich in Watte packen!«

Welchen würdevollen Umgang mit Leid, Schuld, Freude und Vergebung, durfte ich in vielen Beichtgesprächen erfahren. Wie viel tröstliches Miteinander durch Christen in Familie, Gruppen, und der Arbeit, in gesellschaftlichen und politischen Aufgaben, durfte ich erfahren? Immer wieder traten sie mir vor Augen, die Vorbilder an Treue, Mut, Geduld, Demut, Hoffnung und Liebe. Wenn ich all das nur allein empfangen hätte, dann würde mir das Schönste, was es für mich gibt, anderen Menschen Freude zu bereiten, und sie glücklich zu wissen, fehlen. So hoffe ich, dass das eine oder andere Wort, das auch ich empfangen durfte, vermag, sich als persönliches Vermächtnis von dem, was mir im Leben das Wichtigste war, Gehör zu verschaffen. Und ich wünsche, dass diese Worte aus dem prallen Leben, Mitmenschen so zu berühren und zu ermutigen vermögen, dass auch sie aus Freude am christlichen Leben, einen Weg finden, um Gott die Ehre zu erweisen und ihren Glauben in der ihnen möglichen Form mit den Hungernden und Dürstenden unserer Zeit zu teilen.

Dank der Mutter Kirche

Der Erfinder

Von Kindheit an betrachtet Josef Gegenstände von allen Seiten, steckt sie in den Mund und freut sich riesig, wenn er etwas Neues entdeckt. Unermüdlichunt ersucht er alles und lernt die Dinge zweckmäßig zu gebrauchen. Er findet sich in der elterlichen Wohnung zurecht, spielt mit den Geschwistern und nach anfänglichem Zögern auch mit anderen Kindern und Menschen  Im Kindergarten fällt Josefs reges Interesse an Tellern, Tassen,Töpfen und Schachteln auf, denen er mit Löffeln Töne entlockt. Er räumt begeistert Mutters Schränke aus und beginnt sich am Spiel mit den angebotenen Klötzen, Bällen, dem Papier und den Buntstiften zu erfreuen. Seiner stets wachen Neugier entgeht kein Geräusc, und er zeigt durch deutliche Gesten an, ob ihm etwas gefällt oder ob es ihn stört. Lust und Neugier drängen ihn immer mehr aus der Wohnung hinaus, um im Spiel mit anderen Kindern die Umgebung zu erkunden. Unermüdlich schaut er den in der Nähe arbeitenden Bauern und Handwerkern zu, besucht die Nachbarn und entdeckt rund ums Haus spielend die angrenzenden Gärten, Felder und Wiesen. Kurz nach der Einschulung gehören auch die Mitschüler und Lehrer zu seiner vertrauten Welt. Besondere Freude bereiten Josef seine eigenen Erfindungen: Aus einem alten Kinderwagen entsteht ein Rennauto,  aus dem Seitenwagen eines Motorrades ein Boot, und aus Fassdauben eines Küfers Skis mit Bindungen aus alten Schuhen. Im Spiel mit anderen Kindern entfernt ersich zu Erkundungen immer mehr vom Wohnhaus der Eltern. Josefs Abenteuer und Ausreißversuche nehmen aber zum Glück oft ein gutes Ende: Mit zehn Jahren beeindruckt ihnein Plakat, mit der Ankündigung, dass dreißig Kilometer entfernt vom Elternhaus ein Flugtag der Segelflieger stattfindet. Diese Gelegenheit lässt sich Josef nicht entgehen, denn Flugzeuge interessieren ihn schon lange.Das Taschengeld reicht gerade aus für die Fahrkarte, und schon sitzt er im letzten Auto, das an diesem Tag noch Teilnehmer zum Fest befördert. Der abschließende Fußweg durch einen Wald wird für Josef aber zu einer harten Geduldsprobe. Nur gelegentlich kann er auf einer Lichtung durch die Bäume eines seiner geliebten Segelflugzeuge sehen. Auf dem Flugplatz endlich angekommen, ist aber die Veranstaltung leider schon beendet .Als letzte Verlockung bleibt ihm nur noch eine Wurstbude übrig. Der Hausfotograf der Familie, ein begeisterter Segelflieger, erkennt zum Glück den hungrigen Ausreißer, spendiert ihm die ersehnte Bratwurst und bringt ihn zu Josefs Mutter zurück, die schon eine polizeiliche Suchaktion eingeleitet hatte. Bei einem anderen Abenteuer steht ein Pferdefuhrwerk mit zwei Pritschenwagen vor einem Lokal, in dem sich der Kutscher ein Bier genehmigt. Es ist für Josef sehr verlockend, einmal selbst Kutscher zu sein: Kurz entschlossen steigt e auf den ersten Wagen, nimmt Zügel und Peitsche in die Hand, und o Schreck, die Pferde ziehens ofort kräftig an, sprengen die verkehrsreiche Straße hinunter durch eine Unterführung, und kommen erst wieder zur Ruhe, als ein steiler Weg zu ihrer Stallung hinauf führt. Es gelingt Josef jedochin letzter Minute abzuspringen. Bis zum heutigen Tag ist ihm aber nicht bekannt, wie diese Geschichte endete. Jeder geglückte Ausgang eines Abenteuers, ermutigte ihn jedoch immer mehr, auf ähnliche Weise Erfahrungen zu sammeln. Josef ist, wie wir sehen, durch seine Kindheitserlebnisse bestens auf das in der Schule benötigte gedankliche Lernen und die zu bewältigenden Aufgaben vorbereitet: Er entwickelt in den folgenden Jahren im Kontakt mit den Eltern, Geschwistern, anderen Jugendlichen und den Lehrern, stetig seine Fähigkeit zu sprechen und zu denken. Zeitweise verweilt Josef aber auch allein und zufrieden im Spiel mit Gegenständen, entlockt einer Flöte erste Töne oder versucht mit den Buntstiften seine kleine Welt zu gestalten. Mit den nach der Schulzei beginnenden Studien, der Aufgabe als Eltern und Erzieher der Kinder, den Anforderungen im beruflichen Umfeld und durch die sozialen Verpflichtungen, engt sich sein kreativer Spielraum jedoch wieder ein. Josef bewahrte sich aber dennoch immer die Erinnerung an den Freiraum der Kindheit und die Hoffnung, in Zukunft auch wieder einmal genügend Zeit und Muße zu haben, um den eigenen Gedanken und Neigungen folgend, seine Ideen und Pläne verwirklichen zu können.

Der vierzigste Geburtstag stimmte Josef aber sehr nachdenklich. Mit betroffener Miene rechnet er seiner Frau vor,  dass er, vorausgesetzt achtzig Jahre alt zu werden, nun schon die Mitte seines Lebens erreicht habe. Wenn wir, liebe Leser, aber Josef zu diesem Zeitpunkt in unserer Geschichte begegnen, dann ist er auch dank seiner vielen sportlichen Aktivitäten bislang gesund geblieben.Bei mittlerer Größe und schlank, tritt er uns mit kurz geschnittenen dunkelblonden Haaren, freundlich lächelnd, in modisch legerer Kleidung entgegen:  An einem schönen Sommertag folgt er der Einladung eines Ehepaares zu einem Modellflugtag. Auf demweiten Flugfeld angekommen, mischt er sich mit der Familie unter die vielen Besucher. Sie bewundern begeistert das Starten, Fliegen und Landen der verschiedenen Modellflugzeuge. Das größte Modell, ein Doppeldecker, fesselt ihre Aufmerksamkeit besonders. Ein Mann in Fliegerjacke ist gerade dabei, seine Maschine startklar zu machen. Als er sie wieder sicher landete kommt es zu einem Gespräch. Der Mann bietet dem Ehepaarim Schatten seines Transportwagens eine Tasse Kaffee an und schwärmt auf deren Nachfragen von seinem Hobby, den Flugzeugen, die er selbst baut. Wöchentlich trifft sich der Mann einmal mit befreundeten Modellbauern, die hier auch am Flugtag teilnehmen. Es erfordert, wie man hier sehen kann, viel Geschick, Modellflugzeuge zu bauen, zu starten, damit zu fliegen, und dann wieder sicher zu landen. Da der Mann aus Zeitgründen nicht in der Lage ist, alle Fragen zu beantworten, lädt er das Ehepaar zu einem Besuch in seiner Wohnung ein. Er übergibt seine Karte, und sie vereinbaren einen Besuchstermin. Sie freuen sich auf  ein anregendes Gespräch mit dem Flugzeugbauer, die Chance ihn näher kennen zu lernen, und ihm beim Arbeiten zusehen zu können.

Nun darf ich Ihnen liebe Leser verraten, dass ich Ihnen im Modellbauer eine mir
selbst länger unbekannte Leidenschaft meines Bruders Peter vorgestellt habe. Er führte uns nach einer freundlichen Begrüßung in seine geräumige, mit vielen Maschinen und griffbereit lagernden Werkzeugen gefüllte Werkstatt. Peter zeigte uns stolz, die verschiedenen, von ihm gebauten Modellflugzeuge. Zu unserer Überraschung, ist Peter aber nicht nur ein geschickter Modellbauer, sondern auch ein begabter Handwerker, der mit Kreativität und Erfindungsgabe neue technische Geräte entwickelt. Die Freude über unser Interesse an seiner Arbei tist Peter anzusehen, als er, den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt, in sich hinein lächelnd beginnt, wie mühelos an einem Werkstück zu arbeiten. Hinter ihm stehend verfolgen wir staunend, wie unter seinen geschickten Händen ein elektronisch gesteuertes Gerät entsteht, das im Auto, Flugzeug oder auch alltagstauglich im Haushalt zu gebrauchen ist. Peter erzählt begeistert, dass er außer seinem Modellbau permanent mit neuen Erfindungen beschäftigt ist  Wann immer er mit wachen Sinnen bemerkt, dass etwas verbessert werden kann, reizt es ihn sehr, über eine geeignete Lösung nachzudenken. Der Ideenreichtum und die Arbeit Peters als Erfinder, beeindrucken uns  sehr. Wird hierdurch doch wieder deutlich, in wie vielfältiger Form wir alle im Alltag, die Handwerkskunst nutzen, ohne uns dessen oft bewusst zu sein. Erinnerungen an Besuche von Museen, in denen wir die Kunst von Handwerkern und Künstlern zur Herstellungvon Möbeln mit Intarsien, Tafelgeschirr, Skulpturen und Gemälden bewunderten, wurden wider in uns wach. . Dass wir bei Peter zu Gast sein durften, der als Modellbauer und Erfinder  ein Künstler ist, erfüllte uns mit Stolz. Wie uns  aus Seiner Lebensgeschichte bekannt ist, entwickelte sich auch seine Erfindungsgabe und Kreativität kontinuierlich von Kindheit an zur Lust und zum Mut, eigene Ideen in technischen Erfindungen zu verwirklichen.

Abschließend möchte ich Ihnen, liebe Leser, aber doch gestehen, dass es mich reizte, in den literarischen Gestalten des „Josef“ eigene Interessen und  im “Peter” an meinen leider zu früh verstorbenen Bruder Peter zu erinner, während ich in der  Einleitung zu dieser Geschichte, auch unsere Enkel vor Augen hatte, die wir gerade noch eine Woche in Hamburg erleben durften. Peter” hatte übrigens bei einem unserer letzten Besuch noch eine zündende Idee: Er schenkte uns ein Fotomontage, in der er mich so in sein größtes Flugzeug setzte, als ob ich die Maschine fliegen würde. Unserem Peter versichere ich, dass ich den von ihm erbauten Doppeldecker mit dieser Geschichte an seiner Stelle weiter fliege und hoffe,bei unseren Lesern damit auch gut  und sicher zu landen. In meiner Geschichte über Josef und Peter habe ich aber sicher nicht alles erzählt, was uns ´über dessen Tod hinaus mit einander verbindet  Wir hoffen, dass Sie, liebe Leser, wie Peter und Josef Ihr kreatives Potentia auch  entfalten  oder dort, wo es Ihnen als schöpferische und  handwerkliche Kunst begegnet, respektieren können.

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